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konstitutionellen Verfassung, aber vorher für Unterdrückung des Aufstandes mit Waffengewalt. Da er überdies, wegen seiner ausgesprochenen Vorliebe für das Militärwesen, als die Hauptstütze der absolutistischen Tendenzen galt, gab sich gegen ihn eine solche Aufregung kund, daß man es für angemessen hielt, ihn für einige Zeit sich entfernen zu lassen. Der Prinz begab sich 22. März nach London, wo er mit dem Prinzen Albert, R. Peel, J. ^[John] Russell, Palmerston und andern Staatsmännern verkehrte und seine politischen Anschauungen klärte. An den deutschen Einheitsbestrebungen nahm er lebhaften Anteil und bewies ein klares, vorurteilsfreies Verständnis dafür. Anfang Juni kehrte er nach Berlin zurück. Zum Abgeordneten in die preußische Nationalversammlung gewählt, nahm er zwar das Mandat an, aber, nachdem er in einer kurzen Rede seine konstitutionellen Grundsätze dargelegt hatte, keinen weitern Anteil an den Verhandlungen. Am 8. Juni 1849 erhielt er den Oberbefehl über die zur Bewältigung der süddeutschen Revolution bestimmten Truppen und unterwarf, nachdem er in Mainz einem Attentat glücklich entgangen, in wenigen Wochen die aufständische Pfalz und Baden. Im Oktober d. J. zum Militärgouverneur am Rhein und in Westfalen ernannt, nahm er seinen Wohnsitz in Koblenz; 1854 ward er zugleich Generaloberst der Infanterie mit dem Rang eines Feldmarschalls und Gouverneur der Festung Mainz. Die früher dem Prinzen ungünstige Stimmung war infolge seiner Zurückhaltung von den Ausschweifungen der politischen und kirchlichen Reaktion und des Junkertums so sehr in das Gegenteil umgeschlagen, daß er, besonders seit den Verwickelungen mit Österreich und seit dem Krimkrieg, als Hauptvertreter der Machtstellung Preußens galt, und daß alle Hoffnungen der patriotischen und liberalen Partei sich ihm zuwandten, als er während der Krankheit des Königs 23. Okt. 1857 als dessen Stellvertreter und 7. Okt. 1858 als Regent an die Spitze der Regierung trat. Nachdem er 26. Okt. den Eid auf die Verfassung geleistet, berief er 5. Nov. das liberale Ministerium Hohenzollern (»neue Ära«) und legte 8. Nov. in einem Erlaß an dieses seine Regierungsgrundsätze und Ziele dar. Zwar betonte er, daß von einem Bruch mit der Vergangenheit nicht die Rede sein könne, erklärte sich aber entschieden gegen alle Scheinheiligkeit und Heuchelei; ebenso sprach er sich dagegen aus, daß Preußen sich in der auswärtigen Politik fremden Einflüssen hingebe, vielmehr müsse es durch eine weise Gesetzgebung, Hebung aller sittlichen Elemente und Ergreifung von Einigungsmomenten in Deutschland Eroberungen zu machen suchen. Diese Stellen fanden im Volk und bei dem neugewählten überwiegend liberalen Abgeordnetenhaus den meisten Beifall, da die kirchliche Reaktion und die russische Politik Friedrich Wilhelms IV. am meisten verstimmt hatten, und wurden fast allein beachtet; viel zu wenig dagegen die Worte des Prinzen, in denen er von der notwendigen Heeresreform und den dazu erforderlichen Geldmitteln sprach, da Preußens Heer mächtig und angesehen sein müsse, wenn Preußen seine Aufgabe erfüllen solle. Dies sah der Prinz in der That als seine Hauptaufgabe an, und der Verlauf der Ereignisse von 1859, wo die Mobilmachung auf große Schwierigkeiten stieß und viele Mängel im Heerwesen aufdeckte, konnte ihn nur darin bestärken. Leider konnte sich die Majorität des Abgeordnetenhauses nicht entschließen, die Mehrkosten der durchgreifenden Heeresreorganisation, welche 1860 vorgelegt wurde, im Vertrauen auf des Prinzen konstitutionelle und deutsch-nationale Gesinnung und Politik definitiv zu bewilligen. Voll Ungeduld wollte man erst thatsächliche Beweise einer energischen, erfolgreichen deutschen Politik sehen. Am 14. Juli 1861 machte der Student Oskar Becker in Baden-Baden sogar ein Attentat auf Wilhelm, der nach Friedrich Wilhelms Tod (2. Jan. 1861) wirklich König geworden war, verwundete ihn aber nur leicht. Die Krönung (18. Okt. 1861), welche Wilhelm veranstaltete, um die von dem Parlament unabhängige Macht des Königtums zu betonen, verstärkte das Mißtrauen gegen die konstitutionellen Ansichten des Königs; die Neuwahlen 6. Dez. 1861 fielen fortschrittlich aus, und mit dem Rücktritt des Ministeriums der Neuen Ära (17. März 1862), das der König fallen ließ, weil es die gesetzliche Genehmigung der thatsächlich bereits durchgeführten Heeresreorganisation nicht erreichen konnte, begann der Verfassungskonflikt, in dem der König sein eigenstes Werk, die Reorganisation, mit Standhaftigkeit festhielt und für das Ministerium Bismarck so verhaßt es war, in seinen Konflikten mit dem Abgeordnetenhaus mit seiner ganzen königlichen Autorität, obwohl erfolglos, eintrat; ja, der König verlor selbst rasch seine frühere Popularität, wie sich besonders bei den 50jährigen Erinnerungsfesten an die Befreiungskriege und an die Vereinigung verschiedener Provinzen mit Preußen 1863-65 zeigte. Obwohl Wilhelm schwer darunter litt, daß ihm die Herzen des Volkes entfremdet wurden, blieb er doch in der Verteidigung der Rechte der Krone standhaft. Während unter diesen Umständen die Reformen im Innern völlig stockten, ja vielfach ein schroffes Polizeiregiment zur Herrschaft kam, verfolgte der König unter Bismarcks ebenso kühnem wie staatsklugem Beirat eine entschiedene Politik in der deutschen Frage. Da aber die damalige öffentliche Meinung den König und Bismarck völlig verkannte, so hielt man das Verhalten des Königs gegen den Fürstenkongreß 1863 und in der schleswig-holsteinischen Sache 1864 für bloße Spiegelfechterei und ließ sich nicht versöhnen. Um nun den Konflikt zu beenden, ohne die mit vieler Mühe vortrefflich durchgeführte Heeresreorganisation preisgeben zu müssen, brachte der König seine Legitimitätsansichten zum Opfer und ging, wiewohl widerstrebend, auf Bismarcks geniale Politik ein, welche 1866 zum Entscheidungskampf mit Österreich führte. In diesem übernahm der König selbst den Oberbefehl über das Heer und errang den glänzenden Sieg bei Königgrätz. Bei den Friedensverhandlungen verzichtete er nur ungern auf die Annexion Sachsens, um Bismarcks deutsche Einigungspläne nicht zu durchkreuzen, und bot dem Landtag durch das Indemnitätsgesetz die erste Hand zum Frieden. Dieselbe wurde freudig ergriffen und der Einklang zwischen Monarch und Volk wiederhergestellt. Die militärische Fürsorge des Königs hatte sich herrlich bewährt. Durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 1. Juli 1867 ward Wilhelm Präsident desselben. Im Innern lenkte er mehr und mehr wieder in die liberale Bahn ein. Die verhaßtesten Minister der Konfliktsperiode wurden entlassen und machten Anhängern einer freisinnigen Reform Platz. Die Entwickelung des Norddeutschen Bundes wurde unterbrochen durch den Krieg mit Frankreich 1870, der Wilhelm und seine Schöpfung, das Heer, mit neuem, weit glänzenderm Ruhm bedecken sollte. Wilhelm übernahm wieder den Oberbefehl über die gesamte in Frankreich einrückende Armee, befehligte selbst bei Gravelotte und bei Sedan und leitete von Oktober 1870 bis März 1871 mit unermüdlicher Arbeitskraft von Versailles aus die
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militärischen Operationen auf verschiedenen Kriegsschauplätzen und die politischen Verhandlungen über die Herstellung des Deutschen Reichs. Durch die Kaiserproklamation, welche 18. Jan. 1871 im Versailler Schlosse stattfand, nahm Wilhelm für sich und seine Nachfolger an der Krone Preußen den Titel eines »deutschen Kaisers« an und versprach, »allzeit Mehrer des Deutschen Reichs zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiet nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung«. Am 16. Juni 1871 hielt er seinen glänzenden Einzug in Berlin. Rastlos widmete er sich wieder den Regierungsgeschäften, sowohl der Vollendung der militärischen Organisation des Deutschen Reichs als der innern Reform des preußischen Staatswesens. Wie immer pflichtgetreu und streng gesetzlich, hielt er in dem sogen. Kulturkampf gegenüber allen ultramontanen Schmeicheleien und Drohungen entschlossen zu seinen Ministern und wies die Anmaßung des Papstes in seinem berühmten Schreiben vom 3. Sept. 1873 ebenso entschieden wie würdig zurück. Den äußern Frieden bemühte er sich durch Versöhnung der Gegensätze und Feindschaften der Nachbarmächte zu sichern. Zu diesem Zweck brachte er im September 1872 den Dreikaiserbund zwischen Deutschland, Rußland und Österreich zu stande, welcher die beiden letztern Mächte einander näherte und die Aufrechterhaltung des Friedens sich zur Aufgabe machte. Demselben Zweck sollten die Besuche dienen, welchen sich der Kaiser 1873 in Petersburg und Wien, 1875 in Mailand unterzog, wie er es sich denn stets angelegen sein ließ, durch den Eindruck persönlichen Verkehrs auf Besuchen in neuerworbenen Landesteilen beschwichtigend und versöhnend für die Einigung der deutschen Nation zu wirken. Durch die Erfolge dieser unermüdlichen, aufopfernden Thätigkeit für das Gemeinwohl erlangte Wilhelm eine außerordentliche Beliebtheit, die sich 1. Jan. 1877 bei seinem 70jährigen Militärjubiläum und 22. März 1877 an seinem 80. Geburtstag in großartigen Huldigungen aller Stände des deutschen Volkes bewährte. Selten war es einem Fürsten zu teil geworden, wie ihm, noch in hohem Alter, am Spätabend seines Lebens, seinem Haus und Staat solche Ehren zu erringen und nicht bloß der älteste, sondern auch der angesehenste und mächtigste Monarch Europas zu sein. Um so größeres Erstaunen und Entsetzen mußte es erregen, als ein Leipziger Klempnergeselle, Max Hödel, durch sozialdemokratische Agitationen verwirrt, 11. Mai 1878, als der Kaiser mit der Großherzogin von Baden in offenem Wagen durch die Linden fuhr, mit einem Revolver mehrere, glücklicherweise erfolglose, Schüsse auf ihn abschoß. Noch war die Aufregung hierüber nicht beschwichtigt, als drei Wochen später, 2. Juni (einem Sonntag), als der Kaiser allein nach dem Tiergarten fuhr, fast an derselben Stelle, aus einem Fenster des Hauses Nr. 18 Unter den Linden, zwei Schüsse auf ihn abgefeuert wurden, die ihn erheblich (mit 30 Schrotkörnern in Kopf und Arme) verwundeten. Der Thäter, Karl Nobiling, wurde, durch einen Selbstmordversuch schwer verletzt, ergriffen. Obwohl der Kaiser so krank wurde, daß er 4. Juni den Kronprinzen zum Stellvertreter ernennen mußte, so bewahrte er dennoch unerschütterliche Seelenruhe und Gleichmut. Unter sorgfältigster Pflege der Ärzte erholte er sich allmählich von der schweren Verwundung und kehrte nach längerm Aufenthalt in Baden und Wiesbaden 5. Dez. nach Berlin zurück, wo er die Regierung wieder übernahm. Die Huldigungen, die ihm während und nach seiner Genesung dargebracht wurden, waren zahllos und großartig. Im Juli ward im ganzen Reich die Wilhelms-Spende aus kleinen Gaben gesammelt; sie ergab 1,800,000 Mk. von 12 Mill. Gebern. Unerschüttert in seiner Liebe und in seinen Vertrauen zum Volk erließ er 17. Nov. 1881 und 14. April 1883 die Botschaften an den Reichstag, in denen er die wichtigen sozialen Gesetze für das Wohl der Arbeiter ankündigte. Auch knüpfte er Verhandlungen mit dem neuen friedliebenden Papst Leo XIII. zur Beendigung des Kulturkampfes an. Ungeachtet seiner tief gewurzelten Sympathien für Rußland gab er 1879 seine Zustimmung zum Bündnis mit Österreich. Unermüdlich war er auch für das Heer thätig und gönnte sich nur im Sommer in Ems und Gastein einige Erholung. Diese treue, selbstlose Fürsorge für das Wohl Deutschlands, seine schlichte und doch imponierende, würdevolle Erscheinung verschafften ihm eine Popularität in Deutschland und ein Ansehen in der Welt, wie nie zuvor einem deutschen Herrscher; dies zeigte sich bei seiner goldenen Hochzeit, bei seinem 80jährigen Militärjubiläum (1. Jan. 1887), bei seinem 25jährigen Regierungsjubiläum (2. Jan.) und bei seinem 90. Geburtstag. Schmerzlich getroffen durch die Krankheit seines Sohns und den Tod seines Enkels (des Prinzen Ludwig von Baden), starb Wilhelm nach kurzer Krankheit 9. März 1888 in Berlin und ward 16. März im Mausoleum zu Charlottenburg beigesetzt. Zahlreiche, teilweise großartige Denkmäler wurden ihm errichtet; das 2. westpreußische Grenadierregiment Nr. 7 wurde Grenadierregiment König Wilhelm I. benannt.
Wilhelm war von großer, imposanter Gestalt und regelmäßigen, angenehmen und freundlichen Gesichtszügen. Geregelte Thätigkeit und einfache, mäßige Lebensweise bewahrten ihm bis in sein hohes Alter eine seltene körperliche Rüstigkeit und geistige Frische. Allgemein bewundert wurden seine Liebenswürdigkeit im persönlichen Verkehr und seine unermüdliche Ausdauer in der Erfüllung seiner Pflichten als Monarch sowohl in Staatsgeschäften wie bei den offiziellen Festen. »Einfach, bieder und verständig«, so hatte seine Mutter ihn 1810 bezeichnet, und so entwickelte er sich harmonisch. Hervorragende, glänzende Geistesgaben zeichneten ihn nicht aus; hauptsächlich nur für militärische und politische Dinge zeigte er Vorliebe, eingehendes Verständnis und selbständiges Urteil, weniger für Künste und Wissenschaften. Bedeutender waren seine Charaktereigenschaften: seine Wahrheitsliebe, Treue, Dankbarkeit, sein sittlicher Mut, seine Standhaftigkeit in gefährlichen, seine Mäßigung in glücklichen Lagen. Namentlich anzuerkennen waren die Bescheidenheit, mit der er das Verdienst der von ihm selbst ausgewählten Gehilfen, wie besonders Bismarcks, Moltkes und Roons, nicht nur selbst anerkannte, sondern auch die mitunter ihn selbst in Schatten stellende Glorifikation derselben ohne Eifersucht ertrug, sowie besonders das strenge Pflichtgefühl, welches ihm das Wohl und die Größe des ihm anvertrauten Staats und Volkes als höchste Richtschnur seines Denkens und Handelns gelten, welches ihn nicht bloß im einzelnen Fall dem Gesetz sich unterwerfen, sondern auch altgewohnte Ansichten und Lieblingsideen seiner Pflicht zuliebe unterdrücken ließ. Kaiser Wilhelm war ein glänzendes Beispiel dafür, daß im Staatsleben ein Charakter weit mehr wert ist als ein Talent. Vgl. L. Schneider, König Wilhelm, militärische Lebensbeschreibung (Berl. 1869); Fortsetzung bis 1871, das. 1875); Wilhelm Müller, Kaiser Wilhelm (das. 1888); Ferd. Schmidt, Kaiser Wilhelm