Zentrifuga
lkraft
[* 1]
(Fliehkraft,
Schwungkraft),
[* 2] die aus dem
Beharrungsvermögen entspringende
Kraft,
[* 3] mit welcher ein in krummliniger
Bahn bewegter
Körper der
Krümmung seiner
Bahn widerstrebt. Wenn z. B. eine
Lokomotive
[* 4] auf gekrümmter
Bahn dahinfährt, so hat
sie vermöge ihrer
Trägheit in jedem
Augenblick das Bestreben, entlang der
Berührungslinie AB
[* 1]
(Fig. 1) der
Bahn geradeaus
zu gehen und demnach eine
Richtung einzuschlagen, welche sie von dem Krümmungsmittelpunkt
O der Bahnkurve entfernen würde;
dieses Bestreben äußert sich durch einen
Druck AC, welchen die
Lokomotive vermittelst der Radkränze nach außen hin, vom
Mittelpunkt weg, auf die an der gewölbten Seite der Bahnkurve liegende
Schiene ausübt; dieser
Druck oder
diese
Kraft heißt die Zentrifuga
lkraft. Ihr wirkt von seiten der unnachgiebigen
Schiene eine gleichgroße nach innen (gegen den
Mittelpunkt
hin) gerichtete
Kraft AD entgegen, welche als
Zentripetalkraft die
Lokomotive zwingt, auf der
Kurve zu bleiben.
Schleuder - Schleusing

* 5
Schleuder.
Zentripetalkraft und Zentrifuga
lkraft sind als
Wirkung und Gegenwirkung einander stets gleich und entgegengesetzt. Die
Zentrifuga
lkraft macht sich bei jeder krummlinigen
Bewegung geltend. Wird z. B. ein am Ende einer
Schnur befestigter oder in eine
Schleuder
[* 5] gelegter
Stein rasch im
Kreis
[* 6] herumgeschwungen, so erleidet die
Schnur eine
Spannung, welche, als
Zentripetalkraft nach einwärts
wirkend, den
Stein nötigt, von der geradlinigen
Bewegung abzuweichen und eine Kreislinie zu beschreiben,
und als Zentrifuga
lkraft nach außen hin einen Zug
auf die
Hand
[* 7] ausübt, welche das andre Ende der
Schnur festhält.
Reißt der
Faden
[* 8] plötzlich ab, oder läßt man das eine Schnurende der
Schleuder los, so hört mit der
Zentripetalkraft auch
die Zentrifuga
lkraft plötzlich auf, und der
Stein fliegt, nunmehr nur noch der
Trägheit gehorchend, in der
Richtung
der
Berührungslinie
(Tangente) davon mit der
Geschwindigkeit, die er im
Augenblick des Loslassens gerade besaß. Wenn
Mühlsteine,
[* 9] Schleifsteine,
Schwungräder mit zu großer
Geschwindigkeit sich um ihre
Achse drehen, so kann die Zentrifuga
lkraft sogar das Zerreißen derselben
herbeiführen, so daß die in tangentialer
Richtung fortgeschleuderten
Stücke bisweilen großes Unheil
anrichten.
Kristall (Allgemeines,

* 11
Kristalle.
In der Zentrifuga
ltrockenmaschine
(Zentrifuge)
[* 10] wird von diesem Verhalten eine nützliche Anwendung gemacht zum
Trocknen der
Wäsche, zum
Gewinnen des Saftes aus zerriebenen
Runkelrüben, zum Reinigen der
Kristalle
[* 11] von ihrer
Mutterlauge etc. Sehr anschaulich
tritt die
Wirkung der Zentrifuga
lkraft auch hervor, wenn man ein mit
Wasser gefülltes Trinkglas, an einer
Schnur befestigt,
wie eine
Schleuder in vertikalem
Kreis herumschwingt; auch in dem höchsten
Punkte der Kreisbahn, wo die Öffnung des
Glases
nach unten gekehrt ist, fließt kein
Wasser aus, weil es von der
Schwungkraft, welche hier der
Schwere entgegenwirkt, daran
gehindert wird. Auch im gewöhnlichen
Leben werden häufig
Wirkungen der Zentrifuga
lkraft wahrgenommen. Ein im
Zirkus
schnell herumlaufendes
Pferd
[* 12] neigt den Oberkörper nach einwärts und bewirkt dadurch, daß die aus dem Zusammenwirken von
Schwerkraft und Zentrifugalkraft resultierende schräg
nach auswärts wirkende
Mittelkraft durch seine Unterstützungsfläche geht.
Was die Größe der Zentrifugalkraft oder der ihr gleichen Zentripetalkraft anlangt, so ist klar, daß die Kraft, welche nötig ist, um einen bewegten Körper von der geraden Linie abzulenken, um so größer sein muß, je größer die Wucht oder lebendige Kraft des dahineilenden Körpers ist, und je stärker die Bahn gekrümmt werden soll. Die Wucht eines bewegten Körpers ist aber seiner Masse (m) und dem Quadrat seiner Geschwindigkeit (v) proportional, und die Krümmung einer Kurve steht im umgekehrten Verhältnis zum Krümmungshalbmesser OA = r. Es ergibt sich also, daß die Zentrifugalkraft und die ihr gleiche Zentripetalkraft im geraden Verhältnis zur Masse und zum Quadrat der Geschwindigkeit des bewegten Körpers und im umgekehrten Verhältnis zum Krümmungshalbmesser der Bahn steht, oder es ist C = mv²/r.
Bei gleichförmigen Kreisbewegungen gibt man gewöhnlich statt der Geschwindigkeit die Umlaufszeit (t) an, d. h. die Zeit, welche der Körper braucht, um den ganzen Kreisumfang (2 π r) zurückzulegen; die Geschwindigkeit wird alsdann erhalten, wenn man den Kreisumfang durch die (in Sekunden ausgedrückte) Umlaufszeit dividiert (v = 2 π r / t); dieselbe steht demnach zu dem Halbmesser des Kreises in geradem, zur Umlaufszeit in verkehrtem Verhältnis. Mit Rücksicht hierauf läßt sich der obige Satz auch so ausdrücken: die Zentrifugalkraft oder die Zentripetalkraft ist der Masse des bewegten Körpers und dem Halbmesser der Kreisbahn direkt, dem Quadrat der Umlaufszeit umgekehrt proportional, oder es ist C = 4 π² m r / t².
Pen - Pendel

* 13
Pendel.Die durch die tägliche Umdrehung der Erde erzeugte Zentrifugalkraft ist an jedem Ort senkrecht zur Erdachse und von dieser weg gerichtet; sie trägt mit bei zu der Verminderung der Schwerkraft von den Polen nach dem Äquator hin, welche sich durch Pendelbeobachtungen (s. Pendel) [* 13] nachweisen und messen läßt. Da für alle Punkte der Erdoberfläche die Umlaufszeit die nämliche ist, nämlich 24 Stunden (Sternzeit), so ist die Zentrifugalkraft an jedem Orte dem Halbmesser des Parallelkreises proportional, welchen der Ort während der täglichen Umdrehung beschreibt. Am Äquator, wo sie der Schwerkraft gerade entgegenwirkt, ist sie am größten und beträgt 1/289 der Schwerkraft. Würde sich die Erde 17mal schneller um ihre Achse drehen, als sie es wirklich thut, so würde die Zentrifugalkraft 17×17 oder 289mal größer sein und die Schwerkraft am Äquator völlig aufheben.
Zum Nachweis der Zentrifugalkraft und ihrer Gesetze dient die Zentrifugalmaschine [* 1] (Fig. 2). Zwei Räder mit parallelen Achsen, ein größeres, das Schwungrad, und ein kleineres, dessen Achse zum Aufstecken verschiedener Versuchsvorrichtungen eingerichtet ist, sind durch eine um ihre ausgehöhlten Umfänge gelegte Schnur oder einen Riemen ohne Ende miteinander verbunden, so daß sich die Achse des kleinen Rades mit großer Geschwindigkeit dreht, wenn das große mittels einer Kurbel [* 14] in Umdrehung versetzt wird. Es werde z. B. auf die Achse ein Holzrähmchen auf-
[* 1] ^[Abb.: Fig. 1. Zentrifugalkraft.
Zentrifugalpendel - Ze

* 10
Seite 16.878.Fig. 2. Zentrifugalmaschine.] ¶
mehr
gesetzt, in welchem ein wagerechter Metalldraht ausgespannt ist;
auf diesem sind zwei durchbohrte Metallkugeln, die durch einen Draht [* 16] oder durch Schnüre miteinander verbunden sind, leicht verschiebbar;
befinden sich die beiden Kugeln auf verschiedenen Seiten der Drehungsachse, so werden sie bei der Umdrehung vermöge der Zentrifugalkraft auseinander fahren, und diejenige Kugel, deren Zentrifugalkraft die größere ist, wird die andre nach sich ziehen;
man findet nun leicht eine solche Stellung der Kugeln diesseit und jenseit der Achse, daß bei der Umdrehung die Kugeln in Ruhe bleiben, indem ihre Zentrifugalkräfte sich das Gleichgewicht [* 17] halten;
dies tritt ein, wenn ihre Entfernungen von der Drehungsachse sich umgekehrt verhalten wie ihre Massen, oder wenn die Produkte aus den Massen und den Halbmessern der durchlaufenen Kreise [* 18] für beide Kugeln gleich sind.
Dampfmaschine II

* 19
Dampfmaschinen.Bei gleicher Umlaufszeit verhalten sich also die Zentrifugalkräfte wie die Massen und wie die Halbmesser der Kreisbahnen, wie das oben mitgeteilte Gesetz es verlangt. Wird ferner auf die Achse der Zentrifugalmaschine eine vertikale Welle aufgesteckt, woran zwei Kugeln an Drähten, die sich oben in Scharnieren drehen, pendelartig herabhängen, so entfernen sich die Kugeln mit wachsender Umdrehungsgeschwindigkeit immer mehr von der Achse und heben ein längs der Achse verschiebbares Gewicht; diese Einrichtung findet als Zentrifugalregulator bei Dampfmaschinen [* 19] praktische Verwertung. Ein kreisförmig gebogener elastischer Metallstreifen, der auf eine lotrechte Welle lose aufgesteckt ist, so daß diese als sein vertikaler Durchmesser erscheint, wird durch die Zentrifugalkraft, welche an den von der Achse am weitesten entfernten Endpunkten seines horizontalen Durchmessers am stärksten wirkt, zu einer Ellipse [* 20] auseinander gezogen und versinnlicht dadurch die Entstehung der Abplattung der Erde.