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Belagerung Wiens (24. Juli bis 12. Sept. 1683) so unglücklich, daß ganz Mittelungarn mit Ofen verloren ging und die Kaiserlichen nach dem Sieg bei Mohács (12. Aug. 1687) in Serbien eindrangen, während gleichzeitig die Venezianer den Peloponnes und Kephalonia wieder eroberten. Mohammed ward daher 1687 entthront; aber weder Suleiman III. (1687-91) noch Achmed II. (1691-95) vermochten den türkischen Waffen wieder den Sieg zu verleihen. Nach den großen Niederlagen bei Slankamen (19. Aug. 1691) und Zenta (11. Sept. 1697) mußte Mohammeds Sohn Mustafa II. (1695-1703) im Frieden von Karlowitz (Januar 1699) Ungarn und Siebenbürgen an Österreich, Asow an Rußland, Podolien und die Ukraine an Polen, den Peloponnes an Venedig abtreten. Mustafa ward 1703 von den Janitscharen abgesetzt und sein Bruder Achmed III. (1703-30) zum Sultan erhoben. Derselbe nahm nach der Schlacht bei Poltawa (1709) den flüchtigen Schwedenkönig Karl XII. gastlich auf, erklärte auch seinetwegen Rußland den Krieg; doch ließ sein Großwesir 1711 den am Pruth eingeschlossenen Zaren Peter d. Gr. gegen Rückgabe Asows frei. 1715 ward der Peloponnes den Venezianern wieder entrissen; doch verloren die Türken nach einem neuen unglücklichen Kriege gegen Österreich im Frieden von Passarowitz (21. Juli 1718) einen Teil von Serbien mit Belgrad. 1730 ward Achmed wegen eines unglücklichen Kriegs mit Persien gestürzt.
Unter Mahmud I. (1730-54) ward die Türkei 1737 von Österreichern und Russen von neuem angegriffen. Diese fielen in die Krim ein und eroberten Asow wieder; die Österreicher kämpften aber so unglücklich, daß die Türken im Frieden von Belgrad (1. Sept. 1739) das Gebiet südlich der Save und Donau sowie ihre an Rußland verlornen Grenzfestungen mit Asow wieder zurückerhielten. Auf Mahmud folgte Osman III. (1754-57), auf diesen sein Vetter Mustafa III. (1757-74), der 1768 mit Rußland wegen dessen drohender Haltung gegen Polen einen Krieg begann, der aber höchst unglücklich für ihn verlief. Die Russen besetzten die Moldau und Walachei, eine russische Flotte erschien im Ägeischen Meer und vernichtete die türkische 5. Juli 1770 bei Tscheschme; 1771 ward die Krim den Türken entrissen, und 1773 drangen die Russen sogar in Bulgarien ein, so daß Mustafas Nachfolger Abd ul Hamid I. (1774-89) im Frieden von Kütschük Kainardschi (21. Juli 1774) die Krim aufgeben, alle Plätze an der Nordküste des Schwarzen Meers abtreten, den Russen freie Schifffahrt im Schwarzen und Ägeischen Meer zugestehen und für die Moldau und Walachei Verpflichtungen übernehmen mußte, die ein Schutzrecht Rußlands begründeten. Infolge der unersättlichen Eroberungssucht Katharinas II. von Rußland, die 1783 die Krim und die Kubanländer mit ihrem Reich vereinigte und 1786 mit Kaiser Joseph II. ein Bündnis schloß, brach 1788 ein neuer Krieg gegen Rußland und Österreich aus, in dem die Türken sich mutig und tapfer behaupteten, zwar Suworows siegreiches Vordringen nicht hemmen konnten, aber den Österreichern wiederholt Verluste beibrachten. Unter preußischer Vermittelung schloß Selim III. (1789-1807) mit Österreich den Frieden von Sistova (4. April 1791), mit Rußland den von Jassy (9. Jan. 1792) und erhielt von beiden Mächten deren Eroberungen mit Ausnahme des Gebiets rechts vom Dnjestr zurück.
Reformversuche.
Im Innern hatten die wiederholten langwierigen Kriege den Verfall beschleunigt: die Finanzen waren völlig zerrüttet, das Ansehen der Regierung geschwächt, die Bande des Gehorsams gelockert und die Einheit des Reichs durch Unabhängigkeitsbestrebungen mehrerer Paschas erschüttert. Selims Reformversuche blieben diesen Schwierigkeiten gegenüber wirkungslos. Dazu kamen wieder auswärtige Verwickelungen: 1798 der Einfall Bonapartes in Ägypten, 1806 wegen Verletzung des Friedens von Jassy eine neue russische Kriegserklärung. Als Selim die Errichtung eines neuen, nach europäischem Muster ausgehobenen und organisierten Heers versuchte, welches die Janitscharen ersetzen sollte, ward er 29. Mai 1807 auf Betrieb der beim Volk beliebten Janitscharen durch die Ulemas abgesetzt und Abd ul Hamids Sohn Mustafa IV. zum Sultan ernannt, und als sich der Seraskier Mustafa Bairaktar, Pascha von Rustschuk, im Juli 1808 für Selim erhob, ward dieser im Gefängnis ermordet. Bairaktar rückte nun auf Konstantinopel, erstürmte das Serail und setzte an Mustafas Stelle dessen jüngern Bruder, Mahmud II. (28. Juli 1808), auf den Thron, der einen neuen Aufstand des von den Janitscharen aufgereizten fanatischen Volkes im November 1808 blutig niederschlug u. Mustafa IV. hinrichten ließ; sein Großwesir Bairaktar, vom Pöbel in einen Turm eingeschlossen, sprengte sich mit diesem in die Luft.
Mahmud II. (1808-39), der jetzt als einzig überlebender Nachkomme Osmans von den Türken als rechtmäßiger Herrscher anerkannt wurde, machte sich besonders die Wiederherstellung der Autorität der Pforte gegen die zahlreichen Unabhängigkeitsbestrebungen der Paschas und der christlichen Stämme zur Aufgabe. Die drohende Haltung Napoleons gegen Rußland bewog dieses, trotz seiner glänzenden Siege im Frieden von Bukarest (28. Mai 1812) die meisten seiner Eroberungen wieder herauszugeben. Zwar gelang es Mahmud, mehrerer unbotmäßiger Paschas, namentlich Ali Paschas von Janina (1822), Herr zu werden und durch blutige Ausrottung des sich jeder Neuerung widersetzenden Janitscharenkorps (Juni 1826) wie durch Errichtung eines regulären, nach europäischem Muster organisierten Heerwesens seine Macht wiederherzustellen. Dagegen glückte es ihm nicht, den Aufstand der Serben (seit 1804) und der Griechen (seit 1821) zu unterdrücken; die Grausamkeit Mahmuds gegen die Griechen isolierte die Pforte völlig den europäischen Mächten gegenüber, und so konnte Rußland dem wehrlosen Reich erst den Vertrag von Akjerman (6. Okt. 1826) abnötigen, welcher die staatsrechtlichen Verhältnisse Serbiens und der Donaufürstentümer im Sinn Rußlands regelte, und nachdem die türkisch-ägyptische Flotte 20. Okt. 1827 mitten im Frieden bei Navarino durch die vereinigten Geschwader Rußlands, Englands und Frankreich vernichtet worden, im April 1828 den offenen Krieg beginnen, indem es seine Heere in Bulgarien und in Armenien einrücken ließ. 1828 eroberten die Russen bloß Warna, Kars und Achalzych, 1829 aber auch Erzerum, und Diebitsch drang sogar bis Adrianopel vor, wo 14. Sept. unter preußischer Vermittelung ein Friede zu stande kam, in welchem die Türkei die Donaumündungen und Achalzych an Rußland abtrat, die Privilegien der Donaufürstentümer und des vergrößerten Serbien bestätigte und die Unabhängigkeit Griechenlands anerkannte.
Nun nahm Mahmud seine Bestrebungen, die Einheit des Reichs wiederherzustellen, von neuem auf, geriet dabei aber in Konflikt mit dem Pascha von Ägypten, Mehemed Ali, welchem er für seine beim griechischen Aufstand geleistete Hilfe große Zugeständnisse hatte machen müssen. Mehemeds Adoptivsohn Ibrahim Pascha fiel 1831 in Syrien ein, schlug die
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Türken dreimal, eroberte 1832 Akka und drang 1833 in Kleinasien bis Kutahia vor. Die Pforte rief in ihrer Bestürzung Rußlands Hilfe an, welches auch 15,000 Mann zur See an den Bosporus warf und zugleich mit andern Truppen die Donau überschritt, während Frankreich und England ihre Flotte vor den Dardanellen vor Anker gehen ließen. Jetzt verstand sich Mehemed Ali zum Frieden von Kutahia (4. Mai 1833), in welchem der Sultan in Form eines großherrlichen Amnestiefermans den Vizekönig als Erbstatthalter Ägyptens anerkannte und ihm auf Lebenszeit die Verwaltung Syriens und Kretas, Ibrahim die von Adana und Tarsos zugestand. Zum Dank für die russische Hilfe schloß Mahmud mit Rußland den Vertrag von Hunkiar Skelessi (8. Juli 1833), in welchem er sich verpflichtete, allen Feinden Rußlands die Dardanellen zu schließen und keinem Kriegsschiff die Einfahrt in das Schwarze Meer zu gestatten. Um den Krieg mit Ägypten wieder aufnehmen zu können, bemühte sich der Sultan, die kriegerischen Hilfsmittel der Pforte durch straffe Zentralstation zu steigern; den Bosniern, Albanesen und verschiedenen kleinasiatischen Stämmen wurden die Reste ihrer Selbständigkeit genommen, das obere Mesopotamien und Kurdistan unterworfen. Als 1839 verschiedene Empörungen gegen die ägyptische Herrschaft in Syrien ausbrachen, erklärte im Mai Mahmud dem Vizekönig den Krieg. Doch starb er 1. Juli, ehe er Kunde erhielt von der völligen Niederlage seines Heers bei Nisib (24. Juni); dieser folgte der Abfall der Flotte, welche der Kapudan-Pascha Achmed 14. Juli Alexandria an Mehemed Ali überlieferte. Die Lage der Türkei, in der Abd ul Medschid (1839-61), Mahmuds 16jähriger Sohn, die Regierung antrat, war daher eine höchst kritische, und sie wurde nur gerettet durch die Intervention der vier Mächte England, Rußland, Österreich und Preußen; dieselben schlossen, um Frankreichs ehrgeizige Pläne zu durchkreuzen, 15. Juli 1840 die Quadrupelallianz, welche durch eine österreichisch-englische Flotte Mehemed Ali zur Räumung Syriens zwang; demselben blieb nur die Erbstatthalterschaft von Ägypten. Unter dem Beirat Reschid Paschas erließ Abd ud Medschid das großherrliche Edikt vom 3. Nov. 1839, welches unter dem Namen Hattischerif von Gülhane berühmt geworden ist. Dies Dokument, dessen Wichtigkeit in der Bestimmung gipfelte, daß die »Unterthanen jeder Nationalität und Religion«, also auch Christen und Juden, gleiche Sicherheit in betreff ihres Vermögens, ihrer Ehre und ihres Lebens haben sollten, bildete einen gewaltigen Fortschritt in der sozialen Gesittung und hatte durch Einleitung mannigfacher Reformen auf administrativem und kommerziellem Gebrauch für die Staatswirtschaft eine hohe Bedeutung. Übrigens sollte der Hatt nur die Grundsätze aufstellen, aus denen die zu erlassenden Spezialgesetze zu erfließen hätten; diese Gesetze, von den Türken Tanzimatihairijeh (»heilsame Organisation«) genannt, sollten für das gesamte Pfortengebiet Gültigkeit haben, und auch Mehemed Ali mußte sich zu ihrer Annahme bequemen. 1841 wurde in London zwischen den Großmächten und der Pforte der sogen. Dardanellenvertrag abgeschlossen, durch welchen die letztere sich verpflichtete, die Dardanellenstraße und den Bosporus für fremde Kriegsschiffe in Friedenszeiten verschlossen zu halten.
Der Krimkrieg mit seinen Folgen.
Das Jahr 1848 mit seinen Freiheitsideen ging an der eigentlichen Türkei spurlos vorüber; dagegen bildete sich in den Donaufürstentümern, wo Rußland unter dem Namen einer Schutzmacht jede freiere Entwickelung despotisch niederhielt, eine Reformpartei, deren Häupter gern mit Hilfe der Pforte eine liberale Repräsentativverfassung eingeführt hätten. Um den Russen keinen Vorwand zu einer Besetzung der Donaufürstentümer zu geben, gab die Pforte die Liberalen preis; dennoch erfolgte die Besetzung. Die Hoffnungen, welche man in Konstantinopel für eine Wiederherstellung der frühern Herrschaft an der Donau auf die ungarische Insurrektion von 1849 gesetzt hatte, wurden durch die Kapitulation von Világos (13. Aug. 1849) vernichtet. Doch hatte die Pforte wenigstens den Mut, unterstützt durch eine vor den Dardanellen erscheinende englische Flotte, die Auslieferung der ungarischen Flüchtlinge zu verweigern. Rußland und Österreich wichen damals zurück, ließen aber bald nachher die Pforte ihren Zorn empfinden. Als die französische Republik im Herbst 1850 in Konstantinopel eine Reklamation wegen der heiligen Stätten in Palästina erhob und die Pforte dieselbe nicht ganz ablehnte, sondern wenigstens die Mitbenutzung einer Kirchenthür in Bethlehem den Katholiken zugestand, erklärte Kaiser Nikolaus sofort, daß hierdurch das religiöse Gefühl der orthodoxen Russen aufs äußerste verletzt werde, und verlangte Bürgschaften für die griechisch-katholische Kirche in der Türkei, welche Rußland ein völliges Schutzrecht über Unterthanen der Pforte gewährt hätten. Zugleich forderte Österreich die sofortige Zurückziehung der eben damals siegreich in das aufständische Montenegro eingedrungenen türkischen Truppen aus diesem österreichischen Grenzland und die Erledigung einer Anzahl privatrechtlicher Forderungen österreichischer Unterthanen. Als der außerordentliche österreichische Gesandte Graf Leiningen 14. Febr. 1853 die unbedingte Erfüllung dieser Forderungen erreichte, schickte auch Kaiser Nikolaus den Fürsten Menschikow nach Konstantinopel, um in schroffster Form den Abschluß eines förmlichen Vertrags über die der orthodoxen Kirche zu gewährenden Privilegien zu verlangen. Die Ablehnung dieser Forderung hatte einen neuen russisch-türkischen Krieg zur Folge (1853-56, s. Krimkrieg). Die türkische Armee bewies sich tüchtiger und leistungsfähiger, als man geglaubt hatte, und verteidigte die Donaufestungen sowie Armenien mit großer Zähigkeit und die erstern mit solchem Erfolg, daß die Russen über die Donau zurückgehen mußten. Dagegen wurde gleich zu Anfang des Kriegs die Flotte der Türkei bei Sinope vernichtet, und auch ihre Truppen kämpften, seit die verbündete Armee der Westmächte auf dem Kriegsschauplatz erschienen war, nur in Armenien selbständig; in der Krim spielten sie bloß die Rolle von Hilfstruppen.
Für die innern Verhältnisse der Türkei hatte der Krimkrieg besonders die Wirkung, daß die Westmächte, gewissermaßen als Belohnung und Rechtfertigung ihrer thatkräftigen Hilfe, die Einführung gründlicher Reformen in dem türkischen Reich forderten. Diese Bemühungen gipfelten in einem neuen großherrlichen Edikt, welches, von einer Diplomatenkommission zusammen mit dem türkischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten ausgearbeitet, unter dem Namen Hatti-Humayum 8. Febr. 1856 publiziert und später dem am 30. März d. J. zu Paris unterzeichneten Friedensinstrument als Annex beigegeben wurde. Dieser Hatt proklamierte die bürgerliche Gleichstellung aller Unterthanen, verbot die Bevorzugung einer Religionsgenossenschaft vor der andern, gewährte allen Staatsbürgern gleiches Recht auf Anstellung im Pfortendienst, gleiches Recht auf Schulbesuch, verordnete