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Zu den hervorragendsten Gebäuden von Gesellschaften, Vereinen und Kreditinstituten gehören: der Palast der Akademie der Wissenschaften am Universitätsplatz (1755 errichtet, ehemals Universitätsgebäude, seit 1858 seiner gegenwärtigen Bestimmung zugeführt);
das gemeinschaftliche Gebäude des Österreichischen Ingenieur- und Architektenvereins sowie des Niederösterreichischen Gewerbevereins in der Eschenbachgasse (1872 von Thienemann erbaut);
das Künstlerhaus in der Akademiestraße (1868 im Renaissancestil erbaut, später mit Anbauten versehen), mit Ausstellungsräumen für Werke der bildenden Kunst;
das adlige Kasino am Kolowratring (von Romano erbaut);
das alte Gebäude der
Nationalbank in der Herrengasse (von 1820) und das gegenüberliegende
neue Gebäude (1860 von
Ferstel im Renaissancestil in Quaderrohbau ausgeführt), mit
Figuren an der
Fassade
von
Gasser, Bronzebrunnen von
Fernkorn, großem Treppenhaus und
Saal (gegenwärtig
Lokale des Militärkasinos
);
das Gebäude der Kreditanstalt am Hof [* 2] (1860 vollendet), mit Statuen von Gasser;
das neue Börsengebäude am Schottenring (nach Plänen von Hansen und Tietz 1869-76 in reichem Material gebaut, s. Tafel), mit großen Freitreppen, Portalbauten mit frei stehenden Säulen, [* 3] weitem Vestibül, großem Börsensaal in Basilikenform (59 m lang, 40 m breit);
die neuen Gebäude der Länderbank und der Verkehrsbank;
der Bahnhof der Ferdinands-Nordbahn (1858-65 wegen des Übergangs über die Donau in hoher Lage im Rundbogenstil erbaut, mit reicher Ausstattung);
die Bahnhöfe [* 4] der Staatseisenbahn, der Südbahn (seit 1868 umgebaut), der Westlichen Staatsbahn, mit der Marmorstatue der Kaiserin Elisabeth (von Gasser) im Vestibül und schöner Skulpturgruppe auf dem Hauptportal;
die Bahnhöfe der Staatsbahnlinie Wien-Prag (1872 vollendet), der Österreichischen Nordwestbahn (1873 hergestellt) etc. Erwähnenswert sind auch mehrere Gebäude von Wohlthätigkeits- und Sanitätsanstalten und zwar: das Invalidenhaus auf der Landstraße, aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, mit zwei Schlachtenbildern von P. Krafft im großen Saal;
das Armenversorgungshaus im 9. Bezirk;
das k. k. Krankenhaus [* 5] Rudolf-Stiftung im Bezirk Landstraße (1862-65 erbaut);
die Landesirrenanstalt im Alsergrund (1848-58 erbaut).
Unter den Gebäuden für technische Zwecke sind hervorzuheben das 1836 errichtete Münzgebäude auf der Landstraße und namentlich das ausgedehnte Arsenal vor der Belvederelinie (1849-54 in Ziegelrohbau errichtet), ein Rechteck von 33 Hektar Fläche bildend. Der Umfang wird durch 16 miteinander durch Mauern verbundene Gebäude hergestellt; im Innern liegen die Geschützgießerei und andre Werkstätten, die Gewehrfabrik, das reich ausgestattete Heeresmuseum (in byzantinischem Stil von Hansen erbaut), mit einem die Statuen berühmter österreichischer Feldherren enthaltenden Vestibül und einer Ruhmeshalle zur Aufnahme der Siegestrophäen, mit Fresken und kostbarer Waffen [* 6] Ansammlung.
Von Gasthöfen sind zu erwähnen: das 1871 vollendete Grand Hotel am Kärntner Ring, das Hotel Metropole am Franz Josephs-Kai und das Hotel Imperial am Kärntner Ring (ehemals Palast des Herzogs von Württemberg) [* 7] u. a. Die Kasernen Wiens sind groß an Zahl und an Fassungsraum, stehen aber weder in baulicher noch in sanitärer Hinsicht auf der Höhe der Zeit. Erwähnenswert sind die Franz Josephs-Kaserne auf der Dominikanerbastei, eine nach dem Aufstand von 1848 auf den ehemaligen Basteien erbaute Defensionskaserne, aus zwei großen, durch das Franz Josephs-Thor verbundenen Gebäuden bestehend, die Rudolfskaserne im Alsergrund (1865-1869 erbaut), die neuen Infanteriekasernen am Rennweg.
Hervorragende Privat- und Zinshäuser aus neuerer Zeit sind namentlich das vom Kaiser Franz Joseph als Sühne für die beim Ringtheaterbrand 1881 Verunglückten erbaute Stiftungshaus am Schottenring, im gotischen Stil von Schmidt ausgeführt, mit schöner Kapelle, ferner das Warenhaus von Ph. Haas u. Söhne am Graben von van der Nüll, der schöne Heinrichshof auf der Ringstraße von Hansen, der Aziendahof am Graben von Hasenauer, das Pallavicinische Zinshaus in der Augustinerstraße von König, die Arkadenhäuser beim neuen Rathaus von Neumann u. a. Eine kurze Charakteristik der architektonischen Entwickelung Wiens seit dem vorigen Jahrhundert wurde bereits (S. 601) vorausgeschickt.
Bevölkerung.
Wien [* 8] zählte 1754 erst 175,400, 1800: 231,050, 1820: 260,224 Seelen. Sehr rasch stieg die Bevölkerungsziffer von 1820 bis 1830, auf 317,768 (jährlich um 2,2 Proz.), dann von 1840 (356,870) bis 1846 (407,980, jährlich um 2,38 Proz.). Die Zählung von 1857 ergab 476,222 Seelen, die von Ende 1869: 607,514, die von 1880: 726,105 Einw. (einschließlich der 20,703 Militärpersonen). Von 1857 bis 1869 stellt sich der Zuwachs der Bevölkerung [* 9] mit jährlich 2,3 Proz., für die Zeit von 1869 bis 1880 mit 1,5 Proz. heraus.
Ein rasches Anwachsen zeigen die zahlreichen Vororte Wiens, welche 1880 bereits 373,000 Einw. zählten. Von diesen Vororten zählten Hernals 60,307, Ottakring 49,819, Währing 40,135, Fünfhaus 39,967, Unter-Meidling 31,551, Rudolfsheim 29,915, Neulerchenfeld 25,657, Simmering 19,600, Penzing 12,885, Gaudenzdorf 12,377, Sechshaus 11,650 Einw. Gegenwärtig beträgt die Einwohnerzahl von Wien samt den Vororten über 1,300,000. Nach dem Geschlecht unterschied man bei der letzten Zählung in Wien 48,6 Proz. männliche und 51,4 weibliche Einw., nach der Konfession 620,067 Katholiken, 26,508 Protestanten, 73,222 Juden etc. Hinsichtlich der Zuständigkeit waren 1880 von der Bevölkerung 250,87 Einheimische und 475,233 Fremde.
Unter den letztern befanden sich 133,924 aus Böhmen, [* 10] 94,439 aus Niederösterreich, 85,758 aus Mähren, 66,578 aus Ungarn [* 11] etc. 27,427 waren Ausländer. Der Fremdenverkehr beziffert sich jährlich auf ca. 250,000 Personen. Die Bevölkerungsbewegung von Wien wird durch folgende Verhältniszahlen charakterisiert: es kommen durchschnittlich auf 10,000 Einw. 88 Eheschließungen, 379 Geburten (davon 361 Lebendgeburten) und 279 Sterbefälle (wovon aber nur 242 auf die Wiener Bevölkerung entfallen).
Was speziell die Sterblichkeit in Wien betrifft, so hat sich dieselbe in den letzten Jahrzehnten infolge sanitärer Maßregeln, insbesondere durch die Einführung der Hochquellenwasserleitung, nicht unwesentlich verringert. Hauptcharakterzüge der Wiener sind Frohsinn und Gutmütigkeit. Der Wiener hat ein dem Mitgefühl zugängliches Herz und fühlt sich am wohlsten, wenn er mild und gut sein kann. Bei öffentlichen Belustigungen, mögen sie noch so lärmend sein, geht es immer harmlos und jovial zu. In keiner großen Stadt wird man eher heimisch als in Wien, und ein Fremder erhält leicht Zutritt in die Gesellschaft. Der Wiener liebt Musik und Tanz, bringt seine freien Stunden gern in fröhlicher Gesellschaft, in Wirts- und Kaffeehäusern zu, besucht Theater, [* 12] Volkssänger und andre Vorstellungen; über alles geht ihm aber der Naturgenuß, den die herrliche Umgebung bietet. Die ¶
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Schönheit der Wiener Frauen, welche sich in den verschiedensten Typen kundgibt, genießt einen wohlverdienten Ruf. Auch wissen sich die Wienerinnen sehr geschmackvoll zu kleiden. In der Musik hat Wien nicht nur in Österreich, [* 14] sondern darüber hinaus überragende Bedeutung.
Industrie und Handel.
Wien ist die erste Industriestadt der Monarchie. Die Großindustrie ist allerdings infolge der hohen Löhne und Mietzinse sowie der durch die Verzehrungssteuer verursachten Verteurung vieler für die Fabrikproduktion wichtiger Artikel mehr und mehr genötigt worden, den eigentlichen mechanischen Betrieb in vielen Branchen in die Vororte und auf das Land zu verlegen, wogegen die geschäftliche Leitung sowie auch die Appretur zur marktgängigen Ware in Wien verblieb.
Der kleingewerbsmäßige Betrieb dagegen wurde durch dieselben Verhältnisse sowie durch die Konkurrenz der fabrikmäßigen Massenproduktion veranlaßt, seine Thätigkeit mehr den lohnendern Luxusartikeln und dem Gebiet des Kunstgewerbes zuzuwenden. Hierin besteht hauptsächlich die Stärke [* 15] der Wiener Industrie. Was die einzelnen Industriezweige betrifft, so sind hauptsächlich folgende in Wien (samt den Vororten) vertreten: die Maschinenfabrikation (sie beschäftigt gegenwärtig etwa 80 Unternehmungen mit 8500 Arbeitern);
die Fabrikation von Transportmitteln (und zwar Eisenbahnwagen und Luxuswagen);
die Werkzeugindustrie;
die Erzeugung von chirurgischen sowie mathematischen, physikalischen und optischen Instrumenten;
die Erzeugung von Musikinstrumenten und zwar Blasinstrumenten von Holz [* 16] (namentlich Flöten und Klarinetten) und Metall, Streichinstrumenten, Zithern, Klavieren (108 Unternehmungen, jedoch meist ohne Maschinenbetrieb), Hand- oder Zugharmoniken und Mundharmoniken;
die Erzeugung von Eisenwaren, insbesondere feuerfesten Geldschränken, eisernen Möbeln, Waffen und Kriegsmaterial;
die Erzeugung von Bronzewaren (245 Etablissements mit 680 Arbeitern), namentlich in Beleuchtungsgegenständen, Uhr- und Kamingarnituren hervorragend;
ferner die Fabrikation von Zinkwaren, Pakfong- und Chinasilberwaren, Lampen [* 17] und verschiedenen Metalllegierungen (erwähnenswert namentlich zwei Kunstgießereien für größere plastische Werke);
die Erzeugung von Gold-, Silber- und Juwelenarbeiten (660 Unternehmungen mit 2500 Arbeitern, sehr bedeutende Produktion in allen Artikeln, namentlich Ketten, Ringen, emailliertem Silberschmuck, Rokokowaren und Juwelierarbeiten);
die Anfertigung von Stock- und Pendeluhren;
die Fabrikation von Ziegeln und Terrakotten [* 18] (in der Umgebung von Wien fabrikmäßige Etablissements von bedeutendem Umfang, welche außer Ziegeln architektonische Verzierungen und Figuren aus Terrakotta liefern);
die Porzellan- und Glasmalerei; [* 19]
die chemische Industrie (größere Fabriken in der Umgebung);
die Erzeugung von Stearinkerzen und Seifen (mit bedeutendem Export), Fetten, Ölen, Parfümerie- und Zündwaren;
die Gaserzeugung (zwei Gesellschaften);
die Unternehmungen für elektrische Beleuchtung [* 20] (Ende 1887 gab es in Wien 80 mit Elektrizität [* 21] beleuchtete Anlagen);
die Petroleumraffinerie;
die Fabrikation von Lack und Firnis;
die Bierbrauerei [* 22] (in Wien und Umgebung bestehen die größten Brauereietablissements der Monarchie, darunter die zu Schwechat, St. Marx, Liesing, Hütteldorf, Ottakring, Nußdorf, Brunn, Simmering, Schellenhof, mit einer Jahresproduktion von je 1-450,000 hl);
die Fabrikation von Spiritus, [* 23] Likör und Preßhefe;
die Erzeugung von moussierenden Getränken, Brot, [* 24] Luxusgebäck und Konditorwaren;
die Fabrikation von Tabak [* 25] und Zigarren (zwei ärarische Fabriken mit zusammen über 1000 Arbeitern);
die Seidenweberei und Bandfabrikation;
die Fabrikation von Schafwollwaren;
die Produktion von Baumwollwaren, namentlich Weißwaren;
die Jutespinnerei und -Weberei;
die Erzeugung von Posamentierwaren, Shawls, Teppichen und Möbelstoffen, Decken, Tüll und Vorhängen, Maschinenspitzen, Kunststickereien, feinen Wirkwaren, Gummiwebwaren, Wachstuch, Miedern, Wäsche, Halsbinden, Sonnen- u. Regenschirmen, künstlichen Blumen, Schmuckfedern;
die Fabrikation von Herrenkleidern (bedeutender Export, namentlich nach dem Orient), dann von Damenkleidern;
die Lederwarenindustrie, insbesondere Erzeugung von Schuhwaren (großer Export, besonders in feinen Damenschuhen), Ledergalanteriewaren, Handschuhen (in Lammleder, 210 Unternehmungen mit ca. 6000 Arbeitskräften), Taschner-, Riemer- und Sattlerarbeiten;
die Filz- und Strohhuterzeugung;
die Fabrikation von Papier und Papierwaren, als: Spielkarten, Kartonagen, Eisenbahnfahrkarten, Briefkouverte, Luxus- und Phantasiepapiere, Buntpapier, Papiertapeten und Buchbinderarbeiten;
die Möbelindustrie (40 größere und 2000 kleinere Unternehmungen für verschiedene Tischlerwaren mit mehr als 10,000 Arbeitern);
die Herstellung von Tapezier- und Dekorateurarbeiten;
die Erzeugung von Holzgalanteriewaren, Fächern (bedeutender Export, Beschäftigung von gegen 4000 Personen), Drechslerwaren, namentlich Meerschaum- und Bernsteinarbeiten, Pfeifen und Pfeifenrohren, insbesondere aus Weichselholz, Stöcken, Knöpfen aus Perlmutter und andern Materialien (im ganzen 1700 Unternehmungen für Drechslerwaren mit über 11,000 Hilfsarbeitern), die Buch- und Steindruckerei (große Etablissements, zusammen 110; darunter als hervorragendstes Institut die Hof- und Staatsdruckerei; dann 130 Steindruckereien);
die Photographie (116 Unternehmungen);
endlich die Chromolithographie.
Die Zahl der in Wien vorhandenen Gewerbebetriebe belief sich 1888 auf 54,400, darunter 28,557 industrielle, 21,847 Handels-, 3566 Verkehrs- und Versicherungsunternehmungen. Kraftmaschinen standen nach der letzten Erhebung für 1880 in Wien und Umgebung 493 mit 6243 Pferdekräften in Thätigkeit. Der Jahreswert der industriellen Produktion wird auf mehr als 300 Mill. Guld. veranschlagt.
In noch viel höherm Maß als in Bezug auf die Industrie bildet Wien in Bezug auf den Handel das wirtschaftliche Zentrum Österreichs. Die Hauptgegenstände des Handels sind: Getreide [* 26] und Mehl, [* 27] Wein, Sämereien, Vieh, Kaffee, Thee, Südfrüchte, Brenn- und Werkholz, Steinkohlen, Eisen- und Metallwaren, Öl, Petroleum, Chemikalien und Farbewaren, Schweineschmalz, Zucker, [* 28] Spiritus, Heringe, Seide, [* 29] Schafwolle, Baumwolle, [* 30] Garne, Web- und Wirkwaren, Wäsche und Weißwaren, Kleider, Häute und Felle, Leder, Gerbstoffe, Schuhwaren, Handschuhe und verschiedene Lederwaren, Papier, Möbel, [* 31] Drechslerwaren, Spiel- u. Kurzwaren, Bücher, Kunstartikel.
Der Konsum von Wien umfaßte im J. 1888 folgende Quantitäten. An Vieh wurden aufgetrieben 252,527 Rinder, [* 32] 188,018 Kälber, 53,354 Lämmer, 304,249 Schafe [* 33] und 558,249 Schweine. [* 34] Außerdem wurde konsumiert: frisches Fleisch 189,172 metr. Ztr., Geflügel 2,300,000 Stück, Hasen 201,284 Stück, Federwild 154,000 Stück, Fische [* 35] 12,800 metr. Ztr., frisches Obst 252,000 metr. Ztr., Mehl, Kartoffeln, Grieß, Stärke 536,000 metr. Ztr., Brot und Bäckerwaren 177,000 ¶