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vollständig unterbrochen. In den 20er Jahren des 19. Jahrh. beginnt ihre Erneuerung und zwar vorwiegend in wissenschaftlicher Richtung unter starker Anlehnung an gesamtslawische Ideen.
I. Periode. Von den ältesten Zeiten bis zu Huß (800-1410). Die ältesten Proben tschechischer und überhaupt slawischer Poesie sind die sogen. »Grünberger Handschrift« (s. d.),
angeblich aus dem 9. Jahrhundert, und die »Königinhofer Handschrift« (s. d.), die in das 13. oder 14. Jahrh. verlegt wird und eine Reihe epischer und lyrischer Gedichte enthält, von denen einige aus vorchristlicher Zeit stammen sollen. Die exklusiv nationale Richtung, wie sie in den Dichtungen dieser Handschriften (deren Echtheit übrigens seit ihrer Entdeckung bis auf den heutigen Tag mannigfach angezweifelt wird) zu Tage tritt, konnte sich dem Andrang der westeuropäischen Zivilisation gegenüber nicht lange behaupten.
Schon unter Wenzel I. und Ottokar I. drangen mit deutscher Rittersitte auch die damals beliebten poetischen Stoffe nach Böhmen. [* 2] So ward die »Alexandreïs« Walters von Châtillon von einem unbekannten Dichter tschechisch bearbeitet (13. Jahrh.),
ebenso die Artussage in »Tristram«, mit starker Nachahmung Gottfrieds von Straßburg, [* 3] und in »Tandarias a Floribella« (14. Jahrh.). Höher an poetischem Wert stehen indessen die dem Dalimil (s. d.) zugeschriebene (in Wirklichkeit von einem unbekannten Ritter kurz nach 1314 verfaßte) Reimchronik der böhmischen Geschichte und die in trefflicher Prosa geschriebene Erzählung »Tkadleček« aus dem 14. Jahrh. (hrsg. von Hanka, Prag [* 4] 1824). Auch didaktische Dichtungen, namentlich Tierfabeln, waren damals in Böhmen sehr verbreitet (darunter »Nová Rada« und »Rada zvirat« des Smil Flaška von Pardubitz) wie nicht minder kirchliche Poesien (bemerkenswert die »Legende von der heil. Katharina«, aus dem 14. Jahrh., 1860 von Erben herausgegeben) und religiöse Dramen oder »Mysterien«, als deren älteste bekannte Probe der nur in einem Fragment erhaltene »Mastičkář« (»Salbenkrämer«),
aus dem Anfang des 14. Jahrh., zu nennen ist (hrsg. von Hanka im »Vybor«). - Die tschechische Prosa begann mit Bibelübersetzungen. Ein kleines Fragment des Evangeliums Johannis, der Schrift nach aus dem 10. Jahrh., ist neben der Grünberger Handschrift das älteste Denkmal der tschechischen Litteratur. Die Gründung der Prager Universität 1348 gab dann den Wissenschaften in Böhmen einen raschen Aufschwung. Einer ihrer ersten Schüler war Thomas v. Stitny (s. d.), dessen theologisch-philosophische Abhandlungen von der herrschenden Scholastik stark abwichen. Die älteste Chronik in tschechischer Prosa ist die des Priesters Pulkava von Hradenin (gest. 1380), der sich die Übersetzung der Reisen des Engländers Mandeville von v. Brezow und die des Marco Polo anschlossen. Das älteste Denkmal endlich der böhmischen Rechtsgeschichte ist die »Kniha starého pána z Rozenberka« aus dem Anfang des 14. Jahrh.
II. Periode. Von Huß bis zur Schlacht am Weißen Berg (1410-1620). Das Jahr, in welchem Joh. Huß seinen Bruch mit der römischen Kurie vollzog, wird mit Recht als der Anfang einer neuen Periode der tschechischen Litteratur bezeichnet. Um sich in dem Streit mit Rom [* 5] die Unterstützung der Volksmassen zu sichern, schlug Huß kühn die Bahnen ein, welche vor ihm bereits Thomas v. Stitny betreten hatte, gab die lateinische Gelehrtensprache auf und wandte sich in gemeinverständlichen tschechischen Predigten und Schriften an das Volk.
Hierbei entwickelte er die tschechische Sprache nicht nur praktisch, sondern unterzog sich auch der Mühe, die bis dahin außerordentlich schwankende Orthographie in einer besondern Schrift zu regeln (vgl. »M. J. Husi ortografie česká«, hrsg. von Šembera 1857). Diese Bemühungen um die Vervollkommnung der tschechischen Sprache [* 6] wurden im 15. und 16. Jahrh. eifrig fortgesetzt von der Gemeinschaft der Böhmischen oder Mährischen Brüder (s. d.), welche die vorzüglichsten tschechischen Stilisten hervorbrachte und zuerst in Jungbunzlau und Leitomischl, darauf in Prerau Druckereien anlegte.
Wesentlich gefördert wurde der Aufschwung der tschechischen Litteratur auch durch humanistische Einflüsse, namentlich unter Wladislaw II. (1471-1516), als Bohuslaw v. Lobkowitz, welcher eine der reichhaltigsten Bibliotheken seiner Zeit sammelte, und nach ihm eine Reihe namhafter Gelehrten ausgezeichnete lateinische Gedichte schrieben und ein andrer Kreis [* 7] böhmischer Humanisten, an deren Spitze der Rechtsgelehrte Cornelius v. Vsehrd stand, die klassischen Studien für die tschechisch-nationale Litteratur zu verwerten suchte.
Gleichwohl konnte sich unter den erbitterten nationalen und religiösen Kämpfen die tschechische Poesie nicht in dem Maß fort entwickeln, als es sonst ihre glänzenden Anfänge versprachen. Satire und Kriegslieder traten in den Vordergrund. Der »Májový sen« (»Maitraum«) des Prinzen Hynek Podiebrad (1452-91) ist nur seines Verfassers wegen zu erwähnen; das satirische Gedicht »Prostopravda« des Nikolaus Dačický von Heslow (1555 bis 1626) hat nur noch für die Kulturgeschichte Wert.
Der bedeutendste tschechische Dichter dieser Zeit ist Simon Lomnický (gestorben nach 1622),
obschon es ihm an sittlichem Gehalt fehlte, um als didaktischer und moralisierender Dichter Großes zu leisten. Für seine Hauptwerke gelten: »Krátké naučení mladému hospodáři« (»Kurze Anleitung für einen jungen Hauswirt«),
ein didaktisches Gedicht mit Zügen der damaligen Sitten, und die Satire »Kupidova střela« (»Die Hoffart des Lebens«),
welche ihm bei Rudolf II. den Adel und einen Jahrgehalt einbrachte;
auch versuchte er sich in kirchlichen Dramen.
Unter den zahllosen kirchlichen Gesängen sind besonders die von dem Bischof der Böhmischen Brüder, Joh. Augusta (1500 bis 1572), größtenteils im Gefängnis verfaßten schwungvollen Lieder hervorzuheben.
Auch in der tchechischen Prosa dieser Periode überwiegt die theologisch-polemische Richtung, indem Kalixtiner, Katholiken und später Protestanten in kirchlicher Propaganda litterarisch wetteiferten. Am wertvollsten sind die teils lateinischen, teils tchechischen Schriften von Joh. Huß, dem Begründer des Protestantismus (1369-1415), von denen die letztern neuerdings von Erben (Prag 1865-68, 3 Bde.) herausgegeben wurden. Auf katholischer Seite zeichnete sich der Prager Dekan Hilarius von Leitmeritz (Litomericki, gest. 1469) aus.
Durch kernhaften Stil ragen des genialen Peter Chelčický (s. d., 1390-1460) Schriften hervor, welche der Böhmischen Brüderschaft als Richtschnur galten. Unter den theologischen Schriftstellern dieser Brüderschaft zeichnete sich besonders Lukas (1458-1528) durch glänzenden Stil aus. Die erste tschechische Übersetzung des Neuen Testaments von Lupáč erschien 1475, die erste Gesamtübersetzung der Bibel [* 8] 1488; bis 1620 erschienen 15 tschechische Bibeln, die beste davon ist die 1579-93 in Mährisch-Kralitz auf Kosten des Johann von Zerotin veröffentlichte (»Bible Kralicka«),
die noch heute für das höchste Muster der tschechischen Sprache gilt. Die Begründer der böhmischen Rechtswissenschaft ¶
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sind Viktorin v. Vshehrd (»Neun Bücher vom Recht und Gericht und von der Landtafel in Böhmen«, 1550; hrsg. von Jireček, Prag 1874),
der Landmarschall Ctibor von Cimburg in dem sogen. »Tobitschauer Buch« (für Mähren) und P. Chr. v. Koldin (1579),
dessen Schrift »Prava mestska Kralostvi českeho« für die Städteordnungen in Böhmen und Mähren maßgebend wurde. Eifriger Pflege erfreuten sich die historischen Wissenschaften. Den Übergang zur zweiten Periode bilden die »Stari letopisove česti«, anonyme Annalisten der Jahre 1378 bis 1527 (hrsg. von Palacky 1829). Bedeutende Förderung erhielt dann die tschechische Geschichtschreibung durch Adam v. Veleslavín (1546-99),
der zahlreiche eigne und fremde historische Werke in musterhafter Sprache veröffentlichte (Übersetzung der »Historia bohemica« von Äneas Sylvius, »Politia historica«, »Kalendář historicky« u. a.). Die Kämpfe zwischen den Kalixtinern und den Protestanten in Prag 1524-30 wurden von dem eifrigen Lutheraner Bartos (gest. 1535) parteiisch, aber anschaulich geschildert; den Widerstand der böhmischen Stände gegen Ferdinand I. 1546-48 beschrieb Sixt v. Ottersdorf (1500-1583) ebenfalls vom protestantischen Standpunkt aus, aber durchaus pragmatisch und in klassischem Stil.
Die gesamte böhmische Geschichte behandelte der Kanonikus Vaclav Hajek von Libočan (1495-1553), dessen »Chronik« eine beliebte Lektüre, aber wenig zuverlässige Geschichtsquelle ist. Joh. Blahoslaw (1523-71) von der Böhmischen Brüderschaft verfaßte eine wertvolle Geschichte der letztern. Ein andrer Bruder, Vaclav Brézan (1560-1619), Archivar des Grafen Rosenberg, schilderte in einer Biographie dieses Magnaten die Ereignisse von 1530 bis 1592; doch kommt dieses Werk stilistisch den Schriften Blahoslaws nicht gleich.
Zur Brüdergemeinde gehört ferner der Historiker Jaffet (gest. 1614), der außer andern Werken eine Geschichte vom Ursprung der Brüderunitäten schrieb. Wertvolle Beiträge zur politischen und Kulturgeschichte Böhmens enthalten die Briefe des Karl v. Zerotin (s. d.), neben dem noch der polnisch-tschechische Historiker Barthol. Paprocki (1540-1614, Beschreibungen der böhmischen, mährischen und schlesischen Adelsgeschlechter) und der Hofhistoriograph des Königs Mathias, Georg Záveta ^[Závěta], Verfasser einer »Hofschule« (»Schola aulica«, Prag 1607) zu erwähnen sind. Endlich gehört hierher die reichhaltige Korrespondenz der Herren v. Schlik, Rabstein, Sternberg, Rosenberg, Cimburk, Wilh. v. Pernstein und des Königs Georg von Podiebrad. - In der Länder- und Sittenkunde tritt uns zuerst die »Kosmografie česka« des Siegmund v. Puchov (1520-84) entgegen, der sich die Beschreibung der Reisen des Joh. v. Lobkowitz nach Palästina [* 10] (1493),
Vratislavs v. Mitrowitz nach Konstantinopel [* 11] (1591; hrsg. in der »Staročeska biblioteka«, Bd. 3), Harants von Polzic nach Ägypten, [* 12] Jerusalem [* 13] etc. (1598; neue Ausg. von Erben, 1854) u. a. anschlossen. Unter den Humanisten zeichneten sich aus: Gregor Hruby Jeleny (1450-1514) als Übersetzer von Cicero u. a., Siegmund Hruby Jeleny (gest. 1554), Verfasser eines »Lexicon symphonum« der griechischen, lateinischen, tschechischen und deutschen Sprache, Vaclav Pisecki (gest. 1511),
der Übersetzer des Isokrates. Auch die tschechische Sprachforschung verdankt der Böhmischen Brüdergemeinde vielfache Förderung (»Grammatika ceska« ^[»Grammatika česka«] von Joh. Blahoslaw, 1571). Naturwissenschaftliche Schriften hinterließen Tadeus Hajek (gest. 1600) und Adam Zaluzanski (gest. 1613).
III. Periode. Die Unterdrückung der tschechischen Sprache; die Exulanten (1620-1774). Die Niederlage der Böhmen in der Schlacht am Weißen Berg, die gewaltsame Austreibung und Auswanderung von 30,000 Böhmen, darunter viele durch hervorragende Stellung und Vermögen einflußreiche Förderer der nationalen Litteratur, die Vernichtung des Wohlstandes und die allgemeine Verwilderung während des Dreißigjährigen Kriegs schienen den Untergang der tschechischen Litteratur herbeizuführen.
Gegen die alten Schätze derselben wüteten die Sieger unter dem Vorwand, daß sie von hussitischen oder protestantischen Tendenzen durchdrungen seien. So gingen von den ältern Werken viele unter, andre wurden außerordentlich selten. Bald verwilderte denn auch die tschechische Sprache, die immer allgemeiner als Bauerndialekt verachtet und endlich vom Kaiser Joseph II. durch Dekret vom aus Amt und Schule ausgeschlossen wurde. Damit war das 1620 unternommene Werk formell beendet, allein sofort trat eine kräftige Gegenwirkung zu Tage.
Die litterarischen Traditionen der zweiten Periode wurden zunächst von den Emigranten oder Exulanten fortgesetzt. Karl v. Zerotin setzte von Breslau [* 14] aus, wohin er 1628 ausgewandert war, seine litterarisch wertvolle Korrespondenz mit seinen Freunden, namentlich mit den Böhmischen Brüdern, fort. In enger Verbindung mit seinem Namen erscheint der des bedeutendsten tschechischen Schriftstellers jener Zeit, J. Amos Komenskys (genannt Comenius, 1592 bis 1670), dem die tschechische Litteratur die großartige, wenn auch zuweilen in Pietismus ausartende allegorische Dichtung »Labyrint sveta a ráj srdce« (»Labyrinth der Welt«, 1623) verdankt, worin er dem tiefen Schmerz seiner Seele in ergreifenden Tönen Ausdruck verlieh.
Von demselben unerschütterlichen Gottvertrauen zeugt seine treffliche metrische Übersetzung der Psalmen. In seinen pädagogischen Schriften trat er gegen die herrschende pädagogische Scholastik und den verkehrten Klassizismus auf (weiteres s. Comenius). Neben Komensky zeichneten sich unter den Exulanten aus: Paul Skála (gestorben nach 1640), der Verfasser einer Kirchengeschichte in 10 Bänden, Martin v. Drazov, Paul Stránský, (gest. 1657), der in seiner in Amsterdam [* 15] veröffentlichten »Respublica bojema« eine überaus klare Darstellung der politischen Verhältnisse und des innern Zustandes Böhmens entwirft.
Noch spärlicher entwickelte sich die tschechische Litteratur nach der Katastrophe von 1620 in Böhmen selbst. Eigentümlicherweise verdankt man hier das bedeutendste Werk jenem Grafen Wilhelm Slavata (s. d.), einem der Opfer des berühmten Fenstersturzes, dessen 14bändiges Geschichtswerk (»Spisovani historicke«),
ein Gegenstück der vom protestantischen Standpunkt verfaßten Geschichte Skálas, eine wichtige Geschichtsquelle bildet. Im Sinn der kirchlich-politischen Reaktion schrieben ferner der Jesuit Bohuslaw Balbin (gest. 1688), Thomas Pešina (gest. 1680), dessen »Předchudce Moravopisu« die chronologische Geschichte Mährens bis 1658 umfaßt, Joh. Beckovsky (gest. 1725),
Verfasser einer böhmischen Chronik: »Poselkyně starých přiběhuv«, Johann Hammerschmid (gest. 1737), Franz Kozmanecký, der schon ältere Wenzel Sturm, der schlimmste Gegner der Brüdergemeinde (gest. 1601), ferner der jesuitische Fanatiker Anton Konias (gest. 1760) u. a.
IV. Periode. Die Wiedererweckung (1774 bis 1860). Die plötzliche Unterdrückung der tschechischen Sprache in Amt und Schule rief alsbald ernste ¶