Dorf im Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt, Landratsamt Rudolstadt, an der Saale, bekannt durch den Aufenthalt
Schillers 1788, hat eine evang. Kirche, eine große Porzellanfabrik, eine Porzellanmalereianstalt, eine Mahl-, Schneide- u. Gipsmühle
und (1885) 955 Einw.
ein Nebentheater in großen Städten, das mehr für die Sphäre der niedern Stände
berechnet ist und deren Begriffen angemessene Stücke gibt. Seit der 1869 eingetretenen Gewerbefreiheit haben die Volkstheater eine schrankenlose
Erweiterung erfahren; sie haben zum Teil selbst das klassische Repertoire mit Glück in ihren Bereich gezogen, im allgemeinen
aber sich auf eine Spezialität: Operette oder Posse, geworfen. Infolge einseitiger Bevorzugung der letztern
Gattung trat schnell ein allgemeiner Verfall der Volkstheater ein, und es machten sich dem gegenüber Bestrebungen geltend, welche das
Volkstheater zu einer wirklichen Bildungsstätte für die unbemittelten Klassen des Volkes machen und das Volkstheater der geschäftlichen Ausbeutung
von Theaterunternehmern entziehen wollen.
Diese Bestrebungen fanden eine lebhafte Förderung durch die volksmäßig organisierten und von Dilettanten unternommenen Lutherspiele
von Herrig, Devrient, Henzen und Trümpelmann und durch lokale Festspiele (der Meistertrunk in Rothenburg a. T., Hutten-Sickingen-Spiel
von Bungert in Kreuznach) sowie durch Versuche, wirkliche Volkstheater zu gründen, von denen bis jetzt (1889) zwei
ins Leben getreten sind: das von March in Berlin erbaute Volks- und Festtheater in Worms und das im September 1889 eröffnete in
Wien (geleitet von E. v. Bukovics). Ein »Verein zur Begründung deutscher Volksbühnen« besteht seit 1889 in Berlin.
Vgl. Herrig,
Luxustheater und Volksbühne (Berl. 1886);
Schoen, Ein städtisches Volkstheater und Festhaus in Worms (Worms 1887).
(Volksrepräsentation), die Stellvertretung des gesamten Volkes durch hierzu berufene Vertreter (Abgeordnete,
Deputierte, Landstände, Mandatare, Repräsentanten, Landtag, Gesetzgebender Körper), durch welche die Regierten das
Recht der Mitwirkung ausüben, welches ihnen der Regierung gegenüber in Ansehung wichtiger Regierungshandlungen, namentlich
bezüglich der Gesetzgebung, zusteht. Die Volksvertretung der modernen Repräsentativverfassung (Repräsentativsystem) in der konstitutionellen
Monarchie unterscheidet sich von dem ständischen System, welches früher verbreitet war, dadurch, daß nach letzterm nur Vertreter
gewisser Stände (»Landstände«),
und zwar meistens nur mit beratender Stimme, von der Regierung zugezogen
wurden (landständisches System), während die Volksvertretung im Sinn und nach den Bestimmungen der neuern Verfassungsurkunden eine Vertretung
des Volkes in seiner Gesamtheit bezweckt, so daß die Abgeordneten keineswegs
nur als Vertreter ihres Standes oder ihres Wahlkreises
erscheinen, auch an Instruktionen seitens ihrer Wähler nicht gebunden sind (parlamentarisches, konstitutionelles
System).
Dasselbe gilt von der repräsentativen Demokratie (s. d.) im Gegensatz zur unmittelbaren (antiken) Demokratie, in welch letzterer
das Volk selbst unmittelbar in der Volksversammlung die Regierungsgewalt ausübt. In den größern Staaten besteht dabei nach
dem Vorgang Englands die Einteilung der in zwei repräsentative Körperschaften (Zweikammersystem, im Gegensatz
zum Einkammersystem der Kleinstaaten), von denen nur die Zweite Kammer (Unterhaus, Abgeordnetenhaus, Volkskammer) lediglich
aus Wahlen der Staatsbürger hervorgeht, während die Erste Kammer (Oberhaus, Herrenhaus, Pairskammer) auf Grund von Ernennungen
seitens der Krone, auf Grund ständischer Wahlen und besonderer Notabilität oder vermöge erblichen Rechts (Standesherren) zusammengesetzt
wird. So bildet die letztere ein konservatives Gegengewicht der Zweiten Kammer gegenüber, indem zugleich durch das Zweikammersystem
dem Bedürfnis einer gründlichen und wiederholten Erörterung der politischen Fragen durch zwei verschiedene Körperschaften,
der Wahrung begründeter ständischer Interessen Rechnung getragen und das Majoritätsprinzip, welches der Abstimmung in den
Kammern selbst zu Grunde liegt, gemildert werden soll.
Die deutsche Reichsverfassung hat das Zweikammersystem trotz des Dualismus von Bundesrat und Reichstag nicht angenommen, da die
Mitglieder des Bundesrats lediglich Vertreter der verbündeten Staatsregierungen sind. Obgleich übrigens das ständische
System aufgegeben, ist doch die Bezeichnung Stände (Landstände) für die Landtage geblieben, deren Angehörige auch als
Landboten im Gegensatz zu den Reichsboten, d. h. den Mitgliedern des Reichstags, bezeichnet werden. Die Art und Weise, wie die
Wahlen zur Volksvertretung zu erfolgen haben, ist durch besondere Wahlgesetze bestimmt (s.
Wahl). Über die Volksvertretungen der einzelnen Staaten vgl. die betreffenden Artikel (z. B. Frankreich, Preußen etc.) und den
Artikel »Reichstag«.
Kongreß, eine 1858 zum erstenmal in Gotha zusammengetretene Wanderversammlung, welche sich die
Agitation im Sinn der wirtschaftlichen Freiheit zur Aufgabe gestellt hat. In den ersten Jahren seines Bestehens wirkte er hauptsächlich
für Gewerbefreiheit und Freizügigkeit sowie für Förderung des Genossenschaftswesens. Seit den Ereignissen
von 1866 wandte er seine Aufmerksamkeit vorzugsweise der Gestaltung des Bank- und Münzwesens zu. Seine Beschlüsse von 1871 waren
ausschlaggebend für die Goldwährung, diejenigen von 1874 für die Beschränkung der Banknoten.
Der 1872 in Eisenach gegründete Verein für Sozialpolitik trat ihm anfangs gegnerisch entgegen, doch wurde 1875 zwischen beiden
Vereinen eine 1880 wieder rückgängig gemachte Verabredung getroffen, nach welcher in jedem Jahr nur
einer der beiden Vereine abwechselnd tagen und die Mitglieder des andern an demselben teilnehmen sollten. Die Mitgliedschaft
am volkswirtschaftlichen Kongreß steht gegen ein mäßiges Eintrittsgeld jedermann offen. Vorsitzender ist fast seit Beginn
Karl Braun (s. d. 8). Die Berichte über die Verhandlungen erschienen seit 1861 regelmäßig im Druck.
(Nationalökonomie, Nationalökonomik, nach der griechischen Benennung
mehr
οἰκονομικὴ τέχνη auch politische Ökonomie genannt), eine Wissenschaft, welche sich mit der Darstellung der
vielfachen, durch Vergesellschaftung, Tausch und Arbeitsteilung hervorgerufenen Verkettung der Verkehrsinteressen, des wechselseitigen
Zusammenhanges und der Abhängigkeit der verschiedenen Wirtschaften voneinander sowie der auf Grund derselben zu beobachtenden
Gesetzmäßigkeiten und Regelmäßigkeiten befaßt, um auf Grund derselben einen Anhalt für Gestaltung
der praktischen Wirtschaft, insbesondere aber der öffentlichen Wirtschaft, bieten zu können.
Eine Wirtschaftslehre hätte eigentlich die gesamte schaffende Thätigkeit der Menschen, Erzeugung und Verwendung von Gütern,
in den Kreis ihrer Betrachtung zu ziehen. Sie würde sich von den Naturwissenschaften dadurch unterscheiden, daß für sie
immer die Zweckmäßigkeit der Herstellung der unmittelbar leitende Gesichtspunkt ist. In Wirklichkeit
wird aber unter dem Titel Volkswirtschaftslehre keine Lehre von der Erzeugung und Verwendung von Gütern gegeben. Allerdings hatten die alten Kameralwissenschaften
die Stadtwirtschaft, d. h. das Gewerbewesen, wie auch den Landbau und Bergbau in den Kreis ihrer Erörterungen gezogen.
Sie gaben Anleitung, wie zu säen, zu pflügen, Flachs zu bereiten und zu spinnen, Branntwein zu brennen,
Essig zu bereiten sei u. dgl., und umfaßten
demnach die gesamte Technologie und die Technik der ganzen Urproduktion. Bald aber mußte sich der encyklopädische Charakter
einer solchen Behandlung als durchaus ungenügend erweisen. Schon aus diesem Grund mußte die Technik, welche
die wirklichen Herstellungsprozesse zum Gegenstand hat, aus dem Kreis der Kameralwissenschaften entfallen, und es verblieb
sonach für die Volkswirtschaftslehre das oben genannte Gebiet. Dies gab Veranlassung dazu, zwischen Privatwirtschaft auf der einen, Volks- und
Staatswirtschaft auf der andern Seite in der Art zu unterscheiden, als ob die Privatwirtschaftskehren
im wesentlichen gleichbedeutend mit Gewerbslehren seien, während Staats- und Volkswirtschaftslehre nur die Beziehungen der Wirtschaften zu einander
betrachteten. Dagegen definierte Hermann (s. d. 3) die Ökonomik als quantitative, die Technik als qualitative Kontrolle und
Zuratehaltung bei der Herstellung und Verwendung von Gütern. In Wirklichkeit aber lassen sich die Begriffe
Quantität und Qualität nicht voneinander scheiden, insbesondere haben die Qualitäten (Art der Arbeit, Beschaffenheit der Stoffe
und Arbeitsinstrumente etc.) für alle Wirtschaftserfolge die größte Bedeutung.
Für den Zweck der litterarischen Darstellung, insbesondere aber im Interesse einer guten Verteilung des Stoffes auf dem Lehrstuhl
mit Rücksicht auf die Semestereinteilung, war es in Deutschland üblich geworden, die Volkswirtschaftslehre im weitern Sinn
in drei Teile zu scheiden und zwar in: 1) die theoretische oder reine Volkswirtschaftslehre (Grundlagen oder
Grundsätze der Volkswirtschaftslehre). Die Thatsache, daß bei der beobachteten Arbeitsteilung auf Grund kapitalistischer Wirtschaftsprüfung die
Güter nicht von den gleichen Personen verzehrt werden, welche sie erzeugt haben, daß dieselben vielmehr
von Hand zu Hand gehen und hierbei auf Grund der gegebenen Besitzesverhältnisse und der Preisbildung verschiedene Anteile von der
Gesamtheit aller Güter auf die einzelnen Glieder der Gesellschaft entfallen, führte dazu, den Stoff in drei bis vier Abteilungen
zu trennen.
Nachdem man die Grundbegriffe der Wirtschaft erörtert hatte, wurde die Lehre von der Produktion, die Lehre
vom Umsatz und der Verteilung, dann die Lehre von der Konsumtion der Güter vorgetragen. In der erstern wurde freilich nicht
gezeigt, wie
die Güter hergestellt werden, man überließ dies vielmehr der Technologie oder den Gewerbswissenschaften, sondern
beschränkte sich nur auf Erörterung der Begriffe Kapital und Arbeit und ihrer Wirkung im allgemeinen.
In der zweiten Abteilung wurden Tausch, Kredit und Tauschmittel besprochen und dargelegt, welchen Gesetzmäßigkeiten die Bildung
von Lohn, Zins, Gewinn und Rente unterworfen sei. Die dritte Abteilung fiel meist etwas kurz aus, einmal aus dem Grund, weil Erzeugung
und Verbrauch der Güter sich gegenseitig so bedingen, daß in den vorausgegangenen Lehren schon manches vorausgenommen worden
war, was auch unter dem Begriff der Konsumtion hätte vorgetragen werden können, dann weil der Güterverbrauch selbst sich
zum großen Teil der Öffentlichkeit entzieht und, wenn auf die Technik nicht eingegangen werden soll,
nur wenig Gelegenheit zu Erörterungen allgemeiner Art über Sparsamkeit, Verschwendung u. dgl. bietet.
2) Die praktische Volkswirtschaftslehre (Volkswirtschaftspflege, Volkswirtschaftspolitik, ökonomische Politik). Derselben wurde die Erörterung
der Maßnahmen und Anstalten zugewiesen, welche den Gemeinwirtschaften, insbesondere aber der öffentlichen Gewalt, im Interesse
der Pflege und Förderung aller wirtschaftlichen Bestrebungen der Staatsangehörigen obliegen. Da hierbei
vorzüglich der Staat in Betracht kommt, so gebrauchte man wohl auch die Bezeichnung Staatswirtschaftslehre, welche aber auch
noch für den dritten Teil der politischen Ökonomie, 3) die Finanzwissenschaft (s. d.), in Anspruch genommen wurde.
Gegen die Dreiteilung blieb freilich einzuwenden, daß Rechtsordnung, Gesetzgebung und Verwaltung von größtem Einfluß auf
die Gestaltung des gesamten wirtschaftlichen Verkehrs und auf die volkswirtschaftliche Verteilung sind, und daß demgemäß
die genannte Einteilung zu einer unsachgemäßen Zerreißung zusammengehöriger Stoffe führt. In der Wirklichkeit ist infolgedessen
auch nie die genannte Scheidung in Lehrbüchern oder auf dem Katheder in aller Strenge durchgeführt worden.
In dem Vortrag über die theoretische Nationalökonomie wird jeweilig von einer bestimmten gegebenen Gestaltung
der gesellschaftlichen Verfassung, der Staats- und Rechtsordnung ausgegangen und von diesem Gesichtspunkt aus nicht allein die
Gestaltung der wirtschaftlichen Begriffe und Erscheinungen betrachtet, wie sie sich thatsächlich ausgebildet haben, sondern
auch Ansichten über Zweckmäßigkeit vorhandener Einrichtungen und Zustände und über Möglichkeit und
Notwendigkeit von Änderungen geäußert.
Dabei werden Gegenstände, welche bei abstrakter Scheidung der Volkswirtschaftspflege zugewiesen werden müßten, bereits
in der theoretischen Nationalökonomie abgehandelt. Die praktische Nationalökonomie ist infolgedessen nichts andres als eine
spezialisierte Behandlung einzelner Wirtschaftsarten, Wirtschaftszweige und wirtschaftlicher Anstalten geworden, wie der
Forst- und Landwirtschaft, des Handels, Bankwesens u. dgl.
Oft wird zur nähern Bezeichnung das Wort Politik in Verbindung mit dem Namen des betreffenden Gebiets oder Gegenstandes gewählt;
so spricht man von einer Bank-, Handels-, Münz-, Agrar-, Arbeiter-, Lohn- etc. Politik. Vorwiegend denkt man hierbei allerdings
an Aufgaben des Staats, nimmt jedoch oft auch das Wort Politik in einem weitern Sinn, indem alle Bestrebungen
und Maßnahmen besprochen werden, welche von allgemeiner Bedeutung sind.
In Geschichte und Litteratur der Volkswirtschaft und der Volkswirtschaftslehre pflegt man drei Hauptsysteme zu unterscheiden.
1) Das Merkantilsystem (s. d.) oder
mehr
Handelssystem, welches dem Staat eine eingehende Regelung von Wirtschaft und Verkehr zuwies und besonders in der deutschen kameralistischen
Litteratur Vertretung findet;
2) das physiokratische System (s. d.), welches in der Bodenproduktion die Quelle alles Reichtums erblickte und vom Staat verlangte,
er solle die Gestaltung von Wirtschaft und Verkehr den freien Bestrebungen der Privaten überlassen.
3) Das Adam Smithsche oder Industriesystem (vgl. Smith 1), welches vom physiokratischen System den Grundsatz der Verkehrsfreiheit
übernahm, von diesem sich aber wesentlich durch die Auffassung über Wertbildung, Werterzeugung (Arbeit als Quelle des Wertes,
Arbeitsteilung demgemäß von entscheidender Bedeutung) unterscheidet und infolgedessen auch eine eingehendere Darlegung
der Gesetze der Verteilung, der Bildung von Lohn, Gewinn und Rente zu bieten vermochte.
Die Lehren des Ad. Smith fanden bald in der Theorie und dann auch in der Praxis allgemeinere Verbreitung und Anerkennung. So entstand
eine liberalere ökonomische Schule (bürgerliche Nationalökonomie, Bourgeoisökonomie von Sozialisten genannt, auch als Smithianismus,
Manchestertum und Freihandelsschule bezeichnet), welche in der Bekämpfung bestehender staatlicher Bevormundung
und staatlichen Zuvielregierens freilich mit ihren Forderungen über die richtige Grenze hinausging, indem sie von einem vollständigen
freien Gewährenlassen nicht allein die beste Entwickelung, sondern auch eine vollständige Harmonie aller Interessen erwartete
und dem entsprechend freien Verkehr im Innern des Landes wie nach außen verlangte.
Der Staat solle sich darauf beschränken, nur den bestehenden wohlerworbenen Rechten den nötigen Schutz zu verleihen. Diese
liberale Schule, welche in der gedachten radikalen Ausbildung allerdings keineswegs bei allen Volkswirten Vertretung fand,
wurde von Fr. List, welcher dem Freihandelssystem sein System der nationalen Wirtschaft mit Zollschutz (Protektionssystem)
gegenüberstellte, und andern Nationalökonomen politisch-konservativer Richtung, dann insbesondere später von den Sozialisten
entschieden bekämpft.
Die einfache Thatsache, daß bei jeder wirtschaftlichen Umwälzung ganze Klassen der Bevölkerung zu leiden haben, daß dies
Leiden aber durch eine kluge Wirtschaftspolitik gemildert werden kann, daß je nach der gesellschaftlichen Verfassung wirtschaftliche
Fortschritte mit dem Elend eines Teils der Bevölkerung erkauft werden müssen, daß die bestehende Rechtsordnung
keineswegs lediglich ein Ergebnis freier naturgesetzlicher Entwickelung ist, sondern daß dieselbe wesentlich durch das Eingreifen
der öffentlichen Gewalt in ihrer ganzen geschichtlichen Entwickelung mit bedingt wurde, gaben bald bei vielen Nationalökonomen
zu einem Umschwung der Ansichten Veranlassung.
Hierzu trugen insbesondere die praktischen Bestrebungen der Sozialisten bei. Der Freihandelsschule, welche im volkswirtschaftlichen
Kongreß Vertretung gefunden hatte, erwuchs eine Gegnerschaft in dem Verein für Sozialpolitik, dessen Mitglieder eine sogen.
Realpolitik auf Grundlage historischer Forschung zu pflegen befürworteten. Die liberale Schule wurde als abstrakte Schule insofern
bezeichnet, als dieselbe ohne Rücksicht auf praktische Bedürfnisse und Thatsachen auf dem Weg einfacher
Deduktion aus allgemeinen Prinzipien, wie dem Grundsatz der wirtschaftlichen Freiheit, das ganze Gebäude der Volkswirtschaft
errichten und Verhaltungsmaßregeln für die Staatsgewalt ableiten wolle. Es wurde verlangt, daß die Nationalökonomie den
Weg der
induktiven Methode und damit der historischen Forschung beschreite.
Ein schroffer Gegensatz zwischen einer historischen und einer abstrakten Schule in dem Sinn, als ob jene nur induktiv, diese
nur deduktiv verfahre, hat übrigens nie bestanden. Alle volkswirtschaftlichen Sätze können in letzter Linie nur auf die Erfahrung
und Beobachtung zurückgeführt werden. Auf der andern Seite aber ist man, weil die volkswirtschaftlichen
Erscheinungen außerordentlich verwickelt sind, in vielen Fällen zur Deduktion genötigt. Insbesondere ist dies auch dann erforderlich,
wenn es sich nicht lediglich um Erklärung gegebener Erscheinungen, sondern um die Kernfrage aller Wirtschaft handelt, nämlich
um das, was werden soll.
Auf dem Standpunkt eines radikalen »laisser aller« (s. d.)
steht heute kein Theoretiker. Wie dies die Praxis immer gethan, so wird auch jetzt ganz allgemein in der
Theorie anerkannt, daß dem Staat nicht allein die negative Aufgabe zufalle, Schutz zu gewähren und die bestehende Rechtsordnung
aufrecht zu erhalten, sondern daß er auch im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt positiv in die Gestaltung der
Wirtschaftsordnung eingreifen müsse. Verschiedener Ansicht ist man nur über Art und Grenze eines solchen Einschreitens, über
die Gebiete, welche der freien Thätigkeit der Privaten zu überlassen und auf welchen Beschränkungen derselben erforderlich
seien. Demgemäß können wir heute verschiedene Richtungen unterscheiden, von derjenigen, welche mehr dem Individualismus
(s. d.) huldigt, bis zu derjenigen, welche sich mehr an den
Sozialismus (s. d.) anlehnt.
Die Litteratur der Volkswirtschaftslehre im ganzen und der einzelnen Gebiete derselben ist außerordentlich umfangreich.
Von den deutschen Lehr- und Handbüchern sind die wichtigsten die von K. H. Rau, Adolf Wagner, W. Roscher, Schäffle, L. v. Stein,
worüber weiteres in den biographischen Artikeln nachzulesen ist;
dann Schönbergs »Handbuch der politischen
Ökonomie« (2. Aufl., Tübing. 1885, 3 Bde.);
Cossa, Einleitung in das Studium der Wirtschaftslehre (deutsch, Freiburg
1880);
Derselbe, Die ersten Elemente der Wirtschaftslehre
(deutsch, das. 1879);
Schmidberger, Die Volkswirtschaftslehre (Innsbr. 1881).
Ein umfassendes »Handwörterbuch der Staatswissenschaften«
wird gegenwärtig von Conrad, Elster, Lexis und Löning unternommen (Jena 1889 ff.). Bemerkenswerte Zeitschriften sind: »Zeitschrift
für die gesamte Staatswissenschaft« (Tübing., seit 1844);
»Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik«, begründet von
B. Hildebrand (Jena, seit 1863);
»Vierteljahrsschrift für Volkswirtschaftslehre, Politik und Kulturgeschichte«, begründet von J. ^[Julius] Faucher
(Berl., seit 1863);
»Zeitschrift für deutsche Volkswirtschaft« (das., seit 1876);
»Jahrbuch für Gesetzgebung,
Verwaltung und Volkswirtschaft« (Leipz., seit 1877);
»Journal des Économistes« (hrsg. von J. ^[Joseph] Garnier, Par., seit 1841);
»Économiste français« (das., seit 1873) und
die Londoner Wochenschrift »The Economist«.
Über die Geschichte der Volkswirtschaftslehre vgl. Mohl, Geschichte und Litteratur
der Staatswissenschaften (Erlang. 1855-58, 3 Bde.);
Blanqui, Histoire de l'économie politique (4. Aufl., Par. 1860; deutsch
von Buß, Karlsr. 1840);
Kautz, Die geschichtliche Entwickelung der Nationalökonomik und ihrer Litteratur (Wien 1860);
Roscher,
Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland (Münch. 1874);
Eisenhart, Geschichte der Nationalökonomik (Jena 1881);
Mor.
Meyer, Die neuere Nationalökonomie (4. Aufl., Berl. 1885).