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harmonischen Zusammenwirkens derselben obliegt. Durch letzteres unterscheidet sie sich von der die leibliche Kraft [* 2] und Gewandtheit ausschließlich und berufsmäßig ausbildenden Athletik wie von dem nur einzelne Fertigkeiten pflegenden Sporte. Die Turnkunst hat mit ihrem Einfluß auf die Funktionen der Leibesorgane eine wesentliche Bedeutung für die Gesundheit, sowohl durch Bewegung, Kräftigung und Abhärtung Krankheit verhütend als eingetretenen Störungen des Organismus entgegenwirkend.
Das Turnwesen bildet somit einen wichtigen Teil der auf Volksgesundheitspflege gerichteten Bestrebungen. Da nun aber Leib und Geist als Teile desselben Organismus in steter Wechselwirkung stehen, so wird die leibliche Ausbildung zur Pflicht nicht nur um des Leibes willen, sondern die Turnkunst kann und will auch an ihrem Teil geistige Frische und Rüstigkeit, Selbstvertrauen in die Leibeskräfte, männliche Wehrhaftigkeit, sittliche Beherrschung des Leibes mit fördern helfen.
Auf den Namen einer Kunst hat die Turnkunst nur in bedingter Weise, aber insofern Anspruch, als sie, wie die Baukunst [* 3] und andres Kunsthandwerk, bei der Ausführung ihrer einem praktischen Zweck dienenden Übungen nach Schönheit der Form strebt. Auch werden manche ihrer reigenartigen Gebilde in den Ordnungsübungen, gewissen Formen der Tanzkunst verwandt, oft nur um der Gestaltung wohlgefälliger Formen willen geschaffen. Für den Zusammenhang der Turnkunst mit geistigen Bestrebungen ist bezeichnend, daß, wie die griechische Gymnastik sich bei dem geistig am höchsten und vielseitigsten entwickelten Volk des Altertums findet, so auch die Turnkunst einer Zeit voll höchster geistiger Regsamkeit und begeisterten patriotischen Aufschwunges ihren Anstoß verdankt, und daß auch ihre weitern Schicksale mit den Wandlungen unsers nationalen Geisteslebens engen Zusammenhang zeigen.
[Geschichte.]
Das
Leben setzt in jeder Form ein gewisses
Maß leiblicher Fertigkeit und Übung voraus,
und wenn man von mönchisch-asketischen, auf Ertötung des Leiblich-Sinnlichen gerichteten Bestrebungen absieht, konnte der
Nutzen leiblicher
Kraft und Gewandtheit kaum irgendwo verkannt werden, ja vielmehr hat sich die Lust an leiblicher Regung,
in welcher
Form es auch sei, noch zu allen
Zeiten geltend gemacht.
Daher finden sich auch in
Deutschland
[* 4] seit der Zeit des
Mittelalters, wo die Bewegungslust mit dem Waffenhandwerk den
Bund zu ritterlichem
Kampf- und Turnier
wesen
eingegangen war, mannigfache
Leibesübungen in den verschiedenen
Kreisen unsers Volkslebens, an welche vielfach dann die Turnkunst nur
anzuknüpfen brauchte (vgl.
Gymnastik);
so einmal als eine Art Nachklang jener ritterlichen Zeit die Fechtkünste und das Voltigieren (s. d.) am lebenden oder am nachgebildeten Pferd, [* 5] wie besonders an Universitäten und adligen Schulen;
ferner die mehr allgemein als Jugendspiele oder gelegentliche Volksbelustigungen auftretenden Ballspiele (s. d.), das Ringen (s. d.), Wettlaufen, Klettern u. a.;
endlich besondere Fertigkeiten, wie Schwimmen, Schlittschuhlaufen und die mancherlei Schießübungen mit Armbrust [* 6] und Feuergewehr.
Der Leibesausbildung um ihrer selbst willen redeten zuerst wieder Vertreter der in der Zeit vor der Reformation erwachenden humanistischen Studien das Wort, die ja auch in dieser Hinsicht auf das Vorbild des klassischen Altertums hinweisen konnten; ein Zeugnis solcher Bestrebungen ist das Buch des italienischen Arztes Hieron. Mercurialis: »De arte gymnastica« (2. Aufl. 1573). Daß man seitdem besonders um der Erziehung willen Leibesübungen befürwortete, ihre Vernachlässigung beklagte, hier und da auch zu einem Versuch leiblicher Schulung Hand [* 7] anlegte, dafür sind Aussprüche und Lehren [* 8] von Männern wie Luther, Zwingli, Camerarius und Comenius am bezeichnendsten.
Auch von seiten der realistischen philosophischen Betrachtung kam man wegen der Wirkung des Sinnlichen auf das Geistige zu der Forderung einer geregelten Leibeserziehung, wie besonders Locke in seinen »Gedanken über Erziehung« (1693) als höchstes Ziel der Erziehung den gesunden Geist im gesunden Körper hinstellte. Mit noch größerm Nachdruck und weit allgemeinerer Wirkung besonders auf das deutsche Erziehungswesen erhob dieselbe Forderung J. J. Rousseau (s. d.) in seinem epochemachenden Erziehungsroman »Émile« (1762), der ein Ideal naturgemäßer Erziehung geben sollte gegenüber der unnatürlich künstelnden Erziehung seiner Zeit.
Zum Teil unter dem Eindruck Rousseauscher Ideen und selbst wieder weitern Kreisen Anregung gebend, machte in Deutschland Basedow in der 1774 zu Dessau [* 9] ins Leben gerufenen, Philanthropin genannten Erziehungsanstalt auch zuerst den Versuch einer geregelten Leibesausbildung, zu der er den Stoff teils aus den an den Ritterakademien dauernd in Pflege erhaltenen Künsten des Tanzens, Fechtens, Reitens und Pferdspringens, teils auf Anregung seines Gehilfen Joh. Friedr. Simon der griechischen Gymnastik in den Übungen des Laufens, Springens u. a., teils aus militärischen Bewegungsformen entnahm.
Von hier übertrug diese Übungen Salzmann in die von ihm 1784 zu Schnepfenthal gegründete Erziehungsanstalt, in welcher die Leibesübungen seit 1786 mit größter Sorgfalt und nachhaltigster Wirkung J. Chr. Guts Muths (s. d.) leitete, welchem außerdem das große Verdienst gebührt, in seiner zuerst 1793 erschienenen »Gymnastik für die Jugend« öffentlich nicht nur als ein begeisterter Fürsprecher der Leibesübungen aufgetreten zu sein, sondern auch besonders den von ihm in emsigem Nachforschen und Prüfen stark erweiterten und geordneten Übungsstoff weitern Kreisen erschlossen zu haben. Zu gleicher Zeit gab G. U. A. Vieth in Dessau (1763-1836) in seinem »Versuch einer Encyklopädie der Leibesübungen« (Tl. 1 u. 2, 1794-95; Tl. 3 mit Nachträgen, 1818) sowohl eine Übersicht der Leibesübungen vieler Völker aus alter und neuer Zeit als auch den ersten Versuch einer systematischen Einteilung der Leibesübungen.
Auch Pestalozzi stellte sich seit 1807 in der Schweiz [* 10] die Aufgabe, Leibesübungen nach einem der Bewegungsfähigkeit der Körperteile folgenden systematischen Plan zu erfinden und zu üben. Der sogen. Tugendbund (s. d.) machte 1809 den ersten Versuch mit Einrichtung eines öffentlichen Turnplatzes zu Braunsberg. [* 11] Während aber die bisher angegebenen Anregungen nur zu ganz vereinzelter Einführung der Leibesübungen und meist an geschlossenen Erziehungsanstalten geführt hatten, war es das Verdienst von F. L. Jahn (s. d.), mit dem nach Deutschlands [* 12] tiefer Erniedrigung in den Napoleonischen Kriegen zumal in Preußen [* 13] erwachenden ernsten Streben nach einer Wiedergeburt unsers Volks- und Staatslebens und unsrer Wehrkraft, wie es sich besonders in Arndts »Geist der Zeit«, in Fichtes »Reden an die deutsche Nation«, in Jahns »Volkstum«, in Steins Reformen und in den Gneisenau-Scharnhorstschen Plänen zur Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht zeigte, den lauten Ruf nach einer »volkstümlichen« Leibeskunst zu verbinden und mit Einsetzung seiner ganzen kraftvollen, jugendliche Begeisterung weckenden Persönlichkeit in Berlin [* 14] dieser »Turnkunst« die erste öffentliche Stätte zu bereiten. Im ¶
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Frühjahr 1811 wurde von ihm der Turnplatz in der Hasenheide bei Berlin eröffnet, von dem aus durch seine Schüler die Keime einer wirklich jugendfrischen, die Knaben in ihrer Vollkraft packenden Leibeskunst bald auch nach andern Orten Deutschlands, insbesondere an die Hochschulen Halle, [* 16] Jena [* 17] und Breslau, [* 18] verpflanzt wurden. Nachdem das Treiben auf dem Turnplatz natürlich durch die Unruhe der folgenden Kriegsjahre beschränkt worden, auch manche der eifrigsten Jünger der Turnsache, wie besonders Friedr. Friesen (s. d.), im Feld geblieben waren, wurde die Sache mit erneutem Eifer und größerer Vertiefung und Sichtung des Übungsstoffes wieder aufgegriffen.
Den letztern durch Einführung von reicher Ausnutzung fähigen Geräten, wie des Recks und des Barrens, erweitert und über das Gebiet der einfachen volksüblichen Übungen noch mehr erhoben zu haben, ist neben seiner Sorge für die sprachliche Bezeichnung (s. unten) Jahns entscheidendes technisches Verdienst um die Turnkunst. Die Ergebnisse dieser Bemühungen sind von ihm in der 1816 mit seinem Schüler E. Eiselen zusammen herausgegebenen »Deutschen Turnkunst« niedergelegt. Die in dieser Zelt im Gegensatz zu der erwarteten freiheitlichen Gestaltung unsers Staatslebens eintretende Reaktion glaubte natürlich gegen die mit freiheitlichen und nationalen Ideen erfüllten, dazu allerdings hier und da auch ungebundenes und ungeschlachtes, renommistisches Wesen zur Schau tragenden Jahnschen Turnerscharen besonderes Mißtrauen hegen zu müssen. Die Schattenseiten des turnerischen Treibens und das unreife Gebaren von Mitgliedern der mit der Turnerei enge Fühlung unterhaltenden Burschenschaften auf dem Wartburgfest veranlaßten zunächst die litterarische Breslauer Turnfehde, die besonders durch Henrich Steffens (s. d.) und K. A. Menzel auf gegnerischer Seite, auf turnerischer geführt ward von Franz Passow, Chr. W. Harnisch (s. d.) und dem Hauptmann W. v. Schmeling, dem Verfasser von »Die Landwehr, gegründet auf die Turnkunst«. Nach Kotzebues Ermordung durch den Burschenschafter und Turner Sand (1819) folgte die Schließung sämtlicher (über 80) preußischen, bald auch der meisten andern deutschen Turnplätze und Jahns Verhaftung.
Nun wurde zwar auch während dieser Zeit der sogen. Turnsperre an nicht wenigen Orten fortgeturnt, und namentlich hatte Ernst Eiselen (s. d.) Verdienste um die dauernde Pflege und innere Weiterbildung der Turnkunst, desgleichen Klumpp in Stuttgart, [* 19] H. F. Maßmann (s. d.) in München; [* 20] der eigentliche Lebensnerv war aber der Sache durch den Ausschluß der Öffentlichkeit und Jahns erzwungene Fernhaltung unterbunden. Erst der durch Ignaz Lorinsers (s. d.) Schrift »Zum Schutz der Gesundheit in den Schulen« hervorgerufene Schulstreit über die körperliche Schädigung der Jugend durch den Schulunterricht, ferner die Erweckung des deutschen Nationalgefühls durch die französischen Rheingrenzgelüste im J. 1840 und der gleichzeitige Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. brachten für die Turnsache wieder bessere Zeiten; durch die Kabinettsorder vom wurden die Leibesübungen als ein »notwendiger und unentbehrlicher Bestandteil der männlichen Erziehung« anerkannt und 1843 Maßmann behufs Einrichtung des Turnunterrichts im preußischen Staat nach Berlin berufen.
Während jedoch letzterer an die Überlieferungen des Jahnschen, eine gemeinsame Beteiligung von jung und alt auf den Turnplätzen voraussetzenden, also Schul- und Vereinsturnen noch nicht scheidenden Turnbetriebs enger anknüpfte, als es sich mit der Aufgabe einer allgemeinen Einführung des Turnens an den Schulen vertrug, war mittlerweile durch Adolf Spieß (s. d.), welcher die Gebiete der Frei- und Ordnungsübungen erschlossen, den turnerischen Übungsstoff systematisch gegliedert und mit Rücksicht auf das Schulturnen beider Geschlechter reich entwickelt hatte, der Turnkunst die nötige Ergänzung zu teil geworden, um als Schulunterrichtsfach allgemein zur Einführung gelangen zu können.
[Bildungsanstalten. Unterricht.]
Für die weitere Entwickelung des Schulturnens und die methodische Verarbeitung des Übungsstoffes war nicht ohne Bedeutung die Gründung von Turnlehrerbildungsanstalten, wie der zu Dresden [* 21] (1850) unter dem auch als fruchtbarer Turnschriftsteller wirkenden Moritz Kloss (gest. 1881, seitdem unter Bier) und der preußischen Zentralturnanstalt zu Berlin. Die letztere, die 1851-77 die Abteilungen für die Ausbildung von Militär- und Zivilturnlehrern vereinigte, suchte unter Rothsteins (s. d.) Oberleitung (bis 1863) die auf Lings (s. d.) System beruhende, sogen. schwedische Gymnastik zur Einführung zu bringen, die aber von seiten der deutschen Turnkunst entschieden und erfolgreich bekämpft wurde und auch mehr und mehr dem deutschen Turnen Platz machte, in der Zivilabteilung, die 1877 in eine selbständige Turnlehrerbildungsanstalt umgewandelt wurde, unter Karl Eulers (s. d.) Vermittelung.
Für Württemberg [* 22] besteht eine Turnlehrerbildungsanstalt seit 1862 in Stuttgart unter Otto Jäger (s. d.), der ein eignes Turnsystem eingeführt hat, für Baden [* 23] seit 1869 in Karlsruhe [* 24] unter Maul (s. d.), für Bayern [* 25] in München seit 1872 unter Weber. Auch für Turnlehrerinnen bieten die meisten der gedachten Anstalten neuerdings entsprechende Ausbildungsgelegenheit. In einzelnen kleinern deutschen Staaten werden Turnlehrerausbildungskurse von Zeit zu Zeit durch geeignete Kräfte abgehalten. - Auch die Turnlehrerversammlungen, deren seit 1861 an verschiedenen Orten zehn stattgefunden, haben durch Vorträge, Verhandlungen und Vorführungen zur Förderung des Turnunterrichts und Klärung der für ihn geltenden Grundsätze beigetragen.
Der Turnunterricht ist jetzt in Deutschland an den höhern Schulen und den Seminaren so gut wie allgemein, wenn auch an vielen Orten noch in unzulänglicher Form, eingeführt; auch für die Knabenvolksschulen ist er in den meisten Staaten, in Preußen seit 1862, in Baden seit 1868, in Sachsen [* 26] seit 1873, in Württemberg seit 1883, gesetzlich zur Pflicht gemacht, läßt aber hier noch vieles, an den Landschulen vielerorts noch so gut wie alles zu wünschen übrig. Mit dem Turnunterricht an Mädchenschulen ist man bisher meist nur in Städten vorgegangen.
In der Regel beschränkt sich die Einführung des Schulturnens auf zwei wöchentliche Unterrichtsstunden, und selbst diese können wegen Mangels geeigneter Winterturnräume noch nicht überall das ganze Jahr hindurch fortgesetzt werden. Schulneubauten in Städten erhalten jetzt in der Regel eigne Schulturnhallen. Außer dem Schulturnen werden auch an nicht wenigen Orten noch Turnspiele gepflegt, besonders seit dem dahin gehenden Erlaß des preußischen Ministers v. Goßler vom Oktober 1882. Eine Übersicht über die Entwickelung des Turnunterrichts und seinen Stand um das Jahr 1870 gibt die »Statistik des Schulturnens in Deutschland«, hrsg. von J. K. Lion (Leipz. 1873); vgl. Pawel, Kurzer Abriß der Entwickelungsgeschichte [* 27] des deutschen Schulturnens (Hof [* 28] 1885).
Vgl. auch Euler und Eckler, Verordnungen und amtliche Bekanntmachungen, das Turnwesen in ¶