Manilazigarren besitzen ein nicht spiralförmig, sondern der
Länge nach umgelegtes und mit einem narkotischen Gummisaft angeklebtes
Deckblatt. - Die
Sitte, Tabaksblätter zusammenzurollen und in dieser Form zu rauchen, fanden die Entdecker
Amerikas bei den
Eingebornen. Durch die
Spanier kam sie nach
Europa,
[* 2] wo man anfangs die Zigarren aus
Cuba bezog, bald darauf aber
die eigne Fabrikation unter dem
Schutz des
Monopols begann. In
Deutschland
[* 3] wurden die Zigarren zu Anfang des 18. Jahrh. durch die
französischen
Heere bekannt; allgemeinen Eingang fanden sie aber erst weit später, denn als der Tabaksfabrikant
Schlottmann 1788 in
Hamburg
[* 4] eine Zigarrenfabrik nach spanischem
Muster anlegte, war man wenig geneigt, seine
Ware zu kaufen,
weil Zigarren damals lediglich noch in der Form von
Geschenken gebräuchlich waren.
Acht Jahre später wurde freilich das Zigarrenrauchen
in
HamburgMode, und seitdem hat sich dieser Industriezweig schnell entwickelt. Am bedeutendsten ist derselbe für
Deutschland
jetzt in
Bremen
[* 5] und den nahegelegenen Grenzorten
Hannovers, in
Sachsen,
[* 6]
Westfalen
[* 7] und der badischen
Pfalz.
Weiteres und Litteratur s.
Tabak.
[* 8]
ein rätselhaftes Wandervolk, das über ganz
Europa, einen großen Teil
Asiens und über Nordafrika zerstreut
lebt und seit seinem ersten Bekanntwerden in
Europa zu Anfang des 15. Jahrh. Sprachforscher, Geographen und Geschichtschreiber
lebhaft beschäftigt hat. Die
Namen, mit denen dieses
Volk von andern bezeichnet wird, sind sehr mannigfaltig.
Am verbreitetsten ist die mit dem griechischen Atsinkanos oder Athinganos zusammenhängende Benennung, die bulgarisch Atzigan
lautet und mit geringen
Abweichungen bei allen slawischen Völkern und den Litauern sowie bei den
Deutschen (Zigeuner), den
Rumänen (Tzigan), den
Ungarn
[* 9] (Czigany) und den Italienern (Zingaro, Zingano) vorkommt.
Denselben Ursprung hat das türkische Tschingiané. In
Spanien
[* 10] heißt der Zigeuner
Gitano, ein
Name, welcher sowie das englische
Gipsy und das albanische Jevk auf dem
Irrtum beruht, als sei
Ägypten
[* 11] die
Heimat der Zigeuner. Bei den
Franzosen heißen die Zigeuner Bohémiens,
wohl deswegen, weil die ersten in
Frankreich bekannt gewordenen Zigeuner aus
Böhmen
[* 12] kamen. Daneben bestehen die
NamenHeidenen
(Heider)
und Tatern. Das erwähnte griechische
Wort Athinganos war der
Name einer
Sekte, die im frühen
Mittelalter in
Phrygien und
Lykaonien
zahlreich vertreten war, und die Zigeuner erhielten bei den Griechen diesen
Namen wahrscheinlich deswegen, weil
sie aus jenen
Provinzen nach den westlichen Teilen des byzantinischen
Reichs kamen.
Andre bringen die Zigeuner mit den Sigynoi Herodots (V, 9) in
Verbindung, ohne zu bedenken, daß, während der Zusammenstellung von
»Zigeuner« mit Athinganos nichts im Weg steht, die
Ableitung des
Wortes Zigeuner von Sigynos lautlichen Schwierigkeiten
begegnet. Nach M. J.
^[MichaelJan] de Goeje ist der
Name Zigeuner von dem persischen Tsjeng abzuleiten, das ein musikalisches
Instrument
bezeichnet. Ebenso mannigfaltig sind die
Namen, mit denen die Zigeuner sich selbst benennen; nur die Bezeichnung
Rom
[* 13] (der altindische
Name einer unreinen
Kaste, dann s. v. w.
Mensch, Mann) ist den Zigeunern aller
Länder bekannt. - Die
Sprache
[* 14] der Zigeuner ist ihrem
Kerne nach unzweifelhaft indoeuropäisch und hängt mit dem
Sanskrit zusammen.
Dies erhellt aus der
Materie sowie der Form dessen, was allen Zigeunermundarten gemeinsam ist. Die
Sprache der Zigeuner steht durch
ihre
Lautgesetze, durch die Stammbildung sowie durch die Bezeichnung der
Kasus den heutigen arischen
SprachenIndiens in dem
Grad nahe, daß sie mit
Fug und
Recht an die neuindischen
Sprachen arischen Ursprungs (s.
Indische Sprachen) angereiht
wird. Was sich im Zigeunerischen in Lautverhältnissen Abweichendes findet, mag darin seinen
Grund haben, daß nicht alle
arischen
Idiome des unermeßlichen
Indien an allen Lautwandlungen teilgenommen haben.
Die
Abweichungen im
Verbum können teils auf ähnliche
Weise, teils, wie z. B. das
Imperfektum, als
Neubildungen erklärt werden.
Aus dem hier über die
Sprache Gesagten ergibt sich, daß die
Heimat dieses
Volkes in
Indien zu suchen ist; wenn man sie in die
nordwestlichen Gegenden dieses
Landes versetzt, so ist dies eine
Hypothese, welche durch vielfache Übereinstimmung
der in jenem Teil
Indiens gesprochenen
Mundarten mit dem Zigeunerischen einigermaßen gestützt werden kann.
Wann aber die Zigeuner aus ihrer indischen
Heimat ausgezogen, läßt sich nicht bestimmen. Aus der Übereinstimmung des Zigeunerischen
mit den heutigen arischen
SprachenIndiens in so vielen wichtigen
Punkten ergibt sich, daß die
Auswanderung
erst zur Zeit der
Bildung der letztern vor sich gehen konnte, also nach der
Periode des
Prâkrit, das noch die alte
Deklination
kennt,
da man kaum geneigt sein wird, anzunehmen, das Zigeunerische habe sich, losgelöst von den nächst verwandtenIdiomen,
in derselben
Weise wie diese entwickelt. Es können demnach die Zigeuner weder mit den Sintiern
Homers noch mit den Sigynen Herodots
identifiziert werden. In
Europa und zwar in Byzanz erscheinen sie zuerst 810 unter dem
KaiserNikephoros unter dem mehrfach
erwähnten
Namen Athinganoi.
Unter der Zigeunersprache versteht man das von den Zigeunern aus
Indien mitgebrachte Sprachgut. Da dieser
allen Zigeunern gemeinsame
Kern mit Zuthaten aus den
Sprachen aller jener
Völker vermengt ist, unter denen sich die Zigeuner lange
genug aufgehalten, so ergibt sich daraus eine Anzahl von
Mundarten, deren
man inEuropa etwa 13 annehmen kann: die griechische,
die rumänische (zu welcher die
Sprache der südrussischen Zigeuner gehört), die ungarische, die böhmische,
die deutsche, die polnische, die russische, die finnische, die skandinavische, die englische, die italienische, die baskische
und die spanische.
Diese
Mundarten, aus deren Aufzählung sich die Verbreitung der Zigeuner in unserm
Weltteil ergibt, weichen voneinander teilweise
so sehr ab, daß beispielsweise ein ungarischer Zigeuner einen deutschen nur mit Mühe, einen englischen
oder spanischen gar nicht verstehen würde. Zu den Verschiedenheiten im Wortschatz treten die
Abweichungen in der Form, indem
manche Zigeunermundarten die zigeunerische Form in
Deklination und
Konjugation aufgegeben und durch die dem
Volk, unter dem
sie leben, eigne ersetzt haben.
Während der griechische Zigeuner von dai,
Mutter, den
Plural daiá bildet, lautet derselbe dem spanischen Zigeuner dais; den
den übrigen Zigeunermundarten wie dem
Neugriechischen und
Bulgarischen fehlenden
Infinitiv ersetzt der spanische Zigeuner durch
die Form auf ar: penar, sagen. Wenn uns der allen Zigeunermundarten gemeinsame
Kern die
Heimat der Zigeuner in
Indien hat finden lassen, so zeigen uns die Zuthaten den Weg, den sie auf ihrer
Wanderung aus
Indien bis zum
Eismeer und zum
Atlantischen
Ozean sowie nach
Sibirien eingeschlagen haben.
Persische und armenische
Bestandteile, die überall nachgewiesen
werden können, zeigen uns den Weg und dieEtappen in
Asien.
[* 15] Die griechischen
Elemente, die in keiner europäischen
Mundart fehlen, beweisen, daß alle Zigeuner
¶
mehr
Europas aus einem Land stammen, wo Griechisch die herrschende Sprache war; auch slawische und rumänische Elemente zeigen sich
in allen Zigeuneridiomen. Mit Hilfe dieser Elemente kann beispielsweise nachgewiesen werden, daß die spanischen Zigeuner ehedem
unter Griechen, Slawen (etwa Bulgaren) und Rumänen längere Zeit gelebt haben, während wir in der Mundart
der englischen Zigeuner überdies deutsche und französische Wörter finden. Das Fehlen arabischer Elemente in den Zigeunermundarten
Europas macht die Annahme, daß die europäischen Zigeuner aus Ägypten eingewandert seien, ganz unwahrscheinlich. In Byzanz finden
wir die Zigeuner, wie erwähnt, zu Anfang des 9. Jahrh.; auf Kreta sind sie 1322 nachgewiesen, vor 1346 auf
Korfu,
[* 17] um 1370 in der Walachei, 1398 in Nauplia, ohne daß bekannt wäre, wann sie an jedem der genannten Orte zum erstenmal
erschienen.
Als das Datum ihres ersten Auftretens in Ungarn wird 1417 angegeben, während böhmische Annalen schon 1416 von Zigeunern erzählen,
ohne dieses Volk als etwas früher nicht Gesehenes zu bezeichnen. In Polen wahrscheinlich unter Wladislaw
Jagello eingewandert, werden sie zuerst 1501 erwähnt; um dieselbe Zeit mögen sie auch in Rußland aufgetreten sein. Nach
Schweden
[* 18] kamen sie 1512. Im Lande der Basken werden sie vor 1538 nicht erwähnt; 1447 erschienen sie vor Barcelona.
[* 19] In England
sind sie vor der Mitte des 15. Jahrh. unbekannt; 1531 wurde dort die erste Verordnung gegen sie erlassen.
- Was den Charakter der Zigeuner anlangt, so sind dieselben leichtsinnig, treulos, furchtsam, der Gewalt gegenüber kriechend, dabei
rachsüchtig, im höchsten Grad cynisch und da, wo sie glauben es wagen zu können, anmaßend und unverschämt.
Alle sind dem Betteln ergeben, gestohlen wird besonders von Weibern und Kindern; offener Straßenraub ist fast ohne Beispiel.
Daß sie Kinder stehlen, ist ebenso falsch wie die Beschuldigung des Kannibalismus. Die Frauen und Mädchen der Zigeuner sollen unter
den Tataren der Krim
[* 20] sowie in Spanien ebenso sittsam sein, als sie in Ungarn und Rumänien
[* 21] zügellos sind.
In religiösen Dingen völlig indifferent, huldigen die Zigeuner zum Schein der Religion des Landes; wo sie Christen sind, sind sie
bereit, ihre Kinder öfters taufen zu lassen, um Patengeschenke zu erhalten.
Sie heiraten immer unter sich. Die Zigeuner binden sich nur ausnahmsweise an feste Wohnsitze, ihre Häuser stehen
dann am Ende des Ortes; die wandernden beschränken ihre Züge meist auf das Land ihrer Geburt, und wenn sie es verlassen, geschieht
es immer mit dem Gedanken an Rückkehr. Unter ihren Beschäftigungen nimmt die Kleinschmiederei von Nägeln, Hufeisen,
[* 22] Maultrommeln
u. dgl. die erste Stelle ein; sie flicken Kessel, Pfannen, Töpfe, verfertigen hölzernen Hausrat, geben
sich mit Goldwäscherei ab, sind Bärenführer. Der Pferdehandel, welcher der List ein weites Thor öffnet, ist eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen
in allen Ländern;
die Musik wird von den Zigeunern im OstenEuropas mit Vorliebe und Erfolg gepflegt;
der Tanz der Zigeunerinnen
ist lebendig und soll an den der indischen Bajaderen erinnern;
Hinsichtlich der Körperbeschaffenheit der Zigeuner ist zu bemerken, daß die Zigeuner keineswegs schwarz von
Hautfarbe sind. Wenn man über schwarzen Samt olivenfarbigen Flor legte, so würde dies ungefähr den Eindruck
wiedergeben, den die Epidermis
[* 24] der Zigeuner auf das Auge
[* 25] macht. Ihre Gesichtsfarbe ist meist lichter als die
Hautfarbe des übrigen
Körpers, aber ohne eine Spur des dem Europäer eigentümlichen Rot; die Leidenschaft ruft nur eine größere Blässe des Gesichts
hervor. Im allgemeinen sind die Zigeuner von mittlerer Statur, schlank, von schöner Muskulatur der Schultern,
Arme und Beine; sie haben kleine Füße und Hände und lange, zugespitzte Finger.
Fettleibigkeit kommt nur bei alten Weibern vor. Die schönen Formen der Zigeuner erinnern an bronzene Meisterwerke der Plastik aus
dem Altertum. Sie haben etwas schief gegen die Schläfe aufsteigende und lang gewimperte, schwarze, höchst
lebendige Augen, meist einen feinen Mund mit schönen, gerade stehenden, weißen Zähnen. Die Nase
[* 26] ist gewöhnlich wohlgeformt
und etwas gebogen; das Kinn ist rund, die Stirn hoch, häufig aber durch das lange, straffe und starke Haar
[* 27] bedeckt. Aus den
glühenden Augen blitzt tierische Wildheit hervor; unstet schwankt der Ausdruck zwischen Schlauheit, Furcht
und Haß; die wohlgeformte Stirn drückt die Begabtheit des Geistes aus. - Die Zahl der Zigeuner in Europa beträgt wohl über 700,000,
von denen auf die Türkei
[* 28] 500,000, auf die österreichische Monarchie 156,000 entfallen. Man hat die Gesamtzahl der Zigeuner in
den drei Weltteilen zu 5 Mill. geschätzt, was jedenfalls eine arge Übertreibung ist.
Die Litteratur über die Zigeuner ist sehr reich. Hervorzuheben sind: Grellmann, HistorischerVersuch über die Zigeuner (Götting. 1787),
worin zuerst auf Indien als die Heimat der Zigeuner hingewiesen ist;
Románo czibákero sziklaribe
(Budap. 1888); Colocci, Gli Zingari (Tur. 1889); »Journal of the Gipsy lore Society« (Edinb. 1888-89).
Vgl. ferner über die
Zigeuner einzelner Länder: Paspati, Études sur les Tschinghianés ou Bohémiens de l'empire ottoman (Konstant. 1870), ein für
die Grammatik und das Lexikon des am besten erhaltenen Zigeuneridioms grundlegendes Werk; Bornemisza, Über
die Sprache der Zigeuner (Pest 1853, ungar.);