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Türken dreimal, eroberte 1832 Akka und drang 1833 in Kleinasien bis Kutahia vor. Die Pforte rief in ihrer Bestürzung Rußlands Hilfe an, welches auch 15,000 Mann zur See an den Bosporus [* 2] warf und zugleich mit andern Truppen die Donau überschritt, während Frankreich und England ihre Flotte vor den Dardanellen vor Anker [* 3] gehen ließen. Jetzt verstand sich Mehemed Ali zum Frieden von Kutahia in welchem der Sultan in Form eines großherrlichen Amnestiefermans den Vizekönig als Erbstatthalter Ägyptens anerkannte und ihm auf Lebenszeit die Verwaltung Syriens und Kretas, Ibrahim die von Adana und Tarsos zugestand.
Zum Dank für die russische Hilfe schloß Mahmud mit Rußland den Vertrag von Hunkiar Skelessi in welchem er sich verpflichtete, allen Feinden Rußlands die Dardanellen zu schließen und keinem Kriegsschiff die Einfahrt in das Schwarze Meer zu gestatten. Um den Krieg mit Ägypten [* 4] wieder aufnehmen zu können, bemühte sich der Sultan, die kriegerischen Hilfsmittel der Pforte durch straffe Zentralstation zu steigern; den Bosniern, Albanesen und verschiedenen kleinasiatischen Stämmen wurden die Reste ihrer Selbständigkeit genommen, das obere Mesopotamien und Kurdistan unterworfen.
Als 1839 verschiedene Empörungen gegen die ägyptische Herrschaft in Syrien ausbrachen, erklärte im Mai Mahmud dem Vizekönig den Krieg. Doch starb er 1. Juli, ehe er Kunde erhielt von der völligen Niederlage seines Heers bei Nisib (24. Juni); dieser folgte der Abfall der Flotte, welche der Kapudan-Pascha Achmed 14. Juli Alexandria an Mehemed Ali überlieferte. Die Lage der Türkei, [* 5] in der Abd ul Medschid (1839-61), Mahmuds 16jähriger Sohn, die Regierung antrat, war daher eine höchst kritische, und sie wurde nur gerettet durch die Intervention der vier Mächte England, Rußland, Österreich [* 6] und Preußen; [* 7] dieselben schlossen, um Frankreichs ehrgeizige Pläne zu durchkreuzen, die Quadrupelallianz, welche durch eine österreichisch-englische Flotte Mehemed Ali zur Räumung Syriens zwang; demselben blieb nur die Erbstatthalterschaft von Ägypten.
Unter dem Beirat Reschid Paschas erließ Abd ud Medschid das großherrliche Edikt vom welches unter dem Namen Hattischerif von Gülhane berühmt geworden ist. Dies Dokument, dessen Wichtigkeit in der Bestimmung gipfelte, daß die »Unterthanen jeder Nationalität und Religion«, also auch Christen und Juden, gleiche Sicherheit in betreff ihres Vermögens, ihrer Ehre und ihres Lebens haben sollten, bildete einen gewaltigen Fortschritt in der sozialen Gesittung und hatte durch Einleitung mannigfacher Reformen auf administrativem und kommerziellem Gebrauch für die Staatswirtschaft eine hohe Bedeutung.
Übrigens sollte der Hatt nur die Grundsätze aufstellen, aus denen die zu erlassenden Spezialgesetze zu erfließen hätten; diese Gesetze, von den Türken Tanzimatihairijeh (»heilsame Organisation«) genannt, sollten für das gesamte Pfortengebiet Gültigkeit haben, und auch Mehemed Ali mußte sich zu ihrer Annahme bequemen. 1841 wurde in London [* 8] zwischen den Großmächten und der Pforte der sogen. Dardanellenvertrag abgeschlossen, durch welchen die letztere sich verpflichtete, die Dardanellenstraße und den Bosporus für fremde Kriegsschiffe in Friedenszeiten verschlossen zu halten.
Der Krimkrieg mit seinen Folgen.
Das Jahr 1848 mit seinen Freiheitsideen ging an der eigentlichen Türkei spurlos vorüber; dagegen bildete sich in den Donaufürstentümern, wo Rußland unter dem Namen einer Schutzmacht jede freiere Entwickelung despotisch niederhielt, eine Reformpartei, deren Häupter gern mit Hilfe der Pforte eine liberale Repräsentativverfassung eingeführt hätten. Um den Russen keinen Vorwand zu einer Besetzung der Donaufürstentümer zu geben, gab die Pforte die Liberalen preis; dennoch erfolgte die Besetzung. Die Hoffnungen, welche man in Konstantinopel [* 9] für eine Wiederherstellung der frühern Herrschaft an der Donau auf die ungarische Insurrektion von 1849 gesetzt hatte, wurden durch die Kapitulation von Világos vernichtet.
Doch hatte die Pforte wenigstens den Mut, unterstützt durch eine vor den Dardanellen erscheinende englische Flotte, die Auslieferung der ungarischen Flüchtlinge zu verweigern. Rußland und Österreich wichen damals zurück, ließen aber bald nachher die Pforte ihren Zorn empfinden. Als die französische Republik im Herbst 1850 in Konstantinopel eine Reklamation wegen der heiligen Stätten in Palästina [* 10] erhob und die Pforte dieselbe nicht ganz ablehnte, sondern wenigstens die Mitbenutzung einer Kirchenthür in Bethlehem den Katholiken zugestand, erklärte Kaiser Nikolaus sofort, daß hierdurch das religiöse Gefühl der orthodoxen Russen aufs äußerste verletzt werde, und verlangte Bürgschaften für die griechisch-katholische Kirche in der Türkei, welche Rußland ein völliges Schutzrecht über Unterthanen der Pforte gewährt hätten.
Zugleich forderte Österreich die sofortige Zurückziehung der eben damals siegreich in das aufständische Montenegro [* 11] eingedrungenen türkischen Truppen aus diesem österreichischen Grenzland und die Erledigung einer Anzahl privatrechtlicher Forderungen österreichischer Unterthanen. Als der außerordentliche österreichische Gesandte Graf Leiningen die unbedingte Erfüllung dieser Forderungen erreichte, schickte auch Kaiser Nikolaus den Fürsten Menschikow nach Konstantinopel, um in schroffster Form den Abschluß eines förmlichen Vertrags über die der orthodoxen Kirche zu gewährenden Privilegien zu verlangen.
Die Ablehnung dieser Forderung hatte einen neuen russisch-türkischen Krieg zur Folge (1853-56, s. Krimkrieg). Die türkische Armee bewies sich tüchtiger und leistungsfähiger, als man geglaubt hatte, und verteidigte die Donaufestungen sowie Armenien mit großer Zähigkeit und die erstern mit solchem Erfolg, daß die Russen über die Donau zurückgehen mußten. Dagegen wurde gleich zu Anfang des Kriegs die Flotte der Türkei bei Sinope vernichtet, und auch ihre Truppen kämpften, seit die verbündete Armee der Westmächte auf dem Kriegsschauplatz erschienen war, nur in Armenien selbständig; in der Krim [* 12] spielten sie bloß die Rolle von Hilfstruppen.
Für die innern Verhältnisse der Türkei hatte der Krimkrieg besonders die Wirkung, daß die Westmächte, gewissermaßen als Belohnung und Rechtfertigung ihrer thatkräftigen Hilfe, die Einführung gründlicher Reformen in dem türkischen Reich forderten. Diese Bemühungen gipfelten in einem neuen großherrlichen Edikt, welches, von einer Diplomatenkommission zusammen mit dem türkischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten ausgearbeitet, unter dem Namen Hatti-Humayum publiziert und später dem am 30. März d. J. zu Paris [* 13] unterzeichneten Friedensinstrument als Annex beigegeben wurde. Dieser Hatt proklamierte die bürgerliche Gleichstellung aller Unterthanen, verbot die Bevorzugung einer Religionsgenossenschaft vor der andern, gewährte allen Staatsbürgern gleiches Recht auf Anstellung im Pfortendienst, gleiches Recht auf Schulbesuch, verordnete ¶
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die Einsetzung gemischter (mohammedanisch-christlicher) Tribunale, die Wehrpflicht der Christen bei Befugnis des Stellvertreterkaufs, das Recht des Grundeigentumserwerbs für Ausländer, unbedingte Toleranz etc. Türkischerseits war gegen die gleichmäßige Zulassung von Nichtchristen zu den Staatsämtern, gegen die dem Exterritorialitätsprinzip widerstreitende Grunderwerbsbefugnis der Ausländer und gegen die unbedingte Toleranz, d. h. die Aufhebung der vom mohammedanischen Rechtsbewußtsein geforderten Strafen für Abfall vom Islam, vergeblich Einsprache erhoben worden; der Hatt, welcher den Christen die Wehrpflicht für den von ihnen immer als etwas Feindliches betrachteten Osmanenstaat auferlegte, wurde von diesen mit ebensoviel Verdruß und Argwohn aufgenommen wie von den Mohammedanern aller Parteischattierungen mit patriotischem und religiösem Ingrimm, und die türkischen Staatsmänner konnten wenigstens mit Recht beanspruchen, daß der Pforte hinlängliche Zeit für die allmähliche Ausführung der Reformen gewährt werde.
Auch bei dem Pariser Friedenskongreß kamen die türkischen Interessen nur, insofern sie mit denen der Westmächte zusammenfielen, zur Geltung. Rußland wurde um die Donaumündungen und einen denselben anliegenden Streifen Bessarabiens gekürzt, trat aber diesen letztern an die Moldau ab, während die Pforte sich mit den Donaumündungen begnügen mußte. Eine erhebliche Einbuße für Rußland war dagegen die Neutralisierung des Schwarzen Meers. Die Aufnahme der Pforte in die europäische Staatenfamilie und die Gewährleistung ihrer Unverletzlichkeit schienen die Stellung der Türkei in Europa [* 15] beträchtlich zu heben; dagegen wurden durch die Erneuerung des Dardanellenvertrags und die Gewährung autonomer Stellung an die drei Donaufürstentümer, unter Bürgschaft der Vertragsmächte gegen Tributzahlung an die Pforte, ihre Selbständigkeit und ihre Macht erheblich verringert.
In der That wurden die Befugnisse der Pforte über die Vasallenstaaten nicht nur nicht vermehrt, sondern, da das europäische Konzert, von dem die Türkei bloß einen Teil bildete, sich die oberste Entscheidung beimaß, mehr und mehr verringert und schließlich beinahe völlig aufgehoben. Sie konnte nicht hindern, daß 1859 auf Betrieb Frankreichs in der Moldau und der Walachei derselbe Mann, Cusa, zum Fürsten erwählt und so die Union faktisch durchgeführt wurde, und mußte sich begnügen, ihre Investitur mittels zweier verschiedener Diplome zu erteilen. In Serbien [* 16] wurde der der Pforte ergebene Alexander Karageorgiewitsch 1858 zur Abdankung gezwungen und die Obrenowitsch zurückgerufen, unter denen Serbien der Herd panslawistischer Agitationen wurde, welche 1861 auch einen Aufstand in der Herzegowina erregten.
Dem Druck der Großmächte nachgebend, befahl die Pforte 1862 allen außerhalb der Festung [* 17] in Serbien lebenden Türken, auszuwandern, und schleifte mehrere Binnenbefestigungen. Die unter den Auspizien der Westmächte begonnenen Reformen in den Immediatprovinzen gerieten bald ins Stocken. Es gelang nur, eine Anzahl wichtiger materieller Verbesserungen durchzuführen: neue Heerstraßen wurden erbaut, Häfen angelegt, die Post besser eingerichtet und Telegraphenlinien gezogen.
Die Kehrseite dieser Fortschritte bildete die Zerrüttung der Finanzen. Während die Pforte sich früher in bedrängten Zeiten mit Münzverschlechterung und Papiergeld beholfen hatte, deren nachteilige Folgen bald beseitigt waren, war während des Krimkriegs neben einer bedeutenden schwebenden Schuld im Inland eine Anleihe von 7 Mill. Pfd. Sterl. in England aufgenommen worden. Dieser folgten 1858, 1860 und 1861 drei weitere Anleihen. Die Ausgaben stiegen infolge der hohen Zinsen auf 14 Mill. Pfd. Sterl. jährlich, während die Einnahmen nur 9 Mill. betrugen. 1861 brach wegen der Finanznot eine Handelskrisis aus, welcher man durch Ausgabe von 1250 Mill. Piaster Papiergeld mit Zwangskurs zu begegnen suchte. Die willkürlich verteilten und mit Härte eingetriebenen Steuern bedrückten die Bevölkerung [* 18] aufs äußerste und führten in den Provinzen allmähliche Verarmung herbei, während die hohen Beamten und die Bankiers sich übermäßig bereicherten.
Zerrüttung des Staats unter Abd ul Asis.
Am starb Abd ul Medschid; sein Nachfolger Abd ul Asis (1861-76) ward, weil er für nüchtern, sparsam und energisch galt, mit übertriebenen Hoffnungen begrüßt. Dieser Enthusiasmus kühlte sich bald ab, als man sah, daß dem neuen Großherrn allerdings die gutmütige, wohlwollende Gesinnung seines Bruders fehle, daß aber, was man für Charakterfestigkeit gehalten, nur Eigensinn sei, welcher sich, seiner mangelhaften geistigen Bildung entsprechend, in der Regel nach verkehrter Richtung äußerte. Er nahm, wie sein Vater, einen Anlauf, [* 19] der Regenerator seines Reichs zu werden; er wollte sogar dafür Opfer bringen, seinen Harem abschaffen, auf einen Teil der Zivilliste verzichten etc. Aber das auch bei ihm hervortretende Mißverhältnis zwischen Wollen und Können erzeugte Schwermutsanfälle und Ausbrüche von Despotenlaune.
Die Minister wechselten unaufhörlich, kein Regierungsplan konnte systematisch zu Ende geführt werden, die Staatseinkünfte wurden oft auf unsinnige Weise verschwendet. Den Ränken der Mächte, den Bestechungen der hohen Beamten durch Unternehmer und Bankiers waren Thür und Thor geöffnet. Dazu kam, daß die Türkei bald auch mit ihren westlichen Schutzmächten in mancherlei Konflikte geriet, welche ihr der Fanatismus der mohammedanischen Bevölkerung und die steigende Unzufriedenheit der christlichen Unterthanen verursachten. Zu Dschidda in Arabien wurden im Juni 1858 der englische und der französische Konsul ermordet. Am gräßlichsten kam die christenfeindliche Stimmung in Syrien zum Ausbruch, woselbst 1860 zunächst im Libanon nach wiederholten gegen die Christen begangenen Gewaltakten die friedliche maronitische Bevölkerung von Hasbaia, Raschaia und Deir el Kamer, nachdem sie unter Zusage vollkommenen Schutzes ihre Waffen [* 20] an die türkischen Platzkommandanten jener Orte abgegeben, von herbeieilenden Drusen [* 21] massenhaft abgeschlachtet wurde, und dann in Damaskus, der alten syrischen Landeshauptstadt, wo unter heimlicher Zustimmung der Behörde ein volles Viertel (5000 Seelen) der christlichen Bevölkerung dem Fanatismus der Mohammedaner erlag.
Entsetzt über die verübten Greuelthaten, verlangte die öffentliche Meinung ein Einschreiten der Großmächte. Bis aber diese über die Modalität eines solchen schlüssig geworden waren, verstrichen Monate. Inzwischen hatte die Pforte den Großwesir Fuad Pascha als Kommissar mit unbedingter Vollmacht an Ort und Stelle geschickt, und derselbe hatte sich angelegen sein lassen, durch zahlreiche Hinrichtungen in Damaskus und im Libanon die Einmischung der Mächte unnötig zu machen. Doch war die Ende August erfolgte Absendung eines französischen Okkupationsheers nach dem Libanon nicht überflüssig, indem erst jetzt die hochgestellten Urheber und Förderer des Blutbades zur ¶