In neuerer Zeit haben dann besonders Buckles »Geschichte der Zivilisation in England«, die Beobachtungen und Arbeiten von Waitz,
Gerland, Bastian, E. Tylor, Herbert Spencer u. a. bahnbrechend gewirkt. Als die Hauptquellen für den Ausbau der Völkerpsychologie gelten das
Studium der religiösen Anschauungen (s. Mythologie), der Volksüberlieferung (s. Folklore), der Rechtsgeschichte und
der Sitten und Gebräuche. Zu der seit 1859 von Lazarus und Steinthal herausgegebenen »Zeitschrift für Völkerpsychologie« haben in den letzten
Jahren eine größere Anzahl neuer Zeitschriften für Volkskunde oder Folklore in Deutschland, England, den Niederlanden, Italien,
Frankreich, Nordamerika etc. sich gesellt, die mit der Sammlung und Sichtung des aus frühern
Zeiten stammenden Materials für den Aufbau der Völkerpsychologie beschäftigt sind. Die Litteratur s. bei Anthropologie und Ethnographie, wozu
die Schriften Bastians (s. d.) noch manche Beiträge liefern.
(internationales Recht, Jus internationale, Jus gentium, Jus belli et pacis, franz. Droit international, Droit
des gens, engl. Law of nations, International law, ital. Diritto internazionale), Inbegriff der Rechtsgrundsätze,
welche im Verkehr souveräner Staaten untereinander Geltung beanspruchen. Insoweit diese Normen lediglich aus der Natur der wechselseitigen
Verhältnisse der Staaten überhaupt gefolgert werden, also auf subjektive rechtsphilosophische Anschauung zurückzuführen
sind, spricht man von allgemeinem oder philosophischem Völkerrecht, während man diejenigen Rechtsgrundsätze, welche
auf vertragsmäßigem übereinkommen bestimmter einzelner Staaten oder doch auf feststehendem Gebrauch
im Verkehr dieser Staaten untereinander beruhen, als praktisches oder positives Völkerrecht bezeichnet.
Praktisches europäisches Völkerrecht insbesondere werden diejenigen Rechtsregeln genannt, welche die Staaten und zwar zunächst die
christlichen Staaten der europäischen Völkerschaften sowie der von ihnen beherrschten und kolonisierten Länder andrer Weltteile
verpflichten. Seit dem Pariser Frieden von 1856 ist auch die Türkei in das sogen. europäische Konzert mit aufgenommen, während
die nordamerikanische Union sich nicht unbedingt an jene Normen bindet und namentlich den Abmachungen der europäischen Staaten
über die Kaperei nicht beigetreten ist.
Was die Quellen des positiven Völkerrechts anbelangt, so beruhen dieselben zunächst auf den von einzelnen
Staaten miteinander abgeschlossenen Staatsverträgen, dann auf dem Herkommen oder der völkerrechtlichen Gewohnheit. Die Hauptverträge,
welche hierbei in Frage kommen, sind: der Westfälische Friede von 1648, der Friede von Utrecht von 1713, die Wiener Kongreßakte
vom die sogen. Heilige Allianz vom das Aachener Konferenzprotokoll vom
der Pariser Friede vom die Genfer Konvention vom welche das Elend der Kriegführung, namentlich für
Verwundete, zu mildern sucht, die Petersburger Konvention vom über die Unzulässigkeit des Gebrauchs explosiver
Geschosse aus den Handfeuerwaffen, der Berliner Vertrag vom über die Orientfragen und die Congoakte
vom welche nicht nur Handelsfreiheit und Neutralität für das Congobecken und für den Congostaat garantierte,
sondern auch die Unterdrückung des Sklavenhandels als Pflicht der vertragschließenden Staaten anerkannte.
Auch die Handels- und Schiffahrtsverträge sowie die internationalen Post- und Telegraphenverträge der
Neuzeit, namentlich der Weltpostvereinsvertrag, auch
die Verträge über den Schutz des Urheberrechts (s. d.) gehören hierher.
Insofern, als es in Ansehung der völkerrechtlichen Normen an einer gemeinsamen richterlichen Autorität fehlt, welche deren
Erzwingbarkeit garantiert, ist dem Völkerrecht vielfach der Charakter eines eigentlichen Rechts abgesprochen worden;
die praktische Anwendbarkeit des Völkerrechts hängt eben zumeist von den Machtverhältnissen der beteiligten Staaten ab.
Um so beachtenswerter ist es daher, daß man in neuerer Zeit wiederholt in Streitigkeiten völkerrechtlicher Natur die Entscheidung
eines Schiedsgerichts angerufen hat (s. Schiedsrichter). Auch eine Kodifikation des Völkerrechts wird angestrebt, zu welcher
schon von Bentham angeregt und von Bluntschli in seinem Werk »Das moderne Völkerrecht der zivilisierten
Staaten, als Rechtsbuch dargestellt« (3. Aufl., Nördling. 1878) ein wertvoller Beitrag geliefert worden ist. In neuerer Zeit
haben sich namentlich zwei Vereinigungen die Pflege und Fortbildung des Völkerrechts mit großem Erfolg zur Aufgabe gemacht:
der Verein für Reform und Kodifikation des Völkerrechts (Association pour la réforme et la codification
de droit des gens) und das Institut für Völkerrecht (Institut de droit internationale), welch letzteres aus der erstgedachten Gesellschaft
hervorgegangen ist.
Der Verein für Reform und Kodifikation des Völkerrechts setzt sich aus Rechtsgelehrten, Staatsmännern, Publizisten und Geschäftsleuten
zusammen und hält in der Regel alljährlich seinen Kongreß ab. Diese Körperschaft hat sich namentlich um das internationale
Privatrecht, zumal um das Seerecht, große Verdienste erworben. Ebenso ist das Institut für Völkerrecht eine unabhängige internationale
Gesellschaft, welche alljährlich ihre Sitzung abhält. An dieser nehmen die wirklichen Mitglieder (Membres effectifs) mit
Stimmrecht teil.
Dazu kommen aber noch sogen. Associés, welchen nur eine beratende Stimme zusteht. Zu solchen Mitarbeitern werden namentlich
Männer berufen, die durch Spezialkenntnisse dem Institut nützen können. Die Verhandlungen werden in der in Brüssel erscheinenden
»Revue de droit international« und auszugsweise im »Annuaire«
(»Jahrbuch«) des Instituts veröffentlicht. Von besonderer Wichtigkeit war namentlich der 1880 in Oxford
abgehaltene Kongreß, auf welchem ein von Gustav Moynier in Genf,
dem Präsidenten der Internationalen Gesellschaft zur Pflege im Feld
verwundeter Krieger, ausgearbeitetes Handbüchlein (»Manuel«) des Kriegsrechts (Lois de la guerre sur terre) zur Annahme gelangte,
welches allerdings nur wissenschaftlichen Wert beanspruchen kann. Dasselbe gilt von dem auf den Kongressen
in Turin, München und Heidelberg festgestellten »Règlement international des prises maritimes« (veröffentlicht im »Annuaire«
für das Jahr 1888), in welchem das Prisen- und Seebeuterecht behandelt ist.
Seinem Inhalt nach zerfällt das in öffentliches Völkerrecht, d. h. das Recht unabhängiger Staaten in ihrem Verkehr als
Staaten, und in das internationale Privatrecht, worunter man die Rechtsgrundsätze versteht, nach welchen bei der Kollision
der Gesetze verschiedener Staaten in Bezug auf die privaten Rechtsverhältnisse ihrer Unterthanen zu verfahren ist. Zu dem öffentlichen
oder eigentlichen Völkerrecht gehören insbesondere: die Normen über Unabhängigkeit, Gleichheit und Selbsterhaltung der einzelnen
Staaten, ferner das Recht der völkerrechtlichen Ehre, das Vertrags- und Gesandtschaftsrecht, die Grundsätze
über die Staatsvertretung nach außen, über Krieg und
mehr
Frieden, über das Recht der Neutralen und über das internationale Seewesen (s. Seerecht). Auch das internationale Strafrecht,
welches sich namentlich auf die Auslieferung von Verbrechern bezieht, gehört dem öffentlichen an. Die wissenschaftliche
Bearbeitung des Völkerrechts beginnt mit Grotius (s. d.), welcher 1617 sein berühmtes Werk »De jure belli ac pacis«
(deutsch von Kirchmann, Berl. 1871) schrieb. Ihm folgten: Hobbes, Pufendorf, Moser, Klüber und Zachariä, unter den Neuern Heffter,
Bluntschli und v. Holtzendorff, der Engländer Phillimore und der Amerikaner Wheaton.