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untern. Die höchste ist das Obertribunal in Konstantinopel [* 2] (gegründet 1868), welches unter anderm alle Todesurteile zu bestätigen hat. Außerdem bestehen in Seestädten 49 Handelsgerichte, die 1847 errichtet wurden. In Prozessen, bei denen beide Parteien Fremde sind, entscheiden die Konsulargerichte.
[Finanzen.]
Was die Finanzen anlangt, so haben sich dieselben nach dem Staatsbankrott vom (Einstellung der Zinszahlungen) ein wenig gehoben infolge der am dekretierten Konsolidation und Reduktion der äußern und der Regulierung der schwebenden Schuld. Die Anleihen von 1858 bis 1874 im Betrag von 190,997,980 Pfd. Sterl. wurden auf 106,437,234 Pfd. Sterl. reduziert, und letztere werden seitdem aus den Erträgnissen gewisser Steuern (Tabaks- und Salzmonopol, Getränke- und Fischereisteuer, Stempel, Seidenzehnt, Tribut von Bulgarien [* 3] und Ostrumelien, Überschuß der Einkünfte von Cypern) [* 4] unter Aufsicht von Vertretern der Gläubiger mit 1 Proz. verzinst und mit ¼ Proz. amortisiert. Am betrug diese Schuld noch 104,458,706 Pfd. Sterl., die zu ihrer Verzinsung bestimmten innern Steuern ergaben 1887/88: 114 Mill. Piaster (noch nicht 1 Mill. Pfd. Sterl.). Außerdem gibt es aber noch eine innere Schuld von ca. 22 Mill. türk. Pfd. (à 100 Piaster), eine schwebende Schuld von ca. 9 Mill. türk. Pfd., die unverzinsliche russische Kriegsschuld von 32 Mill. Pfd. Sterl., die an russische Private zu leistende Entschädigung von 38 Mill. Frank und Schulden für neuerdings geliefertes Kriegsmaterial (ca. 3 Mill. Pfd. Sterl.). Das Budget ist ein ganz ungeregeltes; die Zahlen desselben, soweit solche überhaupt noch veröffentlicht werden, stehen lediglich auf dem Papier und verdienen kein Vertrauen, das ständige Defizit wird durch Verringerung und Nichtauszahlung der Beamtengehalte, kleine Anleihen, selbst Zwangsanleihen nicht ausgeschlossen, und ähnliche Mittelchen gedeckt. 1881/82 belief sich dasselbe auf ca. 5¼ Mill. türk. Pfd., es schwankt meist zwischen 4 und 8 Mill. Im Finanzjahr 1884/85 waren die sonst ca. 12 Mill. türk. Pfd. betragenden Einnahmen angeblich auf 7 Mill. gesunken! Für 1887/88 schätzt man sie wieder auf 17½ Mill. türk. Pfd., ob mit Recht, ist sehr fraglich. Die Hauptposten der Einnahmen, soweit dieselben nicht an die Staatsgläubiger verpfändet sind, sind: Grundsteuer, Einkommensteuer von einzelnen Gewerben, der Zehnte von den Bodenerzeugnissen, der aber in der Höhe von 12½ Proz. erhoben wird, die Hammelsteuer, die auf den Nichtmohammedanern lastende Steuer für Befreiung vom Militärdienst, der 8proz. Einfuhr- und der 1proz. Ausfuhrzoll.
[Heer, Flotte, Wappen.]
Im Mai 1879 erließ die Armee-Reorganisationskommission eine neue Ordre de bataille für den Friedensstand des türkischen Heers. Danach umfaßt letzteres sieben Armeekorps (Ordu) mit den Hauptquartieren in Konstantinopel (Garde), Adrianopel, Monastir, Ersindschan, Damaskus, Bagdad und Sana'a in Arabien. Jedes Armeekorps soll im Frieden durchschnittlich umfassen: 6 Infanterieregimenter zu 3 Bataillonen à 800 Mann, 6 Jägerbataillone zu 800 Mann, 4 Kavallerieregimenter zu 800 Pferden, 1 Artillerieregiment zu 12 Batterien à 6 Geschütze [* 5] und 100 Mann, 1 Pionierbataillon zu 400 Mann und mehrere Gendarmeriebataillone.
Das gäbe einen Etat von 210,000 Mann (134,400 Infanteristen, 22,400 Reiter, 9600 Mann Artillerie, 3600 Pioniere und 40,000 Gendarmen) mit 576 Geschützen, wozu im Krieg noch je 100,000 Mann Reserven und Landwehr kämen mit resp. 192 und 120 Geschützen. Die Feldarmee betrüge also 410,000 Mann mit 888 Geschützen, eine Zahl, die durch Irreguläre und das ägyptische Kontingent auf eine halbe Million gebracht würde. Faktisch zählte die türkische Armee 1885: 63 Regimenter Infanterie zu 4 Bataillonen, 2 Zuavenregimenter zu 2 Bataillonen, 15 Bataillone Jäger und 1 Bataillon berittene Infanterie;
39 Regimenter Kavallerie zu 5 Schwadronen;
13 Regimenter Artillerie mit 144 fahrenden Batterien, 18 reitende und 36 Gebirgsbatterien, 8 Bataillone Festungsartillerie und 10 Bataillone Artilleriehandwerker, 6 Bataillone Genietruppen, eine Telegraphenkompanie, 5 Train-, 3 Feuerwehr- und 3 Handwerkerbataillone, zusammen 12,000 Offiziere, 170,000 Mann, 30,000 Pferde, [* 6] 1188 Feld- und 2374 Festungsgeschütze;
außerdem Kadres für 96 Redifregimenter zu 4 Bataillonen.
Die Flotte, durch Verluste im letzten russischen Krieg und nachherige Verkäufe an England wesentlich verringert, zählte zu Ende 1886 wieder 12 Panzer-, 50 hölzerne und 12 Torpedofahrzeuge; im Bau befanden sich eine Panzerfregatte und 2 Panzerkorvetten. Die Flagge besteht aus einem roten Flaggtuch mit weißem Halbmond und weißem achtstrahligen Stern (s. Tafel »Flaggen [* 7] I«); [* 8] die Handelsflagge aus drei Horizontalstreifen Rot-Grün-Rot.
Das Wappen [* 9] des türkischen Reichs ist ein grüner Schild [* 10] mit wachsendem silbernen Monde. Den Schild umgibt eine Löwenhaut, auf der ein Turban mit einer Reiherfeder liegt; hinter demselben stehen schräg zwei Standarten mit Roßschweifen. Es bestehen vier Ritterorden: der Orden [* 11] des Ruhms (Nischani iftichar, 1831 gestiftet), mit 4 Klassen;
der Medschidieh-Orden (1852 gestiftet, s. Tafel »Orden«, Fig. 33), mit 5 Klassen, der Osmanje-Orden (1861 gestiftet), mit 3 Klassen, der Verdienstorden (Nischani-Imtiaz, 1879 gestiftet), außerdem ein Damenorden (1880 gestiftet).
Sonstige Auszeichnungen sind Kriegsmedaillen, Ehrenkaftane und Ehrensäbel.
Außereuropäische Besitzungen.
Die asiatische Türkei umfaßt eine Anzahl verschiedenartiger Gebiete, welche den westlichsten Teil von Asien [* 12] bilden. Diese Gebiete sind: Armenien, Kurdistan, Irak Arabi oder Babylonien, El Dschesireh oder Mesopotamien, Kleinasien, Syrien und Palästina, [* 13] die Halbinsel Sinai und das westliche Küstenland von Arabien. Hinsichtlich der Verwaltung zerfallen diese Länder in Wilajets, von denen jedes unter einem Pascha als Statthalter steht, deren Grenzen [* 14] und Namen aber häufig wechseln.
Dieselben sind im Sommer 1888, abgesehen von den zum Polizeibezirk von Konstantinopel gehörigen Liwas Bigha und Kodscha-Ili, das Inselwilajet (Dschezâiri-bahri-sefîd), Chodawendikjâr, Aïdin, Kastamuni, Angora, Konia, Siwas, Adana, Trapezunt, Erzerum, Wan, Bitlis, Diarbekr, Charput (Ma'amuret el Aziz), Mosul, Bagdad, Basra, Aleppo, Surija oder Damaskus und Beirut und in Arabien die Wilajets Hidschas und Jemen (s. die einzelnen Artikel). Die Bevölkerung [* 15] der asiatischen Besitzungen der Pforte wird auf 16,133,000 Seelen veranschlagt, das Areal derselben auf ca. 1,890,000 qkm (ca. 34,300 QM.). Die direkten afrikanischen Besitzungen zählen auf 1,033,000 qkm nur etwa 1 Mill. Einw. Die gesamten unmittelbaren Besitzungen des türkischen Reichs umfassen also ca. 3,088,400 qkm mit 21½ Mill. Einw., unter Hinzurechnung aller Tributärstaaten etc. aber 4¼ Mill. qkm mit 33 Mill. Einw.
[Litteratur.]
Vgl. v. Hammer-Purgstall, Die Staatsverfassung und Staatsverwaltung des ¶
Türkei und Nachbarländer.
XIV. Jahrhundert bis vor 1453.
Türkei und Schutzstaaten.
Größte Ausdehnung [* 17] bis zum Karlowitzer Frieden 1699.
1699 - 1877.
Türkei und Nachbarländer
nach dem Berliner [* 18] Vertrag.
1878, 1881 u. 1885. ¶
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osmanischen Reichs (Wien [* 20] 1814, 2 Bde.);
v. Moltke, Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei 1835 bis 1839 (Berl. 1841, 4. Aufl. 1882);
Rigler, Die Türkei und deren Bewohner (Wien 1852, 2 Bde.);
Ubicini, Lettres sur la Turquie.
Tableau statistique, religieux, politique, administratif etc. (Par. 1854);
Derselbe, État présent de l'empire ottoman (mit Pavet de Courteille, das. 1877);
Michelsen, The Ottoman empire and its resources (Lond. 1853);
Heuschling, L'empire de Turquie (Brüssel [* 21] 1860);
»Stambul und das moderne Türkentum. Von einem Osmanen« (Leipz. 1878);
J. Baker, Die Türken in Europa [* 22] (deutsch, Stuttg. 1878);
Aristarchi Bei, La législation ottomane (Konstant. u. Par. 1873-88, 7 Bde.);
Baillie, Digest of moohummudan law (2. Aufl., Lond. 1875 u. 1887, 2 Bde.);
Zur Helle, Die Völker des osmanischen Reichs (Wien 1877);
Menzies, Turkey, historical, geographical, statistical (Lond. 1880, 2 Bde.);
L. Diefenbach, Die Volksstämme der europäischen Türkei (Frankf. 1877);
Meyers Reisebücher: »Türkei und Griechenland« [* 23] (2. Aufl., Leipz. 1888);
»Karte der Balkanhalbinsel« [* 24] (1:300,000, vom österreichischen militärtopographischen Institut, seit 1876);
H. Kiepert, Generalkarte der südosteuropäischen Halbinsel (Berl. 1885).
Geschichte des türkischen Reichs.
(Hierzu »Geschichtskarte des türkischen Reichs«.)
Übersicht der osmanischen Herrscher.
Osman (1288-1326)
Urchan (1326-59)
Murad I. (1359-89)
Bajesid I. (1389-1403)
(Suleiman, Musa) Mohammed I. (1413-21)
Murad II. (1421-51)
Mohammed II. (1451-81)
Bajesid II. (1481-1512)
Selim I. (1512-20)
Suleiman II. (1520-66)
Selim II. (1566-74)
Murad III. (1574-95)
Mohammed III. (1595-1603)
Achmed I. (1603-17)
Mustafa I. (1617-18)
Osman II. (1618-22)
Murad IV. (1623-40)
Ibrahim (1640-48)
Mohammed IV. (1648-87)
Suleiman III. (1687-91)
Achmed II. (1691-95)
Mustafa II. (1695-1703)
Achmed III. (1703-30)
Mahmud I. (1730-54)
Osman III. (1754-57)
Mustafa III. (1757-74)
Abd ul Hamid I. (1774-89)
Selim III. (1789-1807)
Mustafa IV. (1807)
Mahmud II. (1808-39)
Abd ul Medschid (1839-61)
Abd ul Asis (1861-76)
Murad V. (1876)
Abd ul Hamid II. (seit 1876)
[Gründung des türkischen Reichs.]
Die Türken, ein Stamm der schon im Altertum Turan bewohnenden, im 8. Jahrh. zum Islam bekehrten Bevölkerung, von der bereits früher zahlreiche Scharen unter Führung der Seldschukken (s. d.) Vorderasien überschwemmt hatten, wanderten, 50,000 Seelen stark, um 1225 unter ihrem Stammeshäuptling Suleiman I., um dem Schwerte der Mongolen zu entrinnen, von Chorasan nach Armenien aus. Suleimans Sohn Ertogrul (1231-88) trat als Lehnsträger in die Dienste [* 25] Ala ed dins, des seldschukkischen Sultans von Konia, und erhielt einen Landstrich im nordwestlichen Phrygien zum Wohnsitz, wo die Türken Gelegenheit fanden, im Kampf gegen das absterbende griechische Kaiserreich Eroberungen zu machen.
Osman, Ertogruls Sohn und Nachfolger (1288-1326), erweiterte sein Gebiet durch glückliche Kämpfe gegen die Griechen beträchtlich und nahm 1299 nach Ala ed dins Tode den Titel »Sultan« an; nach ihm führten die Türken fortan den Namen osmanische Türken oder Osmanen. Türkische Freibeuter wagten sich auf die See, eroberten 1308 Chios und plünderten und verwüsteten zahlreiche Städte der kleinasiatischen Westküste. Osmans Sohn Urchan (1326-59), einer der bedeutendsten Herrscher seines Geschlechts, eroberte 1326 das feste und volkreiche Brussa, wo er sich einen Palast erbaute, dessen Thor die »hohe Pforte« genannt wurde, und unterwarf sich bis 1340 das ganze Land bis an die Propontis mit Nikäa und Nikomedeia sowie weite Länderstrecken im Innern Kleinasiens.
Sein Sohn Suleiman setzte sich 1356 schon auf der europäischen Seite des Hellesponts, in Gallipoli, fest. Unter dem Beirat seines einsichtsvollen Bruders Ala ed din, des ersten Wesirs der Osmanen, organisierte Urchan das Reich nach den Satzungen des Korans und des osmanischen Staatsrechts (Kanun) und teilte es in drei Militärdistrikte, Sandschaks (Fahnen). Auch schuf er ein stehendes Heer und errichtete die Janitscharen (d. h. neue Truppe), ein aus christlichen Knaben rekrutiertes vortrefflich geschultes Fußvolk, sowie die Spahis, eine reguläre Reitertruppe, deren Mannschaften gegen erbliche Dienstpflicht mit den Einkünften von Dörfern der unterworfenen Gebiete belehnt wurden.
Die Türken bildeten also ein politisch organisiertes Heerlager, dessen Unterhaltung den unterworfenen christlichen Völkerschaften oblag, und das sich trotz der fortwährenden Kriege durch den massenhaften Übertritt von Christen zum Islam, welchen sofort alle Vorrechte des herrschenden Kriegerstammes gewährt wurden, rasch und unaufhörlich vermehrte. Diese wohl organisierte Kriegsmacht gab zu einer Zeit, der stehende Heere fremd waren, den Osmanen ihre Übermacht über ihre Nachbarn.
Urchans zweiter Sohn, Murad I. (1359-89), eroberte Thrakien, verlegte 1365 seine Residenz nach Adrianopel und beschränkte das griechische Kaiserreich auf Konstantinopel und Umgebung. Serben und Bulgaren mußten nach der Niederlage auf dem Serbierfeld bei Adrianopel (1363) Tribut zahlen und sich zu Heeresfolge verpflichten; die Fürsten Kleinasiens mußten die Oberhoheit des Sultans anerkennen. Die Erhebung des Serbenkönigs Lazarus, dem sich die Fürsten von Bosnien, [* 26] Albanien, der Herzegowina und der Walachei anschlossen, endete mit der blutigen Niederlage auf dem Amselfeld bei Kossowa der siegreiche Murad wurde auf dem Schlachtfeld selbst von einem verwundeten Serben ermordet.
Sein Sohn Bajesid I. (1389-1403) machte die Walachei zinspflichtig, unterjochte Bulgarien völlig, eroberte ganz Makedonien und Thessalien und drang siegreich in Hellas ein. Auch in Asien vermehrte er die türkische Macht, indem er die Länder zwischen dem Halys und dem Euphrat eroberte. Das christliche Kreuzheer, welches König Siegmund von Ungarn [* 27] aus dem Abendland herbeiführte, schlug er bei Nikopoli und schickte sich zur Belagerung Konstantinopels an, als das Vordringen der Mongolen unter Timur in Vorderasien ihn zwang, sich gegen diese zu wenden.
Doch unterlag er in der Schlacht bei Angora und geriet selbst in Gefangenschaft, in welcher er 1403 starb. Durch den Zwist seiner Söhne Suleiman, Musa und Mohammed geriet das Reich in Gefahr, zu zerfallen. Doch glückte es dem letztern 1413, nach der Besiegung und dem Tode seiner Brüder das osmanische Reich wieder in seiner Hand [* 28] zu vereinigen und seine Herrschaft gegen auswärtige Feinde und Aufstände im Innern siegreich zu behaupten. Sein Sohn Murad II. (1421-51) konnte 1422 wieder die Eroberung Konstantinopels versuchen; doch Aufstände in Asien sowie heftige Kriege an der Donau gegen die Ungarn und Serben unter Johannes Hunyadi und in Albanien gegen Georg Kastriota, in denen die Osmanen wiederholt Unfälle erlitten, zwangen Murad, Illyrien den Serben, die Walachei den Ungarn ¶