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Satire auf den
Regenten verdächtig, mußte er in die
Bastille wandern (1717), wo er während seiner elfmonatlichen Gefangenschaft
die
»Henriade« entwarf und die
Tragödie »Oedipe« vollendete. Die begeisterte
Aufnahme dieses
Stücks bei der Aufführung (1718)
söhnte ihn mit seinem
Vater aus; hier signiert er auch zum erstenmal mit »Voltaire«
, dem
Anagramm von Arouet l. j. (le jeune). Die unvorsichtige
Teilnahme an einer Hofintrige hatte bald darauf seine
Ausweisung aus
Paris
[* 2] zur
Folge. Er kam indessen 1721 zurück, um seine
Tragödie »Artémire« aufführen zu lassen, welche jedoch durchfiel.
Nach dem
Tod seines
Vaters machte er eine
Reise nach
Holland mit
Frau v.
Rupelmonde, kehrte aber 1724 nach
Paris zurück und brachte seine
Tragödie
»Marianne« zur Aufführung, ebenfalls mit ungünstigem Erfolg. Ein Streit mit dem
Chevalier von
Rohan-Chabot, der ihn durch seinen Bedienten prügeln ließ, und den er zum
Zweikampf forderte, brachte ihn 1726 zum
zweitenmal in die
Bastille. Nach einigen
Wochen erhielt er seine
Freiheit wieder, zugleich aber den gemessenen
Befehl, das
Königreich zu verlassen. Voltaire
wählte
England zu seinem Aufenthaltsort (1726-29), studierte eifrigst die Litteratur,
Philosophie, Geschichte und
Politik des
Landes und begeisterte sich für
Shakespeare.
Hier besorgte er auch die erste echte Ausgabe seiner »Henriade«, die ohne sein Wissen unter dem Titel: »La Ligue« gedruckt worden war, und wodurch er den Grund zu seinem bedeutenden Vermögen legte, schrieb das Leben Karls XII. und die Tragödie »Brutus«, den Versuch über die epische Poesie und die philosophischen oder englischen Briefe, durch welche er seine Landsleute mit den neuesten Resultaten der englischen Forschung und philosophischen Spekulation vertraut machte.
Auf Verwendung seiner Freunde kehrte er 1729 nach Paris zurück, wo er eine Zeitlang in einer entfernten Vorstadt in Zurückgezogenheit lebte, mit Entwürfen zu neuen Werken und mit glücklichen Handelsspekulationen beschäftigt. Wegen einiger Verse auf den Tod der Schauspielerin Lecouvreur, der die Geistlichkeit ein ehrliches Begräbnis verweigerte, fand er für geraten, eine Zeitlang unter fremdem Namen in Rouen [* 3] zu leben, wo er seine »Histoire de Charles XII« und die »Lettres philosophiques« heimlich drucken ließ.
Die letztern wurden 1734 durch Henkershand verbrannt. Von mehreren Tragödien, »Zaïre« (1732),
»Eriphyle« (1732),
»Adelaïde Duguesclin« (1734),
die er damals schrieb, machte nur die erstgenannte
Glück; auch
»Brutus« (1731) war
nur kühl aufgenommen worden. Das Gedicht »Le
[* 4] temple du goût« (1733),
worin der Dichter die gepriesensten Schriftsteller seiner Zeit schonungslos beurteilte, machte großen Lärm und verschloß
ihm die
Pforten der
Akademie.
Um den allenthalben losbrechenden
Angriffen zu entgehen, begab sich Voltaire
mit
seiner gelehrten Geliebten, der
Marquise
du Châtelet, auf deren
Landgut
Cirey in
Lothringen, wo er mit einigen
Unterbrechungen 15 Jahre
blieb.
Hier entstanden die »Éléments de la philosophie de Newton« und in Gemeinschaft mit der Marquise eine physikalische Abhandlung über das Feuer, welche die Akademie der Wissenschaften in ihre Sammlung aufnahm; außerdem die berüchtigte »Pucelle d'Orléans«, dann die Tragödien: »Alzire« (1736),
»Zulime« (1740),
»Mahomet« (1741),
»Mérope« (1743),
das
Lustspiel
»L'enfant prodigue«, die
»Discours sur l'homme« und viele andre, auch ließ er seine
Tragödie »La mort de
César« (1735), deren
öffentliche Aufführung verboten wurde, auf einer Privatbühne in
Szene gehen. Unterdessen war Voltaires
Ruhm ein europäischer
geworden. Der
Kronprinz von
Preußen
[* 5]
(Friedrich II.) schrieb Voltaire
die schmeichelhaftesten
Briefe und lud
ihn zu einer Zusammenkunft ein, ja selbst
Papst
Benedikt XIV. genehmigte die
Dedikation des (in
Frankreich nicht zur Aufführung
zugelassenen) »Mahomet« und segnete den Verfasser. 1746 verschafften ihm
ein
Singspiel: »La princesse de Navarre«, zur
Feier der Vermählung des
Dauphins den langersehnten Sitz
in der
Akademie und das
Amt eines Historiographen.
Doch Eifersucht gegen Crébillon und Ärger über die Hofintrigen gegen ihn veranlaßten ihn, mit der Marquise du Châtelet nach Cirey zurückzugehen, von wo aus er häufige Besuche an dem Hof [* 6] des Königs Stanislaus zu Lunéville abstattete, und wo er seine Tragödien: »Sémiramis«, »Rome sauvée« und »Oreste« (1750),
bestimmt, den
Ruhm seines
Rivalen
Crébillon zu vernichten,
und sein
Lustspiel »Nanine« vollendete. Nach dem
Tode der
du Châtelet (1749) begab sich Voltaire
auf die wiederholten Einladungen
Friedrichs II. 1750 nach
Berlin,
[* 7] wo er eine
Wohnung im
Schloß, den
Orden
[* 8]
pour le mérite, den Kammerherrnschlüssel
und 20,000
Livres
Gehalt erhielt. Eifersüchteleien und Zwischenträgereien der andern
Franzosen, Streitigkeiten mit
Maupertuis,
dem
Präsidenten der
Berliner
[* 9]
Akademie, seine eitle, spottsüchtige, habgierige
Natur störten jedoch bald sein gutes
Verhältnis
zum König; und als dieser seine Spottschrift gegen
Maupertuis:
»Diatribe du docteur Akakia« (1752) öffentlich
verbrennen ließ, bat Voltaire
um seine Entlassung, mußte sich aber auf der Rückreise 1753 in
Frankfurt
[* 10] eine ziemlich gewaltthätige
Untersuchung seines
Gepäcks nach den Gedichten
Friedrichs gefallen lassen.
Diese Behandlung hat Voltaire
dem König trotz ihrer Aussöhnung und des fortgesetzten Briefwechsels
nie vollständig verziehen.
Sein
Berliner Aufenthalt war aber nicht unfruchtbar gewesen. Er hatte sein berühmtes Werk
»Siècle
de
Louis XIV« (Berl. 1752, 2 Bde.)
vollendet, seine
Studien zu einer Universalgeschichte begonnen, die er nachher veröffentlichte in dem »Essai
sur l'histoire universelle«
(Dresd. 1754 bis 1758, 6 Bde.),
und mehrere Tragödien geschrieben (»Amélie, ou le duc de Foix« u. a.),
besonders aber das dem König gewidmete »Poème sur la loi naturelle« (1752, 1756), welches wiederum von dem Pariser Parlament zur Verbrennung verurteilt wurde. Da ihm der Aufenthalt in Paris noch immer verboten war, blieb er ein Jahr in Kolmar, [* 11] ging dann nach Lyon [* 12] und Genf, [* 13] hielt es aber endlich für das Klügste, sich in der Schweiz [* 14] niederzulassen. Zuerst kaufte er einige Häuser in und vor Lausanne [* 15] und ein Landgut bei Genf, »Les Délices«, dann die Herrschaften Tourney und Ferney in dem französischen Grenzländchen Gex.
Hier verlebte der
Patriarch von
Ferney, wie er sich gern nennen hörte, die letzten 20 Jahre seines
Lebens,
umgeben von fürstlichem
Luxus und im
Genuß einer
Rente von 140,000
Livres. Er erhob den armen
Flecken nach und nach zur wohlhabenden
Stadt, baute eine
Kirche mit der
Inschrift:
»Deo erexit Voltaire«
und erwarb sich um die ganze Umgegend große
Verdienste. Unerschrocken trat er als
Hort und Verteidiger aller unschuldig Verfolgten auf und brachte es beispielsweise durch
seine rastlosen Bemühungen dahin, daß der
Prozeß des unschuldig hingerichteten
Calas wieder aufgenommen und die unglückliche
Familie der
Armut und Schmach entzogen wurde. Dabei entwickelte er eine ungemeine litterarische Thätigkeit. Zunächst lieferte
er zahlreiche
Artikel für die »Encyclopédie«. Als die wichtigsten seiner
Schriften in dieser
Epoche sind
sodann
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hervorzuheben: »Essai sur les mœurs et l'esprit des nations« (1756; deutsch von Wachsmuth, Leipz. 1867, 6 Bde.);
»Candide« (1758);
der Roman »Histoire de Russie sous Pierre I« (1759);
»Idées républicaines« (1762);
»Sur la tolérance« und »Catéchisme de l'honnête homme« (1763);
»Contes de G. Vadé«;
»Commentaire sur Corneille«;
das »Dictionnaire philosophique« (1764);
mehrere Tragödien (darunter »Agathocle«, »Tancrède«, »Socrate«, »Irène«),
Oden und eine Übersetzung des »Cäsar« von Shakespeare (1764);
»Pyrrhonisme de l'histoire« (1765);
»La Bible enfin expliquée« (1776) etc. Im Februar 1778 besuchte der Vierundachtzigjährige noch einmal Paris, wo er mit Ehrenbezeigungen überhäuft wurde, aber, vielleicht infolge der dadurch veranlaßten Aufregung, in eine Krankheit verfiel und starb.
Die Geistlichkeit in Paris verweigerte ihm ein kirchliches Begräbnis, und der Abbé Mignot, der ihn in der Abtei von Scellières beigesetzt hatte, ward sogar bestraft. 1791 wurden seine Gebeine auf Volksbeschluß im Panthéon beigesetzt. Die 100jährige Wiederkehr seines Todestags wurde 1878 in Paris mit Pomp und in zahlreichen Festschriften gefeiert.