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Proteste hervor. Kurz nach dem Erscheinen des betreffenden kaiserlichen Patents forderte Graf Franz Kinsky in der deutschen Schrift »Erinnerungen über einen hochwichtigen Gegenstand« (1774) die Erhaltung und Ausbildung der tschechischen Sprache, [* 2] und ein Jahr darauf gab Franz Pelcel eine lateinische Verteidigungsschrift der tschechischen Sprache des oben genannten Balbin (»Dissertatio apologetica linguae slovenicae«) heraus. Wichtiger aber für das Wiedererwachen der tschechischen Nationalität war der Aufschwung der historischen Forschung unter der Regierung Maria Theresias und Josephs II.
Zuerst untersuchte Fel. Jak. Dobner (s. d.) die alten tschechischen Geschichtsquellen und gründete 1769 einen wissenschaftlichen Verein, welcher 1784 zur königlich böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften erhoben wurde. Unter dem anregenden Einfluß dieser Gesellschaft erwachte das Interesse für die Sprache und Litteratur der Tschechen, für welche 1793 F. Pelcel als ordentlicher Professor an der Prager Universität angestellt wurde, während Joseph Dobrovsky (s. d., 1753-1829) die eigentliche Grundlage der neuern tschechischen Sprachforschung schuf.
Mit dem 1818 durch den Grafen Sternberg begründeten Nationalmuseum, das bald eine Zeitschrift in deutscher und tschechischer Sprache herausgab und später den wichtigen Verein der Matice česka zur billigen Verbreitung von tschechischen Schriften zu Tage förderte, erhielt dann die litterarische Bewegung der Tschechen einen festen Stützpunkt. Den Übergang von diesen ersten Versuchen der Wiedererweckung der tschechischen Litteratur zu dem ansehnlichen Aufschwung dieser Litteratur nach 1820 bildet die fruchtbare Thätigkeit Joseph Jungmanns (s. d., 1773-1847), der sich namentlich durch zwei Werke, seine »Geschichte der tschechischen Litteratur« (1825) und sein »Tschechisch-deutsches Wörterbuch« (1835-39, 5 Bde.), die größten Verdienste erwarb.
Auf dem Gebiet der Poesie wirkte, nach den schwachen Anfängen Puchmajers, Polaks und Jungmanns, die Auffindung der Königinhofer und der Grünberger Handschrift (1817) epochemachend und befruchtend. In der nationalen Richtung gingen voran Joh. Kollar (1793-1852) und Wladislaw Čelakowsky (1799-1852). Zahlreiche andre Lyriker, wie Vaclav Hanka (1791-1864), Vlastimil Kamaryt (gest. 1833; »Pisen vesnicanův«),
Fr. Jaroslaw Vacek (gest. 1869), ferner Vinařický, Chmelenski, Picek, Pravoslav Koubek, Boleslav Jablonsky, W. Stulč u. a., schlossen sich ihnen an. - Die epische Dichtung, besonders angeregt durch die Auffindung der genannten nationalen Handschriften, fand ihre Pflege durch den Slowaken Joh. Holly (1785-1849; »Svatopluk«),
den Romanzendichter Erasm. Vocel (1803-71),
Joh. Marek (1801-53),
Jos. Kalina (1816-47),
den unter Byronschem Einfluß stehenden Karl Hynek Macha (1810-36; »Máj«),
den vielseitigen Jaromir Erben (1811-70), der indessen schon den Übergang zu der neuen Richtung vermittelt. Unter den Satirikern zeichneten sich Franz Rubes ^[Rubeš] (1814-53) und Karl Havliček (1821-56) aus. - Die Anfänge des modernen tschechischen Dramas knüpfen sich an das 1785 von Karl und Wenzel Tham in Prag [* 3] begründete Liebhabertheater. Nep. Stepáněk (1783-1844) schuf durch zahlreiche originale oder übersetzte Stücke das tschechische Repertoire; höher stehen der fruchtbare Wenzel Klicpera (1792-1859) und Jos. Kajetan Tyl (1808-56), dessen »Cestmir«, »Pani Marjanka«, »Strakonický dudák«, »Jan Hus« u. a. sich auf dem Repertoire erhalten haben. Noch sind zu erwähnen: S. Machaček (gest. 1846), Fr. Turinský (gest. 1852), Ferdinand Mikovec (gest. 1862). - Auch das Gebiet des Romans (im Sinn W. Scotts) und der Novelle wurde fleißig angebaut, so namentlich von Tyl, Rubeš, K. I. Mácha ^[richtig: Karl Hynek Mácha] und Marek, dem Begründer der tschechischen Novellistik, Sabina (1813 bis 1877), Prokop Chocholoušek (1819-64), J. Ehrenberger (geb. 1815) und Adalbert Hlinka (pseudonym Franz Prawda, geb. 1817), durch letztern besonders in Erzählungen aus dem Volksleben.
Bedeutender als auf dem Gebiet der Poesie gestaltete sich die neuere auf tschechische Litteraturauf dem der Wissenschaften und insbesondere der historischen. Als Historiker stehen in erster Linie: Franz Pelcel (1734-1801), der Verfasser einer Reihe historischer Untersuchungen (darunter Biographien Karls IV., Wenzels IV. etc.) und einer »Nova kronika česká«, die wesentlich zur Erweckung des tschechischen Nationalgefühls beitrug;
sodann Paul Jos. Šafařik (Schafarik, 1795-1861),
der in seinen »Starožitnosti slovanské« den ersten den modernen Bedürfnissen entsprechenden Versuch machte, die slawische Urgeschichte bis zum 10. Jahrh. aufzuhellen, und besonders Franz Palacky (1798-1876),
mit dessen monumentaler »Geschichte Böhmens von den ältesten Zeiten bis 1526«, deren 1. Band [* 4] 1836 erschien, die tschechische Historiographie sich plötzlich aus mühsamer und schwerfälliger Altertumsforschung auf die Höhen moderner, künstlerischer Darstellung emporschwang.
Auch um die slawische Sprachforschung erwarb sich nach den schon genannten Gelehrten, Dobrovsky und Jungmann, besonders Paul Šafařik durch seine »Počátkové staročeske mluvnice« große Verdienste. Diesen Bahnen folgen: Martin Hattala (geb. 1821), Wenzel Zikmund (1863-73), Jos. Kolař u. a.
V. Periode. Die neueste Zeit. Mit der Einführung der konstitutionellen Ära in Österreich [* 5] (um 1860) fielen die letzten Schranken, welche das Wiederaufblühen der tschechischen Litteratur bis dahin vielfach gehindert hatten. An Zahl, innerm Gehalt und Formvollendung übertreffen denn auch die Produkte der neuesten Periode alle frühern. Das tritt am auffälligsten auf poetischem Gebiet zu Tage. Hier sei zunächst, gleichsam als Übergang in die Neuzeit, der hyperromantische Lyriker J. Vaclav Frič (pseudonym Brodsky, geb. 1829) erwähnt, der sich auch als Dramatiker einen Namen gemacht hat. In Viteslav Halek (1835-74) erstand sodann der böhmischen Poesie ein Dichter von durchaus moderner Stimmung und trefflicher Naturmalerei.
Schwungvoller sind die lyrischen Gedichte von Adolf Heyduk (geb. 1836), der auch in der poetischen Erzählung ungewöhnliches Talent bekundet. Sehr geschätzt werden ferner die geistreichen, im übrigen der dichterischen Unmittelbarkeit entbehrenden Gedichte von Joh. Neruda (geb. 1834). Der bedeutendste Dichter Böhmens auf lyrisch-epischem Gebiet ist indessen Jaroslaw Vrchlický (eigentlich Frida, geb. 1853). Noch sind unter den Lyrikern zu erwähnen: Eliza Krasnohorska (geb. 1847), die populärste böhmische Dichterin der Neuzeit, der vorwiegend elegische Joseph Vaclaw Sladek (geb. 1845), Spindler, Dörfl, Mokry etc. Als Dichter von epischer Begabung zeigte sich Svatopluk Cech (geb. 1846), doch hat ein Epos im großen Stil die neuere tschechische Poesie bisher nicht zu Tage gefördert. Die bedeutendsten Erfolge sind im Drama errungen worden, besonders durch Franz Wenzel Jeřábek (geb. 1836), der im sozialen Schauspiel und der Tragödie Werke von hohem sittlichen und künstlerischen Wert schuf. Von Bedeutung ¶
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sind der Lustspieldichter Emanuel Bozděch (1841-1889), der nationale Vaclav Vlček (geb. 1839), bei dem aber zuweilen das epische Motiv überwiegt; der noch der ältern Schule angehörende fruchtbare Schauspieler Jos. Georg Kolar (geb. 1812), der mit besonderm Geschick düstere Helden- oder Intrigantentypen zur Geltung bringt; Fr. A. Šubert, gegenwärtig Direktor des böhmischen Nationaltheaters. Weniger glücklich war der oben erwähnte Jaroslaw Vrchlický in seinen dramatischen Versuchen.
Sonst sind noch zu erwähnen Stroupeznicky (»Cerne duse« etc.),
Neruda, Zakreys, Durdik (»Stanislav i Ludmila«),
Stolba, Samberk, Krajnik etc. -
Als die Gründerin des tschechischen Romans gilt Frau Karoline Světlá (eigentlich Johanna Mužák, geb. 1830),
die Verfasserin zahlreicher dem Volksleben entnommener Erzählungen. In erster Reihe steht gegenwärtig der bereits unter den Dramatikern erwähnte Vaclav Vlček, dessen »Zlato v ohni« (neue umgearb. Ausg. 1883) sowohl durch großartig angelegten Plan (Naturgeschichte der Familie von der Ehe bis zur Völkerfamilie) als auch durch meisterhafte Detailmalerei hervorragt. Auf dem Gebiet des historischen Romans waren vor andern Jos. Georg Staúkovský (gest. 1880; »König und Bischof«, »Die Patrioten der Theaterbude« etc.) und der schon unter den Dramatikern genannte Fr. A. Šubert (15. Jahrh.),
auf dem des sozialen Svatopluk Čech thätig. Ferner sind als Erzähler zu nennen: Gustav Pfleger-Moravsky (gest. 1875; »Aus der kleinen Welt«) und Aloys Adalbert Smilowski (gest. 1883),
beide auch als Lyriker und Dramatiker bekannt;
der schon unter den Dichtern erwähnte Joh. Neruda (»Erzählungen von der Kleinseite«);
Aloys Jirásek (geb. 1851; »Die Felsenbewohner«, »Am Hof [* 7] des Wojewoden«, »Eine philosophische Geschichte« etc.);
Bohumil Havlasa (gest. 1877; »Im Gefolge eines Abenteurerkönigs«, »Stille Wasser« etc.);
Servac Heller, Julius Zeyer, Franz Herites (geb. 1851),
Joseph Stolba (geb. 1846) u. a.
Die moderne böhmische Geschichtsforschung wurde von Fr. Palacky (s. oben) begründet; seine große »Geschichte Böhmens« gelangte 1876 zum Abschluß und hat auf alle Zweige des öffentlichen Lebens, auf Politik, Kunst und Wissenschaft, in Böhmen [* 8] den nachhaltigsten Einfluß ausgeübt. Sein Nachfolger als böhmischer Landeshistoriograph, Anton Gindely (geb. 1829), hat sich durch die groß angelegte (deutsch geschriebene) »Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs« einen Namen gemacht, während ihm von nationaler Seite Mangel an patriotischer Wärme [* 9] vorgeworfen wird. Durch Bienenfleiß zeichnet sich Vaclav Vladivoj Tomek (geb. 1818) aus, dessen »Geschichte der Stadt Prag« (1855 ff.) eine in solcher Vollständigkeit fast beispiellose Monographie der böhmischen Hauptstadt bringt und sich zugleich zu einem überreichen Material für die Geschichte Böhmens gestaltet. Von den übrigen Historikern sind besonders der populäre K. Vladislaw Zap (gest. 1870), Anton Boček (gest. 1847) und Beda Dudik (geb. 1815; »Geschichte Mährens«) namhaft zu machen.
Eine fruchtbare Thätigkeit auf litterarhistorischem, linguistischem und historischem Gebiet entfaltet Joseph Jireček (geb. 1825), der Verteidiger der Königinhofer Handschrift. Einzelne Epochen der böhmischen Geschichte bearbeiteten Karl Tieftrunk, Fr. Dworsky, Rezek, Ferd. Schulz, Kořan, Bilek u. a., die Geschichte slawischer Völker W. Križek (gest. 1882), Konstantin Jireček (geb. 1854; »Geschichte der Bulgaren«),
Joseph Perwolf (geb. 1841; »Die Geschichte der slawischen Idee« etc.). Wichtige Beiträge zur böhmischen Rechtsgeschichte lieferten, außer Palacky, Vorel und Tomek, in der neuesten Epoche Hermenegild Jireček (s. d.),
der mährische Landesarchivar Vinzenz Brandl (geb. 1834; »Die Anfänge des Landrechts« etc.),
Joseph Kalousek (»Die böhmische Krone«),
Karl Jicinsky, Tornan, Emler, Rybička u. a. In der Rechtswissenschaft hat sich Randa (s. d.) einen weit über die Grenzen [* 10] Böhmens bekannten Namen erworben. Ferner sind hier zu nennen: J. Slavicek, A. Meznik, J. Skarda, Havelka, A. Pavlicek u. a.
Die philosophische Litteratur beginnt in Böhmen erst 1818 mit einem Aufsatz von W. Zahradnik (in der Zeitschrift »Hlasitel«). Palacky, Purkyně, Marek, Hanus, Kvet behandelten in Zeitschriften einzelne Zweige der Philosophie. Erst Dastich (geb. 1834),
Professor der Philosophie an der Prager Universität, veröffentlichte größere Werke philosophischen Inhalts (»Formelle Logik«, »Empirische Logik«, »Erläuterungen zum System des Thomas Stitny« etc.). Der bedeutendste Vertreter der philosophischen Litteratur ist gegenwärtig J. Durdik (s. d.),
der sich entschieden an die neuern deutschen Systeme anlehnt und sich mit Erfolg der Ästhetik zugewendet hat. In den Vordergrund trat neuestens Tschechische G. Masaryk (»Konkrete Logik«),
der mit seinen »Slawischen Studien« (»Slovanske studie«) auch die slawische Frage zum erstenmal vom rein realistisch-philosophischen, aller Romantik entkleideten Standpunkt behandelt, überdies auch die Echtheit der Königinhofer Handschrift bekämpft. Unter den Naturforschern zeichnen sich die Schüler des Physiologen Purkyně (s. d.): J. Krejči (»Geologie«, [* 11] 1878),
der Zoolog A. Frič, der Botaniker L. Čelakowsky (s. d. 2),
Fr. Studnicka (»Aus der Natur«) und der oben erwähnte der Ästhetik zugewandte J. Durdik (»Kopernikus und Kepler«, »Über den Fortschritt der Naturwissenschaft« etc.) aus.
Die moderne tschechische Litteraturgeschichte
wurde von F. Prohazka mit den »Miscellaneen
der böhmischen und mährischen Litteratur« (1784) begründet. Reichhaltiger, wenn auch den modernen kritischen Ansprüchen
nicht gewachsen ist Jungmanns »Historie literatury česke« (1825); erst J. Jireček begann 1874 die Herausgabe
einer erschöpfenden tschechischen Litteraturgeschichte:
»Rukovet k dejinam literatury
česke«, während der »Dajepis literatury českoslavanske« von Sabina
(gest. 1877) die beiden ersten Perioden der tschechischen Litteratur mit ausführlicher Beleuchtung
[* 12] der Kulturverhältnisse
behandelt.
Als in biographischer Hinsicht ausgezeichnet sind die »Dejiny reci a literatury
česke« von A. Šembera (1869) zu erwähnen. Wertvolle Beiträge zur tschechischen Litteraturgeschichte
lieferten: W. Nebesky, K. J. Erben, Vrtatko, Brandl (über Karl v. Žerotin), Cupr (über Veleslavin), Kiß (über Sixt v. Ottersdorf
und Lomnicky), Hanus (über Celakowsky), Zoubek (über Komensky), Jireček (über Šafařik), Zeleny (über Palacky, Kollar,
Jungmann) etc. Auch enthält die große unter Leitung Riegers veröffentlichte Encyklopädie »Slovnik naucny«
(1854-74, 12 Bde.) ausführliche Artikel zur tschechischen Litteratur.
Vgl. K. Tieftrunk, Historie literatury česke (Prag 1876);
Fr. Bayer, Stručne dejiny literatury česke (Olmütz [* 13] 1879);
Bačkovsky, Zevrubné dejiny českeho pisemnictv í doby nové (»Eingehende Geschichte der tschechischen Litteratur der Neuzeit«, Prag 1888);
Pypin u. Spasovič, Geschichte der slaw. Litteraturen, Bd. 1 (deutsch, Leipz. 1880 ff.).