Maßstab 1:850000
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Hohenzollerische, aber bald wieder nach Württemberg über und durchfließt es in nach N. gerichtetem Laufe, von Kochendorf bis Gundelsheim die Grenze gegen die großherzoglich hessische Parzelle Wimpfen und gegen Baden bildend und hier das Land nach einem 281 km langen Lauf verlassend. Er wird von Rottweil an mit Flößen, von Heilbronn an mit Schiffen (jetzt auch mittels Kettenschiffahrt) befahren. Seine wichtigsten Zuflüsse sind von rechts her: die Prim, Schlichem, Eyach, Echaz, Erms, Fils, Rems, Murr, der Kocher und die Jagst;
von links her: die Eschach, Glatt, Nagold, Glems, Enz, Zaber und der Leinbach.
Unmittelbar dem Rhein fließen zu: die kleinen Flüßchen Alb, Pfinz, Salzach und Kraich, dann die Kinzig und die Murg mit der Schönmünzach. In den Bodensee münden: die Rothach, die Schussen und die Argen. Ein Nebenfluß des Mains ist die Tauber, welche den nördlichsten Teil Württembergs auf eine Strecke von 43 km durchfließt. Seen und Weiher gibt es in Menge, besonders im S. der Bodensee, von welchem 115 qkm Württemberg angehören, der Federsee bei Buchau im Oberamt Riedlingen, 250 Hektar groß, und mehrere Weiher in Oberschwaben.
Mineralquellen zählt man über 70, teils alkalische Wässer von erhöhter Temperatur (die Schwarzwaldthermen von Liebenzell und Wildbad) und von gewöhnlicher Temperatur (an vielen Orten im Buntsandstein und dem Sand und Kiesschutt des oberschwäbischen Landes), teils Kohlensäuerlinge (Göppingen, Jebenhausen, Überkingen, Dizenbach etc.), teils salinische Säuerlinge (Kannstatt, Niedernau, Teinach), teils Solen (Jagstfeld, Hall, Sulz und Rottweil), endlich Schwefelquellen (Reutlingen, Sebastiansweiler, Boll).
Das Klima Württembergs ist gemäßigt, infolge der bedeutenden Erhebung im S. weniger warm als im N. Das mildeste Klima haben die Gegenden am mittlern und untern Neckar und am Bodensee. Die mittlere Jahrestemperatur bewegt sich zwischen 9,8° C. in Kannstatt am Neckar und 5,9-7,5° auf der Münsinger Alb, in der Baar, auf dem Schwarzwald und im Algäu. Die letzten drei sind reicher an Niederschlag als das übrige Land. Das durchschnittliche Verhältnis der östlichen und nördlichen Winde ist 38 von 100 der südlichen und westlichen 62 von 100. Die Zahl der jährlichen Gewitter ist 21, ihr herrschender Zug von Westen.
Areal und Bevölkerung.
Kreis | QKilom. | QMeilen | Einwohner 1885 | Auf 1 qkm |
---|---|---|---|---|
Neckarkreis | 3327 | 60.43 | 639398 | 192 |
Schwarzwaldkreis | 4773 | 86.70 | 475277 | 100 |
Jagstkreis | 5139 | 93.35 | 405085 | 79 |
Donaukreis | 6265 | 113.80 | 475425 | 76 |
Zusammen: | 19504 | 354.28 | 1995185 | 102 |
Seit der Volkszählung von 1880 betrug die jährliche Zunahme der Bevölkerung 0,65 Proz. Die Zahl der Auswanderer belief sich 1888 auf 6445 Personen. Die am dichtesten bevölkerten Bezirke sind die vom Neckar durchflossenen von Eßlingen bis Heilbronn, am schwächsten bevölkert die auf der Alb und im südöstlichen Oberschwaben gelegenen. Von den Städten zählten 1885: 11 über 10,000 Einw., nämlich: Stuttgart, Ulm, Heilbronn, Eßlingen, Kannstatt, Reutlingen, Ludwigsburg, Gmünd, Tübingen, Göppingen, Ravensburg;
weitere 16 Städte und 3 Pfarrdörfer zählten von 5085-9126 Einw. Nach dem Geschlecht zählte man 1885: 960,810 männliche und 1,034,375 weibliche Personen.
Unter 10,000 Einwohnern waren 6107 ledig, 3291 verheiratet, 589 verwitwet und 13 geschieden. 1887 fanden 12,790 Eheschließungen statt, es wurden 72,828 Personen geboren, und 48,388 starben. Unter den Gebornen waren 9,89 Proz. unehelich und 3,47 Proz. Totgeborene. Nachdem religiösen Bekenntnis zählte man 1885: 1,377,805 Protestanten, 598,223 Katholiken, 13,171 Israeliten und 5986 von andern Bekenntnissen. Die Bewohner sind größtenteils alemannisch-schwäbischen, in der kleinern Nordhälfte des Landes fränkischen Stammes.
Bildungsanstalten.
Die geistige Kultur steht in Württemberg von alters her auf einer hohen Stufe. Die Volksschulen, mit Schulzwang vom 7.-14. Lebensjahr, und die obligatorischen Sonntagsschulen für die Jugend bis zum 18. Jahr, soweit dieselbe nicht die gewerblichen und landwirtschaftlichen Fortbildungsschulen besucht, sind Konfessionsschulen mit gemischt staatlich-kirchlicher Lokalaufsicht; die Oberschulbehörde für die evangelischen Schulen ist das evangelische Konsistorium, für die katholischen der Kirchenrat.
Öffentliche Bildungsanstalten für den Schuldienst sind: die evangelischen Schullehrerseminare zu Eßlingen, Nürtingen, Künzelsau und Nagold, die katholischen zu Gmünd und Saulgau und das evangelische Lehrerinnenseminar in Markgröningen. Für unbemittelte Waisen bestehen die Waisenhäuser in Stuttgart, Ochsenhausen und Markgröningen als öffentliche Erziehungs- und Unterrichtsanstalten. In Gmünd ist eine Taubstummen- und Blindenanstalt, und mit den Lehrerseminaren in Eßlingen, Nürtingen und Nagold sind Filialanstalten für taubstumme Zöglinge verbunden. An dem königlichen Katharinenstift in Stuttgart ist ein Seminar für höhere Lehrerinnen eingerichtet.
Schulen für gelehrte Bildung sind: die lateinischen Schulen, deren im ganzen Land 66 bestehen;
4 Lyceen (zu Ludwigsburg, Öhringen, Eßlingen, Kannstatt) und 10 Gymnasien (zu Ehingen, Ellwangen, Hall, Heilbronn, Ravensburg, Reutlingen, Rottweil, Stuttgart [2], Tübingen und Ulm).
Der gelehrten und praktischen Ausbildung dienen 2 Reallateinschulen, 3 Reallyceen und 2 Realgymnasien (Stuttgart, Ulm). Zur Vorbildung der dem evangelisch-geistlichen Stand sich widmenden Jünglinge für das Universitätsstudium sind 4 niedere theologische Seminare (zu Maulbronn, Schönthal, Blaubeuren und Urach) bestimmt; eine höhere theologische Studienanstalt ist das evangelische Seminar, das altberühmte »Stift«, zu Tübingen. Ebenso gibt es zu demselben Zweck 2 niedere katholische Konvikte (zu Ehingen und Rottweil) und ein höheres (Wilhelmsstift) zu Tübingen.
Die Landesuniversität (Eberhard Karls-Universität) daselbst wurde 1477 gestiftet und besteht jetzt aus den 4 alten Fakultäten: der evangelisch-theologischen, der juristischen, der medizinischen und der philosophischen, weiter seit 1817 der katholisch-theologischen, seit 1818 einer staatswissenschaftlichen und seit 1863 einer naturwissenschaftlichen Fakultät. Für die praktische Ausbildung der Kandidaten des katholischen Priesterstandes, welche das Universitätsstudium absolviert haben, sorgt das Priesterseminar zu Rottenburg.
Anstalten für gewerbliche Bildung sind: die polytechnische Schule, die Baugewerkschule, die Kunstgewerbeschule und die höhere Handelsschule zu Stuttgart, 13 höhere Realanstalten, 61 Realschulen, die zahlreichen gewerblichen und landwirtschaftlichen Fortbildungsschulen, Industrieschulen und Frauenarbeitsschulen, 5 Haushaltungsschulen, endlich die Webschulen in Heidenheim und Reutlingen. Öffentliche Fachschulen sind: die landwirtschaftliche Akademie zu Hohenheim, die Ackerbauschulen zu Ellwangen, Ochsenhausen, Kirchberg und Hohenheim,
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die Tierarzneischule zu Stuttgart, die Weinbauschule zu Weinsberg, 5 landwirtschaftliche Kreiswinterschulen, die Kunstschule zu Stuttgart, das Konservatorium für Musik daselbst, die Landeshebammenschule ebenda. - Als Anstalten und Mittel zur Beförderung der Wissenschaften und Künste sind zu erwähnen: das königliche Statistische Landesamt, der Verein für vaterländische Naturkunde zu Stuttgart mit mehreren Zweigvereinen, der Litterarische (Bibliophilen-) Verein zu Stuttgart-Tübingen, die historisch-archäologischen Vereine zu Stuttgart, Ulm, Hall, Heilbronn, Tettnang-Friedrichshafen, Rottenburg, Rottweil, der Verein für Baukunde, das Konservatorium für die vaterländischen Kunst- und Altertumsdenkmäler etc.; endlich die wissenschaftlichen und Kunstsammlungen der Hauptstadt, nämlich die öffentliche Bibliothek mit ca. 450,000 Nummern, die Münz- und Medaillen-, Kunst- und Altertümersammlung, das Naturalienkabinett mit ca. 320,000 Stück, das Museum der bildenden Künste und das Gewerbemuseum.
Land- und Forstwirtschaft. Bergbau.
Mit der Landwirtschaft, die infolge des günstigen Klimas und der Bodenbeschaffenheit in der verschiedenartigsten Gestalt betrieben wird, ist nahezu die Hälfte der ganzen Bevölkerung beschäftigt. Ihrer Förderung dienen außer den genannten Lehranstalten: eine königliche Zentralstelle zu Stuttgart, Gau- und Bezirksvereine, Landesvereine für den Weinbau, den Gartenbau, die Bienenzucht. Den Ackerbau hemmt teilweise die große Zerstückelung im Lande; doch nimmt seit dem Gesetz vom die Feldbereinigung betreffend, die Zahl der Gewannregulierungen und Feldweganlagen in den Gemeinden rasch zu. Nach der Aufnahme von 1883 entfallen 46,3 Proz. des Areals auf Äcker, Gärten und Weinberge, 14,7 auf Wiesen, 4,7 auf Weiden, 30,8 Proz. auf Forsten und Holzungen.
Den ergiebigsten Boden für den Getreidebau bieten Oberschwaben und der nordöstliche Teil des Jagstkreises. Bevorzugte Frucht ist der Dinkel (Spelz), nächst diesem der Hafer, womit 1887: 184,419, resp. 136,099 Hektar angebaut waren. Roggen wird als allgemeine Brotfrucht in den nordöstlichen Teilen des Landes und im Schwarzwald gebaut. Mais ist in allen mildern Landesteilen eine bevorzugte Körnerfrucht. Von Hülsenfrüchten werden Erbsen und Linsen überall, zum Teil als Brotfrucht, gebaut; auch Ackerbohnen dienen häufig als Zusatz zum Brot. Wickenbau ist im ganzen Land verbreitet.
Der Ertrag der wichtigsten Feldfrüchte ergab 1887 folgende Mengen: 41,892 Ton. Roggen, 37,909 T. Weizen, 199,039 T. Spelz, 106,372 T. Gerste, 126,677 T. Hafer, 665,376 T. Kartoffeln. Sehr umfangreich ist der Anbau von Wurzel- und Knollengewächsen, Kartoffeln, Runkelrüben zur Zuckerfabrikation und zu Viehfutter, Steckrüben, weißen Rüben, Möhren, nicht unbeträchtlich der Bau der Zichorie. Überall wird Sauerkraut, d. h. Kopfkohl (der beste auf den Fildern), gepflanzt.
Auch den Handelsgewächsen ist eine große Fläche zugewiesen, obgleich der Raps- und Rübsenbau und jetzt auch, infolge der gedrückten Preise, der Hopfenbau eher in der Abnahme begriffen ist. Letzteres gilt auch vom Flachs, nur der Tabaksbau hat neuerdings etwas zugenommen (von 207 Hektar in 1885 auf 314 Hektar in 1887). Mehrere Gegenden Württembergs stehen durch Gemüsebau und Nutzgärtnerei in großem Ruf, so namentlich die Umgegend von Stuttgart, Eßlingen (Zwiebeln), Ulm (Spargel), Heilbronn und das Remsthal bis Schorndorf.
Wiesen finden sich in großer Ausdehnung vor (1887 wurde der Ertrag auf 1,014,047 Ton. Heu berechnet), namentlich in den Thälern und an den Ufern der zahlreichen Flüsse, Weiden besonders in den obern Neckargegenden, auf und längs der Alb sowie in den oberländischen Oberamtsbezirken Wangen, Leutkirch und Waldsee. Der Landwirtschaft dient die Fabrikation künstlicher Dungmittel (ca. 20 Etablissements). Dieselbe wird durch eine Versuchsstation in Hohenheim kontrolliert.
Der Weinbau ist in Württemberg seit alten Zeiten einheimisch und über den größten Teil des Neckarthals mit den Thälern von ca. 30 Nebenflüssen desselben, das Tauberthal und seine Seitenthäler sowie die Bodenseegegend in ca. 600 Ortschaften verbreitet. Das vorzüglichste Produkt wächst im Neckarthal von Eßlingen an abwärts, im Tauberthal und in der Gegend von Öhringen sowie bei Maulbronn (Elfinger). In den 60 Jahren von 1827 bis 1886 belief sich der Weinertrag jährlich im Durchschnitt auf 415,212 hl oder 2241 Lit. von 1 Hektar der tragbaren Weinbaufläche; der Geldwert des Naturalertrags auf 8,546,105 Mk. jährlich oder 461 Mk. vom Hektar.
Von großer Wichtigkeit ist auch der Obstbau, welcher fast über alle Gegenden des Landes, selbst über einen Teil des Schwarzwaldes und der Alb verbreitet ist. Hauptsitze des Obstbaues sind: das mittlere und untere Neckarthal, die Gegend von Herrenberg, die Filder und die an das Neckarthal sich anschließenden Thäler der Alb. Die gewöhnlichsten Obstarten sind: Äpfel, Birnen, Zwetschen, Kirschen, Quitten, Pfirsiche und Aprikosen. In geringerer Quantität werden Nüsse und an der Schwarzwaldabdachung gegen den Rhein Kastanien gebaut. Der Ertrag an Kernobst beläuft sich durchschnittlich auf 1,100,000, an Steinobst auf ca. 200,000 Doppelzentner.
Ein höchst bedeutender Erwerbszweig ist die Viehzucht. Man zählte im Lande 1883: 96,885 Pferde, 904,139 Stück Rindvieh, 550,104 Schafe, 292,206 Schweine, 54,876 Ziegen, 25,529 Bienenstöcke, 181,947 Gänse, 121,857 Enten, 1,660,450 Hühner. Die Pferdezucht erfreut sich bedeutender Unterstützung von seiten des Staats, welcher in neuerer Zeit den früher bevorzugten leichten Schlag zu verstärken bedacht ist. Es besteht ein Landesstammgestüt mit vier Gestütshöfen: Marbach und Offenhausen im Oberamt Münsingen, Güterstein und St. Johann im Oberamt Urach dazu mehrere Fohlengärten.
Die Rindviehzucht ist im Jagst- und Donaukreis am bedeutendsten. Auf den höhern Punkten des Algäus und des Schwarzwaldes, wo der Ackerbau nicht mehr lohnenden Ertrag gibt, findet reine Weidewirtschaft statt. Nach der Rindviehzucht ist die Schafzucht am bedeutendsten, welche besonders in den Bezirken auf und nächst der Alb ihren Sitz hat. Die Schweinezucht ist in der Zunahme begriffen. In der neuern Zeit hat sich die Hundezüchtung in Leonberg und Stuttgart einen Namen gemacht.
Die Bienenzucht wird durch mehrere Gauvereine gefördert. Ein eigentümlicher Erwerbszweig in der obern Donaugegend ist endlich die Schneckenzucht. Edelwild findet sich als Standwild nur in den ausgedehnten Laubholzforsten. Die Fischerei hebt sich etwas, seit die künstliche Fischzucht durch Staatsprämien und Vereine gefördert wird. Die Waldungen erfreuen sich einer vorzüglichen Bewirtschaftung und Benutzung. 32,2 Proz. sind Staats-, 13,6 hofkammerliche und gutsherrliche, 22,3 Privat- und 31,9, Körperschaftswaldungen, von welch letztern 76 Proz. der Staatsforstverwaltung zur Bewirtschaftung übergeben sind. Nadelholz herrscht vor auf dem Schwarzwald, in Oberschwaben und dem Ellwanger, Limpurger und Welzheimer Wald, Laubholz auf der Alb und im Mittel-
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und Unterland. In den Staatswaldungen nimmt das Laubholz ca. 31, das Nadelholz 59, das gemischte Holz kaum noch 10 Proz. der Gesamtfläche ein. Außer dem Ertrag an Bau- und Nutzholz, die einen sehr wichtigen Handelsartikel bilden, und an Brennholz bieten die Waldungen nicht unbedeutende Nebennutzungen an Rinden, Besenreis, Eicheln, Bucheckern und andern Holzsamen sowie an Beeren, Kräutern etc. dar. Der Bergbau bezweckt, mit Ausnahme von etwas Alaun und Eisenvitriol, ausschließlich die Gewinnung von Eisenerzen und Salz und befindet sich mit der genannten Ausnahme und abgesehen von dem Salzwerk Heilbronn in den Händen der Staatsfinanzverwaltung.
Eisenerzgruben finden sich: Thoneisenstein bei Wasseralfingen, Bohnerze zerstreut auf der Alb. Salz wird in dem genannten Privatsalzwerk und auf vier dem Staat gehörigen Salinen erzeugt, nämlich zu Hall mit Wilhelmsglück am Kocher, zu Friedrichshall mit Klemenshall am untern, zu Wilhelmshall und Sulz am obern Neckar. Die Versuche auf Steinkohlen sind bisher alle fehlgeschlagen. An Salz wurden 1887/88: 180,296 Ton., darunter 38,258 T. Siedesalz, erzeugt. An Torf besitzt Württemberg, besonders im Donaukreis, großen Reichtum. Aus den bituminösen Schiefern im schwarzen Jura werden seit längern Jahren Schieferöl und künstliche Steine gewonnen.
Industrie und Handel.
In der technischen Kultur hat Württemberg seit einigen Jahrzehnten sich aus vorherrschend landwirtschaftlichen Zuständen rasch zur Großindustrie emporgearbeitet. Für die Förderung der Gewerbe und des Handels wurde 1848 eine besondere Behörde errichtet, die Zentralstelle für Gewerbe und Handel zu Stuttgart, welcher acht Handels- und Gewerbekammern in Stuttgart, Heilbronn, Reutlingen, Ulm, Kalw, Heidenheim, Ravensburg und Rottweil zur Seite stehen. In neuerer Zeit sind in Gmünd und Spaichingen Gewerbemuseen, in Stuttgart ein Württembergischer Kunstgewerbeverein mit Ausstellungen, Preisausschreiben, Prämiierungen gegründet worden. In sämtlichen Gewerben, einschließlich Handel und Verkehr, waren nach der Berufszählung vom ca. 41 Proz. der Bevölkerung beschäftigt; die Zahl der größern Gewerbebetriebe betrug: solche mit 6-10 Gehilfen 1342, mit 11-50: 1364, mit 51-200: 279, mit mehr als 200: 51. Von den Betrieben benutzten als Motor stehender Triebwerke: Wasser 3596, Dampf 819, Gas oder Heißluft 187;
Lokomobilen wurden 105 gezählt.
Die Verarbeitung der edlen Metalle ist eins der wichtigsten Gewerbe Württembergs. Die Hauptorte sind für Gold- und Silberwaren Gmünd und Stuttgart, für Silberwaren Heilbronn und Gmünd. Wichtiger noch ist aber die Verarbeitung der unedlen Metalle. Eisengußwaren liefern mehrere königliche Werke (größtes zu Wasseralfingen) und eine Anzahl Privatgießereien, eine in Stuttgart schmiedbaren Eisenguß und Stahlfaçonguß. Weltberühmt ist die Mausersche Waffenfabrik in Oberndorf.
Die Fabrikation von Messerschmiedewaren hat ihren Hauptsitz in den Städten Tuttlingen, Heilbronn, Reutlingen; von Draht, Stiften, Nägeln, Ketten etc. in Aalen und Umgegend, Nägeln in Freudenstadt und Tuttlingen. Große Sensenfabriken sind in Friedrichsthal und Neuenbürg. Die Fabrikation von Kupfer- und Blechwaren, lackierten und unlackierten, wird in Eßlingen, Göppingen, Ludwigsburg, Biberach, Kannstatt etc. in großem Umfang betrieben. Messingwaren liefern Ulm und seine Filiale, außerdem viele Orte Maschinen-, Feuerspritz-, Plaqué- und Messingwarenfabrikate sowie Kupferschmiedewaren.
Glockengießereien sind in Stuttgart, Biberach, Hall, Kochendorf, Reutlingen, Rottweil, Ulm. Die Bronzewarenindustrie ist bedeutend in Gmünd und Stuttgart. Gegenstände der Galvanotechnik und Plattierung liefern große Etablissements in Geislingen, Eßlingen, Gmünd, Stuttgart. Metallwebereien sind in Reutlingen, Stuttgart u. a. O. In der Maschinenfabrikation übernehmen die zum Teil großartigen Etablissements (Eßlingen, Berg, Kannstatt, Heilbronn etc.) Aufträge für stabile und lokomobile Dampfmaschinen, Lokomotoren und mechanische Einrichtungen jeder Art. Elektrotechnische Anstalten sind in Kannstatt und Stuttgart, Telegraphenbauanstalten in Stuttgart.
Mathematische, optische und physikalische Instrumente aller Art werden hauptsächlich in Stuttgart, Ulm, Ebingen, Onstmettingen, Heilbronn etc. gefertigt. Für chirurgische Instrumente bestehen renommierte Werkstätten in Tuttlingen, Stuttgart und Tübingen. Die Uhrenfabrikation des württembergischen Schwarzwaldes hat ihren Mittelpunkt in Schwenningen. Die Fabrikation der sogen. amerikanischen Uhren blüht in Schramberg. Die Fabrikation musikalischer Instrumente nimmt einen hervorragenden Rang ein; für Pianos, Pianinos und Harmoniums bestehen in Stuttgart gegen 30, weitere Etablissements in Heilbronn, Kirchheim, Aalen u. a. O. Der Orgelbau wird in 14 Etablissements betrieben, wovon das bedeutendste in Ludwigsburg einen Weltruf hat. Sonstige musikalische Instrumente liefern Stuttgart, Biberach, Heilbronn, Knittlingen, Trossingen etc.
Das Land enthält mehr Ziegelbrennereien als, abgesehen von Bayern, irgend ein deutsches Land; darunter zahlreiche Großbetriebe, welche auch Thonwaren für Architektur, Wasserleitungen, Drainageröhren etc. fabrizieren. Die Töpferei ist nicht sehr entwickelt. Eine große Steingutfabrik besteht in Schramberg, welche jetzt auch geschätzte Majolikawaren fertigt. Für die Herstellung von hydraulischem Kalk (Roman- und Portland-Zement) sind mehrere sehr bedeutende Etablissements, namentlich bei Ulm, Blaubeuren, Ehingen und Kirchheim, vorhanden.
Künstliche Wetz- und Bimssteine liefert Bietigheim. Die Glasfabriken (Buhlbach, Schönmünzach, Eisenbach, Freudenstadt, Schmidtsfelden, Zuffenhausen) liefern gewöhnliches Hohlglas und Tafelglas. Die Fabrikation von chemischen Erzeugnissen blüht in zahlreichen Anstalten, deren bedeutendste sich in Heilbronn, Stuttgart und Umgebung befinden. An ersterm Ort werden hauptsächlich Vitriol, Alaun, Soda, Glaubersalz, Chlorkalk, Salzsäure, Salpeter, Schwefelsäure, Bleiweiß, Weinsteinpräparate erzeugt.
Die Fabrikation von Farben und Farblacken hat ihren Sitz in Stuttgart. Fabriken von chemischen Präparaten für pharmazeutische, photographische und technische Zwecke aller Art sind in Stuttgart, Feuerbach, Böblingen, Winnenden. Einen Weltruf hat die Schießpulverfabrikation in Rottweil. Die Leistungen in der Möbeltischlerei sind besonders in der Hauptstadt, aber auch in Ulm etc. hervorragend; Parketterie hauptsächlich in Stuttgart, Eßlingen, Mergentheim, Rothenbach, Langenargen; Fabrikation von Goldleisten und Rahmen in Stuttgart, Ulm, Ludwigsburg, Hall u. a. O. Tabletteriewaren in Holz, Bein, Elfenbein und Schnitzwaren liefern: Eßlingen, Geislingen, Göppingen, Ulm, Stuttgart etc. Die Geislinger Beinwaren, geschnitzte und Gravierarbeiten in Elfenbein, genießen eines alten Rufs. Die Fabrikation von
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Kinderspielwaren in Blech und Holz findet hauptsächlich in Stuttgart, Biberach, Ellwangen, Ludwigsburg, Böblingen statt. Die Papierfabrikation ist eine sehr alte Industrie Schwabens; die erste Papierfabrik Deutschlands war vielleicht in der nunmehr württembergischen Reichsstadt Ravensburg. 1882 waren 64 Papier- und Pappefabriken im Lande, die namhaftesten in Heilbronn, Baienfurt, Dettingen, Faurndau, Höll, Mochenwangen, Oberlenningen, Pfullingen.
Die Erfindung, aus Holzfaser Papierzeug zu machen, ging von einem Württemberger (Fabrikant Völter in Heidenheim) aus. Die an die litterarische und künstlerische Thätigkeit sich anschließenden Gewerbe, insbesondere die Buchdruckereien und Buchhandlungen Württembergs, sind von der größten Bedeutung. Als Verlagsplatz nimmt Stuttgart für den Süden Deutschlands die gleiche Stellung ein, welche Leipzig für Norddeutschland besitzt. Die Zahl der Buch- und Antiquariatshandlungen in Stuttgart allein beträgt über 100; neben Stuttgart sind hauptsächlich die Plätze Ulm, Tübingen und Heilbronn von Bedeutung.
In den vervielfältigenden Künsten: Lithographie, Photographie, Photographiedruck, Zinkdruck, Kupferdruck, Farbendruck, in der Holzschneidekunst sowie im Kunsthandel nimmt Stuttgart gleichfalls eine achtunggebietende Stellung ein. Die Gerberei blüht in Reutlingen, Backnang, Kalw, Künzelsau, Friedrichshafen etc., die Fertigung von sämisch- und alaungarem sowie von lackiertem Leder in Hirsau, Bopfingen und Ulm. Die Fabrikation lederner Handschuhe ist von Bedeutung in Eßlingen, Stuttgart und Balingen.
Die Seidenzwirnerei Württembergs ist die bedeutendste im Deutschen Reich; schon 1875: 11 Großbetriebe mit 1100 Arbeitern von 44 mit 4600 Arbeitern im Reich. Seidenweberei wird in Sindelfingen, Waiblingen und Tettnang betrieben. Die Wollindustrie Württembergs hat gegenüber der norddeutschen und englischen Konkurrenz einen schweren Stand, ist aber neuestens in der (Jägerschen) Trikotfabrikation zu hoher Blüte gelangt. Es wurden 1882 gezählt: 66 Betriebe für Wollspinnerei mit 2078 Personen, Kammgarnspinnereien in Eßlingen, Salach, Bietigheim, Öthlingen;
Streichgarnspinnereien in 23 Orten.
Die Wollweberei beschäftigte 1731 Personen in 645 Betrieben; die Fabrikation wollener Decken blüht in Mergelstetten und Kalw. Die Baumwollfabrikation ist über das ganze Land verbreitet. In der Spinnerei waren 1882: 3621 Personen in 184 Betrieben beschäftigt, die meisten in Eßlingen, Kuchen, Unterhausen, Unterboihingen, Wangen, Altenstadt, Hall, Urach etc.;
die Weberei beschäftigte in 2632 (mit den gemischten und andern Waren: 3704) Betrieben 6112 (8933) Personen.
Große Webereien mit Kraftstühlen bestehen in Kuchen, Eßlingen, Heidenheim, Dettingen, Reutlingen, Bühlingen, Göppingen etc.;
Bleicherei, Färberei und Appretur in Heidenheim, Reutlingen, Uhingen etc. Die Leinenindustrie Württembergs hat sich wieder gehoben;
größere mechanische Spinnereien sind in Urach, Schornreute, Westheim etc.;
in der Leinweberei zählte man 4179 Hauptbetriebe mit 5386 Personen, dazu 3602 Nebenbetriebe (besonders in Blaubeuren, Laichingen, Urach, Göppingen).
Die Stickerei hat außer in Stuttgart und Reutlingen ihren Hauptsitz in Oberschwaben (Ravensburg, Sießen, Reute etc.). Die Strickerei von Wollartikeln aller Art ist sehr verbreitet. Die Arbeit geschieht großenteils als Nebenbeschäftigung, vielfach mit der Handstrickmaschine, hauptsächlich in und um Reutlingen, wo die seit 1863 bestehende Frauenarbeitsschule diese Industrie sehr gehoben hat. Die Korsettfabrikation Württembergs umfaßte schon 1875 über 66 Proz. der Betriebe im Deutschen Reich; Hauptplätze sind: Stuttgart, Kannstatt, Göppingen, Reutlingen, Ebingen etc. Hutmacherei ist in größerm Maß in Ulm, Ebingen, Stuttgart etc. vertreten. In Geflechten aus Stroh, Bast, Roßhaaren etc. liefert eine weitverbreitete Hausindustrie den Arbeitgebern in den Schwarzwaldorten Schramberg, Alpirsbach, Dunningen etc. Hüte aller Sorten, Taschen, Körbchen, Borten, Sohlen etc. Getreidemühlen bestehen über 3000 im Land, wovon ein nicht unbedeutender Teil für den Handel arbeitet.
Die Zahl der im Land befindlichen Runkelrübenzuckerfabriken beträgt 5, welche 1887/88: 5945 Ton. Rohzucker und 1943 T. Melasse lieferten. Die Konditorei wird fabrik- und kunstmäßig in Stuttgart, Ludwigsburg, Vaihingen an der Enz, Nagold, Biberach und Ulm betrieben, wo auch die Devisen- (Tragantwaren-) Fabrikation eine große Vollkommenheit erlangt hat. Von großer Ausdehnung ist die Schokoladenfabrikation in Stuttgart und noch mehr die Zichorienfabrikation und Bereitung andrer Kaffeesurrogate, besonders in Ludwigsburg und Heilbronn, nicht unbedeutend die Fabrikation von Essig und Senf. Die Schaumweinfabrikation, schon 1825 durch eine noch bestehende Fabrik in Eßlingen eingeführt, ist seitdem vermehrt worden. Neuestens hat ein Württemberger, Ad. Reihlen, ein vielversprechendes neues Verfahren der Schaumweinbereitung erfunden. Bierbrauereien zählt das Land über 2500, das jährliche Erzeugnis beträgt über 3⅓ Mill. hl.
Für den Handel sind die bedeutendsten Plätze: Heilbronn, Stuttgart, Ulm, Friedrichshafen, Kalw, Reutlingen und Tuttlingen. Die wichtigsten Ausfuhrartikel sind: Holz, Hopfen, Getreide, Zement, Gips, Maschinen, Gold-, Silber-, Bronze- und versilberte Waren, Feuerspritzen, Blechwaren, Zichorien, Droguen, pharmazeutische Chemikalien, Farbewaren, Woll- und Baumwollwaren, Korsette, Handschuhe, Hüte, Messerwaren, chirurgische Instrumente, Uhren, Papier, Spielwaren, Elfenbeinwaren, musikalische Instrumente, Bücher.
Die Haupteinfuhrartikel sind: Steinkohlen, Getreide, Kolonialwaren, Südfrüchte, Öl, Petroleum, Tabak, Hanf, Eisenwaren, Häute und Felle, Seide und Seidenwaren, Wolle, Baumwolle, Pelze, Glas und Glaswaren, Galanteriewaren etc. Stark besuchte Wollmärkte werden zu Kirchheim, Heilbronn, Ulm, Tuttlingen, Stuttgart und Ellwangen abgehalten. Der Zwischenhandel ist besonders für Farbe-, Material- und Kolonialwaren sowie für Vieh von Bedeutung. Hauptspeditionsplätze sind: Heilbronn, Stuttgart, Friedrichshafen und Ulm.
Schiffahrt findet auf dem untern Neckar und dem Bodensee statt. Die Dampfschiffahrt auf dem letztern ist in den Händen des Staats. Eigentum des Staats sind auch, mit Ausnahme der beiden Privatbahnen nach Kirchheim und Urach mit zusammen 17 km sowie der kleinen Nebenbahnen Stuttgart-Hohenheim und Ravensburg-Weingarten, die Eisenbahnen (1889 zusammen 1553 km). Die Linien sind: die Hauptbahn Bretten-Friedrichshafen (261 km), die untere Neckarbahn (Bietigheim-Jagstfeld, 41 km), die untere Jagstbahn (Jagstfeld-Osterburken, 38 km), Kocherbahn (Heilbronn-Hall-Krailsheim, 88 km), obere Jagstbahn (Krailsheim-Goldshöfe, 30 km), Tauberbahn (Krailsheim-Mergentheim, 59 km), Remsbahn (Kannstatt-Nördlingen, 112 km), Brenzbahn (Aalen-Heidenheim-Ulm, 73 km), obere Neckarbahn
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(Plochingen-Rottweil-Villingen, 173 km), hohenzollerische Bahn (Tübingen-Sigmaringen, 88 km), obere Donaubahn (Rottweil-Immendingen, 38 km), Donaubahn (Ulm-Sigmaringen, 93 km), Algäubahn (Herbertingen-Isny, 85 km, Kißlegg-Wangen, 13 km, Altshausen-Pfullendorf, 25 km), Schwarzwaldbahn (Zuffenhausen-Kalw, 49 km), Nagoldbahn (Horb-Brötzingen, 67 km), Enzbahn (Pforzheim-Wildbad, 23 km), Murrthalbahn (Waiblingen-Backnang-Hessenthal, 61 km), Gäubahn (Stuttgart-Schiltach, 112 km), Kraichgaubahn (Heilbronn-Eppingen, 24 km). Im Bau begriffen sind (1889) die Linien: Tuttlingen-Sigmaringen, Schramberg-Schiltach, Leutkirch-Memmingen, Wangen-Hergatz. Die Post, früher Thurn und Taxisch, seit in die unmittelbare Verwaltung des Staats übergegangen, zählte 1887: 571 Postanstalten und 5022 Angestellte.
Staatsverfassung und Verwaltung.
Was die Staatsverfassung anlangt, so beruht die Konstitution des Königreichs auf der Verfassungsurkunde vom mit einzelnen Abänderungen hauptsächlich aus den Jahren 1868 und 1874. Die Verfassung des Deutschen Reichs weist Württemberg 4 Stimmen im Bundesrat und 17 Abgeordnete zum Reichstag zu. Der König (gegenwärtig Karl I., geb. seit regierend) vereinigt alle Rechte der Staatsgewalt in seiner Person, ist jedoch hinsichtlich der Gesetzgebung und Besteuerung an die Mitwirkung der Landstände gebunden.
Die Krone ist erblich im Mannesstamm des königlichen Hauses nach der Linealerbfolge und dem Erstgeburtsrecht. Bei dessen Erlöschen succediert die weibliche Linie; doch tritt bei der Deszendenz des sodann regierenden königlichen Hauses das Vorrecht des Mannesstamms wieder ein. Der König wird mit zurückgelegtem 18. Jahr volljährig. Er bekennt sich zur evangelisch-lutherischen Kirche und bezieht eine Zivilliste von 1,600,000 Mk. nebst Naturalien im Betrag von ca. 200,000 Mk. Alle Württemberger haben gleiche staatsbürgerliche Rechte, welche nach dem Gesetz vom von dem Religionsbekenntnis unabhängig sind.
Jedem Einwohner ist Freiheit der Person, des Gewissens, des Eigentums und der Auswanderung zugesichert. Das Vereins- und Petitionsrecht sind garantiert. Die Landstände teilen sich in zwei Kammern. Die Erste, die Kammer der Standesherren, besteht aus den Prinzen des königlichen Hauses, aus den Häuptern der standesherrlichen Familien (zur Zeit 15 fürstlichen und 4 gräflichen) und aus vom König erblich oder auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern, die aber höchstens ein Drittel der übrigen ausmachen dürfen (dermalen 8). Die Zweite Kammer, die der Abgeordneten, ist aus 13 Mitgliedern des ritterschaftlichen Adels, aus den 6 evangelischen Generalsuperintendenten, dem katholischen Landesbischof, einem Mitglied des Domkapitels, dem der Amtszeit nach ältesten katholischen Dekan, dem Kanzler der Universität Tübingen, je einem Abgeordneten der 7 sogen. guten Städte: Stuttgart, Tübingen, Ludwigsburg, Ellwangen, Ulm, Heilbronn und Reutlingen, und je einem Abgeordneten aus den 63 Oberamtsbezirken, im ganzen aus 93 Mitgliedern, zusammengesetzt.
Die letztgenannten 70 Abgeordneten werden mittels geheimer, allgemeiner und direkter Wahlen gewählt und zwar auf 6 Jahre. Zum Abgeordneten wählbar ist jeder unbescholtene Staatsbürger nach zurückgelegtem 30. Lebensjahr. Der Präsident der Ersten Kammer wird unmittelbar vom König ernannt, der der Zweiten Kammer von dieser gelbst gewählt. Ohne Einwilligung der Kammern kann kein Gesetz gegeben, keine Steuer auferlegt, keine Anleihe gemacht und keine Gebietsveränderung vorgenommen werden. Das Recht, Gesetze vorzuschlagen, steht dem König sowie jeder der beiden Kammern zu. Ebenso hat jede der beiden Kammern das Recht, die Minister in Anklagestand zu versetzen, für welchen Zweck sowie überhaupt zum gerichtlichen Schutz der Verfassung ein Staatsgerichtshof besteht, aus vom König ernannten und von der Ständeversammlung gewählten Mitgliedern zusammengesetzt.
An der Spitze der Staatsverwaltung stehen das Staatsministerium, gebildet durch die Minister oder Chefs der Verwaltungsdepartements, und der Geheime Rat, bestehend aus den Mitgliedern des Staatsministeriums und vom König ernannten ordentlichen und außerordentlichen Mitgliedern. Dem Staatsministerium sind unterstellt: die Bevollmächtigten zum Bundesrat, der Verwaltungsgerichtshof, welcher die höchste landesgesetzliche Instanz für Verwaltungsrechtssachen bildet, und der Disziplinarhof für die Staatsbeamten. Die sechs Departements sind die der Justiz, der auswärtigen Angelegenheiten, des Innern, des Kirchen- und Schulwesens, des Kriegswesens und der Finanzen.
An der Spitze der Rechtspflege steht das Oberlandesgericht in Stuttgart als oberste Gerichtsstelle für das ganze Land, das in zwei Kammern, die Strafkammer, zugleich Kassationshof, und die Zivilkammer, zerfällt. Weiter sind acht Landgerichte (in Stuttgart, Heilbronn, Tübingen, Rottweil, Ellwangen, Hall, Ulm, Ravensburg) mit je einem Schwurgerichtshof eingesetzt, unter diesen stehen die 64 Amtsgerichte. Dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten sind außer der Diplomatie auch die Archivdirektion, die Generaldirektion der Staatseisenbahnen und der Bodenseedampfschiffahrt und die Generaldirektion der Posten und Telegraphen untergeordnet.
Unter dem Ministerium des Innern stehen außer der eigentlichen Verwaltung die Medizinalangelegenheiten, der Straßen- und Wasserbau, das Gewerbewesen, die landwirtschaftlichen Angelegenheiten und das Wohlthätigkeitswesen. Behufs der Verwaltung ist das Land in die oben genannten vier Kreise geteilt. An der Spitze eines jeden Kreises steht eine Regierung: für den Neckarkreis in Ludwigsburg, für den Schwarzwaldkreis in Reutlingen, für den Jagstkreis in Ellwangen, für den Donaukreis in Ulm.
Die Kreise zerfallen in den Stadtdirektionsbezirk Stuttgart und 63 Oberamtsbezirke mit je einem Oberamtmann, in Stuttgart dem Stadtdirektor, an der Spitze. Dem Oberamtmann steht eine Amtsversammlung als beschließende Amtsvertretung zur Seite. Dieselbe besteht aus Abgeordneten der Gemeinderäte und besorgt die ökonomischen Angelegenheiten der Amtskorporation. In gewissen Fällen unterliegen ihre Beschlüsse der Genehmigung der Kreisregierung. Die Gemeindeverfassung beruht aus dem Edikt vom und auf dem Gesetz vom wonach die Gemeinden in solche von wenigstens 5000, in solche von 1000-5000 und in solche von weniger als 1000 Einw. zerfallen. Einen Unterschied zwischen Stadt und Land kennt die Gemeindeordnung nicht. Die Gemeindevorsteher, Stadtschultheißen oder Schultheißen, werden aus drei von den Gemeinden gewählten Kandidaten für Gemeinden erster Klasse vom König, für die übrigen von der Kreisregierung auf Lebenszeit ernannt, und zwar trifft die Ernennung stets denjenigen, welcher von sämtlichen abgegebenen
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Stimmen zwei Drittel hat. Als beschließende Versammlungen bestehen neben dem Ortsvorsteher der Gemeinderat und ein Bürgerausschuß, deren Mitglieder von den Bürgern für jenen auf sechs, für diesen auf zwei Jahre gewählt werden. Jede Gemeinde besorgt die Erhebung ihrer Steuern selbst.
Jede der drei im Königreich bestehenden christlichen Konfessionen ordnet ihre Angelegenheiten unter der Oberaufsicht des Königs selbst. Die evangelische Kirche ist uniert, nachdem 1823 die Vereinigung der lutherischen und der wenig zahlreichen reformierten Kirche erfolgt ist; nur in Stuttgart bilden die Reformierten eine eigne kleine Gemeinde. Das Kirchenregiment wird durch das königliche Konsistorium zu Stuttgart und die Landessynode nach den bestehenden Gesetzen verwaltet.
Das Konsistorium handhabt die Kirchen- und Schulgesetze. Die durch königliche Berufung von 6 und durch Wahl der evangelisch-theologischen Fakultät der Landesuniversität und der 49 Diözesansynoden von 51 Mitgliedern zusammengesetzte Landessynode wirkt bei der kirchlichen Gesetzgebung in ihrem ganzen Umfang mit. Das Land zerfällt in sechs evangelische Generalsuperintendenzen, deren Vorsteher den Titel »Prälaten« führen, die Dekane ihres Sprengels investieren und alle drei Jahre zu visitieren haben.
Die Dekane sind die Vorsteher der Kirchen ihres Bezirks und nehmen alle zwei Jahre Visitationen vor. Unter ihrer Leitung stehen die Diözesansynoden, welche, aus sämtlichen ordentlichen Geistlichen und ebenso vielen Abgeordneten der Pfarrgemeinden gebildet, alljährlich einmal zusammentreten. In den Pfarrgemeinden verwaltet der Kirchengemeinderat jetzt auch das kirchliche Vermögen, seit die staatliche Gesetzgebung von 1887 und die kirchliche von 1888 die alte Verbindung von politischer und kirchlicher Gemeinde (für beide Konfessionen) gelöst hat.
Die innern Angelegenheiten der katholischen Kirche werden von dem bischöflichen Ordinariat (dem Landesbischof nebst dem Domkapitel) zu Rottenburg geleitet, welches zur oberrheinischen Kirchenprovinz (Erzdiözese Freiburg) gehört. Das Verhältnis der Staatsgewalt zur Kirche wurde durch das Gesetz vom in einer Weise neu geregelt, daß der kirchliche Friede bis jetzt nicht gestört worden ist. Die verfassungsmäßige Behörde, durch welche die in der Staatsgewalt begriffenen Rechte über die katholische Kirche ausgeübt werden, ist der katholische Kirchenrat. Die Aufsicht und Leitung des israelitischen Kultus- und Armenwesens ist der seit 1828 eingesetzten israelitischen Oberkirchenbehörde übertragen.
Das Kriegsministerium ist für alle Militärangelegenheiten und die sämtlichen Zweige der Kriegsverwaltung die oberste verantwortliche Staatsbehörde. Im deutschen Reichsheer bilden die württembergischen Truppen ein eignes, das 13. Armeekorps, bestehend aus 8 Regimentern Infanterie (Nr. 119-126), 4 Regimentern Kavallerie (je 2 Regimenter Dragoner, Nr. 25 und 26, und Ulanen, Nr. 19 und 20), 2 Regimentern Feldartillerie (Nr. 13 und 29) und 1 Bataillon Fußartillerie (Nr. 13), 1 Pionier- und 1 Trainbataillon (Nr. 13). Im Gebiet des Königreichs Württemberg liegt der größere Teil der Reichsfestung Ulm.
Unter dem Finanzministerium stehen: die Oberfinanzkammer (mit den Abteilungen: Domänendirektion, Forstdirektion und Bergrat), Oberrechnungskammer, Staatskassenverwaltung, Steuerkollegium, Katasterkommission, Statistisches Landesamt. Der Hauptfinanzetat für 1888/89 ergab einen Staatsbedarf von 57,048,132 Mk. Zur Deckung dieses Aufwandes sind bestimmt:
Der Ertrag der Domänen | 6443370 Mark |
Der Ertrag der Verkehrsanstalten | 14853357 Mark |
Weiterer Ertrag des Kammerguts | 915909 Mark |
Die direkten Steuern | 13721775 Mark |
Die indirekten Steuern | 13892400 Mark |
Vom Ertrag der Zölle und Reichssteuern | 6578880 Mark |
Aus der Restverwaltung | 642440 Mark |
Zusammen: | 57048131 Mark. |
Der Staatsbedarf pro 1888/89 im einzelnen ist
Mark | |
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Zivilliste | 1804658 |
Apanagen u. Wittume | 279332 |
Staatsschuld | 19994384 |
Renten | 461159 |
Entschädigungen | 106676 |
Pensionen | 2161000 |
Ruhegehalte | 6897 |
Gratialien | 377680 |
Geheimer Rat | 61050 |
Verwaltungsgerichtsh. | 24450 |
Justiz | 3863710 |
Äußeres | 186291 |
Inneres | 5773684 |
Kirche u. Schulwesen | 8175297 |
Finanzen | 3015482 |
Landständische Sustentationskasse | 349986 |
Reservefonds | 70000 |
Für das Reich | 9991008 |
Allerlei | 350384 |
Zusammen: | 57048132 |
Der Stand der Staatsschulden war 421,339,066 Mk., wovon auf die Eisenbahnschuld 377,861,534 Mk. kommen.
[Wappen, Orden.]
Das Staatswappen (s. Tafel »Wappen«) ist der Länge nach geteilt und enthält rechts drei quer übereinander gestellte schwarze Hirschstangen in goldenem Grund (W), links drei schwarze leopardierte Löwen, einer über dem andern, ebenfalls in Gold (Hohenstaufen und Schwaben). Auf dem Wappenschild ruht ein mit der Königskrone gezierter Ritterhelm; Schildhalter sind ein schwarzer Löwe und ein goldener Hirsch. Eine unter dem Schild flatternde Bandschleife enthält den Wahlspruch: »Furchtlos und trew«. Die Landesfarben sind Rot und Schwarz. Der König verleiht drei Ritterorden, nämlich den Orden der württembergischen Krone (s. Tafel »Orden«),
zur Belohnung ausgezeichneter dem Staat geleisteter Dienste (gestiftet mit sechs Klassen: Großkreuze, Komture mit Stern, Komture und Ritter a) mit der Krone, b) Ehrenritter, c) Ritter; den Militärverdienstorden gestiftet und modifiziert), mit drei Klassen, und den Friedrichsorden gestiftet, erweitert), zur Belohnung ausgezeichneter Verdienste im Militär- und Zivildienst mit fünf Klassen: Großkreuze, Komture erster und zweiter Klasse und Ritter erster und zweiter Klasse. Mit den fünf ersten Klassen des Kronenordens, dem Militärverdienstorden und den drei ersten Klassen des Friedrichsordens ist Erlangung des Personaladels verbunden.
Der am gestiftete Olga-Orden wird für besondere Verdienste auf dem Felde der freiwillig helfenden Liebe im Krieg oder Frieden verliehen und zwar ohne Unterschied an Männer, Frauen und Jungfrauen. Neuestens (1889) ist noch die Karl Olga-Medaille (in Silber und Bronze) für Verdienste um das Rote Kreuz hinzugetreten. Ferner werden verliehen goldene und silberne Zivil- und Militärverdienstmedaillen, militärische Dienstehrenzeichen, Medaillen für Kunst und Wissenschaft. Die königliche Residenz ist Stuttgart, die zweite Ludwigsburg.
Vgl. »Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde«, herausgegeben von dem königlichen Statistischen Landesamt (Stuttg. 1818 ff.);
»Das Königreich Württemberg, eine Beschreibung von Land, Volk und Staat« (hrsg. von demselben, das. 1882-86, 3 Bde.);
»Beschreibung der einzelnen Oberamtsbezirke« (hrsg. von demselben, das. 1824-86);
»Hof-
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und Staatshandbuch«, neuestes 1889);
die »Jahresberichte der Handels- und Gewerbekammern in Württemberg« (hrsg. von der königlichen Zentralstelle für Gewerbe und Handel);
Pleibel, Handbuch der Vaterlandskunde (2. Aufl., das. 1877);
Vischer, Die industrielle Entwickelung im Königreich Württemberg (das. 1875);
»Die forstlichen Verhältnisse Württembergs« (das. 1880);
Fraas, Württembergs Eisenbahnen mit Land und Leuten an der Bahn (das. 1880);
Engel, Geognostischer Wegweiser durch Württemberg (das. 1883);
Golther, Der Staat und die katholische Kirche in Württemberg (das. 1874);
Palmer, Die Gemeinschaften und Sekten Württembergs (Tübing. 1877);
über das Staatsrecht des Königreichs Württemberg die Darstellungen von Riecke (Stuttg. 1882), Sarwey (Tübing. 1883, 2 Bde.), Gaupp (Freiburg 1884);
Keppler, Württembergs kirchliche Kunstaltertümer (Rottenburg 1889);
Paulus, Die Kunst- und Altertums-Denkmale im Königreich Württemberg (Stuttg. 1889);
Hirschfeld, Württembergs Großindustrie und Großhandel (Berl. 1889).
Karten: »Topographischer Atlas des Königreichs Württemberg« (1:50,000, 55 Bl.; neue Aufl. 1879 ff.);
derselbe auch geognostisch (1865 ff.);
v. Morlok, Topographische Karte (1: 25,000), seit 1878).
Geschichte.
Die älteste germanische Bevölkerung des jetzigen Königreichs Württemberg bildeten die Sueven. Im 1. Jahrh. n. Chr. eroberten die Römer das Land und schützten es durch Anlegung eines Grenzwalles (Pfahlgraben) an der Ostgrenze gegen feindliche Angriffe; das römische Gebiet, Zehntland (Agri decumates, s. d.) genannt, wurde zwar mit germanischen Ansiedlern besetzt, aber der römischen Kultur eröffnet. Im 3. Jahrh. wurde es von den Alemannen erobert, kam nach deren Unterwerfung durch die Franken (496) zum fränkischen Reich und gehörte dann zu dem im 9. Jahrh. sich bildenden deutschen Herzogtum Schwaben.
Der erste Herr von Württemberg (Wirtineberg, einem Schloß bei Stuttgart) wird 1092 genannt. Das Geschlecht erlangte von den Staufern reiche Besitzungen und die Grafenwürde. Graf Ulrich (1241-65), mit dem die historisch sichere Reihe der Grafen von Württemberg beginnt, erwarb von Konradin das Marschallamt in Schwaben und die Vogtei über die Stadt Ulm und hatte als guter Wirtschafter immer Geld bereit, um in der Zeit des Interregnums neue Güter, so die Grafschaft Urach, zu erwerben. Ihm folgten seine Söhne Ulrich II. und Eberhard I., der Erlauchte, von denen ersterer schon 1279 starb, letzterer seinen Besitz gegen die Könige Rudolf von Habsburg und Albrecht I. zu verteidigen hatte, welche die Reichsgüter zurückforderten.
Von Heinrich VII. ward Eberhard sogar aus seinem Land vertrieben und kehrte erst nach des Kaisers Tod (1313) in dasselbe zurück. Dennoch vergrößerte er die Grafschaft durch Neuerwerbungen fast um die Hälfte und erlangte auch die Landvogtei in Schwaben, welche ihm reichliche Einkünfte gewährte; 1321 machte er nach Zerstörung des Schlosses Württemberg durch die Eßlinger Stuttgart, wohin er das Erbbegräbnis seines Hauses verlegte, zur Residenz. Auf seinen Sohn Ulrich III. (1325-44) folgten dessen Söhne Eberhard II., der Greiner, und Ulrich IV. erst gemeinsam, nach des letztern Tod (1366) Eberhard allein (bis 1392). Da dieser die Rechte der schwäbischen Landvogtei energisch geltend machte, geriet er mit den schwäbischen Reichsstädten und der Ritterschaft in langdauernden Streit. Er siegte 1372 über die Städte bei Altheim und brach, nachdem sein Sohn Ulrich 1377 bei Reutlingen geschlagen worden war, die Macht des Schwäbischen Städtebundes durch seinen Sieg bei Döffingen (1388). Sein Enkel Eberhard III. (1392-1417) und dessen Sohn Eberhard IV. (1417-19) vermehrten den Besitz des Geschlechts besonders durch die Erwerbung von Mömpelgard.
Nach dem frühen Tod Eberhards IV. regierte dessen Witwe, Gräfin Henriette, für die minderjährigen Söhne Ludwig I. und Ulrich V., welche nach erlangter Volljährigkeit erst gemeinschaftlich herrschten, aber das Land teilten; Ludwig erhielt den Uracher, Ulrich den Stuttgarter oder Neuffener Teil. Als Ludwig starb, übernahm Ulrich die Vormundschaft über seine Unmündigen Söhne Ludwig II. und Eberhard V. (im Bart), von denen der erstere schon 1457 starb. Ulrich V. schloß sich 1462 dem Krieg mehrerer Reichsfürsten gegen den Kurfürsten Friedrich von der Pfalz an, wurde aber bei Seckenheim geschlagen und gefangen genommen und erst 1463 freigelassen. Bei seinem Tod hinterließ er den Stuttgarter Anteil seinem ausschweifenden Sohn Eberhard VI., der aber durch den Münsinger Vertrag die Regierung seinem Vetter Eberhard V. überließ; zugleich wurden durch diesen Vertrag unter Mitwirkung der Landstände die Unteilbarkeit des württembergischen Landes und die Erbfolge nach dem Rechte der Erstgeburt festgesetzt. Diese Bestimmungen wurden auf dem Wormser Reichstag 1495 vom Kaiser Maximilian I. bestätigt und nur die linksrheinischen Gebiete zur Versorgung nachgeborner Prinzen offen gelassen; Eberhard ward zum Herzog erhoben und Württemberg für ein Reichsherzogtum erklärt.
Württemberg als Herzogtum.
Als Herzog Eberhard I. kinderlos starb, folgte ihm sein Vetter Eberhard VI. als Herzog Eberhard II. Da derselbe sich dem von Eberhard I. ihm bestellten Regiment der Landstände nicht fügen wollte und eine empörende Willkürherrschaft führte, wurde er unter Zustimmung des Kaisers vom Landtag für abgesetzt erklärt und unterschrieb im Horber Vertrag seine Verzichtleistung. Sein minderjähriger Neffe Ulrich, der Sohn des geisteskranken Grafen Heinrich, folgte ihm unter vormundschaftlicher Regierung, wurde aber schon 1503, erst 16jährig, vom Kaiser für volljährig erklärt.
Als des jungen Herzogs Prachtliebe und Verschwendung eine Erhöhung der Steuern notwendig machten, brach 1514 im Remsthal der Aufruhr des »armen Konrad« aus. Zur Herstellung der Ordnung schritt der Landtag ein: durch den Tübinger Vertrag vom übernahm die Landschaft die Schulden des Herzogs (950,000 Gulden), wogegen sich dieser verpflichtete, ohne Zustimmung des Landtags keinen Krieg anzufangen, kein Stück vom Land zu verpfänden, keine Schatzung auszuschreiben und niemand ohne Urteil und Recht zu bestrafen; diese Rechte bildeten die Grundlage der württembergischen Verfassung.
Sehr bald beschwor jedoch Ulrich einen neuen Konflikt herauf: er ermordete 1515 den Ritter Hans von Hutten, mit dessen Gattin er ein Liebesverhältnis hatte, und zog sich dadurch den Zorn der deutschen Ritterschaft zu;
ferner floh seine Gemahlin Sabine, die er des Ehebruchs mit Hutten beschuldigte, zu ihren Brüdern, den Herzögen von Bayern, und diese bewogen den Kaiser Maximilian, den Herzog wegen Mordes in die Acht zu erklären.
Als Ulrich endlich die Reichsstadt Reutlingen überfiel und besetzte, erklärte ihm der Schwäbische Bund, dessen Mitglied Reutlingen war, den Krieg und eroberte Württemberg, welches er 1520 für 220,000 Gulden an
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Kaiser Karl V. verkaufte, der 1530 seinen Bruder Ferdinand damit belehnte. Herzog Ulrich, der sich nach vergeblichen Versuchen, sein Land wiederzuerobern, nach Mömpelgard begeben hatte, wo er sich der Reformation anschloß, gewann 1534 den Beistand des Landgrafen Philipp von Hessen und machte durch seinen Sieg bei Lauffen (13. Mai) der österreichischen Herrschaft ein Ende; im Frieden von Kaaden mußte er freilich die österreichische Oberlehnshoheit anerkennen.
Ulrich führte nun die Reformation in Württemberg durch und förderte aus den Gütern der eingezogenen Klöster die Zwecke der Kirche und Schule. Von neuem gefährdete Ulrich seine Herrschaft durch seine Teilnahme am Schmalkaldischen Krieg: nach dem Rückzug der Verbündeten aus Süddeutschland ward Württemberg von den Kaiserlichen besetzt und Ulrich im Heilbronner Vertrag 1547 nur unter drückenden Bedingungen, besonders der Annahme des Interim, zurückgegeben. Gleichwohl wegen seiner neuen Rebellion mit Absetzung bedroht, starb Ulrich
Ulrichs Sohn Christoph (1550-68) wurde vom König Ferdinand unter den Bedingungen des Kaadener Vertrags als Herzog von Württemberg anerkannt. Er vollendete die Reformation in Württemberg und legte durch die »große Kirchenordnung« den Grund zum württembergischen Kirchen- und Schulwesen, für welches er hinreichende Einkünfte aus dem eingezogenen Kirchengut beschaffte. Auch führte er ein allgemeines Landrecht ein und bestimmte im Einvernehmen mit den Ständen, daß zur bessern Kontrolle des Finanzwesens aus der Landschaft der Kleinere und der Größere Ausschuß gebildet werden solle, welcher durch sein Selbstergänzungsrecht allmählich eine oligarchische Stellung errang und die Landschaft selbst in den Hintergrund drängte.
Christophs Sohn Ludwig (1568-93), welcher die Konkordienformel einführte und das Collegium illustre, eine Anstalt zur wissenschaftlichen Ausbildung weltlicher Beamten, gründete (1592), starb kinderlos, und ihm folgte der einzige noch übrige Fürst des württembergischen Hauses, Friedrich I. (1593-1608), der Sohn des Grafen Georg von Mömpelgard, eines Bruders des Herzogs Ulrich. Derselbe erreichte es 1599, daß Kaiser Rudolf II. im Prager Vertrag gegen eine hohe Geldentschädigung Württemberg aus einem österreichischen Lehen wieder zu einem Reichslehen machte. Er regierte fast unumschränkt und nötigte dem Landesausschuß durch die Furcht vor Gewaltstreichen die Bewilligung seiner bedeutenden Geldforderungen ab; doch die Aufhebung des Tübinger Vertrags und die Beseitigung der ständischen Rechte glückten ihm nicht.
Sein Sohn Johann Friedrich (1608-28) mußte den Tübinger Vertrag in seinem vollen Umfang bestätigen und die Hinrichtung des Kanzlers Enslin, der verschiedener Rechtswidrigkeiten angeklagt wurde, 1613 zulassen. Obgleich Mitglied der Union, nahm Johann Friedrich am Dreißigjährigen Krieg nicht teil; dennoch hatte Württemberg von den Durchzügen und Plünderungen der Truppen, namentlich der Wallensteinschen, viel zu leiden. Mitten im Krieg starb Johann Friedrich und hinterließ einen erst 14jährigen Sohn, Eberhard III., für den 1628-33 seine Oheime Ludwig Friedrich, dann Julius Friedrich die Vormundschaft führten.
Gleich nachdem Eberhard die Regierung übernommen, trat er dem Heilbronner Bündnis bei und stellte Truppen zum schwedischen Heer, weswegen nach der Niederlage bei Nördlingen (1634) Württemberg von den Kaiserlichen besetzt wurde und der Herzog nach Straßburg flüchten mußte, von wo er erst 1638 zurückkehrte. Im Westfälischen Frieden erhielt er sein ganzes Land wieder, aber entvölkert und verarmt. Bis zu seinem Tode war nun Eberhard bemüht, die Finanzwirtschaft und das Steuerwesen in erträglichen Zustand zu bringen, Kirche und Schule wieder einzurichten und den Wohlstand des Landes zu heben.
Nach der kurzen Herrschaft seines Sohns Wilhelm Ludwig (1674-77) folgte dessen einjähriger Sohn Eberhard Ludwig, der bis 1693 unter der Vormundschaft seines Oheims Friedrich Karl stand. Unter ihm wurde Württemberg wiederholt von Einfällen der Franzosen (1688, 1703 und 1707) heimgesucht. Der Herzog nahm 1699 flüchtige Waldenser in Württemberg auf, um die Bevölkerung und den Wohlstand zu mehren. Nach dem Ende des spanischen Erbfolgekriegs richtete er aber einen glänzenden Hofhalt ein und vergeudete durch schwelgerische Festlichkeiten große Summen. Zu diesen Übelständen kam die Mätressenwirtschaft der Gräfin Grävenitz, der zuliebe der Herzog die neue Residenz Ludwigsburg erbaute. 1731 ward die Gräfin entfernt, und starb Eberhard Ludwig.
Sein Nachfolger war der Sohn seines Vormundes Friedrich Karl, Karl Alexander (1733-37), der in österreichischem Kriegsdienst zum Katholizismus übergetreten war und daher der besorgten Landschaft Religionsreversalien ausstellen mußte. Unter ihm trieb der Jude Süß Oppenheimer, zum Geheimen Finanzrat ernannt, ein schamloses Erpressungssystem. Schon hieß es, der Herzog wolle die Verfassung umstürzen, die Religionsreversalien zurücknehmen und dem Katholizismus freie Bahn öffnen, als er plötzlich starb.
Während der Minderjährigkeit seines ältesten Sohns, Karl Eugen, führte die vormundschaftliche Regierung zuerst Herzog Karl Rudolf von Württemberg-Neuenstadt, welcher den Juden Süß henken ließ, von 1738 an Herzog Friedrich Karl von Württemberg-Öls. 1744 wurde Karl Eugen vom Kaiser für volljährig erklärt und übernahm selbst die Regierung. Bald stürzte er sich in einen Strudel von sinnlichen Genüssen, entfaltete einen ungeheuern Luxus in Festen, Theatern etc. und baute mit großer Pracht und enormen Kosten das neue Schloß in Stuttgart sowie die Schlösser Solitüde und Hohenheim.
Gleichzeitig nahm er am Siebenjährigen Kriege gegen Preußen teil. Allerdings zahlte Frankreich bedeutende Hilfsgelder; dennoch verschlang das übermäßig große Heer bedeutende Summen aus Landesmitteln und errang in dem im evangelischen Württemberg nicht gebilligten Kampf gegen das protestantische Preußen nicht einmal kriegerische Erfolge, indem es sich bei Leuthen und Fulda schmählich besiegen ließ. Die nötigen Gelder verschaffte sich der Herzog durch verfassungswidrige Mittel, namentlich einen schamlosen Ämterhandel, und suchte in Gemeinschaft mit seinem obersten Minister, Grafen Montmartin, und dem Kriegsrat Rieger die Rechte der Landschaft zu unterdrücken; den Konsulenten derselben, J. J. ^[Johann Jacob] Moser, warf er ins Gefängnis.
Die Landschaft beschwerte sich wiederholt beim Kaiser; aber erst nach siebenjährigen Verhandlungen wurde der sogen. Erbvergleich geschlossen, durch welchen die alten Landesverträge und das Steuerbewilligungsrecht der Stände bestätigt und die Abstellung der eingerissenen Mißbräuche versprochen wurde. Zwar erfüllte der Herzog nicht alle Versprechungen und beging noch manche Willkürakte, wie die Verhaftung des Dichters Schubart und den Verkauf von 2000 Soldaten an Holland; aber bei zunehmendem Alter und unter dem Einfluß seiner zweiten Gemahlin, Franziska von Hohenheim, wendete er sich edlern Zielen zu und suchte durch Pflege der Wissenschaften
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und durch Gründung von Unterrichtsanstalten (»hohe Karlsschule«) zu glänzen. Da er keine erbberechtigten Kinder hinterließ, so folgte ihm nach seinem Tod sein Bruder Ludwig Eugen und, als dieser schon starb, der jüngere Bruder, Friedrich Eugen (1795-97), der lange Jahre in preußischen Diensten gestanden und sich mit einer Nichte Friedrichs d. Gr. vermählt hatte, weswegen seine Kinder evangelisch waren. 1796 drangen die Franzosen unter Moreau in ein, mit denen der Herzog 17. Juli den Waffenstillstand von Baden abschloß, gemäß welchem er seine Truppen vom Reichsheer zurückzog und eine Kontribution von 4 Mill. Gulden bezahlte; im Frieden von Paris (7. Aug.) trat er Mömpelgard gegen das Versprechen späterer Entschädigung an Frankreich ab. Friedrich Eugen starb mit ihm endete die Reihe der katholischen Herzöge, die seit 1733 geherrscht hatten.
Württemberg als Königreich.
Friedrich Eugens ältester Sohn und Nachfolger Friedrich II. (1797-1816) nahm gegen den Willen der Stände am Krieg der zweiten Koalition gegen Frankreich teil, infolge dessen Württemberg 1800 von Moreau besetzt und gebrandschatzt wurde; der Herzog floh nach Erlangen. Im Frieden mit Frankreich trat er alle linksrheinischen Besitzungen ab und bekam dafür durch den Reichsdeputationshauptschluß an Entschädigung: die Propstei Ellwangen, die Abteien Zwiefalten und Schönthal sowie die neun Reichsstädte: Weil, Reutlingen, Eßlingen, Rottweil, Aalen, Giengen, Hall, Gmünd, Heilbronn, zusammen 2200 qkm mit 124,688 Einw., und die Kurwürde. Die neuen Gebiete erhielten als Neuwürttemberg eine besondere in Ellwangen residierende Regierung und vor allem keine Landstände. Als 1805 der neue Krieg zwischen Frankreich und Österreich ausbrach, wurde Friedrich von Napoleon zu einem Bündnis genötigt und ließ seine Truppen zu den Franzosen stoßen. Seitdem war er ein eifriger Anhänger des Kaisers und erntete reiche Belohnungen dafür: im Preßburger Frieden empfing er die österreichischen Besitzungen in Oberschwaben, die Grafschaften Hohenberg, Nellenburg und Bondorf und die Landvogtei Altdorf und durfte die Königswürde annehmen. Alt- und Neuwürttemberg wurden völlig verschmolzen, die alte Verfassung aufgehoben und das Kirchengut unter Staatsverwaltung gestellt. Nachdem der König dem Rheinbund beigetreten war, erhielt Württemberg durch die Mediatisierung mehrerer fürstlicher und gräflicher Häuser sowie durch Gebietsabtretung einen weitern Zuwachs von 160,000 Seelen und durch den Wiener Frieden Ulm, Mergentheim u. a., im ganzen 110,000 Einw., so daß Württemberg, das 1802 nur 650,000 Einw. gehabt, nun 1,400,000 Einw. zählte. Dafür mußte das württembergische Kontingent 1806 bis 1807 gegen Preußen, 1809 gegen Österreich, 1812 gegen Rußland und 1813 gegen die Verbündeten kämpfen. Nach der Schlacht bei Leipzig, in welcher eine württembergische Brigade zu den Verbündeten überging, fiel König Friedrich von Napoleon ab und erlangte von Metternich im Vertrag zu Fulda die Garantie seines Gebiets wie seiner Souveränität, worauf die württembergischen Truppen 1814-1815 am Kampf gegen Frankreich teilnahmen.
Auf dem Wiener Kongreß sträubte er sich hartnäckig gegen jede Beschränkung seiner Souveränität und trat erst dem Deutschen Bund bei. Seinem Versprechen im Manifest vom gemäß legte er der am 15. März eröffneten Ständeversammlung einen freisinnigen Verfassungsentwurf vor; doch verlangten die Stände ihr »altes, gutes Recht« zurück und lehnten den Entwurf ab. Friedrich I. starb während der Verfassungsstreit im Land aufs heftigste tobte.
Sein Sohn und Nachfolger, König Wilhelm I. (1816-64), gelangte erst unter dem Druck der Karlsbader Beschlüsse zur Vereinbarung einer Verfassung mit den Ständen, welche verkündet wurde. Die Justiz wurde von der Verwaltung getrennt und das Land 1817 in 4 Kreise und 64 Oberämter eingeteilt. Die katholische Kirche wurde neuorganisiert, 1817 eine katholisch-theologische Fakultät in Tübingen und 1828 das Bistum in Rottenburg errichtet. Das Schulwesen wurde bedeutend verbessert.
Besondere Fürsorge widmete der König der Landwirtschaft und gründete 1818 die land- und forstwirtschaftliche Akademie zu Hohenheim. Ebenso war er mit Erfolg bemüht, die Finanzen des Landes zu bessern und die Steuerlasten zu mindern; er führte im Gegensatz zu seines Vaters Verschwendung einen sehr einfachen Hofhalt und hielt auch in der Staatsverwaltung auf strengste Sparsamkeit. Die Landstände zeigten sich nachgiebig und friedlich, nachdem einmal die Versöhnung erfolgt war.
Erst nach der Julirevolution wurden 1831 einige Führer der liberalen Opposition in den Landtag gewählt, aber 1833 durch die Auflösung desselben wieder beseitigt. Das Land versank wieder in ein politisches Stillleben, in welchem Gewerbe und Handel und damit der Wohlstand durch den Anschluß an den Zollverein, den Bau der ersten Staatseisenbahn u. a. langsam wuchsen. Erst 1848 brach in Württemberg wieder eine freiheitliche und nationale Bewegung aus, welcher der König sofort nachgab: das büreaukratische Ministerium Schlayer, welches seit 1833 am Ruder war, wurde schon Anfang März entlassen und 9. März die Führer der Liberalen, Römer, Duvernoy, Pfizer und Goppelt, in das Ministerium berufen, welches 11. März liberale Reformen im Innern und die Mitwirkung zur Herstellung eines einigen Deutschland versprach.
Nachdem der alte Landtag noch die ihm vorgelegten Gesetze über Bürgerbewaffnung, Versammlungsrecht und Ablösung der Grundlasten genehmigt hatte, wurde er 27. März aufgelöst und eine neue Kammer gewählt, welche viele demokratische Mitglieder hatte und außer einem neuen Wahlgesetz besonders die Abschaffung aller Privilegien beschloß. Die von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossenen Grundrechte wurden von der Regierung als Reichsgesetze verkündet und dem widerstrebenden König auch die Unterzeichnung der Reichsverfassung abgedrungen.
Die demokratische Agitation im Land hatte aber schon so um sich gegriffen, daß mehrere Volksversammlungen sich mit der Anerkennung der Reichsverfassung nicht befriedigt erklärten und Unterstützung des badisch-pfälzischen Aufstandes zur Durchführung derselben verlangten; um die Erhebung Württembergs zu befördern, verlegte das Rumpfparlament seinen Sitz nach Stuttgart. Doch das Ministerium Römer schritt energisch ein, sprengte 18. Juni das Rumpfparlament durch Militär auseinander und löste den Landtag 8. Aug. auf.
Das deutschnationale Ministerium Römer hatte hierdurch Württemberg vor einem Herübergreifen des Aufstandes bewahrt. Aber nachdem dieser in der Pfalz und Baden unterdrückt worden und Österreich wieder erstarkt war, entließ der König das Ministerium und berief Schlayer wieder an die Spitze der Regierung, dem im Juli 1850 v. Linden folgte.
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Der König sagte sich entschieden von Preußen los, sprach sich in schroffster Weise gegen das preußische Unionsprojekt aus und schloß sich im Oktober 1850 in Bregenz ganz an Österreich an. Dessen Rückhalt ermutigte ihn im November 1850, nachdem die drei im August 1849, im Anfang und im Herbst 1850 durch allgemeine, direkte Wahlen zu stande gekommenen demokratischen Landesversammlungen wegen Ablehnung der Regierungsvorlagen aufgelöst worden waren, von einer Verfassungsrevision überhaupt Abstand zu nehmen, das Wahlgesetz vom aufzuheben und die Verfassung von 1819 für allein gültig zu erklären.
Die hierauf nach dem alten Wahlgesetz gewählte Zweite Kammer bestand zumeist aus Staats- und Gemeindebeamten. Der im Mai 1851 zusammentretende Landtag genehmigte die Beseitigung des Verfassungseides der Truppen, die Aufhebung der Grundrechte, die Auflösung der Volksvereine, die Wiedereinführung der Todes- und Prügelstrafe und die Befreiung der Standesherren vom Kriegsdienst; bloß die Entschädigung des Adels für seine durch die Ablösung der Grundlasten erlittenen Verluste lehnte der Landtag ab. Mit dem päpstlichen Stuhl wurde vom Kultusminister Rümelin ein Konkordat abgeschlossen, welches wichtige Hoheitsrechte des Staats der römischen Kurie abtrat, die Entscheidung über gemischte Ehen und über die Erziehung des Klerus dem Bischof überließ und das Eindringen der geistlichen Orden erlaubte.
Dasselbe wurde als königliche Verordnung verkündet und die ständische Zustimmung nur zu den eine Gesetzesänderung erfordernden Punkten vorbehalten. Aber erst 1861, als inzwischen in Baden die Opposition gegen das dortige Konkordat gesiegt hatte, legte die württembergische Regierung dem Landtag den Vertrag mit dem Papst vor. Mit 63 gegen 27 Stimmen wurde derselbe 16. März vom Landtag verworfen und die Bitte an die Regierung gerichtet, das Verhältnis des Staats zur Kirche durch die Landesgesetzgebung zu regeln. Dies geschah durch das Gesetz vom welches der neue Kultusminister, Golther, dem Landtag vorgelegt und dieser genehmigt hatte.
In der deutschen Frage folgte Württemberg den Wünschen Österreichs, welches die partikularistischen Neigungen des Königs und des Beamtentums nicht anfocht, und als nach dem italienischen Krieg 1859 die Bundesreform wieder in Fluß kam, hielt die Regierung, auf die entschieden antipreußische Strömung im Volk sich stützend, sich möglichst zurück. Doch nahm sie an den von Bayern angeregten mittelstaatlichen Verhandlungen über eine engere Einigung der »rein deutschen Staaten« teil und erklärte sich 1863 für das österreichische Bundesreformprojekt.
Als 1863 die schleswig-holsteinische Frage auftauchte, erkannte sie zwar den Herzog von Augustenburg als berechtigten Erben an, ging aber auf die vom Landtag verlangte energische Politik gegen die Großmächte nicht ein; auch fügte sie sich dem von Preußen 1862 abgeschlossenen französischen Handelsvertrag, um eine Auflösung des Zollvereins zu vermeiden. Als jedoch König Wilhelm starb und sein Nachfolger, König Karl, an Lindens Stelle den gemäßigt liberalen, aber entschieden antipreußischen Freiherrn v. Varnbüler an die Spitze des Ministeriums berief, entwickelte die Regierung nach innen und nach außen eine lebhaftere Thätigkeit. Sie hob die reaktionären Verordnungen über Presse und Vereinswesen auf und beantragte 1865 beim Landtag eine bedeutende Erweiterung des Eisenbahnnetzes. In Übereinstimmung mit der Kammer erklärte sie sich gegen Preußens Haltung in der schleswig-holsteinischen Frage, nahm an den mittelstaatlichen Konferenzen in Augsburg und Bamberg teil und traf schon im April 1866 militärische Vorbereitungen, für welche ihr im Juni vom Landtag 7,700,000 Gulden bewilligt wurden. Württemberg stimmte 14. Juni Frankfurt für Österreichs Antrag auf Mobilmachung aller nichtpreußischen Bundeskorps, und während ein Bataillon Hohenzollern besetzte, stieß das württembergische Kontingent zum 8. Bundeskorps.
Obwohl die Schlacht bei Königgrätz die kriegerische und siegesbewußte Stimmung im Volk abkühlte, trieb Varnbüler zur Fortsetzung des Kampfes, mußte sich jedoch, als die Württemberger 24. Juli bei Tauberbischofsheim schwere Verluste erlitten hatten und nach Auflösung des 8. Korps Württemberg der preußischen Okkupation offen lag, zu Verhandlungen verstehen, die 2. Aug. zu einem Waffenstillstand mit dem Befehlshaber der preußischen Mainarmee, Manteuffel, führten; der nördliche Teil des Landes wurde von den Preußen besetzt, während Hohenzollern geräumt wurde. Der Friede kam 13. Aug. zu stande und legte Württemberg eine Kriegsentschädigung von 8 Mill. Guld. auf; gleichzeitig schloß die Regierung mit Preußen ein geheimes Schutz- und Trutzbündnis.
Der unglückliche Ausgang des Kriegs von 1866 hatte in Württemberg zunächst noch keine Versöhnung mit der neuen Situation in Deutschland zur Folge. Die Zweite Kammer sprach sich bei der Beratung des Friedensvertrags 11. Okt. gegen einen Anschluß an Preußen und für einen besondern süddeutschen Bund aus und genehmigte das 1867 veröffentlichte Schutz- und Trutzbündnis sowie den Vertrag über die Reform des Zollvereins nur unter dem Druck der Drohung Preußens, daß Württemberg im Fall der Ablehnung eines der Verträge aus dem Zollverein ausgeschlossen werden würde.
Bei den Wahlen für das Zollparlament wurden sämtliche Kandidaten der nationalen Partei geschlagen und nur Gegner der Einigung mit Preußen, Großdeutsche, Ultramontane und Demokraten, gewählt. Hierbei hatte die Regierung nach Kräften mitgewirkt. Nun folgten im Juni 1868 die Wahlen für die Kammer nach dem neuen Wahlgesetz, das direkte und geheime Wahl vorschrieb. Hierbei erlitt die Regierung eine entschiedene Niederlage durch die von ihr eben begünstigten Großdeutschen und Demokraten, die 45 Mandate (von 70) erlangten.
Durch diesen Sieg angefeuert, setzte die Demokratie eine allgemeine Agitation gegen das 1868 vom Kriegsminister v. Wagner mit Mühe durchgesetzte Kriegsdienstgesetz, das »Fluchgesetz«, ins Werk. Dasselbe war vom Landtag nur mit bedeutenden Abschwächungen der preußischen Grundsätze über Wehrpflicht und Heeresorganisation angenommen worden. Nun forderte aber die Demokratie dessen Abschaffung und Einführung der wahrhaft allgemeinen Dienstpflicht mit militärischer Jugendvorbereitung und kurzer Präsenz. Als die Kammern im März 1870 eröffnet wurden, stellten Großdeutsche und Demokraten einen Antrag auf Herabsetzung der Präsenz und Verminderung der Heeresausgaben, der von der Finanzkommission zur Annahme empfohlen wurde. Das Ministerium war über die einzunehmende Haltung uneinig und half sich 24. März durch Vertagung der Kammern zunächst aus der Verlegenheit.
Die französische Kriegserklärung im Juli 1870 gab den Dingen eine ganz andre Wendung. Der im partikularistischen Stillleben eingeschlummerte deutsche Patriotismus erwachte und erhob sich für die
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nationale Sache. Der König erließ 17. Juli den Mobilisierungsbefehl, die Kammern bewilligten 22. d. M. fast einstimmig den verlangten Kriegskredit. Die württembergische Division wurde der unter dem Oberbefehl des Kronprinzen von Preußen stehenden dritten Armee zugeteilt und nahm an der Schlacht bei Wörth und den Kämpfen vor Paris, besonders der Schlacht bei Villiers (30. Nov. und rühmlichen Anteil. Varnbüler trat 31. Aug. zurück, und der Justizminister Mittnacht führte in Versailles die Verhandlungen über den Eintritt Württembergs in das neue Deutsche Reich, die 25. Nov. zum Abschluß führten: Württemberg behielt die eigne Verwaltung der Post, der Telegraphen, der Eisenbahnen und die besondere Besteuerung des Biers und des Branntweins;
die württembergischen Truppen bildeten das 13. deutsche Armeekorps, dessen Kommandeur der Kaiser ernannte, behielten aber ihr eignes Kriegsministerium, und der König ernannte die Offiziere;
im Bundesrat bekam Württemberg vier Stimmen.
Nachdem Neuwahlen der Regierung in der Zweiten Kammer eine national gesinnte Mehrheit verschafft hatten, wurden die Verträge mit dem Norddeutschen Bund vom Landtag genehmigt und verkündigt. Auch die ersten Reichstagswahlen fielen auf fast lauter national gesinnte Männer, und als im August 1873 Mittnacht zum Ministerpräsidenten ernannt worden war, war die durchaus reichstreue Politik Württembergs entschieden. Der schwankende Ausfall der Reichstagswahlen, bei denen Ultramontane und Anhänger der Volkspartei vorübergehend Erfolge errangen, änderte daran nichts. Der kränkliche König, der einen großen Teil des Jahrs im Ausland zuzubringen pflegte, gab zu dem Verhalten der Minister seine Zustimmung.
Im Innern gingen Regierung und Landtag an die Durchführung mancher notwendigen Reformen: außer den Ausführungsgesetzen zur deutschen Justizreform wurden ein Forststraf- und Forstpolizeigesetz, ein Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Dorfschullehrer, ein andres über die Verwaltung des kirchlichen Vermögens u. a. vereinbart. Der Ausfall in den Einnahmen der allzu schnell vermehrten Staatseisenbahnen machte 1881 die Erhöhung einiger vorhandener und die Einführung einiger neuer Steuern notwendig, bis die Vermehrung der Reichseinnahmen die Finanzen so erheblich besserte, daß 1889 die Steuern herabgesetzt, wichtige Bauten ausgeführt und die Beamtengehalte erhöht werden konnten.
Dagegen gelangte die lange begehrte und allgemein als unvermeidlich anerkannte Verfassungsrevision wegen ihrer Schwierigkeit noch nicht zur Ausführung. Der zu ihrer Lösung 1884 berufene Minister des Innern, Holder, starb 1887 vor der Lösung dieser Frage. Es handelte sich besonders darum, die 23 privilegierten Mitglieder der Zweiten Kammer (Vertreter des Adels, der evangelischen und katholischen Geistlichkeit und der Landesuniversität) aus derselben zu beseitigen und sie durch gewählte Vertreter des Volkes, besonders durch Vermehrung der Abgeordneten der großen Städte, wie Stuttgarts, zu ersetzen, während die Privilegierten in die Erste Kammer, welche zu wenige Mitglieder zählte, überzutreten hätten.
Doch kam es zwischen der Regierung und der Kammer zu keiner Einigung, da erstere die Privilegierten durch Abgeordnete der Höchstbesteuerten ersetzen, die Kammer von gar keinem Vorrecht mehr wissen wollte. Die Zustände im Land waren im übrigen so zufriedenstellend, daß die glänzende Feier des 25jährigen Regierungsjubiläums des Königs wohl berechtigt war.
Vgl. »Württembergisches Urkundenbuch« Stuttg. 1849-89, Bd. 1-5);
Pfister, Pragmatische Geschichte von Schwaben (Heilbr. 1803 bis 1827, 5 Bde.);
Derselbe, Geschichte der Verfassung des wirtembergischen Hauses (bearbeitet von Jäger, das. 1857);
Pfaff, Geschichte des Fürstenhauses und Landes Württemberg (neue Ausg., Stuttg. 1835-39, 3 Bde.);
Stälin, Wirtembergische Geschichte (Hauptwerk, das. 1841-73, 4 Bde.);
Staiger, Geschichte Württembergs (Tübing. 1875, kurzer Abriß);
P. F. Stälin, Geschichte Württembergs (Gotha 1888 ff.);
»Illustrierte Geschichte von Württemberg« (von mehreren, Stuttg. 1886);
Fricker und Geßler, Geschichte der Verfassung Württembergs (das. 1869);
Schneider, Württembergische Reformationsgeschichte (das. 1888);
»Württemberg und sein König 1864-89, eine Festgabe« (das. 1889).