Beratung der Felddienstordnung. Im April 1889 wurde er an Stelle Bronsarts v. Schellendorff zum Kriegsminister ernannt. Verdy du Vernois ist
einer der bedeutendsten Militärschriftsteller;
er schrieb: »Die Teilnahme der zweiten Armee am Feldzug 1866« (anonym, Berl.
1866);
»Studien über Truppenführung« (das. 1873-75, 2 Tle. in 7 Heften), in welchen er die applikatorische
Lehrmethode auf die Kriegführung anwendet, indem er, an einen bestimmten Fall anknüpfend, die Prinzipien der Kriegskunst
an meist fingierten Verhältnissen zur Darstellung bringt;
»Kriegsgeschichtliche Studien nach der applikatorischen Methode« (1.
Heft: Schlacht bei Custozza, das. 1876);
»Beitrag zum Kriegsspiel« (2. Aufl., das. 1881);
»Beitrag zu den Kavallerie-Übungsreisen«
(das. 1876);
(Ter-Vere), Stadt in der niederländ. Provinz Zeeland, Bezirk Middelburg, auf der Ostküste der Insel Walcheren, durch
den Walcherschen Kanal mit Middelburg verbunden, früher unter dem Namen Campvere ein ansehnlicher Handelsort, jetzt unbedeutend,
mit nur (1887) 886 Einw. Das Rathaus und die große Kirche gehören zu den schönsten alten Baudenkmälern
der Niederlande.
(in Österreich Appreturverfahren, in Frankreich Admission temporaire) nennt man im Zollwesen denjenigen
Warenverkehr mit dem Ausland, welcher zum Zweck der Be- oder Verarbeitung, zur Vervollkommnung oder zur Reparatur mit der Bestimmung
der Rückkehr in entsprechend vervollkommnetem, in veredeltem Zustand stattfindet. Solche Waren müßten
nicht allein die Transportkosten, sondern auch den Eingangszoll des Rohstoffs oder Halbfabrikats im einen, dann den Zoll bei
Wiedereinfuhr der fertigen Waren im andern Lande tragen. Da nun durch solche doppelte Zollzahlung ein solcher über die Grenze
gehender Veredelungsverkehr meist geradezu unmöglich gemacht wird, so versteht man unter dem
Veredelungsverkehr auch schlechthin die zollfreie Überführung jener Gegenstände über die Zollgrenze, bez. deren zeitweise zollfreie Zulassung
(admission temporaire).
Der Veredelungsverkehr kann dem Land insofern von großem Vorteil sein, indem nicht allein die Verarbeitung fremder
Rohstoffe direkten Gewinn bringt, sondern auch das Absatzgebiet der heimischen Industrie erweitern hilft.
Mit Rücksicht hierauf bildete der Veredelungsverkehr schon einen wesentlichen Bestandteil des merkantilistischen Protektionssystems. So wurde
unter Colbert in Frankreich gestattet, daß gewisse Materialien auf bestimmte Zeit unter der Bedingung der Wiederausfuhr in
verarbeiteter Form zollfrei eingehen durften.
Auch die österreichische Zollordnung von 1774 gestattete, daß ausländische, nicht außer Handel gesetzte
Waren zur Appretur oder auf Spekulation, nicht aber auf Lösung eingeführt werden durften. 1853 wurde diese Bestimmung dahin
erweitert, daß auch die zollfreie Aus- und Wiedereinfuhr gestattet wurde. Dieser in Preußen bereits seit 1818 zugelassene
Zweig des Veredelungsverkehrs kann insbesondere darin seine Berechtigung finden, daß es dem Inland an den
zur genügenden Veredelung erforderlichen natürlichen Hilfsmitteln gebricht.
Trotzdem ist in Frankreich die Ausfuhr zur Veredelung und zollfreie Wiedereinfuhr
heute noch nicht zulässig, sondern nur die
zollfreie Einfuhr zum Zweck der Veredelung und der Wiederausfuhr. Schwierigkeiten bereitet der Veredelungsverkehr durch die im Interesse der
Verhütung von Umgehungen erforderlichen amtlichen Kontrollen und Beschränkungen, welche den Zweck haben,
die Identität des Gegenstandes und dessen Ursprung sicherzustellen. Als Waren heimischen Ursprungs gelten, wenn nichts Besonderes
bestimmt ist (z. B. bei Garnen und Geweben), meist diejenigen, bei deren Herstellung ausschließlich oder zum größten Teil
heimische Arbeit in Anwendung kam. Die richtige Durchführung macht die Festsetzung einer Frist für den
zollbegünstigten Wiedereintritt erforderlich. Vgl. Acquit à caution.
StaatenvonNordamerika (hierzu drei Karten: Übersichtskarte, Staaten der östlichen und Staaten der westlichen
Hälfte), die große Bundesrepublik in Nordamerika (United States of America, auch Union genannt), liegt, abgesehen
von dem 1867 Rußland abgekauften Territorium Alaska (s. d.), zwischen 25°-49° nördl. Br. und 66° 59'-125° westl. L. v. Gr.,
grenzt gegen N. an Britisch-Amerika, gegen O. an dasselbe (Neubraunschweig) sowie an das Atlantische Meer, gegen S. an den Mexikanischen
Golf und die Republik Mexiko, gegen W. ebenfalls an letztere und an das Stille Meer und hat einen Flächeninhalt
(ohne Alaska) von 7,791,432 qkm (141,319 QM.). Davon kommen auf Seen 23,900 qkm, auf Flüsse 14,500 qkm. Die Küstenausdehnung
beträgt 22,680 km, wovon 11,260 km auf die Küste des Atlantischen Ozeans, 5470 auf die am Mexikanischen Meerbusen und 5950 km
auf die an der Südsee kommen; die größte Ausdehnung des Gebiets von N. nach S. beträgt 2570, die von
O. nach W. 4270 km. Von dem Areal der Vereinigten Staaten kommen auf das Atlantische Becken 788,720 qkm, auf das Becken der
Kanadischen Seen 480,010 qkm, auf das Mississippibecken 4,356,790 qkm und auf das Pacific- und Binnenbecken
2,212,580 qkm (nach Walker).
Unsre Tabelle (S. 106) gibt die Resultate des 1880 erhobenen Zensus. Die noch in Stämmen lebenden Indianer sind bei der »Zensusbevölkerung«
nicht eingeschlossen, wohl aber bei Berechnung der Dichtigkeit berücksichtigt. Als Staaten wurden 1889 neu in die Union aufgenommen:
Norddakota, Süddakota, Montana, Washington und Neumexiko. Außerdem wurde aus einem Teil des Indianergebiets
das neue Territorium Oklahoma (s. Bd. 17) gebildet. Aus dem Jahr 1885 besitzen wir Zensusangaben für:
Staaten u. Territorien
Bevölkerung
Zunahme 1880-85 Proz.
Colorado
243910
25.51
Dakota
415610
207.19
Florida
342617
27.13
Iowa
1753980
7.96
Kansas
1268562
7.35
Massachusetts
1942141
8.88
Michigan (1884)
1856100
13.38
Minnesota
1117798
43.17
Nebraska
740645
63.71
New Jersey
1278033
12.98
New Mexico
131141
10.38
Oregon
187150
7.00
Rhode-Island
304284
10.03
Wisconsin
1563413
18.84
Distrikt Columbia
203459
14.54
Außerdem schätzte man (für 1887/88): Ohio 4 Mill., Connecticut 663,850, Illinois 3,750,000, Indiana 2,154,354 und Idaho 97,250
Einw.
mehr
Übersicht der Vereinigten Staaten. Areal und Bevölkerung.
Staaten und Territorien¹
Flächeninhalt
Zensusbevölkerung, 1880
Indianer in Stämmen
Einw. auf 1 QKilometer
Ausländer
Landwirtschaftl. beschäftigt
QKilom.
QMeilen
Zusammen
Farbige
Indianer
Prozent der Zensusbevölkerung
Alabama (Ala.)
134582
2436.9
1262505
600103
213
-
9
0.7
77
Arkansas (Ark.)
139466
2532.8
802525
210666
195
-
6
1.3
83
California (Cal.)
408737
7491.8
864694
6018
16277
10669
2.1
33.9
21
Colorado (Col.)
269154
4888.2
194327
24435
157
2530
0.7
20.5
13
Connecticut (Conn.)
12859
233.5
622700
11547
255
-
48
20.9
18
Delaware (Del.)
5231
95.0
146608
26442
5
-
28
6.4
33
Florida (Flo.)
147313
2675.3
269493
126190
180
2200
1.7
3.7
64
Georgia (Ga.)
153643
2790.4
1542180
725133
124
-
10
0.7
71
Illinois (Ill.)
146717
2564.8
3077871
46368
140
-
21
18.9
44
Indiana (Ind.)
94143
1709.7
1978301
39228
246
-
21
7.3
52
Iowa (Ia.)
145099
2635.1
1624615
9516
466
355
11
16.1
57
Kansas (Kan.)
212578
3860.6
996696
43107
815
748
4.7
11.1
64
Kentucky (Ky.)
104632
1900.2
1648690
271451
50
-
16
3.3
61
Louisiana (La.)
123435
2241.7
939946
483655
848
-
7
5.7
57
Maine (Me.)
84158
1528.4
648936
1451
625
-
8
9.1
35
Maryland (Md.)
26831
487.3
934943
210230
15
-
30
8.8
28
Massachusetts (Mass.)
21211
385.2
1783085
10697
369
-
83
24.9
9
Michigan (Mich.)
152584
2807.4
1636937
15100
7249
10141
11
23.7
42
Minnesota (Minn.)
215907
3921.1
780773
1560
2300
6198
3.6
34.3
51
Mississippi (Miss.)
121155
2200.3
1131597
650291
1857
-
9
0.8
82
Missouri (Mo.)
179778
3265.0
2168380
145350
163
-
12
9.8
82
Nebraska (Neb.)
159046
2888.5
452402
2305
265
4409
2.9
22.9
60
Nevada (Nev.)
286701
5206.8
62266
488
2803
6800
0.23
41.2
13
New Hampshire (N. H.)
24099
437.7
346991
685
63
-
14
13.4
31
New Jersey (N. J.)
19709
357.9
1131116
38853
74
-
56
19.7
15
New York (N. Y.)
126339
2112.8
5082871
65104
819
5139
40
23.8
20
Nord-Carolina (N. C.)
126879
2304.2
1399750
531277
1230
-
10
0.3
75
Ohio (O.)
106341
1931.3
3198067
79900
130
-
30
12.3
40
Oregon (Ore.)
248578
4514.5
174768
481
1694
5355
0.7
17.5
40
Pennsylvania (Pa.)
117102
2126.7
4282891
85535
184
-
37
13.7
21
Rhode-Island (R. I.)
2887
52.4
276531
6488
77
-
86
27.2
9
Süd-Carolina (S. C.).
78616
1525.8
995577
604332
131
-
13
0.7
76
Tennessee (Tenn.)
108905
1977.8
1542359
103151
352
-
14
1.1
66
Texas (Tex.)
681882
12384.3
1591749
393384
992
1000
2.3
7.2
69
Vermont (Vt.)
24772
449.9
322286
1057
11
-
13
12.3
47
Virginia (Va.)
105332
1912.9
1512565
631616
85
-
14
1.0
51
West-Virginia (W. Va.)
64178
1165.5
618457
25886
29
-
10
2.9
61
Wisconsin (Wis.)
145137
2635.8
1315497
2702
3161
8847
9
30.8
47
Arizona (Ariz.)
292709
5215.7
40440
155
3493
21361
0.21
39.7
16
Columbia (D. Col.)
181
3.3
177624
59596
5
-
9.81
9.6
2
Dakota (Dak.)
386153
7012.9
135177
401
1391
27168
0.42
38.3
50
Idaho (Id.)
219623
3988.6
32610
53
165
4020
0.17
30.6
25
Montana (Mta.)
378331
6870.9
39159
346
1663
21650
0.16
29.4
20
Neu-Mexiko (N. M.)
317469
5765.5
119565
1015
9772
23452
0.45
6.7
35
Utah (Utah)
220063
3996.5
143963
232
807
840
0.66
30.6
36
Washington (Wash.)
175594
3189.0
75116
325
4405
14289
0.51
21.0
42
Wyoming (Wyo.)
253525
4604.3
20789
298
140
2063
0.09
28.1
18
Vereinigte Staaten:
7623892²
138276.2
50155783
6580793
66407
179232
6.6
13.3
47
Indianergebiet (Ind. T.)
167540
3042.7
-
-
-
76895
0.5
-
-
Alaska (Alas.)
1376280
24985.0
-
-
-
35426
0.03
-
-
Zusammen:
9167712
166304
-
6580793
66407
291553
5.5
-
-
¹Die
offiziellen Abkürzungen sind eingeklammert. - ²Einschließlich von 14,866 qkm für nicht »organisiertes«
Gebiet.
Bodengestaltung und Gewässer.
Die Küstengliederung ist keineswegs ausgezeichnet, denn es kommt erst auf 340 qkm Flächeninhalt 1 km Küste. Auch stehen
die Meeresküsten nicht in unmittelbarem Zusammenhang miteinander, sondern werden durch einen Isthmus
voneinander getrennt, der noch immer für den Seeverkehr zwischen den östlichen und westlichen Küsten ein solches Hindernis
bildet, daß derselbe zwischen New York und San Francisco nur auf einem Umweg möglich ist, der für Segelschiffe 4-5 Monate
Zeit erfordert.
Diese Mängel werden jedoch aufgewogen durch den Reichtum der binnenländischen Bewässerung und durch
die günstige Weltstellung der beiden getrennten Küsten, von denen die eine Europa, die andre Asien zugekehrt ist, beide aber
mit den schönsten natürlichen Häfen ausgestattet sind. Von Baien liegen am Atlantischen Meer die prächtigen Häfen von
Boston und New York und die Baien von Delaware und Chesapeake, durch die große Halbinsel von Delaware voneinander
getrennt. Der Stille Ozean besitzt in der Bai von San Francisco und im Pugetsund vorzügliche Häfen.
Der allgemeinen Anordnung der Gebirgsketten, nämlich der vorherrschend meridionalen Richtung ihrer Längenachsen, gemäß teilt
sich das Gebiet der Vereinigten Staaten durch die beiden Gebirgssysteme der Alleghanies und Rocky Mountains
in vier nebeneinander liegende Abteilungen: das atlantische Küstenland, die Thalebene des Mississippi, das Binnenland und das
pacifische Küstenland. Das dem Atlantischen Ozean mit seinen Gewässern tributäre Ostgebiet besteht in seinem nordöstlichen
Teil von der Grenze
mehr
von Neubraunschweig an bis zum Hudsonfluß aus den Verflachungen des anarchischen Systems (s. Alleghanygebirge), welche einen
vorherrschend plateauartigen Charakter haben und an vielen Punkten in ansehnlicher Erhebung bis an die Küste herantreten. Daher
die durch kleinere Busen und Fjorde zerschnittenen Steilküsten, zahlreichen Landseen und wenig entwickelten Ströme dieser
Strecke. Die bedeutendsten Flüsse sind: der St. Croix (Grenzfluß gegen Neubraunschweig), Penobscot, Kennebec,
Merrimac, Connecticut und Hudson.
Von New York an besteht das atlantische Küstengebiet aus einer niedrigen Küstenebene, welche ganz allmählich bis zum Fuß
der hier Blue Ridge und Blue Mountains (Blaue Berge) genannten Alleghanies ansteigt, in ihrem nördlichen Teil nur 100 km
breit ist, weiter gegen S. allmählich an Breite zunimmt und sich in Florida bis zur Breite der ganzen Halbinsel ausdehnt. Die
größern Flüsse dieser Küstenebene haben das Gemeinsame, daß sie da, wo die Alleghanies in das Flachland abfallen, mit
Fällen und Stromschnellen in letzteres eintreten, in ihrem untern Lauf aber sehr wenig Gefälle haben.
Eine andre Eigentümlichkeit dieser atlantischen Küstenebene bilden die sogen. Pine Barrens (Föhrenwälder auf Sandboden)
und Sumpfwaldungen, unter welchen der 60 km lange Dismal Swamp, auf der Grenze von Virginia und Nordcarolina, der bekannteste
ist. Die bedeutendsten Flüsse dieses Flachlandes sind: der Delaware, Susquehanna, Potomac, Rappahannock,
York River, James River, Roanoke, Neuse, Cape Fear River, Yadkin, Santee, Edisto, Savannah, Altamaha, St. Mary und St. John.
Das Mittelgebiet der Vereinigten Staaten begreift nicht nur die ungeheure Thalebene des Mississippi (s. d.), sondern auch
die Region der nördlichen Binnenseen. Ein Steigen des Meers um 300 m würde diese ganzen Gebiete überfluten,
den Golf von Mexiko mit dem Arktischen Ozean in Verbindung setzen und Nordamerika in zwei ungleich große Inseln trennen. In diesem
Gebiet kann man südlich vier Regionen unterscheiden, deren erste das untere, großen Überschwemmungen ausgesetzte Thal des
Mississippi umfaßt.
Nördlich wird dieses Tiefland von Hügeln begrenzt, doch so, daß sich zwischen den niedern Ausläufern
der Alleghanies und den westlich vom Mississippi gelegenen Ozarkhügeln eine 80 km breite, teilweise aus Sumpfwaldungen bestehende
Alluvialebene ausbreitet. Im N. dieser Hügelregion liegt die weit ausgedehntere der Grasfluren oder Prärien, welche sich
von den Kanadischen Seen westwärts bis weit jenseit des Mississippi erstreckt, weiterhin aber in mit dünnem
Gras oder Gestrüppe bewachsene Steppen und stellenweise in eigentliche Wüsten übergeht.
Diese Region enthält keine Gebirgszüge, sondern nur zahlreiche, zum Teil weit ausgedehnte Erdanschwellungen, zwischen denen
weite Strecken mit vollkommen ebener, kaum leicht gewellter Oberfläche vorkommen. Ausgedehntere Waldungen kommen hier nur
im O. und westlich bis etwa zum 95. Längengrad v. Gr. vor. Die Steppen sind ganz und gar baumlos; im SW.
gehen sie in das wüste Sandsteinplateau des Llano estacado über. Allmählich bis zum Fuß der Rocky Mountains ansteigend,
erreichen diese unfruchtbaren, den Ackerbau kaum lohnenden Steppengebiete eine Höhe von 1500 m, gehen
aber dann in üppige Wälder über.
Außer dem Mississippi und seinen mächtigen Zuflüssen bewässern dieses Gebiet die dem Golf von Mexiko zuströmenden Flüsse
Mobile, Brazos und Colorado, die zahlreichen den Kanadischen Seen tributären kleinern Gewässer und der nach N. in den Winnipegsee
sich ergießende Red River. Das Kordillerengebiet wird umschlossen von den reichlich bewaldeten Höhen
der Rocky Mountains im O., der Sierra Nevada und dem Kaskadengebirge im W. und gehört drei verschiedenen Becken an, nämlich
denen des Snake oder Schlangenflusses im N., des Colorado mit dem Gila im S. und dem sogen. Großen Becken, dessen Gewässer sich
in Seen ohne Abfluß ergießen, unter welchen der Grosse Salzsee der bedeutendste ist. In diesem ganzen
Gebiet herrscht die Steppenbildung vor; aber auch ausgedehnte Wüsten, teilweise von einer Salzkruste bedeckt, treten auf,
wie namentlich in Utah.
Die ausgedehnteste derselben ist die Mohavewüste (s. d.) im W. des untern Colorado. Merkwürdig sind im südlichen Teil
dieses Gebiets die horizontalen, Mesa genannten Terrassen und Hochebenen, durchschnitten von bis 1000 m tiefen Schluchten oder
Cañons, durch welche sich die Gewässer einen Abfluß zum Meer gewühlt haben. Das pacifische Gebiet endlich kontrastiert
durch reiche Bewaldung und Fruchtbarkeit ungemein günstig mit diesem wüsten Binnengebiet.
Sein charakteristischter Zug
ist das ungeheure Längenthal von Kalifornien, zwischen der Sierra Nevada und dem
Küstengebirge, welches in die Bai von San Francisco einmündet. Gannet hat die mittlere Höhe der Vereinigten Staaten zu 792 m
berechnet; 39 Proz. liegen unter 305, 17 Proz. über 1524 m.
Die größten Erhebungen sind: Mount Washington in den White Mountains (1900 m), Clingman's Mountain oder
Black Dome in den Alleghanies (2277 m), Mount Harvard (4381 m) in den Rocky Mountains, Mount Whitney (4404 m) und Shasta (4401 m)
in der Sierra Nevada und Mount Rainier (4402 m) im Kaskadengebirge.
Hinsichtlich der geognostischen Verhältnisse verweisen wir auf den Artikel Amerika, S. 463 f.
Klima, Vegetation.
Das Gebiet der Vereinigten Staaten liegt zwischen den Juli-Isothermen von 16 und 34° C. und den Januar-Isothermen von -16
und +20° C., woraus hervorgeht, daß die Sommer heiß, die Winter aber streng sind. Die größte Kälte herrscht im Januar im
Binnenland, wo das Becken des Saskatchewan mit dem Red River des Nordens in sein Gebiet herübergreifen, während
sich zu gleicher Zeit Florida, die Golfküste und das südliche Kalifornien einer sommerlichen Wärme erfreuen.
Dahingegen ist der Juli im Gebiet der Kanadischen Seen und längs der pacifischen Küste am kühlsten, im südwestlichen Binnenland
aber am wärmsten. Im Vergleich mit Europa zeichnen sich die Vereinigten Staaten außerdem durch ihre Trockenheit
aus, und die geringe relative Feuchtigkeit hat viel dazu beigetragen, den europäischen Typus zu einem »amerikanischen« umzugestalten.
Die Regenmenge bewegt sich zwischen 0 und 380 cm und beträgt im Mittel 74 cm. Sie ist am bedeutendsten an der Golfküste,
während das Große Becken, bis zum Golf von Kalifornien, sowie die sogen. Llano estacado im westlichen Texas fast regenlos sind.
Tropische Regen erstrecken sich über Florida und längs des Golfs von Mexiko bis nach dem obern Colorado und fallen meist im Hoch- und
Spätsommer. Der Osten, bis zum Mississippi, hat Regen in allen Monaten, im Gebiet der Prärien fällt der
meiste Regen im Frühsommer, die Winter sind trübe, und ein sekundäres Maximum des Regens kommt im Vorwinter vor. Längs der
pacifischen Küste herrschen Winterregen. Schnee kommt überall vor, aber südlich von Washington, am Golf von Mexiko und an der
pacifischen Küste nur selten. Was die Vegetation betrifft, so teilt
mehr
O. Drude (Berghaus, Physikalischer Atlas) die Vereinigten Staaten in acht Gebiete ein. Das Gebiet der kanadischen Seewälder
umgreift den ganzen Nordosten und zeichnet sich durch seine Wälder mit Tsuga, Ulmen und Walnußbäumen aus. Südlich von ihm
liegt das Gebiet von Carolina und Florida, mit Kieferwaldungen, immergrünen Eichen und Palmetto. Westlich
von beiden liegen die Prärien (s. d.). Südwestlich schließen sich an diese Prärien die Steppen von Arizona an, denen der
riesige Säulenkaktus (Cereus) ihren Charakter verleiht. Im Felsengebirge und der Sierra Nevada sind die Waldungen durch das Vorkommen
der Pinus ponderosa ausgezeichnet.
Zwischen beiden Gebirgszügen liegt das Gebiet des Großen Beckens, mit Gesträuch von Artemisia tridentata.
Im fernen Nordwesten tritt das Gebiet der Thlinkitwälder, mit Picea sitchensis, der Douglas- und andrer Kiefern in das Gebiet
der Vereinigten Staaten über. Endlich liegt südlich davon das Gebiet von Kalifornien, berühmt durch seine Mammutbäume aus
der Familie der Sequoja. Weiteres über die Pflanzen- und Tierwelt s. Amerika, S. 470-474.
Bevölkerungsverhältnisse.
Die sogen. Zensusbevölkerung (d. h. die Bevölkerung ohne die in Stämmen lebenden Indianer und ohne Alaska) ist 1790-1880 von
3,929,214 auf 50,155,783 Seelen gestiegen.
Jahr
Bevölkerung
Weiße
Farbige
1790
3929214
3172006
757208
1810
7239881
5862073
1377808
1830
12866020
10537378
2328642
1850
23191876
19553068
3638808
1860
31443321
26922537
4441830
1880
50155783
43402970
6580793
Im J. 1885 schätzte man die Bevölkerung auf 58 Mill., jetzt (1889) beträgt sie wohl nahe an 70 Mill. Das Wachstum betrug
1840-50: 36 Proz., 1850-60: 36, 1860-70 aber nur 23 und 1870-80: 30 Proz.
1850-80 hat die weiße Bevölkerung 61 Proz. zugenommen, die farbige aber nur 48 Proz.,
wobei allerdings zu beachten ist, daß nur die weiße Bevölkerung durch die Einwanderung neuen Zuwachs erhält. Ohne diese
Einwanderung würde sie der Zahl nach ungünstiger stehen, als in der That der Fall ist.
Allerdings kamen 1880 (nach nicht sehr zuverlässigen Erhebungen) auf je 1000 Farbige 17,28 Todesfälle,
auf dieselbe Zahl Weißer aber nur 14,74. Es beweist dies aber nur, daß bei der thatsächlich festgestellten
farbigen Bevölkerung die Geburtsziffer sehr hoch sein muß. Daß der natürliche Zuwachs der Bevölkerung unter den Weißen
ein geringer ist, beweisen die Erhebungen in Massachusetts, Connecticut und Rhode-Island. In diesen Staaten
kamen 1870-80 auf 1000 Lebende 25 Geburten und 19 Todesfälle, und zwar ist die Zahl der Geburten unter den gebornen Amerikanern
viel geringer als unter den zugewanderten. Daß der Überschuß der Geburten abnimmt, scheint daraus hervorzugehen, daß 1850 noch
5,56, 1880 aber nur 5,04 Köpfe auf die Familie kamen. Am geringsten war das Wachstum 1870-80 in Neuengland
(1,39 Proz. jährlich), am raschesten in den Territorien (7,65
Proz.).
Die Einwanderung spielt in den Vereinigten Staaten eine große Rolle, hat aber erst seit den 40er Jahren größere Dimensionen
angenommen. In den Jahren 1790-1880 wanderten 10,748,684 Menschen ein, 1881-85: 2,832,566, 1886: 334,203,
1887: 490,109, 1888: 546,889. Schon 1841-50 war der jährliche Durchschnitt der Einwanderer 171,325; er stieg 1851-60 auf 259,821,
fiel aber 1861-70 auf 246,675, um 1871-80 abermals auf 294,469 und 1880-85 gar auf 566,513 Köpfe pro
Jahr zu steigen.
In dem einzigen Jahr 1882 kamen 730,349 Menschen in den Vereinigten Staaten an! Daß diese gewaltige Zunahme
der Einwanderung ernste Besorgnisse erregte, war um so weniger zu verwundern, als unter den Einwanderern zahlreiche verarmte
und nicht länger arbeitsfähige Menschen waren, deren man sich in Europa auf diese Weise zu entledigen suchte. Man erhebt daher
seit einiger Zeit von allen Einwanderern eine Kopfsteuer von 1 Dollar und erlaubt arbeitsunfähigen Individuen
oder solchen, die sich bereits in Europa kontraktlich verpflichtet haben, zu einem gewissen Lohn zu arbeiten, überhaupt nicht,
zu landen.
Was insbesondere die chinesische Einwanderung betrifft, so hat man dieselbe 1882 auf zehn Jahre verboten. Unter den 13,298,042
Einwanderern, die 1821-85 in den Vereinigten Staaten ankamen, waren dem Geburtsland nach: 5,552,368 Briten
(3,190,007 Irländer, 1,299,984 Engländer), 4,054,640 Deutsche, 1,047,080 aus Britisch-Amerika, 675,895 Schweden und Norweger,
340,802 Franzosen, 288,784 Chinesen, 238,298 Österreicher, 196,629 Italiener, 141,504 Schweizer, 150,099 Russen, 102,952 Dänen
etc. Im ganzen Gebiet der Union kommen nur 5,5 Einwohner auf das QKilometer, aber selbst in den
am dichteten bevölkerten Neuenglandstaaten ist die Bevölkerung kaum dichter als im Deutschen Reich (Rhode-Island 86, Massachusetts
83, Deutsches Reich 84). Der Schwerpunkt der Bevölkerung wandelt immer weiter nach W. Bis 1820 lag derselbe noch in der Nähe
von Baltimore, aber 1880 nicht fern von Cincinnati. Auf 1000 Einwohner männlichen Geschlechts kamen 1870:
978, 1880 aber nur 965 weibliche, offenbar als Folge lebhafterer Einwanderung. Den Altersklassen nach verteilt sich die Bevölkerung
wie folgt:
1870
1880
0-20 Jahre alt
49.7 Proz.
50.3 Proz.
20-60 " "
45.4 "
44.9 "
über 60 " "
4.9 "
4.8 "
Der Bewegung der Bevölkerung haben wir bereits oben gedacht. Außerdem mag erwähnt sein, daß 1880 von 1000 Todesfällen 147 auf
Rechnung der Atmungsorgane kamen, 115 kamen auf Auszehrung, 114 auf Nervenkrankheiten, 88 auf Diarrhöe und 52 auf Diphtheritis.
Man zählte 1880: 91,997 Irre, 76,895 Blödsinnige, 48,920 Blinde und 33,878 Taubstumme.
Im J. 1880 wohnten 11,318,547 Menschen in den Städten. Städte von über 50,000 Einwohnern gab es 1880: 35, unter denen die
bedeutendsten waren: New York (1,206,299, mit seinen Vorstädten aber 2,240000), Philadelphia (847,170), Brooklyn (566,663),
Chicago (503,185), Boston (369,832), St. Louis (350,518), Baltimore (332,313), Cincinnati (255,139), San Francisco (233,959) u.
New Orleans (216,090). Den Beschäftigungen nach teilt sich die über 10 Jahre alte Bevölkerung wie folgt:
Personen
Prozentsatz
1880
1870
1880
Landwirtschaft
7680493
47.4
44.2
Gewerbe und Bergbau
3837112
21.7
22.0
Handel und Verkehr
1810256
21.4
10.4
Persönliche Dienstleistungen
4074238
9.5
23.4
Zusammen:
17402099
100.0
100.0
Hierzu ist zu bemerken, daß unter persönlichen Dienstleistungen außer Ärzten, Lehrern, Geistlichen u.
dgl. nicht nur Dienstboten, sondern auch Tagelöhner (labourers) im allgemeinen eingeschlossen sind. Unter obiger Gesamtzahl
sind 2,557,157 Personen weiblichen Geschlechts eingeschlossen.
mehr
Nach dem Geburtsland zählte man 1880: 43,475,840 Eingeborne der Vereinigten Staaten und 6,679,947 Ausländer (13,31 Proz.).
Von den Ausländern waren 1,966,742 Deutsche, 1,854,571 Iren, 717,084 britische Amerikaner, 662,676 Engländer, 194,337 Schweden,
181,729 Norweger, 170,136 Schotten, 135,550 Österreicher und Ungarn, 106,971 Franzosen, 104,541 Chinesen, 88,621 Schweizer, 83,302
Walliser (aus Wales) und 64,196 Dänen. Demnach wiegt das germanische Element entschieden vor.
Weiterhin wurden durch den Zensus festgestellt, daß 6,298,447 geborne Amerikaner die Kinder im Ausland geborner Eltern waren
und weitere 1,911,098 einen im Ausland gebornen Vater oder eine dort geborne Mutter hatten. Sehr unregelmäßig sind die Ausländer
über die verschiedenen Staaten verteilt. Am zahlreichsten, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, sind
sie in den nordwestlichen Staaten (Dakota, Minnesota und Wisconsin) und im fernen Westen; auch sind sie zahlreicher in den großen
Städten als auf dem platten Land. Namentlich gilt dies von den Polen (Juden?) und Iren. Im Durchschnitt sind unter je 1000 Bewohnern
eines Staats 674 Eingeborne des Staats, 193 andre Amerikaner und 133 Ausländer, in andern Worten, von je 1000 gebornen
Amerikanern wohnen nur 754 in dem Staat ihrer Geburt. Die Amerikaner sind daher ein reges Wandervolk und wechseln ihren Wohnsitz
häufiger, als dies in Europa der Fall ist. (In Deutschland leben 900 pro 1000 in der Provinz, bez. dem Staat
ihrer Geburt.) Der Rasse nach unterschied man:
1870
1880
Zuwachs 1870-80 Proz.
Weiße
33589377
43402970
29
Farbige
4880009
6580793
35*
Chinesen
63254
105465
67
Japaner
-
148
-
Indianer
25731
66407
-
* Dieser Zuwachs wird mit Recht bezweifelt. Man nimmt an, daß 1870 zahlreiche »Farbige« den Zählern entgingen.
Die Zahl der Indianer im Gebiet der Union (aber ohne Alaska) schätzte man 1880 auf 322,534 Seelen, von denen 76,895 im Indianergebiet
angesiedelt waren, 179,232 aber noch in Stämmen leben. (Weiteres über die Verteilung der Farbigen und Indianer auf die einzelnen
Staaten etc. ist aus der Tabelle, S. 106, ersichtlich.) Diese Urbevölkerung des Landes ist durch die eingewanderte
germanische Rasse gegenwärtig in einem großen Teil des Gebiets gänzlich verdrängt oder ausgerottet.
Allerdings gibt es keinen Staat der Union, in welchem Indianer nicht angetroffen würden, aber abgesehen vom Indianergebiet gab es
bereits 1880 nur acht Staaten und Territorien, in welchen sie 5 Proz. der Bevölkerung ausmachten, und
nur in sieben Staaten und fünf Territorien betrug ihre Zahl über 5000 Köpfe. Nur wenige unter ihnen befinden sich noch im
Besitz des Landes ihrer Voreltern. Schritt um Schritt hat man sie gezwungen, große Ländereien, allerdings
gegen Entschädigung, an die vordringenden Ansiedler abzutreten, und hat ihnen als Teilentschädigung sogenannte Reservationen
angewiesen.
Allerdings, im W. und namentlich jenseit der Felsengebirge gibt es noch zahlreiche in Stämmen hausende Indianer, und diese
könnten den Ansiedlern gefährlich werden, wenn sie nicht durch zahlreiche Militärposten im Zaum gehalten würden. Anzuerkennen
ist das ehrliche Bestreben der amerikanischen Regierung, die Indianer an ein seßhaftes Leben zu gewöhnen,
und sie hat in dieser Beziehung trotz ihrer oft
nichtswürdigen Beamten, welche die Indianer um die ihnen zukommenden Naturalien
und Zahlungen betrügen, entschiedene Erfolge zu verzeichnen.
Gegenwärtig gibt es 66 Indianeragenturen, von denen die noch in Stämmen lebenden 291,553 Indianer abhängen,
während 66,407 Indianer bereits volle Bürgerrechte genießen. Die jährlichen Zahlungen an die Indianer belaufen sich auf 6 Mill.
Doll. (vgl. Amerika, S. 475; Indianer und Indianergebiet). Die Farbigen (d. h. Neger, Mulatten und ihre Nachkommen) sind in den
ehemaligen Sklavenstaaten am häufigsten, bilden aber nur in Südcarolina, Mississippi und Louisiana die
Mehrzahl. 1860 zählte man 4,441,830 Farbige, worunter 3,359,760 Sklaven waren. Im Lauf des Bürgerkriegs hat man sie sämtlich
emanzipiert, ohne ihren ehemaligen Herren die geringste Entschädigung zu gewähren, und bereits 1870 gab man ihnen trotz ihres
Mangels an Bildung und zum Schaden des Gemeinwesens sogar das politische Stimmrecht. Folge war, daß sie
in mehreren Staaten die politische Macht an sich rissen oder sie politischen Abenteurern aus dem Norden, den sogen. Schnappsäcklern
(carpet-baggers), in die Hände spielten. Gerade in den Nordstaaten, wo man am meisten von den Menschenrechten der Schwarzen
redete, wird ihnen gesellschaftliche Gleichberechtigung nur selten zugestanden.
Das spezifische Anglo-Amerikanertum ist am reinsten vertreten in den Neuenglandstaaten, die noch großenteils von Nachkommen
der englischen Puritaner bewohnt sind. Die Neuengländer, die Yankees, sind ein ganz eigentümlicher Menschenschlag und bilden
eine Art Geburts- und Geldaristokratie, die auf alle übrigen Amerikaner vornehm und voll Selbstgefühl herabblickt. Jeder
einzelne dünkt sich das souveräne Volk der Vereinigten Staaten zu repräsentieren.
Dabei ist er haushälterisch, auf Erwerb unablässig bedacht, ein ausgeprägter Geschäftsmann von praktischem Sinn, scharfem
Verstand und ungemeiner Energie, der in der Wahl der Mittel nicht sehr bedenklich ist, wenn es gilt, »Geld zu machen«. Im Umgang
ist der Yankee ernst und wenig mitteilsam, von geradem, kurz angebundenem Wesen, das in Europa leicht als
Unhöflichkeit und Unanständigkeit erscheint. An seiner Ehre sehr empfindlich, greift er bei Beleidigungen, ohne viel Worte
zu machen, zur Selbsthilfe. Er liebt seine Heimat, doch hängt er nicht an ihr, sondern sucht sich eine neue, wenn
er seine Lage dadurch verbessern zu können glaubt. In politischer Hinsicht wacht der Yankee mit größter Eifersucht über
Aufrechterhaltung seiner republikanischen Freiheit, wozu freilich die allgemein herrschende Titelsucht einen wunderlichen
Gegensatz bildet.
Das Äußere des echten Amerikaners charakterisiert sich durch hagere, schlanke Leibesform, blasse Gesichtsfarbe und frühzeitige
Entwickelung in leiblicher wie geistiger Beziehung, aber auch durch frühe Wiederabnahme seiner Kräfte.
Er ist gut gewachsen, muskulös und kräftig, das Gesicht ohne hervorstechende Züge, doch ernst, scharf und sich gleichbleibend.
Das weibliche Geschlecht besitzt in der Jugend eine ungemeine Zartheit und Anmut und zeichnet sich durch freies, dabei würdiges
und angenehmes Benehmen aus; doch schon mit den 20er Jahren nimmt die Anmut rasch ab. Wesentlich verschieden
von dem des eigentlichen Yankees ist der Charakter des mit romanischen Elementen versetzten Südländers. Derselbe ist weniger
arbeitsam, weniger ausschließlich auf das Nützliche gerichtet, dabei gastfrei, tapfer und oft
mehr
wahrhaft ritterlich, aber auch aufbrausend, kleinlich-empfindlich und zur Selbsthilfe geneigt. Der gesellschaftliche Ton ist
im S. freier und ansprechender als im N. Die Deutschen bilden in geistiger und materieller Beziehung einen wichtigen Faktor
der Bevölkerung, und da sie unablässig frischen Zuzug aus der Heimat erhalten und ihre Muttersprache pflegen, so
werden sie sich wohl noch auf lange Zeit ihre Eigentümlichkeiten bewahren. Sie sitzen am dichtesten in Pennsylvanien (wo
sie bei Gründung der Union die Mehrheit bildeten), in New York und in den westlichen Staaten (Illinois, Ohio, Wisconsin und Missouri),
leben meist als Ackerbauer auf dem platten Land, sind aber auch zahlreich in allen größern Städten.
Ein schlimmes Element der Bevölkerung sind die katholischen Iren, die meist blindlings ihren Geistlichen oder Parteiführern
folgen. Sie nehmen meist untergeordnete Stellen ein, und bei einiger Bildung werfen sie sich auf Politik und Ämterjagd. Die
Engländer und Schotten sowie die Skandinavier bilden hingegen sehr achtbare Teile der Bevölkerung. Diese
Verteilung der Rassen hat den verschiedenen Teilen der Union einen eigentümlichen Charakter aufgedrückt. Im NO. liegen die
Neuengland- und Yankeestaaten, mit einer aus den bürgerlichen Kreisen Englands abstammenden Bevölkerung, mit hoch entwickelter
Fabrikindustrie und den größten Städten.
In den mittlern und nordwestlichen Staaten ist die Bevölkerung mehr gemischt und enthält namentlich deutsche
Elemente. Dort spielt noch immer die Landwirtschaft die Hauptrolle. Der ferne Westen endlich ist das Gebiet der Edelmetalle und
der Abenteurer jeder Art, wenn auch die Zeit, wo Fallensteller (trappers), gefolgt von squatters, welche die ersten Äcker
urbar machten, und von nach Gold dürstenden prospectors, diese Gegenden durchzogen, fast verschwunden
ist. Endlich hat der Süden durch die lange anhaltende Sklaverei seinen Charakter erhalten, und seine weißen Bewohner stammen
wenigstens teilweise von adligen Geschlechtern Altenglands und französischen Einwanderern ab. Diese Gruppierung erklärt
zugleich die Vorliebe des industriellen Nordostens für das Schutzzollsystem, während die Acker- und
Plantagenbau treibenden West- und Südländer mehr dem Freihandel zuneigen.
Geistige Kultur.
Für die geistige Kultur und namentlich für das Schulwesen ist in den Vereinigten Staaten viel geschehen, vom Staat sowohl
als von Privaten; doch bleibt noch immer viel zu thun übrig, und mit unserm deutschen Schulwesen hält es einen Vergleich
jedenfalls nicht aus. Die Bundesregierung überläßt die Leitung des öffentlichen Unterrichts den Einzelstaaten, hat aber
den 36. Teil aller Staatsländereien (für jede Township eine Sektion) für Schulzwecke reserviert.
Außerdem hat die Mehrzahl der Staaten Schulfonds gegründet, und für Schulzwecke werden sowohl Steuern als auch Schulgelder
erhoben. Schulzwang besteht nur in einigen Staaten, trotzdem waren die Volksschulen 1886/87 von 11,805,660
Kindern besucht (durchschnittlich anwesend waren aber nur 7,571,416!, und die Schulen bleiben sechs Monate des Jahrs geschlossen).
Der Unterhalt dieser Schulen kostete 1886/87: 115 Mill. Dollar. In ihnen wird in der Regel nur Lesen, Schreiben, Rechnen und
etwas Geographie gelehrt;
aber was der Amerikaner in der Schule nicht lernt, das eignet er sich im praktischen
Leben an.
Für Neger bestehen besondere Schulen. Der Unterricht wird vielfach ganz unerfahrenen Kräften anvertraut, was man schon
daraus ersieht, daß 1880 der durchschnittliche Jahresgehalt eines
Lehrers nur 236 Doll. betrug! Am besten waren die Lehrer
bezahlt in Nevada (672 Doll.) und Massachusetts (532 Doll.), am schlechtesten in Alabama (84 Doll.). An Privatschulen (Academies,
Seminaries) für wohlhabendere Leute zählte man 1887: 1521 mit 8533 Lehrern und 157,826 Schülern. Von der über zehn Jahre
alten weißen Bevölkerung waren 1880: 9,4 Proz. des Schreibens unkundig (12
Proz. der Ausländer, 8,7 Proz. der gebornen Amerikaner), und von den stimmberechtigten
Schwarzen konnten gar 70 Proz. nicht schreiben.
An der Spitze der Bildungsanstalten stehen die sogen. Universities oder Colleges, von denen eine Anzahl auf Staatskosten unterhalten
werden, die Mehrzahl aber Stiftungen oder von religiösen Genossenschaften unterhaltene Anstalten sind. Die bedeutendsten unter
ihnen sind nach dem Muster der englischen Universitäten eingerichtet, doch wird das Utilitätsprinzip in ihnen bevorzugt.
Die älteste und angesehenste der amerikanischen Universitäten ist die Harvard University bei Cambridge in Massachusetts (1636
gegründet); ihr zunächst im Rang steht Yale College in Connecticut.
Die 361 Colleges und Universitäten hatten 1886: 5266 Lehrer und 70,024 Studenten (darunter fast der vierte
Teil weiblichen Geschlechts). Ihnen reihen sich zahlreiche Spezialschulen an, in welchen Ärzte, Advokaten, Landwirte, Geistliche
und Lehrer herangebildet werden. Wissenschaftliche Vereine bestehen in fast allen größern Städten. In weitern Kreisen bekannt
ist namentlich die Smithsonian Institution (s. Smithson). Unter den öffentlichen Bibliotheken, deren es 1885 nach
amtlichem Ausweis im ganzen 5338 mit 20,622,076 Bänden gab, sind 47 mit über 50,000 Banden.
Die größten sind die Kongreßbibliothek, die der Harvard University und die Boston-Bibliothek. Einen ganz wesentlichen Einfluß
auf die Bildung des Volkes übt die Presse aus. Im J. 1880 erschienen 11,314 Zeitungen und Zeitschriften in
einer Auflage von 31,779,686 Exemplaren. Von ihnen befaßten sich 8863 mit Politik, 553 mit Religion, 284 mit Handel; 10,515 erschienen
in englischer Sprache, 641 in deutscher, 49 in skandinavischer, 41 in französischer.
Die Verfassung der Union hebt in ihrem ersten Zusatzartikel ausdrücklich hervor, daß sie keine Staatsreligion
oder Staatskirche kenne oder anerkenne. Auch eine Eidesformel, in der die Gottheit zum Zeugen angerufen wird, kennt das Gesetz
nicht, und in den öffentlichen Schulen bildet »Religion« keinen Unterrichtsgegenstand. In dem Sektenwesen schließen sich die
Vereinigten Staaten eng an England an (vgl. Anglikanische Kirche, S. 577 f.); aber auch eigentümliche Sekten,
wie Shakers und Mormonen (s. d.), sind hier entstanden.
Überhaupt gab es 1880: 86,132 protestantische und 5975 kath. Kirchen mit 77,230 Geistlichen, aber 1887 soll es 132,435 Kirchen
gegeben haben mit 91,911 Geistlichen und 16,018,977 erwachsenen Gemeindemitgliedern. Unter den in 45 Sekten gespaltenen Protestanten
waren die Methodisten (4,532,658 Mitglieder) und die Baptisten (3,727,028) die zahlreichsten. Einflußreich,
aber mehr durch Intelligenz als durch ihre Zahl, sind die Unitarier (s. d.). Die Lutheraner (meist Deutsche und deren Nachkommen)
zählen kaum 1 Mill. Anhänger. Die Katholiken (unter 11 Erzbischöfen) scheinen trotz des stetigen Zuzugs aus Irland nicht
an Boden zu gewinnen, behaupten aber, einen Anhang von 7 Mill. Köpfen zu haben. Die Zahl der Juden ist
gering. Die Mehrzahl der Indianer ist noch heidnisch, und mit den Chinesen sind auch Buddhisten ins Land gekommen. Diese
mehr
eigentümlichen religiösen und kirchlichen Verhältnisse, die sich der Geschichte des Landes und dem Volkscharakter gemäß
gestalteten, entwickelten natürlich mancherlei Extravaganzen, welche die geschlossenen Staatskirchen Europas nicht aufweisen
können; dagegen sind auch der religiöse Eifer und die Rührigkeit in den amerikanischen Kirchen weit stärker als in den
meisten Ländern der Alten Welt. Abgesehen von den ansehnlichen Beiträgen für Bau und Unterhaltung gottesdienstlicher
Gebäude und der Prediger, bringen die Amerikaner alljährlich sehr beträchtliche Summen auf für mancherlei kirchliche und
philanthropische Zwecke.
Viele Sekten unterhalten Reiseprediger, deren die Baptisten und Methodisten zu Tausenden im Land herumreisen lassen. Die Wirksamkeit
der verschiedenen Missionsvereine erstreckt sich über alle Erdteile; auch die Bibelgesellschaften entfalten
einen weitreichenden Einfluß. Von nicht geringem Belang sind die Sonntagsschulen, deren erste 1791 zu Philadelphia gegründet
wurde, und die Temperanz- oder Mäßigkeitsvereine (s. d.), welche seit ihrer Gründung zu Boston 1813 sich über alle Staaten
ausgedehnt haben und einige Millionen Mitglieder (temperance-men) zählen.
Auch auf die Umgestaltung des Gefängniswesens haben namentlich die kirchlichen Vereine nicht geringen Einfluß geübt, doch
waren hier zuerst die Quäker zu weit gegangen und durch Begründung der strengsten Einzelhaft im pennsylvanischen System sogar
hartherzig geworden. Zu den philanthropischen Vereinen müssen wir auch die Amerikanische Kolonisationsgesellschaft rechnen,
deren Zweck darauf gerichtet ist, freie Neger und Farbige nach Afrika hinüberzuschaffen.
Landwirtschaft.
Die Landwirtschaft bildet in den Vereinigten Staaten noch immer den wichtigsten Erwerbszweig. Denn sie beschäftigte 1880:
7,670,493 Menschen, einschließlich von 4,225,945 Farmern (Landwirten) u. 3,323,876 Arbeitern, und
lieferte Produkte im Wert von 2213 Mill. Doll. Es gab 4,008,907 Farmen, zusammen 2,169,367 qkm groß, von
welcher Fläche indes nur 1,152,387 qkm landwirtschaftlich verwertet waren. Die durchschnittliche Größe jeder Farm betrug 54 Hektar,
und es gab nur 104,505 Farmen, die größer als 202 Hektar waren.
Kleingrundbesitz herrscht allerdings vor, aber viele der Farmer sind wirkliche Pachter, und der Großgrundbesitz nimmt rasch
zu. Im J. 1883 sollen acht der größten Eigentümer sich in 73,000 qkm geteilt haben, während die großen
Eisenbahngesellschaften gar 810,000 qkm ihr Eigentum nannten. Die noch nicht vergebenen Staatsländereien sollen 1887 einen
Umfang von 9,275,410 qkm gehabt haben, dabei waren aber der Kultur nie zugängliche Wüsteneien und 1,300,000 qkm in
Alaska eingeschlossen. Veräußert wurden im Lauf des Jahrs 104,639 qkm. Jeder amerikanische Bürger hat durch das Heimstättengesetz
(s. d.) Anspruch auf 65 Hektar, bez. 32⅓ Hektar Land, wenn er sich auf demselben niederläßt, es bebaut und 200 Doll. dafür
zahlt. Auch wer 2 Hektar mit Bäumen bepflanzt, kann Anspruch auf 65 Hektar erheben, wenn er den Minimalpreis
von 1¼ Doll. pro Acre (3,10 Doll. pro Hektar) zahlt.
Der Getreidebau hat zwar stetig zugenommen, aber nicht im Verhältnis zur Bevölkerung, so daß in der That nur zwei Gebiete
wirklichen Überschuß für die Ausfuhr haben, nämlich die Binnenstaaten, von Tennessee bis Dakota, und
die pacifischen Staaten. Unter allen Getreidearten gebührt dem Mais der erste Platz, denn er ist seit undenklichen Zeiten das
Hauptnahrungsmittel der Einwohner gewesen und ist es noch jetzt. Er gedeiht in
allen Staaten, ist im S. lohnender als Weizen
und wird im W. vielfach zum Mästen des Viehs verwendet.
Nächst dem Mais ist der Weizen die Hauptgetreideart in den Vereinigten Staaten und der bedeutendste Ausfuhrartikel
unter den Körnerfrüchten. Sein Gebiet erstreckt sich vom N. Virginias bis in den fernen Westen und Kalifornien. Gerste und Hafer
werden überall, mit Ausnahme der südlichsten Staaten, in bedeutender Menge gebaut. Im J. 1887 waren 573,921
qkm mit Getreide bebaut und ergaben einen Ertrag von 937 Mill. hl (Mais 513 Mill. hl, Weizen 161 Mill. hl). Der Reisbau ist seit
dem 17. Jahrh. in Südcarolina heimisch und verbreitete sich von dort aus über sämtliche tief gelegene Bezirke der Südstaaten.
Kartoffeln (1880: 60 Mill. hl) sind im N., Bataten oder süße Kartoffeln (12 Mill. hl) im S. wichtige Nahrungspflanzen.
Von Obst werden namentlich Äpfel und Pfirsiche gezogen, aber in den Südstaaten und in Kalifornien gedeihen auch Südfrüchte
ganz vorzüglich. Der Weinbau verbreitet sich immer mehr. Man hat mit Erfolg die einheimischen Rebensorten, namentlich die
Catawbatrauben, veredelt und zieht jetzt in Ohio und Missouri einen trinkbaren Wein. Das wahre Weinland
Amerikas ist aber vorläufig Kalifornien.
Hopfen (11,8 Mill. kg) wird vornehmlich in den nördlichen Staaten gebaut. Rohrzucker wurde zuerst 1726 in Louisiana angepflanzt,
und dieser Staat produziert auch jetzt noch fast allen Rohrzucker der Vereinigten Staaten. Der Krieg vernichtete
diesen Zweig des Landbaues fast vollständig: 1861 erzeugte Louisiana 209 Mill. kg Zucker, 1870 nur 37 Mill., aber 1880: 145 Mill.
und 1884: 130 Mill. kg, außer 1,3 Mill. hl Melasse. Auch die Produktion von Ahornzucker macht keine Fortschritte (1880: 16,6
Mill. kg), und die Versuche mit Rübenzucker sind ohne wesentlichen Einfluß gewesen.
Kaffee wird in den Vereinigten Staaten nicht gebaut, wohl aber baut man in Kalifornien mit Erfolg Thee. Tabak wird namentlich
in Kentucky, Virginia und Ohio gebaut, mit sehr schwankenden Ernteerträgnissen (1886: 230 Mill. kg). Ungemein wichtig
ist der Bau von Baumwolle längs der ganzen atlantischen Küste, von 34° nördl. Br. bis nach Texas hinein. 1748 wurden
die ersten 7 Ballen von Charleston in Südcarolina ausgeführt. Unter den verschiedenen Baumwollarten ist die sogen. Sea Island,
die auf den Gestadeinseln an den Küsten Carolinas und Georgias wächst, die geschätzteste.
Die Produktion von Baumwolle stieg 1825-60 mit gewissen Schwankungen von 108 Mill. kg auf 1170 Mill. kg.
Sodann kam der Bürgerkrieg, aber bald nach Beendigung desselben hob sich die Produktion wieder rasch und erreichte 1883 mit 1545 Mill.
kg ihren Glanzpunkt. Im J. 1887 war der Ertrag nur 1016 Mill. kg. Außerdem baut man Flachs in immer zunehmenden
Verhältnissen, Hanf, etwas Jute (seit 1870) und ein javanisches Fasergewächs, Ramé (Boehmeria tenacissima). Die Seidenzucht
in den atlantischen Staaten hat fast aufgehört, aber in Kalifornien nimmt sie rasch zu. Schließlich sei noch des Sumach erwähnt
als einer erst in jüngster Zeit zu Bedeutung gelangten Handelspflanze. Im allgemeinen kann man auch jetzt
noch sagen, trotz der seit 1784 bestehenden landwirtschaftlichen Vereine, der vorzüglichen landwirtschaftlichen Maschinen
und der landwirtschaftlichen Akademien, daß das amerikanische System des Landbaues ein Raubsystem ist, welches in den ältern
Staaten bereits zur Erschöpfung des Bodens geführt hat. Es lohnt sich eben noch immer besser, jungfräulichen Boden in Angriff
zu nehmen, als ein intensiveres System des Landbaues
mehr
einzuführen; aber bei der raschen Abnahme der noch verfügbaren für den Ackerbau geeigneten Ländereien dürfte dies nicht
mehr lange dauern.
Die Viehzucht nimmt stets größere Verhältnisse an und liefert schon jetzt einen ganz beträchtlichen Bruchteil der Ausfuhr
des Landes. Rindviehzucht blüht namentlich im NO., in Texas und im fernen Westen, Pferdezucht in Kentucky,
Schweinezucht im W. und Schafzucht in allen Staaten. Für Veredelung der Haustiere, die, sämtlich von Europa eingeführt, in
Amerika sich verschlechterten, geschieht jetzt viel, und wenn auch die amerikanische Wolle sich mit der deutschen noch nicht
messen kann, so findet das frische, in künstlich gekühlten Schiffsräumen nach England geschaffte Rindfleisch
stets bereite Abnehmer, und amerikanische Schinken und Pökelfleisch, Käse und selbst Butter haben ihren Weg in fast alle Teile
der Welt gefunden. 1888 zählte man 13,172,936 Pferde, 2,191,727 Maultiere, 48,934,777 Rinder, 43,544,755 Schafe und 44,346,525
Schweine. In 872 Schlächtereien wurden 1880: 20 Mill. Tiere geschlachtet und verpackt, die 1608 Mill.
kg Fleisch und 227 Mill. kg Schmalz lieferten. In demselben Jahr wurden auf den Farmen und in großartig angelegten Fabriken 360 Mill.
kg Butter und 91 Mill. kg Käse hergestellt, und die Schafe lieferten 109 Mill. kg Wolle.
Die Holzproduktion ist trotz der Verminderung des Holzbestandes noch sehr ansehnlich. Bei der rasch vorgeschrittenen
Urbarmachung des Bodens in denjenigen Staaten, wo früher die ausgedehntesten Urwälder vorhanden waren, und bei der gänzlichen
Vernachlässigung der Waldkultur in den schon länger kolonisierten Staaten ist es bereits dahin gekommen, daß in einem großen
Teil der Neuenglandstaaten eher Mangel als Überfluß an Holz herrscht. Der einzige größere Wald in dem
ehemals so holzreichen New York liegt in den Adirondacbergen. Wisconsin, Michigan und Minnesota zerstören sinnlos ihre Waldungen,
und selbst im fernsten Westen fängt man schon an, Holzmangel zu spüren. Im J. 1880 schätzte man den Holzertrag auf 187 Mill.
cbm, im J. 1888 auf 845 Mill. cbm.
Ungemein wichtig ist die Fischerei. 1880 beschäftigte dieselbe 131,426 Menschen mit 6605 Schiffen und 44,804 Kähnen und lieferte
einen Ertrag von 43 Mill. Doll. Davon kamen auf Austernfang 13,4 Mill., auf Walfischfang 2,3
Mill. und auf Robbenschlag 2,3 Mill. Doll. Diese Beträge scheinen viel zu gering zu sein, denn im J. 1886 erzielten
die von New Bedford und San Francisco abgefahrenen 124 Waler einen Ertrag von 21,7 Mill. Doll.
Bergbau.
Von ungemeiner Wichtigkeit ist der Bergbau und die Gewinnung nützlicher Mineralien, denn bereits 1880 beschäftigten Bergwerke
u. Steinbrüche 250,846 Menschen, und im J. 1887 schätzte man den Wert der geförderten Metalle auf 250 Mill.
Doll. und den der gewonnenen Mineralien jeder Art (einschließlich von natürlichem Gas und Mineralwässern) auf 288 Mill. Doll.
(gegen 206 Mill. Doll. im J. 1880). Die Edelmetalle kommen zwar auch in den Alleghanies vor, ihren Hauptertrag aber liefern,
was Gold betrifft, Kalifornien, Colorado und Dakota, während Colorado, Utah, Nevada und Montana am reichsten
an Silber sind.
Das Verhältnis im Ertrag von Gold und Silber hat sich seit 1860 total verändert, denn während 1850-59 für 555 Mill. Doll.
Gold und für 550,000 Doll. Silber gefördert wurden, war der Ertrag 1860-79: 879 Mill. Doll. Gold und 422 Mill.
Doll. Silber, und 1880-87 gar nur 264 Mill. Doll. Gold gegen 375 Mill. Doll. Silber. Im J. 1887 lieferten die Gruben für 33,1 Mill.
Doll. Gold
und 53,4 Mill. Doll. Silber. Dem Wert nach viel wichtiger sind aber Steinkohlen und Eisen. Die Kohlenbecken der Vereinigten Staaten
bedecken 497,670 qkm und bilden drei Gruppen: eine atlantische, die namentlich die Anthracitkohlen von
Pennsylvanien liefert, eine westzentrale und eine ostzentrale. Im J. 1860 betrug die Kohlenausbeute erst 17 Mill. Ton., 1870 bereits 31 Mill.,
1880: 66 Mill. und 1887: 116 Mill. T. Gleiche Fortschritte machte die Produktion von Roheisen (1860: 1 Mill.,
1880: 3,9 Mill., 1887: 6,4 Mill. T.).
Der Hauptertrag (fast die Hälfte) kam davon auf Pennsylvanien. Kupfer (1887: 83,913 T.) kommt namentlich in Michigan (am Obern
See), in Montana und Arizona vor;
Blei (145,784 T.) in Colorado (Leadville) und Utah (Frisco);
Zink (45,600 T.) in Kentucky, New Jersey
und Pennsylvanien;
Quecksilber (33,825 Flaschen) fast nur in Kalifornien. An andern Metallen verdienen Erwähnung Antimon und Nickel,
in ganz unbedeutenden Quantitäten.
Unter den nichtmetallischen Mineralien gebührt der erste Platz nächst Steinkohlen den
Bausteinen (25 Mill. Doll.) und nächst ihnen dem Kalk (23,4 Mill. Doll.). Petroleum (1887: 28 Mill. Faß)
findet man nur in New York und Pennsylvanien in erheblichen Quantitäten, und ebendort treten natürliche Brenngase zu Tage,
deren Wert 1887 auf 13,6 Mill. Doll. geschätzt wird. Salz (7,831,962 Faß) findet sich namentlich in Michigan und New York. An
sonstigen Mineralien werden Zement, Phosphate, Kaolin und Thon in den Listen mit namhaften Summen aufgeführt.
Industrie.
Die Industrie hat im Lauf der letzten Zeit, allerdings teilweise infolge des Schutzzollsystems, ungeheure Fortschritte gemacht,
und ihre Erzeugnisse können sich im ganzen mit denen Europas recht gut messen und übertreffen sie sogar in vielen Fällen.
Hauptsitz dieser Industrie sind die nördlichen, namentlich aber die nordöstlichen Staaten. Ein Vergleich
zwischen 1870 und 1880 ergibt folgendes:
1870
1880
Zahl der gewerblichen Anstalten
252148
253852
Arbeiter
2053996
2732595
Angelegtes Kapital (Dollar)
2118208769
2790272606
Rohstoffe, verarbeitet für (Dollar)
2488427243
3396823540
Arbeitslöhne (Dollar)
775584343
947953795
Erzeugnisse (Dollar)
4232325442
5369579191
Reingewinn des Anlagekapitals
45.7 Proz.
36.7 Proz.
Diese Zahlen, mit ähnlichen für europäische Länder verglichen, geben freilich eine falsche Vorstellung
von der Industrie der Vereinigten Staaten, insofern sie sich nicht nur auf den Bau von Häusern und Eisenbahnen sowie fast auf
sämtliche kleine Gewerbe erstrecken, sondern auch den Wert der Rohstoffe, die mehrere Prozesse durchlaufen, zwei- und mehrmal
angeben, wie z. B. Korn bei Erzeugung von Mehl, Mehl bei Erzeugung von Backwaren. Über die Hälfte sämtlicher
Erzeugnisse für das Jahr 1880 fällt auf vier Staaten: New York, Massachusetts, Pennsylvanien und Ohio. Im allgemeinen gilt,
daß Pennsylvanien Hauptsitz der Eisenindustrie, Neuengland der Textil und New York der Bekleidungsindustrie ist. Neben den
zahlreichen Wasserfällen arbeiteten 1880: 56,483 Dampfmaschinen mit 2,185,458 Pferdekraft. Der durchschnittliche Arbeitslohn
betrug 1860: 289 Doll., 1870: 374 Doll., 1880 aber nur 347 Doll., und da inzwischen die notwendigsten Lebensbedürfnisse infolge
des Schutzzollsystems seit 1870 nicht billiger
mehr
geworden sind, so hat sich thatsächlich die Lage des Arbeiters verschlimmert, und infolgedessen ist auch Amerika von sozialkommunistischen
Bewegungen nicht befreit geblieben.
In den meisten Fabrikzweigen wird Vorzügliches geleistet, und die Erfindungsgabe der Amerikaner, seit 1790 durch ein
Patentgesetz aufgemuntert, hat ihrer Industrie wesentliche Dienste geleistet, indem sie amerikanische Fabrikanten
trotz der höhern Löhne in den Stand setzte, ihren europäischen Konkurrenten wenigstens in einigen Branchen die Spitze zu bieten.
Rühmlich bekannt sind amerikanische Waffen, landwirtschaftliche Geräte, Nähmaschinen und die Produkte der Presse.
Die 1005 Eisen- und Stahlwerkebeschäftigten 1880: 140,978 Arbeiter und produzierten 3,781,021 Ton. Roheisen und 1,058,314 T.
Stahl, aber 1887 (bei 582 Hochöfen) 7,187,206 T. Roheisen und 3,258,605 T. Stahl. Auch Panzerplatten, die
man früher von England bezog, werden jetzt in Pennsylvanien hergestellt. Eisengießereien und Maschinenbauwerkstätten beschäftigten
1880: 145,351 Arbeiter. Außerdem fanden Beschäftigung 34,526 Grobschmiede, 26,248 Weißschmiede, 16,801 Arbeiter in Kurzwaren,
11,319 Messing- und Kupferschmiede und 10,519 Messerschmiede.
Die 3071 Baumwoll- und Wollfabriken beschäftigten 292,894 Arbeiter, waren mit 12,710,547 Spindeln und 279,719
Webstühlen ausgestattet und lieferten Waren im Wert von 405 Mill. Doll. (Wollwaren 194 Mill.). In beiden Zweigen nimmt Massachusetts
den ersten Rang ein, bei der Wollindustrie ist aber außerdem Pennsylvanien stark beteiligt. Dazu kamen 382 Seidenfabriken
(31,337 Arbeiter), 470 Fabriken für gemischte Stoffe (43,373 Arbeiter), 359 Strumpfwebereien (28,875 Arbeiter), 195 Teppichfabriken
(20,371 Arbeiter) und 191 Druck- und Appreturwerke (16,688 Arbeiter).
Insgesamt beschäftigten demnach die genannten Textilfabriken 433,538 Arbeiter und lieferten Waren im Wert von 606 Mill. Doll.
Die chemischen Fabriken (29,520 Arbeiter, Produkte 117 Mill. Doll.) waren am zahlreichsten in New York. Was
Lebensmittel und Artikel des Konsums betrifft, so waren am wichtigsten die Mahlprodukte (505 Mill. Doll.), Fleischwaren (304
Mill. Doll.), Zucker (156 Mill. Doll.), Tabak (117 Mill. Doll.), Bier (111 Mill. Doll. in 2191 Brauereien), Spirituosen (41 Mill.
Doll.), Käse und Butter (26 Mill. Doll.), eingemachte Früchte (18 Mill. Doll.). Die von 186,005 Arbeitern,
namentlich in New York, hergestellten Kleider hatten einen Wert von 242 Mill. Doll., die Schuhe von 197 Mill. Doll. Wichtig sind
ferner noch folgende Industriezweige, sämtlich mit Produkten von über 25 Mill. Doll. im Wert: Säge- und Hobelmühlen (270
Mill. Doll.), Lederfabrikation (185 Mill. Doll.), Schreinerei, Druckerei, Wagenbau, Bäckerei, Möbelschreinerei,
Papierfabrikation, Schiffbau, Sattlerei, Faßbinderei, Steinmetzarbeiten, Backsteinbrennerei, Seife- und Lichtefabrikation.
Geringer im Wert, aber immerhin von Bedeutung sind die Glasindustrie und der Bau von Nähmaschinen, Pianos und Orgeln.
Handel.
Wie schon oben angedeutet, hängt diese Entwickelung der Industrie innig mit dem Handelssystem, das von jeher
als politische Interessenfrage behandelt wurde, zusammen. Bis zum Jahr 1846 walteten die Grundsätze des Freihandels, die dem
fast nur Rohstoffe produzierenden Süden und dem Westen am vorteilhaftesten erschienen. Von da an bis 1860 hielten sich die
Plantagenbauer und die Fabrikanten des Nordens so ziemlich das Gleichgewicht; ein Vergleich zwischen ihnen
kam indes zu stande, und mäßige Eingangszölle wurden eingeführt.
Als aber der Süden dem Norden unterlegen war, benutzten die Fabrikanten des Nordens seine Ohnmacht und führten, nur mit Rücksicht
auf
ihre eignen Interessen, ein System des Schutzzolls ein, wie es schroffer in keinem Staate der Welt existiert.
Der 1861 eingeführte Zolltarif besteuert nicht nur Manufakturwaren, sondern auch die Mehrzahl der Rohstoffe, so daß selbst
manchen Zweigen der eignen Industrie, so namentlich dem Schiffbau, tiefe Wunden geschlagen wurden.
Bis 1866 ließen sich diese Schutzzölle einigermaßen durch die fast sämtlichen einheimischen Gewerben auferlegten Gewerbesteuern
rechtfertigen; seit jener Zeit aber sind nur noch Tabak und Spirituosen einer Gewerbesteuer unterworfen,
und es sind bloß einige Tausende von Industriellen, die den Löwenanteil des Vorteils aus denselben ziehen. Zollfrei sind nur
Thee und Kaffee, Chemikalien, Früchte, Häute, Rohseide, Gummi, Zinn und einige andre unbedeutende Artikel.
Der Handel und namentlich der Binnenhandel spielt in einem Land von der Ausdehnung der Vereinigten Staaten
eine ungemein wichtige Rolle und wird gefördert durch natürliche und künstliche Verkehrswege. Zu erstern gehört der Vater
der Ströme, der Mississippi, nebst einer stattlichen Reihe von Flüssen, auf denen lebhafter Verkehr stattfindet, sodann das
System der Kanadischen Seen; zu letztern ein großartig entwickeltes System von Eisenbahnen und eine Reihe
von Kanälen. Über den Wert der Ein- und Ausfuhr gibt die folgende Tabelle für die letzten 13 Jahre Aufschluß (Wert in Dollars):
Jahr
Einfuhr Waren
Einfuhr Gold u. Silber
Ausfuhr Waren
Ausfuhr Gold u. Silber
1875
533005100
20901000
513443000
92132000
1880
667953302
93034310
823946353
9347893
1885
577527329
43242323
726682946
24376110
1886
635436036
38593656
665964529
51924117
1887
692319768
60170792
703022923
22710340
1888
723957114
59337986
683862104
33195504
Warenein- und Ausfuhr setzten sich 1887/88 wie folgt zusammen:
Einfuhr
Dollar
Lebensmittel und Tiere
220786451
Rohstoffe
174270070
Fabrikwaren
232920867
Luxusartikel
95979726
Zusammen:
723957114
.
Ausfuhr
Dollar
Landwirtschaftliche Produkte
500840086
Fabrikwaren
130300087
Bergbauprodukte
17993895
Waldprodukte
23991092
Fischereiprodukte
5518552
Alles andre
5218392
Zusammen:
683862104
Aus dieser Zusammenstellung geht recht deutlich hervor, daß bei der Ausfuhr die landwirtschaftlichen Erzeugnisse
eine hervorragende Rolle spielen, aber wenn wir auf eine Reihe von Jahren zurückgehen, dann finden wir, daß sie immer mehr
von den Fabrikwaren verdrängt werden. Im J. 1880 bildeten sie noch 83 Proz.
der Ausfuhr, 1887/88 aber nur 73 Proz.
Bei der Einfuhr 1887/88 spielen die wichtigste Rolle: Zucker (79,760,891 Doll.), Kaffee (60,507,630 Doll.), Eisen- und Stahlwaren
(48,992,757 Doll.), Wollwaren (47,719,393 Doll.), Flachs, Hanf, Jute und Fabrikate daraus (41,605,493 Doll.), Chemikalien (39,015,949
Doll.), Seidenwaren (33,350,999 Doll.), Häute und Pelzwerk (30,674,683 Doll.), Baumwollwaren (28,917,799 Doll.), Früchte und Nüsse
(20,502,223 Doll.), Rohseide (19,931,682 Doll.), Gummi und Guttapercha (16,067,262 Doll.), Wolle, Tabak, Holz und Holzwaren, Thee u.
Juwelierwaren.
mehr
Bei der Ausfuhr amerikanischer Produkte spielt Baumwolle (223,016,760 Doll.) die Hauptrolle. Ihr zunächst folgen Weizen und
Weizenmehl (111,019,179 Doll.), Fleisch und Produkte der Milchwirtschaft (93,058,705 Doll.), Erdöl (47,042,409 Doll.), Tabak (25,514,541
Doll.), Holz und Holzwaren (23,063,108 Doll.), Eisen- und Stahlwaren (17,763,034 Doll.), Mais (13,355,950 Doll.), Baumwollwaren (13,013,189
Doll.), Vieh (11,577,578 Doll.), Leder und Lederwaren (9,583,411 Doll.) u. Kupfer mit Kupferwaren (8,877,485
Doll.). Über die Hälfte dieses gewaltigen Handelsverkehrs wird durch New York vermittelt, und fast 90 Proz. entfallen auf
die atlantischen Häfen.
Nach den Hauptländern, unter welchen England die erste Stelle einnimmt, verteilten sich Ein- und Ausfuhr (1887/88) von Waren
wie folgt:
Länder
Ausfuhr Dollar
Einfuhr Dollar
England
358238790
177897975
Deutschland
55621264
78421835
Frankreich
37784237
71365266
Britisch-Nordamerika
34432059
43084123
Brasilien
7063892
53710234
Cuba
9724124
49319087
Belgien
24636205
9836572
Italien
12725887
18401588
Niederlande
15983191
12356374
Mexiko
9242188
17329889
Japan
4208121
18621576
China
4581083
16690589
Britisch-Ostindien
3745695
18406293
Spanien
14310459
5189745
Britisch-Westindien
7450018
12550940
Australien
11076053
5027779
Das große Übergewicht Englands tritt hier sehr schroff zu Tage, indem ihm 1887/88: 38 Proz. des gesamten Handelsumsatzes
zufielen, während nur 9,6 auf Deutschland und 8,2 Proz. auf Frankreich kamen. Aber noch 1875 kamen auf England 42, auf Frankreich
8,5 und auf Deutschland nur 8,2 Proz.
Verkehrsverhältnisse.
Die Handelsflotte erlebte ihre glänzendste Periode 1861. Damals war der Tonnengehalt 5,539,813, wovon 2,642,628 Ton. auf Schiffe
kamen, welche den Verkehr mit dem Ausland vermittelten. Namentlich waren es letztere, welche infolge des Bürgerkriegs und der
das Meer unsicher machenden Kaperschiffe der Konföderierten litten, und 1866 war ihr Tonnengehalt auf 1,492,926
gefallen. Die Herrschaft der Schutzzölle hat dann später verhindert, daß die Amerikaner ihre Stellung zur See wiedergewannen.
Mitte 1887 bestand die Handelsflotte aus 15,735 Segelschiffen (2,170,158 T.), 5481 Dampfern (1,542,717 T.) und 1847 Kanalbooten
und Kähnen (392,970 T.), zusammen 23,063 Schiffen jeder Art mit einem Gehalt von 4,105,845 T. Verteilt
war diese Flotte wie folgt: atlantische Häfen 17,390 Schiffe, 2,638,000 T., pacifische Häfen 1236 Schiffe, 357,000 T.;
Binnenseen 3144 Schiffe,
784,000 T., Mississippi und andre Flüsse 1293 Schiffe, 327,000 T. Ferner vermittelten den Verkehr mit dem Ausland 1512 Schiffe
von 989,412 T., 109 Schiffe von 26,151 T. waren Waler, 19,849 Schiffe von 3,010,735 T. fanden in der Küsten-
und binnenländischen Schiffahrt Beschäftigung, und 1593 Schiffe von 79,547 T. waren Fischerboote.
Unter den 31,254 Schiffen
von 15,393,103 T., die 1887-88 vom Ausland einliefen, waren nur 9532 Schiffe (3,366,767 T.) amerikanische, und während 1856: 75 Proz.
des gesamten Handels durch amerikanische Schiffe
vermittelt wurden, war ihre Beteiligung 1888 nur 13½
Proz. Dagegen ist der Küstenhandel fast gänzlich in den Händen amerikanischer Reeder. Leuchttürme und Leuchtschiffe gab es
1888: 2226.
Die Kanäle hatten 1880 eine Länge von 4048 km, wobei die infolge des Baues von Eisenbahnen eingezogenen Kanäle in einer Länge
von 3150 km nicht inbegriffen sind. Am wichtigsten unter allen diesen Kanälen ist der Eriekanal (s. d.). Der Vorschlag, den
Michigansee durch einen für Schiffe von 3000 Ton. fahrbaren Kanal mit dem Mississippi zu verbinden, ist seither noch nicht verwirklicht
worden. Bei weitem wichtiger als die Kanäle sind die Eisenbahnen. Die erste Eisenbahn wurde 1827 in Massachusetts
gebaut, und in jüngerer Zeit wurde ihr Bau durch Landschenkungen seitens der Regierung (76 Mill. Hektar) u. Darlehen beschleunigt
(s. Pacificbahnen). Im J. 1888 waren 251,184 km Eisenbahnen im Betrieb; das in ihnen angelegte Kapital belief sich auf 9500 Mill.
Doll., und sie warfen einen Reinertrag von 368 Mill. Doll. ab. Die Länge der Telegraphenleitungen schätzt
man auf 300,000 km, wovon 175,800 km der mächtigen West Union Telegraph Company gehören. Auch sämtliche Telephonleitungen
(258,000 km) sind Privateigentum. Die Post hingegen ist Staatsanstalt. Es gab 1888: 57,281 Postämter, 6689 Mill. Gegenstände
wurden befördert und 17 Mill. Postanweisungen ausgestellt. Wenn man weiß, daß Zeitungen innerhalb des
Staats, in welchem sie erscheinen, gratis befördert werden, dann wird es nicht wundernehmen, zu hören, daß die Postbehörden
1887-88 ein Defizit von über 3 Mill. Doll. machten.
Eine Nationalbank besteht nicht, wohl aber gibt es zahlreiche sogen. Nationalbanken als Privatunternehmen,
welche Noten im Betrag von 235 Mill. Doll. im Umlauf hatten. Für je 100,000 Doll. in Noten müssen 90,000 Doll. in Staatspapieren
deponiert werden. Zur gleichen Zeit befanden sich im Verkehr 380 Mill. Doll. in Goldmünzen, 112 Mill. Doll. in Silbermünzen, 371 Mill.
Doll. in Gold- und Silbercertifikaten und 310 Mill. Doll. in Papiergeld, zusammen also 1408 Mill. Doll. Gleichzeitig
lagerten im Schatzamt für 332 Mill. Doll. Gold und für 285 Mill. Doll. Silber.
Münzeinheit ist der Dollar zu 100 Cents. 1853 wurde der Goldfuß eingeführt, und man prägte in Gold Stücke zu 1, 2½, 3, 5, 10 (eagles)
und 20 (double eagles) Dollar; in Silber Stücke von 1, ½, ¼ und 1/10 (dime) Dollar; in Nickel und Kupfer Stücke von 5, 3 und 1 Cents.
Der Eagle (10 Doll.) hat ein Gewicht von 16,718 g bei 9/10 Feingehalt, und sein Wert ist demnach = 41,979 Mk.
deutsche Währung. Der seit 1873 geprägte Trade-Dollar (in Silber) wiegt 27,216 g bei 9/10 Feingehalt und hat bei jetzigem Preis
des Goldes einen Wert von nur 4,41 Mk. in Gold.
Trotzdem ist er durch die Anfang 1878 angenommene »Silberbill« neben Gold als gesetzmäßiges Zahlungsmittel bei öffentlichen
und Privatschulden anerkannt, wenn nicht vertragsmäßig die Zahlung in Gold ausbedungen ist, was bekanntlich
bei Zahlung der Zinsen der Staatsschuld nicht der Fall ist. Der alte Silberdollar im Gewicht von 26,7296 g hat einen Wert von 4,33
Mk. Während der Jahre 1863 bis 1878 bestand eine Papierwährung, und 1865 erhielt man für 100 Doll. in
Gold 202 Doll. in Papier (currency). Seit sind Barzahlungen wieder aufgenommen worden. Maße und Gewichte sind die altenglischen.
Ein amerikanischer Fuß (foot) ist = 0,3048 m;
1 Yard = 3 Fuß;
1 Fathom = 6 Fuß;
1 Pole (perch, rod) = 15 Fuß: 1
mehr
Furlong = 660 Fuß;
1 Mile = 8 Furlongs = 1,6094 km;
1 Acre = 40,4718 Ar (1 Hektar = 2,4709 Acres);
1 Quadratmile (section) = 2,5902
qkm;
1 Township = 36 Sections = 93,247 qkm. Maß für trockne Dinge ist der Winchester Bushel, = 35,2372 Lit.;
8 Bushels sind
= 1 Quarter;
10 Quarter = 1 Ton. Flüssigkeitsmaß ist die Gallone, = 4 Quarts = 8 Pints = 32 Gills = 3,7852L. Einheit des Handelsgewichts
ist das Pound avoirdupois, = 453,592 g, welches in 16 Unzen zu 16 Drams eingeteilt wird. 100 Pfund sind = 1 Cental;
2000 Pfd.
eine Tonne.
Das Pfund Troy, = 373,246 g, wird als Münzgewicht in 12 Unzen zu 20 Pennyweights (dwts.) zu 24 Grains eingeteilt.
Staatsverfassung und Verwaltung.
Was die Grundlage der Verfassung anlangt, so kennt die Union als Land der freien Menschenrechte keine Geburtsstände, keinen
Adel, keinen Bürger- und Bauernstand. Die politische Gleichberechtigung ohne Unterschied von Rasse und
Bildungsgrad besteht aber erst seit Aufhebung der Sklaverei 1865 und seit Verleihung der Bürgerrechte an die Neger 1870.
Die Konstitution der Vereinigten Staaten datiert vom wurde aber 15mal Abänderungen (amendments) unterworfen,
zuletzt als man den ehemaligen Sklaven das Stimmrecht verlieh. Nach derselben bilden die Vereinigten Staaten
von Nordamerika einen Bund (Union) von Freistaaten, welche bis auf bestimmte an die Bundesregierung abgetretene Rechte souverän
sind und gegenwärtig alle einen entschieden demokratischen Charakter haben. Die Konstitution ordnet eine gesetzgebende, eine
richterliche und eine exekutive Gewalt an. Die gesetzgebende Gewalt ist dem Kongreß der Vereinigten Staaten
übertragen, welcher aus einem Senat und einem Haus der Repräsentanten besteht und sich wenigstens einmal im Jahr und zwar am
ersten Montag des Dezembers (wenn nicht durch ein Gesetz ein andrer Tag bestimmt wird) am Sitz der Regierung versammeln muß.
Zum Senat sendet jeder Staat ohne Rücksicht auf seine Größe zwei Senatoren, welche von der Legislatur desselben
auf 6 Jahre gewählt werden. Alle 2 Jahre wird ein Drittel des Senats neu gewählt. Um zum Senator gewählt werden zu können,
muß man 30 Jahre alt, 9 Jahre Bürger der Vereinigten Staaten und zur Zeit der Wahl Einwohner des Staats
sein, von welchem man gewählt wird. Der Präsident des Senats ist der Vizepräsident der Union, hat aber selbst keine Stimme,
ausgenommen wenn die Stimmen gleich geteilt sind.
Die vom Präsidenten (s. unten) ernannten Staatsbeamten und die von ihm abgeschlossenen Verträge bedürfen der Bestätigung
von seiten des Senats. Auch ist er ausschließlich befugt, bei Klagen über Staatsbeamte (impeachment) zu
entscheiden. Wird Anklage gegen den Präsidenten der Union erhoben, so nimmt der Präsident des obersten Bundesgerichts den Vorsitz
ein. Ein Angeklagter wird vor diesem Gericht nur für überführt erachtet, wenn er durch Übereinstimmung von zwei Dritteln
der Mitglieder desselben verurteilt worden ist.
Der Senat kann zwar nur auf Entfernung vom Amt und auf Unfähigkeit, ein solches fortan wieder zu bekleiden, erkennen; doch
kann der Überführte außerdem noch zur weitern Prozedur und Bestrafung den gewöhnlichen Gerichten übergeben werden. Das
Repräsentantenhaus besteht seit 1880 aus 325 Mitgliedern, die von den einzelnen Staaten auf 2 Jahre gewählt
werden. Die Repräsentanten werden im Verhältnis zur stimmberechtigten Bevölkerung auf die verschiedenen Staaten verteilt,
und vor dem Bürgerkrieg wurden
drei Fünftel der Sklaven derselben in den Südstaaten zugezählt.
Die einmal gesetzlich bestimmte Zahl von Repräsentanten wird nur überschritten, wenn nach geschehener Verteilung derselben
neue Staaten in die Union aufgenommen werden; die Überzahl wird jedoch nach dem nächsten Zensus wieder
ausgeglichen. Die Territorien sind nur durch Delegierte (delegates) vertreten, welche zwar mit beraten können, aber keine
Stimme haben. Um zum Repräsentanten gewählt werden zu können, muß man 25 Jahre alt, 7 Jahre Bürger der Vereinigten Staaten
gewesen und zur Zeit der Wahl in dem betreffenden Staat ansässig sein.
Senatoren und Repräsentanten erhalten seit 1874 einen Jahrgehalt von 5000 Doll. und außerdem Reisespesen. Keiner von ihnen
darf während seiner Wahlperiode von der Unionsregierung zu einem Staatsamt berufen werden, welches in dieser Zeit neu errichtet
und höher dotiert worden ist. Auch kann kein Beamter der Unionsregierung zugleich Senator und Repräsentant
sein. Die Sitzungen beider Häuser sind öffentlich; doch ist die Öffentlichkeit nur herkömmlich, nicht durch die Verfassung
ausgesprochen.
Alle Gesetzentwürfe (bills) zur Erhebung von Staatseinkünften müssen von dem Haus der Repräsentanten ausgehen; doch kann der
Senat, wie bei andern Gesetzentwürfen, Amendements dazu machen oder zu denselben mitwirken. Ein Gesetzentwurf,
welcher in beiden Häusern genehmigt ist, wird dem Präsidenten zugeschickt; er kann ihn genehmigen, oder er sendet ihn, mit
seinen Einwendungen und Gegenbemerkungen versehen, dem Haus zurück, von welchem er ausging, und wo er nochmals in Erwägung
gezogen wird; stimmen dann in beiden Häusern je zwei Drittel für den Entwurf, so erhält er ohne weiteres
Gesetzeskraft.
Dasselbe gilt von Anträgen, gegen welche der Präsident nicht binnen zehn Tagen seine Einwendungen dem Haus übermacht. Der Kongreß
legt Abgaben, Gefälle, Steuern und Zölle auf, bezahlt Schulden und sorgt für die Landesverteidigung, macht
Anleihen, regelt den Handel, gibt Gesetze über Naturalisation und Bankrott, prägt Geld, bestimmt für die ganze Union einheitliches
Maß und Gewicht, errichtet Postämter, legt Poststraßen an, sichert Patente auf Erfindungen, setzt Gerichte ein zur Bestrafung
von Seeraub und Verletzungen des Völkerrechts, erklärt Krieg, stellt Briefe für Kaper, über Repressalien
und Prisen aus, errichtet und erhält Land- und Seemacht, fordert die Miliz ein zur Aufrechterhaltung der Gesetze der Union, zur
Unterdrückung von Aufständen und zur Abwehr feindlicher Einfälle, hat die ausschließliche Gerichtsbarkeit über den Bundesbezirk
und erläßt Gesetze, welche nötig sind, um alle diese Befugnisse zu handhaben.
Die Habeaskorpusakte soll nach der Bundesverfassung nur im Krieg und bei Aufstand suspendiert werden;
kein
Gesetz kann Güterkonfiskation oder Verlust der bürgerlichen Rechte bestimmen, auch keins rückwirkende Kraft haben;
aus dem
Staatsschatz soll kein Geld entnommen werden, außer infolge der gesetzlich gemachten Bestimmungen zur Verwendung, und von
Zeit zu Zeit soll regelmäßige Rechnung über Einnahme und Ausgabe der öffentlichen Gelder gelegt werden;
kein Adelstitel soll von den Vereinigten Staaten verliehen werden;
niemand, der in ihnen ein besoldetes oder ein Ehrenamt
bekleidet, soll ohne Bewilligung des Kongresses irgend ein Geschenk, eine Vergütung, ein Amt oder einen Titel von irgend einem
König, Fürsten oder fremden Staat annehmen;
die Union garantiert jedem Einzelstaat eine republikanische
mehr
Regierungsform und schützt jeden derselben gegen feindlichen Einfall und einheimische Gewaltthätigkeit auf Ansuchen der Legislatur
oder der vollziehenden Gewalt. Die vollziehende Gewalt hat der Präsident, der sein Amt vier Jahre bekleidet, aber nach jedesmaligem
Ablauf seiner Amtsdauer wieder gewählt werden kann. Das Wahlverfahren ist folgendes: In jedem einzelnen Staat werden
in einer von der resp. Gesetzgebung zu bestimmenden Art von dem Volk Wahlmänner ernannt, deren Zahl sich so hoch beläuft wie
die Anzahl der Senatoren und Repräsentanten zusammengenommen, welche der Staat in den Kongreß nach Washington sendet.
Diese Wahlmänner, welche überall von sämtlichen stimmfähigen Bürgern ernannt werden, wählen den Präsidenten
und Vizepräsidenten und stimmen durch Wahlzettel (ballots) ab. Das Resultat der Wahl wird von den Einzelstaaten dem Präsidenten
des Senats nach Washington gesandt, der in öffentlicher Sitzung beider Häuser die Wahlurkunden entsiegelt und die Stimmen zählt.
Hat keiner unter den Kandidaten die erforderliche Mehrheit, so wählt das Repräsentantenhaus durch Stimmzettel
den Präsidenten aus den drei Kandidaten, welche die höchste Stimmenzahl haben.
Bei dieser Wahl hat die Repräsentation jedes Staats nur Eine Stimme. Vizepräsident wird der, welcher die Majorität der Wähler
hat; in Ermangelung einer solchen wählt der Senat ihn unter den beiden Kandidaten, welche die meisten Stimmen erhielten. Um
zum Präsidenten oder Vizepräsidenten gewählt werden zu können, muß man 35 Jahre alt und geborner
Bürger der Vereinigten Staaten sein. Der Präsident hat als Amtswohnung das »weiße Haus« zu Washington und bezieht 50,000 Doll.
jährliche Besoldung; der Vizepräsident hat 8000 Doll. Gehalt.
Der Präsident kann nicht Krieg erklären oder Frieden schließen, denn dieses Recht ist dem Kongreß vorbehalten;
er darf Verträge mit andern Staaten nur dann genehmigen, wenn zwei Drittel des Senats ihre Zustimmung geben;
auch hat der Senat
die vom Präsidenten ernannten Beamten zu bestätigen und kann Ernennungen verwerfen;
zugleich ist, wie bemerkt, das Veto des
Präsidenten ein beschränktes.
Aber er ist höchster Befehlshaber der Land- und Seemacht, vertritt den
Bundesstaat nach außen hin und übt außerdem eine Menge wichtiger Befugnisse.
Was die Staatsverwaltung betrifft, so stehen dem Präsidenten sieben von ihm ernannte Staatsbeamte zur Seite, welche eine Art
Ministerium bilden, das indes vollständig von ihm abhängig ist. Ein Secretary of State besorgt die auswärtigen
Angelegenheiten und veröffentlicht die vom Kongreß erlassenen Gesetze. Ein Secretary of the treasury befaßt sich mit den
Finanzen des Bundes. Sekretäre für Armee und Flotte stehen der Wehrkraft vor. Ein Sekretär des Innern beaufsichtigt das Patentwesen,
den Landverkauf, die Indianerangelegenheiten, das Pensionswesen, die Bergwerke, den Ackerbau und die Volkszählungen.
Ein Postmaster general steht dem Postwesen, ein Attorney general dem Gerichtswesen vor. Jeder dieser Minister bezieht einen
Gehalt von 8000 Doll.
[Rechtspflege.]
Die Gerichtsverfassung zerfällt in diejenige für die ganze Union und die der einzelnen Staaten. Für die Gerichtsverfassung
der Union ist der leitende Chef der Generalstaatsanwalt, der zugleich als rechtskundiger Beistand des Präsidenten
und der Departementschefs Rechtsansprüche etc. prüft und die Rechtsstreitigkeiten führt,
bei denen die Regierung beteiligt ist. Ihm stehen 3 Assistentstaatsanwalte zur
Seite. Das Gericht zur Aburteilung von Staatsverbrechen
Unionsbeamter ist der Senat (s. oben).
Das oberste Bundesgericht (Supreme Court of the United States) besteht aus einem Oberrichter (chief justice,
Gehalt 10,500 Doll.) und 8 beigeordneten Richtern (associate justices, Gehalt 10,000 Doll.) und hält jährlich eine Sitzung in
Washington, gleichzeitig mit der regelmäßigen Session des Kongresses. Die Richter werden vom Präsidenten und Senat auf Lebenszeit
ernannt und können nur vom Kongreß angeklagt und ihrer Stellen entsetzt werden. Dies gilt auch für alle
Richter der Unionsgerichte.
Als Gerichte mittlerer Instanz gelten die Kreisgerichte (circuit courts) für 9 Gerichtskreise, in welche sich jährlich zweimal
ein Richter des obersten Gerichtshofs begibt, um mit dem stets im Kreis wohnenden Kreisrichter Gericht zu halten. Bezirksgerichte
(district courts), bestehend aus einem Einzelrichter, dem ein Staatsanwalt und Vereinigte Staaten-Marschall
zur Seite stehen, bestehen in jedem Staat eins, in den größern Staaten aber zwei oder drei. Jedes Territorium hat eine eigne
Unionsgerichtsbehörde (einen Oberrichter, 2 associate justices, einen Staatsanwalt, einen Vereinigte Staaten-Marschall).
Endlich besteht noch ein Beschwerdenhof (court of claims), der über Ansprüche und Beschwerden gegen die
Regierung entscheidet und aus 5 Richtern, sämtlich in Washington, gebildet ist. Die richterliche Gewalt der Unionsgerichte erstreckt
sich nach der Konstitution auf alle Prozesse des Rechts und der Billigkeit, welche unter dieser Konstitution stehen;
auf die Gesetze
der Vereinigten Staaten und auf Verträge, welche unter ihrer Autorität abgeschlossen sind;
auf alle die
Gesandten, andre öffentliche Minister und Konsuln betreffenden Rechtsfälle;
auf alle die Admiralität und Seegerichtsbarkeit
betreffenden Rechtsfälle zwischen zwei und mehr Staaten, in denen die Vereinigten Staaten eine Partei sind;
auf Rechtsfälle
zwischen einem Staat und einem Bürger eines andern Staate;
auf solche zwischen Bürgern verschiedener Staaten;
auf solche zwischen Bürgern eines und desselben Staats, welche auf Landbewilligungen andrer Staaten Anspruch machen;
auf solche
zwischen einem Staat oder Bürgern desselben Staats und fremden Staaten, Bürgern oder Unterthanen.
Für Gesandte, öffentliche
Minister und Konsuln ist der Supreme Court erste Instanz, in allen andern vorher erwähnten Fällen Appellhof,
ausgenommen in Fällen von Klagen gegen Beamte, wo alsdann die Untersuchung von Verbrechen vor Geschwornen und zwar in dem Staat
stattfinden soll, wo die Verbrechen begangen sind. Sind sie nicht innerhalb eines Staats begangen, so bestimmt der Kongreß
den Ort der Untersuchung durch Gesetz. Die Gerichtsverfassung der Staaten unterscheidet sich von der der
Union namentlich dadurch, daß die Richter nicht von der Regierung auf Lebenszeit und pflichtmäßiges Verhalten hin angestellt,
sondern von den vom Volk erwählten Gouverneuren oder vom Volk direkt auf 4-12 Jahre ernannt oder gewählt werden. Die Beamtung
als Richter wird dadurch zur politischen Parteifrage. Fähigkeit entscheidet weniger als der Partei geleistete
Dienste, und vom Gewählten erwartet man, daß er sich erkenntlich zeigt. Ganz ähnlich ist das Verfahren bei Ernennung der
Staats- und Gemeindebeamten. Fast der ganze Beamtenstand wird entlassen, wenn eine andre Partei ans Ruder kommt. Daß unter diesem
System der Staatssäckel leiden muß, liegt auf der Hand, und weder die
mehr
Volksvertreter im Kongreß noch die Beamten genießen den Ruf der Ehrenhaftigkeit. Korruption herrscht bis in die höchsten
Regierungskreise. Ein dem öffentlichen Wohl zuträglicheres Verfahren bei Ernennung von Beamten wurde jüngst versuchsweise
eingeführt.
[Finanzen.]
Die Finanzen der Union befinden sich trotz der während des Bürgerkriegs entstandenen ungeheuern (übrigens schon
bedeutend geminderten) Schuld in blühendstem Zustand. Es betrugen:
Jahr
Einnahmen
Ausgaben
Unionsschuld (inkl. Papiergeld)
1840
25032193
28226533
5125077
1850
47649388
44604718
64228238
1860
76841407
77055127
64769703
1866
1273960212
1141072666
2783425879
1870
696729873
309653560
2386358579
1880
333526610
267642958
1942172295
Die Abrechnung für das Finanzjahr 1887/88 und der Voranschlag für 1888/89 ergaben folgendes:
Einnahmen:
1887/88 Dollar
1888/89 Dollar
Zölle
219091174
217000000
Innere Steuern (Accise)
124296872
125000000
Verkauf von Staatsländereien
11202017
10500000
Bankabgaben
1748567
1500000
Münze
9387634
9500000
Strafgelder, Gebühren etc.
4530897
4150000
Pacificbahnen
1852028
2000000
Distrikt Columbia
2650350
2750000
Verschiedenes
4506534
4600000
Zusammen:
379266074
377000000
Ausgaben:
Zivilverwaltung
68674147
79250000
Indianer
6249308
6250000
Pensionen
80288509
77000000
Heer
38522436
44000000
Flotte
16926438
21000000
Distrikt Columbia
4278114
4500000
Zinsen der Staatsschuld
44715007
41000000
Zusammen:
259653959
273000000
Innere Steuern werden erhoben von Tabak, Spirituosen, gegornen Getränken und Oleomargarin. Am war die Staatsschuld auf
1,134,062,257 Doll. gefallen, einschließlich von 731,697,759 unverzinslichem Papiergeld. Früher wurde
die Staatsschuld mit 6 Proz. verzinst, jetzt begnügen sich die Gläubiger des Staats mit 3-4½ Proz. Eingeschlossen in der
Staatsschuld sind 66 Mill. Doll. für vom Staat garantierte Anleihen der Pacificbahnen. Über die Finanzen der einzelnen Staaten
erfahren wir aus dem Zensus (1880), daß sie Steuern erhoben im Betrag von 52 Mill. Doll. und eine Schuldenlast
von 234,438,761 Doll. trugen. Dazu kamen für die Grafschaften und Gemeinden 261 Mill. Doll. Steuern und 822 Mill. Doll. Schulden.
Im J. 1887 waren die Schulden der Einzelstaaten auf 230 Mill. Doll. gefallen, allerdings teilweise infolge von Repudiationen.
Heerwesen, Kriegsflotte, Wappen, Flagge.
Das stehende Heer der Vereinigten Staaten hatte bei Ausbruch des Bürgerkriegs 1861 eine Stärke von kaum
20,000 Mann. Aber zwischen und wurden 2,656,553 Miliztruppen aufgerufen und außerdem 178,975 Neger
angeworben, so daß nicht weniger als 1,000,516 Mann unter den Waffen standen, von denen 43,000
Mann aus regulärem Militär, der Rest aus Milizen bestand. Die Ergänzung der
letztern geschah anfangs nur durch Freiwillige,
bis 1863 zum erstenmal eine Aushebung angeordnet wurde, zunächst mit dem Rechte des Loskaufs, wofür man jedoch 1864 die Stellvertretung
einführte.
Nach Beendigung des Kriegs kehrte man ungesäumt zu dem frühern Friedensstand zurück. Jetzt (1888)
besteht die stehende Armee aus 10 Regimentern Reiterei, 25 Regimentern Fußvolk, 5 Regimentern Artillerie (60 Batterien) und einem
Bataillon Ingenieurtruppen mit zusammen 2171 Offizieren und 26,270 geworbenen Leuten, die sich verbindlich machen, 5 Jahre
zu dienen. 2 Regimenter Reiterei und 2 Regimenter Fußvolk sind aus Farbigen gebildet. Die Offiziere werden
auf der 1802 gegründeten Militärakademie zu West Point herangebildet.
Neben der regulären Bundesarmee besteht in den einzelnen Staaten eine Miliz, in welche mit gewissen Ausnahmen jeder waffenfähige
Bürger vom 18.-45. Jahr eingereiht werden kann. Wirklich organisiert sind aber nur 105,106 Mann einschließlich von 7839 Offizieren.
Eingeteilt wird das Land in 3 Territorialdivisionen, mit den Hauptquartieren in New York, Chicago und San Francisco.
Eigentliche Festungen gibt es nicht, wohl aber werden einige der Hafenstädte durch Forts und Batterien verteidigt, und in den
noch von Indianern bewohnten Gegenden sind Forts zahlreich.
Die Flotte, die 1864 aus 671 Schiffen mit 4610 Kanonen und einer Bemannung von 51,000 Mann bestand, war
im Lauf der Zeit so herabgekommen, daß 1885 der Marineminister behaupten konnte, sie besäße kein einziges Schiff, das im
stande sein würde, gegen eine Flottenmacht ersten Ranges den Kampf aufzunehmen. Mitte 1887 bestand dieselbe aus 79 Schiffen
(davon 17 mit Panzer versehen, 34 Schraubendampfer, 12 Schleppdampfer, 12 Segelschiffe und 4 Depotschiffe),
von denen übrigens die Mehrzahl gerade nur diensttauglich war.
Seit 1885 aber hat man nicht nur den Bau leistungsfähiger Kriegsschiffe in Angriff genommen, man hat auch mit Erfolg das Land,
was Stahl u. dgl. betrifft, von England unabhängig gemacht. Im August 1889 waren 17 Schiffe im Bau, und für 10 Schiffe
waren vom Kongreß die Mittel bewilligt. Die wirklich kriegstüchtige Flotte wird nach Vollendung dieser Schiffe folgenden Stand
haben: 10 Panzerschiffe (ein Kreuzer von 7500 Ton., 2 Schiffe mit Doppeltürmen von 6000 T., 6 Monitoren von 3000-6060 T.
und ein Schiff für Küstenverteidigung von 4000 T.), 14 Kreuzer (davon 8 von über 3000 T. und einer Schnelligkeit von mindestens 19 Knoten
in der Stunde), 6 Kanonenboote (800-1700 T.), 2 Schiffe mit Dynamitgeschützen, ein Torpedoboot, ein Widderschiff, ein Aviso und
ein Schulschiff, zusammen 36 Schiffe.
Bemannt war die Flotte 1888 mit 551 Seeoffizieren, 426 Kadetten, 159 Ärzten, 382 Beamten, 7500 Matrosen
und 750 Schiffsjungen. Außerdem zählte das Marinekorps 80 Offiziere und 2000 Mann. Die Kriegsarsenale sind in Portsmouth,
Charlestown, Brooklyn, League Island (Philadelphia) und Washington; Werften für Reparaturen in New London, Norfolk, Pensacola u. San Francisco
(Mare Island). Abgesehen von Alaska haben die Vereinigten Staaten keine Kolonien, sie würden aber kaum einem
europäischen Staat gestatten, sich auf amerikanischem Boden neue Kolonien zu erwerben oder zu erobern.
Das Wappen der Union (s. Tafel »Wappen II«)
[* ] besteht aus einem schwarzen Adler, der in der einen Klaue ein Bündel Pfeile, in der
andern einen Ölzweig hält, und dessen Brust ein in zwei Felder geteilter Schild bildet, dessen oberes
Feld blau ist, und dessen unteres silbernes Feld sechs senkrechte rote Balken durchschneiden. Der Adler hält im Schnabel