(Turnei, franz. Tournoi, lat. Torneamentum,
Hastiludium), eine im 11. Jahrh. angeblich von dem französischen
RitterGodefroy de Preuilly erfundene
Umgestaltung der bei allen kriegerischen Völkern nachweisbaren Waffenspiele. Während der Buhurt (s. d.)
bloß die Gelegenheit bot, die Gewandtheit des
Reiters zur Geltung zu bringen, in der
Tjost (franz. joute, lat. justa, ital.
giostra) nur zwei Gegner sich gegenüberstanden, die mit abgestumpften, oft aber auch mit scharfen
Waffen
[* 4] miteinander kämpften, ist das Turnier ursprünglich das Abbild einer großen Reiterschlacht, vertritt gewissermaßen
unsre
Manöver.
Vor Beginn des Turniers wurden die
Scharen geteilt, so daß auf jeder
Partei gleichviel
Kämpfer sind.
Schon den
Tag vor dem
Kampfspiel
hatten die
Ritter in der
Tjost ihre
Kräfte gemessen; das ist die Vesperîe oder Vespereide. Das Turnier begann
mit dem Speerkampf; jeder suchte seinen Gegner durch einen geschickten
Stoß gegen das Kinnbein, gegen das
Zentrum des
Schildes
(die vier
Nägel)
[* 5] etc. aus dem
Sattel zu heben. Zugleich aber manövrierte auch
Schar gegen
Schar unter
Kommando ihrer Befehlshaber.
Auch über diese Angriffsarten sind wir ziemlich unterrichtet.
Waren die
Speere verstochen, so wurde das
Gefecht mit den Schwertern fortgesetzt, endlich durch
Ringen der
Kampf entschieden; daß einer unterlag und sich als Gefangener
seinem Gegner ergab, das ist die Sicherheit, die Fîanze. Das
Roß des Besiegten gehörte dem
Sieger, der es von seinen Leuten
in Sicherheit bringen ließ; ebenso nahm
er denHarnisch und die
Waffen in Anspruch und verlangte von seinem gefangenen Gegner
auch noch ein angemessenes Lösegeld. So ist die
Teilnahme an einem Turnier eine Art
Glücksspiel: man konnte alles verlieren, aber
auch viel gewinnen, und es gab deshalb damals schon Leute (»Glücksritter«),
die aus reiner Gewinnsucht sich an Turnieren gewohnheitsmäßig beteiligten. Aber auch lebensgefährlich war das Turnier; zahllose
Unglücksfälle haben sich bei ihnen ereignet, und deshalb erschien es durchaus gerechtfertigt, daß die
PäpsteInnocenz II.,
Eugen III.,
Alexander III. und
Cölestin III. die
Teilnahme an den Turnieren, freilich ohne jeden Erfolg,
bei
Strafe der Exkommunikation verboten.
Damen haben wohl hin und wieder bei den Turnieren zugesehen, und in der zweiten Hälfte
des 13. Jahrh. mag auch zuweilen ein
Preis dem hervorragendsten
Ritter zuerkannt worden sein; aber alle diese Verschönerungen,
die das Turnier zu einem höfischen
Fest umgestalten, haben eigentlich mit der Hauptsache: den
Rittern Gelegenheit
zu geben, sich im Reitergefecht praktisch zu üben, nichts zu thun.
Vgl.
Niedner, Das deutsche Turnier des 12. und 13.
Jahrhunderts
(Berl. 1881);
A.
Schultz, Das höfische
Leben
zur Zeit der Minnesinger, Bd. 2, S. 106 ff.
(2. Aufl., Leipz. 1889).
Die Geldgier der
Ritter machte
schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. die Turniere zu Schauplätzen
der Roheit und der gemeinen Raubsucht. Im 14. Jahrh. wird das Turnier als ein adliges
Vergnügen noch eifrig gepflegt, besonders war
Johann vonLuxemburg,
[* 7] der König vonBöhmen,
[* 8] ein großer
Freund dieser
Leibesübung. Auch im 15. Jahrh. finden noch viele Turniere statt, aber es sind schon
mehr bloße Schaustellungen von persönlicher Geschicklichkeit; den
Charakter eines Reitermanövers haben sie verloren.
In der
Regel handelt es sich nur um einen
Zweikampf, der auch bei den schweren Eisenrüstungen kaum mehr gefährlich
ist, natürlich nur ganz kurze Zeit andauern konnte. Über die verschiedenen
Arten des Turniers, das
Stechen und Rennen, im
hohen
Zeug etc., hat Q. ^[Quirin] v.
Leitner in der
Einleitung seiner
Ausgabe des »Freidal, des
KaisersMaximilian I. Turniere
und Mummereien«
(Wien
[* 9] 1880-82) wohl das
Beste veröffentlicht. Die
Ritter hatten sich im 15. Jahrh. zu Turniergesellschaften
vereinigt, welche die neugeadelten Kaufleute von ihren
Kampfspielen ausschlossen, über die Art des Turniers, die Ehrenhaftigkeit
der Teilnehmer etc. Beschlüsse faßten. Diese
Partie des ehedem so hochgeehrten Turnierbuchs von dem bayrischen
HeroldGeorg
Rüxner (2. Ausg. 1532) ist wohl unbedingt glaubwürdig.
KaiserMaximilian I. war ein eifriger
Pfleger der Turnierkunst und hat sich um die
Ausbildung derselben viele
Verdienste erworben. Nach dem
TodMaximilians werden die Turniere seltener, und der Unglücksfall, der 1559 dem französischen
König
Heinrich II. das
Leben kostete, brachte das eigentliche Waffenspiel immer mehr in Mißkredit. Statt des Turniers wird
nun beliebt das ungefährliche Karussellreiten, das
Ringelrennen, das
Stechen nach der
Quintane und wie
alle diese
Spiele heißen, die dem
Reiter Gelegenheit boten, seine
Kunst und Geschicklichkeit ins beste
Licht
[* 10] zu setzen.
Dabei konnte aller Prunk entfaltet werden, und so entsprach ein solches
Fest allen Anforderungen, die man im 17. und 18. Jahrh.
an höfische Vergnügungen stellte. Seit dem
Tode des
KönigsAugust des
Starken sind auch diese
Leibesübungen in Vergessenheit
gekommen, nur bei großen Hoffestlichkeiten werden von Zeit zu Zeit noch
Schauspiele veranstaltet, die zwar als »Turniere«
zuweilen bezeichnet werden, mit den mittelalterlichen Turnieren der ältern Zeit aber nichts als den
Namen gemein haben.
(Turnen), die
Kunst der
Leibesübung
(Gymnastik) in ihrer deutschen Entwickelungsform. Der
Name stammt vom Turnvater
Jahn, der ihn als einen vermeintlich echt deutschen dem altdeutschen turnan (drehen) entnahm, welches
aber nur ein Lehnwort aus dem griechisch-lateinischen tornare (runden, drehen) ist, verwandt mit
Turnier und
Tour. Die Turnkunst umfaßt
die Gesamtheit der bei uns einer geregelten
Ausbildung des menschlichen
Körpers um dieser selbst willen dienenden
Leibesübungen,
bietet so aber auch die Grundlage für die bestimmtenZwecken dienenden leiblichen Fertigkeiten, wie z. B.
für den
Tanz und die militärischen Bewegungsformen, für
Fechten und
Reiten, schließt aber solche nicht schon
in sich. Sie
ist somit als allgemein vorbildend ein wesentlicher Teil der
Erziehung und eine
Pflicht der letztern insofern, als ihr die
Ausbildung der menschlichen
Kräfte innerhalb derGrenzen
[* 13] eines
¶
mehr
harmonischen Zusammenwirkens derselben obliegt. Durch letzteres unterscheidet sie sich von der die leibliche Kraft
[* 15] und Gewandtheit
ausschließlich und berufsmäßig ausbildenden Athletik wie von dem nur einzelne Fertigkeiten pflegenden Sporte. Die Turnkunst hat
mit ihrem Einfluß auf die Funktionen der Leibesorgane eine wesentliche Bedeutung für die Gesundheit, sowohl durch Bewegung,
Kräftigung und AbhärtungKrankheit verhütend als eingetretenen Störungen des Organismus entgegenwirkend.
Das Turnwesen bildet somit einen wichtigen Teil der auf Volksgesundheitspflege gerichteten Bestrebungen. Da nun aber Leib
und Geist als Teile desselben Organismus in steter Wechselwirkung stehen, so wird die leibliche Ausbildung zur Pflicht nicht nur
um des Leibes willen, sondern die Turnkunst kann und will auch an ihrem Teil geistige Frische und Rüstigkeit,
Selbstvertrauen in die Leibeskräfte, männliche Wehrhaftigkeit, sittliche Beherrschung des Leibes mit fördern helfen.
Auf den Namen einer Kunst hat die Turnkunst nur in bedingter Weise, aber insofern Anspruch, als sie, wie die Baukunst
[* 16] und andres Kunsthandwerk,
bei der Ausführung ihrer einem praktischen Zweck dienenden Übungen nach Schönheit der Form strebt. Auch
werden manche ihrer reigenartigen Gebilde in den Ordnungsübungen, gewissen Formen der Tanzkunst verwandt, oft nur um der Gestaltung
wohlgefälliger Formen willen geschaffen. Für den Zusammenhang der Turnkunst mit geistigen Bestrebungen ist bezeichnend, daß,
wie die griechische Gymnastik sich bei dem geistig am höchsten und vielseitigsten entwickelten Volk des
Altertums findet, so auch die Turnkunst einer Zeit voll höchster geistiger Regsamkeit und begeisterten patriotischen
Aufschwunges ihren Anstoß verdankt, und daß auch ihre weitern Schicksale mit den Wandlungen unsers nationalen Geisteslebens
engen Zusammenhang zeigen.
[Geschichte.]
Das Leben setzt in jeder Form ein gewisses Maß leiblicher Fertigkeit und Übung voraus,
und wenn man von mönchisch-asketischen, auf Ertötung des Leiblich-Sinnlichen gerichteten Bestrebungen absieht, konnte der
Nutzen leiblicher Kraft und Gewandtheit kaum irgendwo verkannt werden, ja vielmehr hat sich die Lust an leiblicher Regung,
in welcher Form es auch sei, noch zu allen Zeiten geltend gemacht. Daher finden sich auch in Deutschland
[* 17] seit der Zeit des Mittelalters, wo die Bewegungslust mit dem Waffenhandwerk den Bund zu ritterlichem Kampf- und Turnierwesen
eingegangen war, mannigfache Leibesübungen in den verschiedenen Kreisen unsers Volkslebens, an welche vielfach dann die Turnkunst nur
anzuknüpfen brauchte (vgl. Gymnastik);
ferner
die mehr allgemein als Jugendspiele oder gelegentliche Volksbelustigungen auftretenden Ballspiele (s. d.), das Ringen (s. d.),
Wettlaufen, Klettern u. a.;
Der Leibesausbildung um ihrer selbst willen redeten zuerst wieder Vertreter der
in der Zeit vor derReformation erwachenden humanistischen Studien das Wort, die ja auch in dieser Hinsicht auf das Vorbild des
klassischen Altertums hinweisen konnten; ein Zeugnis solcher Bestrebungen ist das Buch des italienischen
ArztesHieron. Mercurialis: »De arte gymnastica« (2. Aufl. 1573). Daß man seitdem besonders um der Erziehung willen Leibesübungen
befürwortete, ihre Vernachlässigung beklagte,
hier und da auch zu einem Versuch leiblicher Schulung Hand
[* 20] anlegte, dafür
sind Aussprüche und Lehren
[* 21] von Männern wie Luther, Zwingli, Camerarius und Comenius am bezeichnendsten.
Auch von seiten der realistischen philosophischen Betrachtung kam man wegen der Wirkung des Sinnlichen auf das Geistige zu der
Forderung einer geregelten Leibeserziehung, wie besonders Locke in seinen »Gedanken über Erziehung« (1693) als höchstes Ziel
der Erziehung den gesunden Geist im gesunden Körper hinstellte. Mit noch größerm Nachdruck und weit allgemeinerer
Wirkung besonders auf das deutsche Erziehungswesen erhob dieselbe Forderung J. J. Rousseau (s. d.) in seinem epochemachenden
Erziehungsroman »Émile« (1762), der ein Ideal naturgemäßer Erziehung geben sollte gegenüber der unnatürlich künstelnden
Erziehung seiner Zeit.
Von hier übertrug diese Übungen Salzmann in die von ihm 1784 zu Schnepfenthal gegründete Erziehungsanstalt, in welcher die
Leibesübungen seit 1786 mit größter Sorgfalt und nachhaltigster Wirkung J. Chr. Guts Muths (s. d.) leitete,
welchem außerdem das große Verdienst gebührt, in seiner zuerst 1793 erschienenen »Gymnastik für die Jugend« öffentlich
nicht nur als ein begeisterter Fürsprecher der Leibesübungen aufgetreten zu sein, sondern auch besonders den von ihm in emsigem
Nachforschen und Prüfen stark erweiterten und geordneten Übungsstoff weitern Kreisen erschlossen zu haben. Zu
gleicher Zeit gab G. U. A. Vieth in Dessau (1763-1836) in seinem »Versuch einer Encyklopädie der Leibesübungen« (Tl. 1 u. 2,
1794-95; Tl. 3 mit Nachträgen, 1818) sowohl eine Übersicht der Leibesübungen vieler Völker aus alter und neuer Zeit als
auch den ersten Versuch einer systematischen Einteilung der Leibesübungen.
Auch Pestalozzi stellte sich seit 1807 in der Schweiz
[* 23] die Aufgabe, Leibesübungen nach einem der Bewegungsfähigkeit
der Körperteile folgenden systematischen Plan zu erfinden und zu üben. Der sogen. Tugendbund (s. d.) machte 1809 den ersten
Versuch mit Einrichtung eines öffentlichen Turnplatzes zu Braunsberg.
[* 24] Während aber die bisher angegebenen Anregungen nur
zu ganz vereinzelter Einführung der Leibesübungen und meist an geschlossenen Erziehungsanstalten geführt
hatten, war es das Verdienstvon F.L.Jahn (s. d.), mit dem nach Deutschlands
[* 25] tiefer Erniedrigung in den NapoleonischenKriegen
zumal in Preußen
[* 26] erwachenden ernsten Streben nach einer Wiedergeburt unsers Volks- und Staatslebens und unsrer Wehrkraft, wie
es sich besonders in Arndts »Geist der Zeit«, in Fichtes »Reden an die deutsche Nation«, in Jahns »Volkstum«,
in SteinsReformen und in den Gneisenau-ScharnhorstschenPlänen zur Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht zeigte, den lauten
Ruf nach einer »volkstümlichen« Leibeskunst zu verbinden und mit Einsetzung
seiner ganzen kraftvollen, jugendliche Begeisterung weckenden Persönlichkeit in Berlin
[* 27] dieser »Turnkunst« die
erste öffentliche Stätte zu bereiten. Im
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