mehr
Musiker.
14) Wilhelm Richard, Dichter, Komponist und Musikschriftsteller, geb. zu Leipzig, [* 2] gest. in Venedig, [* 3] war der Sohn eines Leipziger Polizeiaktuars; seine erste künstlerische Anregung erhielt er in Dresden, [* 4] wohin seine Familie nach dem bereits fünf Monate nach Wagners Geburt erfolgten Tode des Vaters und der Wiederverheiratung seiner Mutter mit dem Dresdener Hofschauspieler Ludwig Geyer übergesiedelt war. Dem technischen Musikstudium wenig zugeneigt, um so eifriger aber den Wissenschaften ergeben, errang er schon im elften Jahr als Zögling der Kreuzschule einen ersten Dichtererfolg, indem bei einer Konkurrenz das von ihm auf den Tod eines seiner Mitschüler verfaßte Gedicht als das beste erkannt und demgemäß gedruckt wurde.
Gleichzeitig empfing er auch einen tiefen musikalischen Eindruck durch Webers damals soeben in die Öffentlichkeit gelangten »Freischütz«; noch mächtiger aber wirkten auf ihn die Symphonien Beethovens, mit denen er in den Gewandhauskonzerten zu Leipzig bekannt wurde, wohin seine Familie, nachdem 1820 auch sein Stiefvater gestorben, zurückgekehrt war. Nunmehr gab er seinen frühern Plan, »Dichter zu werden«, auf und beschloß, sich der Musik zu widmen, was ihn jedoch nicht hinderte, seine wissenschaftlichen Studien, erst an der Leipziger Nikolaischule, dann an der dortigen Universität, wo er mit Eifer philosophische und ästhetische Collegia hörte, zum Abschluß zu bringen. Mittlerweile hatte er auch unter Leitung des Thomaskantors Weinlig gründliche Studien im Kontrapunkt gemacht und als Früchte derselben eine Sonate und eine Polonäse für Klavier veröffentlicht (erschienen bei Breitkopf u. Härtel als Op. 1 und Op. 2) sowie 1833 eine Symphonie und eine Konzertouvertüre mit Fuge im Gewandhauskonzert unter Beifall zur Aufführung gebracht. Im Mai desselben Jahrs führte ihn der immer lebhafter werdende Wunsch, sich als Musiker praktisch zu bethätigen, nach Würzburg, [* 5] wo sein älterer Bruder, Albert, als Opernsänger und Regisseur wirkte; hier entstand, während er sich als Chordirektor für die Theaterlaufbahn bildete, seine erste Oper: »Die Feen«, deren Text er nach Gozzis »La donna serpente« selbst verfaßt hatte.
Seine Bemühungen, dies Werk in Leipzig, wohin er im folgenden Jahr zurückgekehrt war, zur Aufführung zu bringen, blieben erfolglos (die Oper kam nach Wagners Tod 1888 in München [* 6] auf die Bühne),
und nicht viel besser ging es seiner zweiten Oper, dem nach Shakespeares »Maß für Maß« von ihm bearbeiteten »Liebesverbot«, welche in Magdeburg, [* 7] wo Wagner von 1834 bis 1836 als Theaterkapellmeister fungierte, zwar zur Aufführung kam, der vorgerückten Saison wegen und in Ermangelung geeigneter Kräfte jedoch nicht zu voller Wirkung gelangen konnte. Im Januar 1837 begab er sich als Theaterkapellmeister nach Königsberg [* 8] (wo er sich mit der Schauspielerin Minna Planer verheiratete), vertauschte jedoch diese Stelle noch Ende des Jahrs mit der gleichen in Riga. [* 9]
Inzwischen aber war ihm die Unmöglichkeit klar geworden
, mit den beschränkten
Mitteln eines
Theaters zweiten
Ranges seine
künstlerischen
Intentionen zu verwirklichen; der
Gedanke, an der
Großen
Oper zu
Paris
[* 10] einen Wirkungskreis
zu finden, ließ ihm keine
Ruhe, und da er in dem während seines
Rigaer Aufenthalts entworfenen
»Rienzi« (nach
Bulwers gleichnamigem
Roman) einen für
Paris geeigneten
Stoff gefunden zu haben glaubte, so begab er sich im
Sommer 1839 aufs Geratewohl zur
See
über
London
[* 11] nach der französischen Hauptstadt.
Aber auch hier wurden
seine Erwartungen nicht erfüllt; ungeachtet der Verwendung
Meyerbeers vermochte er weder den 1840 vollendeten
»Rienzi« noch auch den im folgenden Jahr vollendeten
»Fliegenden
Holländer« auf die
Bühne zu bringen, und bald sah er, von
allen Subsistenzmitteln entblößt, sich genötigt, durch schriftstellerische
Arbeiten für Musikzeitungen
und durch
Arrangements von gangbarer Opernmusik sein
Leben zu fristen. Die
Bitterkeit, die sich infolge der wiederholten Täuschungen
seiner bemächtigt hatte, fand ihren
Ausdruck in der damals entstandenen
Ouvertüre zu
Goethes
»Faust«, beiläufig die erste
Arbeit Wagners, in welcher er sich durchaus selbständig zeigt. Da traf ihn im Frühjahr 1842 die
Nachricht, daß sein
»Rienzi« in
Dresden und sein
»Holländer" in
Berlin
[* 12] zur Aufführung angenommen seien, und veranlaßte ihn,
nach
Deutschland
[* 13] zurückzukehren. In
Dresden angelangt, war er
Zeuge des glänzenden
Erfolgs seines
»Rienzi« und
sah auch unmittelbar darauf, nachdem auch der
»Holländer« mit gleichem Erfolg zur Aufführung gekommen
war (nicht in
Berlin, sondern ebenfalls in
Dresden, durch die Ernennung zum Hofkapellmeister seine materielle
Lage
gesichert.
Mit der Zeit stellten sich allerdings auch in
Dresden der Verwirklichung seiner künstlerischen
Ideale Hindernisse entgegen,
welche ihm schon die Aufführung seines
»Tannhäuser« (1845) erschwerten, die des im
Winter 1847/48 vollendeten
»Lohengrin« sogar unmöglich machten, und bei der fast gänzlichen Erfolglosigkeit seines
Kampfes gegen jene Hindernisse ist
es nicht zu verwundern, daß ihn das Jahr 1848 in den
Reihen der Mißvergnügten fand. Obwohl er sich mit seinen Reformplänen
nicht vom
künstlerischen
Boden entfernte (die
Natur derselben erhellt aus seinem dem sächsischen
Kultusministerium
vorgelegten
»Entwurf zur
Organisation eines deutschen
Nationaltheaters«, abgedruckt in Wagners »Gesammelten
Schriften und
Dichtungen«,
Bd. 2, S. 307), so sah er sich doch nach den Wirren der Maitage 1849 durch
seine
Teilnahme an der revolutionären
Bewegung derart kompromittiert, daß er
Dresden verließ und erst
nach
Weimar,
[* 14] dann nach
Paris, endlich aber, nachdem ein ihm nachgesandter (noch im Jahr 1853 erneuerter)
Steckbrief ihm jede
Hoffnung der Rückkehr benommen, nach Zürich
[* 15] flüchtete.
Hier, zum zweitenmal dem für sein praktisches Kunstschaffen durchaus nötigen Heimatsboden entrückt, fühlte er sich zunächst gedrungen, auf theoretischem Weg zur völligen Klärung seiner künstlerischen Anschauungen zu gelangen und sich selbst sowie den ihm Gleichgesinnten über die Ursachen und Ziele seiner künstlerischen Thätigkeit Rechenschaft abzulegen. In den um diese Zeit entstandenen Schriften: »Die Kunst und die Revolution« (1849),
»Das Kunstwerk der Zukunft« (1850) und »Oper und Drama« (1851, sämtlich im 3. Bande der »Gesammelten Schriften«) entwickelte er mit derselben Entschiedenheit und Klarheit, welche seinen ersten schriftstellerischen Versuch, die bereits 1834 in der »Zeitung für die elegante Welt« veröffentlichten Aufsätze über die deutsche Oper kennzeichnen, seine Ansichten über die Ursachen des Verfalls der Kunst und die Mittel zu ihrer Hebung. [* 16] Jene Ursachen aber findet er in der mit dem Untergang der antiken Kunst eingetretenen Trennung der Einzelkünste, deren Wiedervereinigung zu einem gemeinsamen Zweck und zwar in der einzig dazu geeigneten Kunstform, dem Musikdrama, das Kunstwerk der Zukunft ins Leben zu rufen bestimmt ist. Außer diesen Schriften, welche zunächst nur die ¶
mehr
Aufmerksamkeit der litterarischen Kreise [* 18] erregten, veröffentlichte Wagner noch während seines Schweizer Aufenthalts seine Dichtung »Der Ring des Nibelungen« (1853; im 5. Bd. der »Schriften«),
welche selbstverständlich um diese Zeit ebenfalls nur einen kleinen Leserkreis fand. Inzwischen aber hatten seine Bühnenwerke, besonders nachdem unter Liszts Leitung der »Lohengrin« in Weimar zum erstenmal zur Darstellung gekommen war, die Aufmerksamkeit des deutschen Publikums in hohem Grad erregt und ihn zu erneuter Thätigkeit auf diesem Gebiet angespornt. Dem Drang, die auf dem Weg der Betrachtung gewonnenen Ergebnisse praktisch zu verwerten und die von seiten der Kritik (unter andern durch Otto Jahn in seinem 1854 in den Leipziger »Grenzboten« erschienenen Aufsatz über den »Lohengrin«) erhobenen Bedenken gegen sein System durch die That zu widerlegen, dankt das 1859 vollendete Musikdrama »Tristan und Isolde« seine Entstehung, in welchem der Bruch mit der bisherigen Opernform bis zu seinen letzten Konsequenzen durchgeführt ist.
Auch als Dirigent trat er nunmehr wieder in die Öffentlichkeit, zuerst 1855 in London auf Einladung der
alten Philharmonischen Gesellschaft, dann 1860 in Paris, wo er eine Reihe von glänzenden
Konzerten im Italienischen Theater
[* 19] veranstaltete.
Sein Wunsch, den »Tristan« auf die Bühne zu bringen, sollte freilich sobald noch nicht erfüllt werden, am wenigsten
in Paris, dessen Publikum sogar den ungleich verständlichen »Tannhäuser« bei seinem Erscheinen in der Großen Oper (1861) in
rücksichtslosester Weise ablehnte; aber auch in Wien
[* 20] wurde sein Lieblingswerk, nachdem man ihm dort das eifrigste Studium gewidmet,
als unausführbar zurückgelegt, und eine in Karlsruhe
[* 21] geplante Aufführung des »Tristan« mußte aus demselben
Grund unterbleiben.
So lagen die Verhältnisse, als 1864 König Ludwig II. den bayrischen Thron
[* 22] bestieg und den Meister, mit dessen Werken er bereits
im frühen Jünglingsalter vertraut geworden
war, nach München berief, um ihm hier die Ausführung seiner künstlerischen
Reformpläne zu ermöglichen. Schon im folgenden Jahr gelangte endlich »Tristan und Isolde« (unter Mitwirkung
des Schnorrschen Ehepaars in den Titelrollen und unter Leitung Hans v. Bülows) zur Darstellung
und bald darauf erfolgte die Eröffnung der Musikschule, zu welcher Wagner in einem »Bericht an S. M. den König von Bayern [* 23] über eine in München zu errichtende deutsche Musikschule« (»Schriften«, Bd. 8) den Plan angegeben. Zwar wurden alle diese Arbeiten nur zu bald durch die Intrigen einer Gegenpartei unterbrochen, denen Wagner schon Ende 1865 weichen mußte, um abermals in der Schweiz, [* 24] diesmal in der Villa Triebschen bei Luzern, [* 25] eine Zufluchtstätte zu finden;
doch haben die spätern hervorragenden Momente in Wagners Künstlerlaufbahn bewiesen, daß dieselbe durch jene Umtriebe nur vorübergehend unterbrochen werden konnte;
es sind dieses die Aufführung seiner in Triebschen vollendeten, dem Entwurf nach jedoch noch aus den 40er Jahren datierenden »Meistersinger von Nürnberg« [* 26] zu München welcher Wagner in der königlichen Loge an der Seite des Königs beiwohnte;
ferner die Grundsteinlegung des Festspieltheaters in Baireuth [* 27] (1872) und Wagners Übersiedelung nach dieser Stadt, nachdem 1866 seine von ihm getrennt lebende Gattin gestorben war und er 1870 eine zweite Ehe mit einer Tochter Franz Liszts (Cosima v. Bülow) geschlossen hatte;
endlich das größte und erhebendste Ereignis seines Künstlerlebens: die dreimalige Darstellung der Festspieltrilogie »Der Ring des Nibelungen«, die zu Baireuth in Anwesenheit des deutschen Kaisers sowie des Königs von Bayern und andrer deutscher Fürsten, in Gegenwart eines Publikums von Künstlern und Schriftstellern, von Aristokraten des Geistes und der Geburt erfolgte.
Daß die materiellen Erfolge dieser Aufführungen trotz der Munifizenz des Kaisers wie des Königs von Bayern, trotz der Opferwilligkeit aller Freunde der Wagnerschen Kunst hinter den künstlerischen zurückblieben, erklärt sich durch die Neuheit und Kühnheit des Unternehmens. Wagners Bemühungen, das finanzielle Defizit durch Veranstaltung von Konzerten, in denen er seine Kompositionen dirigierte, zu decken, füllten seine nächsten Lebensjahre in einer für ihn unerfreulichen Weise aus.
Auch das Scheitern seines Plans, in Baireuth eine »Stilbildungsschule« zu begründen, aus welcher die zukünftigen
Darsteller und Dirigenten des Festspieltheaters hervorgehen sollten, sowie der anfangs geringe Erfolg der Monatsschrift »Baireuther
Blätter«, die er 1878 als eine Art Ersatz dafür ins Leben rief, drückten seine an die Aufführung des
»Nibelungenringes« geknüpften Hoffnungen stark danieder. Nichtsdestoweniger ging er mit ungebrochener Kraft
[* 28] an die Komposition
eines neuen großen Werkes, des als Dichtung schon 1877 erschienenen »Parsifal«, eines »Bühnenweihfestspiels«, wie er es nannte,
bestimmt, seine schöpferische Thätigkeit krönend abzuschließen. Dies 1882 während eines Aufenthalts in
Palermo
[* 29] vollendete und in demselben Jahr im Festspielhaus zu Baireuth vom
25. Juli an 16mal aufgeführte Werk, welches im wesentlichen
das Mysterium des christlichen Glaubens zur Anschauung bringt, sollte sein Schwanengesang werden, denn schon im folgenden Jahr
ereilte ihn in Venedig, wo er für sein schon längere Zeit durch Atmungsbeschwerden und
Gesichtsrose gestörtes Befinden Heilung gesucht, ein plötzlicher Tod.
Seine Leiche wurde nach Baireuth gebracht und, nachdem ihr bereits auf dem Weg dahin fürstliche Ehren erwiesen waren, unter Teilnahme der von nah und fern herbeigeeilten Freunde des Meisters im Garten [* 30] seines Hauses »Wahnfried« an der schon lange zuvor von ihm selbst dafür bestimmten Stelle beerdigt. Der Geist aber, den er geweckt, wirkte in den folgenden Jahren mit wachsender Kraft weiter durch Vermittelung namentlich der Wagner-Vereine, welche sich 1871 in einer Menge von Städten Deutschlands [* 31] und des Auslandes gebildet hatten, um die Aufführung der Nibelungentrilogie zu ermöglichen, und nun nach Wagners Tode die Aufgabe übernahmen, sein künstlerisches Vermächtnis rein und unvermindert dem folgenden Geschlecht zu erhalten.
In den genannten dramatischen Werken folgt Wagner der Hauptsache nach den bereits von Gluck (s. d.) in der Vorrede zu seiner »Alceste« aufgestellten Grundsätzen, wie denn überhaupt seine künstlerische Tendenz eine wesentlich konservative ist, insofern er das Übergewicht, welches in der modernen Oper die Musik über die Dichtung erlangt hat, beschränkt und die Herrschaft der letztern, wie sie zweifellos in der antiken Tragödie bestanden, wiederhergestellt wissen will. Nur durch einheitliches Zusammenwirken der Poesie mit den übrigen Künsten kann das Musikdrama zu seiner vollen und unmittelbaren Wirkung gelangen, und um dieselbe zu erreichen, ist es nötig, daß jede der Einzelkünste einen Teil ihrer im Lauf der Zeit gewonnenen Selbständigkeit opfere: die Wortsprache ¶