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Ehedem hatten die Universitäten auch durchweg eignen Gerichtsstand; die darauf begründeten besondern Universitätsgerichte sind völlig erst durch die neue Gerichtsverfassung von 1879 im Gebiet des Deutschen Reichs verschwunden. - Von der allgemeinen Erschlaffung des geistigen Lebens, welche in Deutschland [* 2] nach dem frischen Aufschwung des Humanismus und der Reformation eintrat, namentlich aber durch die Leiden [* 3] des Dreißigjährigen Kriegs befördert wurde, blieben auch die Universitäten nicht verschont.
Sie machte sich in ihnen durch die Herrschaft einer geistlosen Pedanterie und starren Gelehrsamkeit neben großer Roheit der Lebensformen und leidenschaftlicher Rechthaberei namentlich in den theologischen Fakultäten geltend (rabies theologorum, Melanchthon). Unter den Männern, die gegen Ende des 17. Jahrh. diesen Übelstand zu bekämpfen suchten, sind namentlich Erhard Weigel in Jena, [* 4] G. W. Leibniz und vor allen andern Chr. Thomasius (s. d.) hervorzuheben.
Durch Thomasius ward Halle [* 5] (1694) gleich von der Gründung an die Heimat der akademischen Neuerer, wo, wenigstens im Gegensatz gegen die starre Orthodoxie und Gelehrsamkeit der ältern Universitäten, die Pietisten der theologischen Fakultät mit ihm zusammentrafen. Hier wurden von Thomasius zuerst Vorlesungen in deutscher Sprache [* 6] gehalten, auch erschien unter seiner Leitung in Halle die erste kritische akademische Zeitschrift. Unter den ältern Universitäten hatte sich Helmstädt am freiesten von den Gebrechen der Zeit erhalten, dem aber im folgenden Jahrhundert in der Universität Göttingen [* 7] (1734 gegründet, 1737 eingeweiht) eine siegreiche Nebenbuhlerin erwuchs.
Göttingen schwang sich durch reiche Ausstattung und verständige, zeitgemäße Einrichtung bald zur ersten Stelle unter den deutschen Universitäten auf; hier wurde zuerst eine Akademie (Societät) der Wissenschaften, wie sie nach Leibniz Angaben bereits in Berlin [* 8] (1700) gegründet worden, mit der Universität verbunden (1752 durch den verdienten Stifter der Universität Göttingen, Gerlach Adolf v. Münchhausen, und Albrecht v. Haller). Diesem Zeitraum verdanken ferner noch Herborn (1654), Duisburg [* 9] (1655), Kiel [* 10] (1665) und Erlangen [* 11] (1743) ihre Gründung.
Unter den Studenten entstanden im Lauf des vorigen Jahrhunderts neben den Landsmannschaften andere Verbindungen, sogen. Orden, [* 12] welche sich im philanthropischen Geschmack der Zeit auf die Freundschaft gründeten und die Beglückung der Menschheit als ihr Ziel aufstellten. Da sie von den Freimaurern und andern damals emporblühenden geheimen Gesellschaften allerlei heimliche Symbolik entlehnten und im Geist Rousseaus für die Freiheit schwärmten, erschienen sie bald der Staatsgewalt gefährlich.
Besonders ist hier der 1746 in Jena begründete Moselbund zu nennen, der sich 1771 mit der Landsmannschaft der Oberrheiner zum Amicistenorden verschmolz. Die strengen Verbote, die zumal infolge des Rechtsgutachtens von 1793, das der Reichstag zu Regensburg [* 13] erließ, die Orden trafen, bewirkten deren allmähliche Vereinigung mit den Landsmannschaften, bei denen nach und nach der landsmannschaftliche Charakter hinter dem einer auf Freundschaft und Gemeinsamkeit der Grundsätze begründeten Gesellschaft zurücktrat.
Die Stürme der Napoleonischen Kriege und die Zeit der Wiedergeburt brachten mannigfache Veränderungen im Bestand der deutschen Universitäten. Die Universität zu Ingolstadt [* 14] siedelte 1802 nach Landshut [* 15] über, um 1826 nach München [* 16] verlegt und mit der dort seit 1759 bestehenden Akademie der Wissenschaften vereinigt zu werden; die Universitäten zu Mainz [* 17] (1798), Bonn [* 18] (Köln, [* 19] verlegt 1777, aufgehoben 1801), Duisburg (1802), Bamberg [* 20] (1804), Rinteln und Helmstädt (1809), Salzburg [* 21] (1810), Erfurt [* 22] (1816), Herborn (1817) gingen ein; Altdorf ward mit Erlangen (1807), Frankfurt [* 23] a. O. mit Breslau [* 24] (1809), Wittenberg [* 25] mit Halle (1815) vereinigt. Dagegen traten neu die bedeutenden Universitäten zu Berlin (1810) und Bonn (1818) ins Leben. - Das Menschenalter von 1815 bis 1848 war für die deutschen Universitäten kein günstiges, indem sie bald nach der Befreiung des Vaterlandes, für welche Lehrer und Schüler namentlich der preußischen Universitäten die hingebendste Begeisterung gezeigt hatten, bei den Regierungen in den Geruch des Liberalismus kamen und unter diesem Mißtrauen sehr zu leiden hatten. Den Anstoß dazu gaben die von F. L. Jahn angeregte Gründung der deutschen Burschenschaft (s. d.) und besonders die bekannte Wartburgfeier der Burschenschaft sowie die der letztern zur Last gelegte Ermordung Kotzebues durch Sand, auf welche die unter Metternichs Leitung stehenden deutschen Regierungen durch die Karlsbader Beschlüsse über die in Ansehung der Universitäten zu ergreifenden Maßregeln antworteten.
Zwar löste sich die deutsche Burschenschaft förmlich auf; sie bestand aber im stillen fort und trat in verschiedenen Gestalten (z. B. als Allgemeinheit in Erlangen etc.) immer wieder hervor, bis sie sich 1830 in die beiden Richtungen der harmlosern, idealistischen Arminen und der revolutionär-patriotischen Germanen spaltete. Dem entsprechend, blieb auch das Mißtrauen der Regierungen gegen den Stand der Universitätslehrer ein dauerndes, und gerade solche Männer, deren Namen eng und ehrenvoll mit der Geschichte der Befreiung des Vaterlandes verknüpft waren, wie namentlich E. M. Arndt in Bonn, hatten kränkende Zurücksetzung und Verfolgung aller Art zu erleiden.
Jede Universität wurde von einem besondern Regierungsbevollmächtigten in politischer Hinsicht überwacht.
Wenn das unruhige Jahr 1830 vorübergehend die
Fesseln lockerte, so hatten die Ausschreitungen, mit denen der verhaltene Groll
sich
Luft machte
(Göttinger
Revolution und
Stuttgarter Burschentag 1831,
Hambacher Fest 1832,
Frankfurter Attentat 1833), nur
um so strengere Beschlüsse
gegen die Universitäten beim
Bundestag und auf den Ministerkonferenzen in
Wien
[* 26] 1833 bis 1834 zur
Folge.
Großes Aufsehen erregte 1837 die Entlassung und Vertreibung von sieben der bedeutendsten Professoren der stets für konservativ und aristokratisch angesehenen Universität Göttingen (s. d.). Unter der Ungunst der Zeit zerfiel nach und nach die Burschenschaft in einzelne Verbindungen, welche sich der ursprünglichen Gestalt derselben mehr oder weniger annäherten. Unter diesen traten in den 40er Jahren vorzüglich die sogen. Progreßverbindungen hervor, welche Modernisierung der akademischen Einrichtungen und Sitten, Abschaffung oder doch Beschränkung der Zweikämpfe, der akademischen Gerichtsbarkeit etc. erstrebten.
Als besondere Abart entstanden auch in jener Zeit eigne »christliche« Burschenschaften, wie der Wingolf in Erlangen (1836) und Halle (1844). Den Progressisten standen am schroffsten gegenüber die aus den Landsmannschaften durch genauere Ausbildung des Komments, festern Zusammenschluß nach innen und aristokratische Abschließung nach außen sich entwickelnden Corps, welche durch ihren Seniorenkonvent (»S. C.«) an der einzelnen Universität, durch Kartellverhältnisse und später durch den im Bad [* 27] Kösen und auf der Rudelsburg tagenden Seniorenkongreß in ganz ¶
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Deutschland zu einer in ihrem Kreis [* 29] einflußreichen Einheit sich herausbildeten.
Das Jahr 1848 weckte auch auf den Universitäten das Verlangen nach einer zeitgemäßen Reform zu neuem Leben, und sowohl von seiten der Lehrenden als der Lernenden wurden Schritte gethan, ihnen Geltung zu verschaffen. Zunächst erging von Jena aus die Einladung zu einem Universitätskongreß, welcher in Jena vom 21.-24. Sept. 1848 unter dem Vorsitz des damaligen Kanzlers v. Wächter abgehalten wurde, u. an welchem sich, mit Ausnahme von Berlin, Königsberg [* 30] und den österreichischen Hochschulen außer Wien, Abgeordnete sämtlicher deutscher Universitäten beteiligten.
Die Hauptgegenstände der Beratung waren die Lehr- und Lernfreiheit, das Prüfungswesen und die Verfassung der Universitäten. Eine Reihe weiterer Punkte wurde einer Kommission zur Beratung überwiesen, welche diese auch in Heidelberg [* 31] unter dem Vorsitz Vangerows zu Ostern vornahm, aber die ganze Angelegenheit auf einen nach Heidelberg zu berufenden Kongreß der Universitäten verschob, der nicht zu stande kam. Noch unerheblicher waren die Resultate einer 12. und auf der Wartburg tagenden Studentenversammlung.
Preußen [* 32] berief eine Konferenz von Abgeordneten der Lehrer seiner Universitäten zur Beratung über die vorher geforderten schriftlichen Gutachten der letztern hinsichtlich der künftigen Verfassung und Verwaltung der Universitäten, welche in Berlin abgehalten ward. In Österreich [* 33] traten durch eine Reihe von Verordnungen, zunächst vom durchgreifende Veränderungen in der Organisation der Universitäten Wien, Prag, [* 34] Lemberg, [* 35] Krakau, [* 36] Olmütz, [* 37] Graz [* 38] und Innsbruck [* 39] ein, durch welche diese den übrigen deutschen Universitäten näher gebracht wurden. Im ganzen haben die deutschen Universitäten durch allen Wechsel der Zeiten sich unversehrt erhalten und im wiedererstandenen Deutschen Reich seit 1870 einen neuen, kräftigen Aufschwung genommen. - Unter dem Eindruck des Kriegsjahrs 1870/71 erwachte in den letzten Jahren eine neue Reformbewegung unter der studierenden Jugend, welche durch Gründung freier studentischer Vereinigungen auf den meisten deutschen Universitäten zum Ausdruck gelangte. Es ist jedoch diesen Vereinen, unter denen die sogen. Vereine Deutscher Studenten seit 1880 in den Vordergrund traten, nicht gelungen, dem studentischen Leben auf den deutschen Universitäten eine wesentlich veränderte Gestalt zu geben.
In der überreichen Entwickelung des Vereinswesens (Turn-, Gesangvereine, wissenschaftliche, landsmannschaftliche Vereine etc.) liegt sogar die vermehrte Gefahr der Zerstreuung und Vielgeschäftigkeit. Aber im ganzen ist doch anzuerkennen, daß der frische Hauch, der die deutsche Geschichte seit 1866 und 1870 durchweht, auch in den Kreisen der studierenden Jugend seine belebende Kraft [* 40] geltend macht und dem Studentenleben einen reichern idealen, namentlich patriotischen, Gehalt gegeben hat. - Mit begeisterter Teilnahme ward überall in Deutschland die glänzende Wiederherstellung der deutschen Universität zu Straßburg [* 41] eröffnet) begrüßt.
In Bezug auf die Verfassung der Universitäten kann man gegenwärtig die Gruppierung und Abgrenzung der Fakultäten als offene Frage bezeichnen. Die philosophische Fakultät ist an den schweizerischen Universitäten und in Würzburg [* 42] in zwei für die Beratung getrennte Abteilungen, in Dorpat, [* 43] Tübingen [* 44] und Straßburg dagegen in zwei Fakultäten, die philosophische (philosophisch-historische) und die naturwissenschaftliche (mathematisch-naturwissenschaftliche), zerlegt. In Tübingen ist überdies die Gruppe der Staatswissenschaften (Nationalökonomie, Statistik, Finanzwissenschaft etc.) zu einer besondern Fakultät erhoben, so daß dort (bei zwei nach dem Bekenntnis getrennten theologischen) im ganzen sieben Fakultäten bestehen. In München ist die philosophische Fakultät nicht geteilt, aber aus ihr und aus der juristischen eine neue staatswirtschaftliche Fakultät ausgeschieden. In Österreich, teilweise in der Schweiz, [* 45] in Würzburg und neuerdings in Straßburg ist wenigstens die staatswissenschaftliche Gruppe aus der philosophischen in die juristische Fakultät verlegt und diese dadurch zu einer rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät erweitert. - Die einzige akademische Würde, die gegenwärtig, abgesehen von der des Lizentiaten in der Theologie, an deutschen Universitäten noch verliehen wird, ist das Doktorat (s. Doktor, S. 30). -
Die Zahl der Lehrstühle an den deutschen Universitäten und insbesondere an den philosophischen Fakultäten hat sich infolge der stets wachsenden Ausbreitung und der im gleichen Maß zunehmenden Teilung der Wissenschaften in den letzten Jahrzehnten außerordentlich vermehrt. Eine in unserm Jahrhundert mit Vorliebe gepflegte Gestalt des Universitätsstudiums sind die sogen. akademischen Seminare, d. h. Gesellschaften, in welchen die Studierenden unter Leitung ihrer Lehrer praktische Übungen anstellen. Es gibt gegenwärtig: homiletische, liturgische, philologische, pädagogische, archäologische, historische, statistische Seminare etc. Dem entsprechend sind die Laboratorien, Observatorien, Kliniken etc. für die naturwissenschaftlichen und medizinischen Fächer [* 46] zu einer großen Mannigfaltigkeit und sich noch immer steigernden Vollkommenheit entwickelt. - Sehr ausgedehnt haben sich bei dem Mangel fester Vorschriften in den letzten Menschenaltern die Ferien an den Universitäten, im Frühjahr oft bis zu 1½-2, im Nachsommer bis zu 3 Monaten. Die Sommersemester schrumpfen infolgedessen bisweilen sehr zusammen. Auf Abhilfe wenigstens gegen weitere Willkür ist oft gesonnen, aber etwas allgemein Durchführbares noch nicht gefunden worden.
Die erhebliche Erweiterung der deutschen Universitäten im letzten Menschenalter zeigt folgende Tabelle:
1853 | 1888 | |||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Lehrer | Hörer | Lehrer | Hörer | |||||
Universitäten. | Ordentl. Professoren | Lehrer überhaupt | immatrikuliert | überhaupt | Professoren | Lehrer überhaupt | immatrikuliert | überhaupt |
Berlin | 52 | 160 | 1491 | 2166 | 78 | 300 | 4767 | 6244 |
Bonn | 47 | 84 | 862 | 896 | 62 | 134 | 1313 | 1343 |
Breslau | 39 | 78 | 806 | 837 | 61 | 128 | 1343 | 1374 |
Göttingen | 46 | 95 | 669 | 669 | 67 | 116 | 1016 | 1033 |
Greifswald | 25 | 50 | 204 | 208 | 43 | 76 | 1066 | 1087 |
Halle | 35 | 64 | 616 | 661 | 52 | 110 | 1489 | 1532 |
Kiel | 17 | 37 | 132 | 132 | 43 | 83 | 560 | 579 |
Königsberg | 30 | 54 | 347 | 347 | 45 | 89 | 844 | 862 |
Marburg | 29 | 55 | 227 | 247 | 47 | 79 | 928 | 965 |
Münster | 10 | 17 | 328 | 328 | 22 | 35 | 457 | 463 |
Preußen | 330 | 694 | 5682 | 6491 | 520 | 1150 | 13777 | 15482 |
München | 50 | 90 | 1893 | 1893 | 72 | 163 | 3809 | 3833 |
Erlangen | 26 | 42 | 431 | 431 | 37 | 53 | 926 | 926 |
Würzburg | 30 | 41 | 705 | 705 | 39 | 75 | 1547 | 1580 |
Leipzig | 44 | 105 | 794 | 794 | 66 | 174 | 3208 | 3273 |
Tübingen | 37 | 73 | 743 | 743 | 52 | 83 | 1449 | 1470 |
Freiburg | 26 | 34 | 327 | 356 | 39 | 84 | 1125 | 1161 |
Heidelberg | 34 | 80 | 719 | 752 | 41 | 101 | 984 | 1127 |
Gießen | 31 | 56 | 402 | 402 | 35 | 55 | 546 | 565 |
Rostock | 21 | 31 | 108 | 108 | 29 | 41 | 347 | 347 |
Jena | 24 | 60 | 420 | 432 | 39 | 88 | 634 | 663 |
Straßburg | - | - | - | - | 63 | 110 | 828 | 862 |
Deutschland | 653 | 1306 | 12224 | 13107 | 1032 | 2177 | 29180 | 31289 |
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