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anwachsende Agitation für dieselbe erhoben, zumal in großen Städten und Gebirgsländern, woselbst die Anlegung der Friedhöfe sanitäre und andre Schwierigkeiten bereitet. Erfahrene Ärzte, wie der Oberstabsarzt Trusen, Bock [* 2] u. a., machten schon lange in Deutschland [* 3] Propaganda für die Verbrennung; italienische und schweizerische Ärzte schlossen sich bald ihnen an. Der 1869 zu Florenz [* 4] tagende internationale Kongreß der Ärzte faßte eine dafür eintretende Resolution, und die in Florenz stattgefundene feierliche Verbrennung des auf der Reise verstorbenen Radscha von Kelapur auf großem Scheiterhaufen nach indischem Ritus regte das Interesse in weitern Kreisen an. In Italien [* 5] beschäftigten sich seitdem die Ärzte Pini, Rota, Ayr, Anelli, Amati, Gorini und sehr viele andre mit der Frage, und die Professoren Polli in Mailand [* 6] und Brunetti in Padua [* 7] konstruierten besondere Öfen, [* 8] in denen die Verbrennung schnell und möglichst wenig kostspielig vorgenommen werden kann.
Durch Mittel, welche der Kaufmann Alb. Keller aus Zürich [* 9] bei seinem 1874 in Mailand erfolgten Tod aussetzte, konnten diese Versuche in großartigem Maßstab [* 10] durchgeführt werden, und Mailand erbaute die erste Verbrennungshalle (1875), der solche zu Lodi, Cremona, Varese, Rom, [* 11] Como, Brescia, Padua, New York, Washington [* 12] und Philadelphia [* 13] folgten. In Deutschland erwarb sich insbesondere Reclam Verdienste um die Popularisierung des immer noch manchem Widerspruch, namentlich von orthodoxer Seite, begegnenden Gedankens; Kinkel u. a. traten dafür ein, die Ingenieure Pieper und Siemens in Dresden [* 14] beschäftigten sich mit der Konstruktion praktischer Verbrennungsöfen, und seit 1877 hat auch Gotha [* 15] eine Verbrennungshalle, in welcher 1878 die erste Verbrennung einer Leiche ausgeführt wurde.
Die Regierungen haben sich bisher meistens ablehnend verhalten, kaum daß einzelne die Verbrennung fakultativ gestattet haben. 1889 waren Verbrennungsöfen in Thätigkeit: in Italien 23, Amerika [* 16] 10, je einer in Stockholm, [* 17] Kopenhagen, [* 18] London, [* 19] Paris, [* 20] Gotha, Zürich, und bis wurden verbrannt: in Gotha 554, in Italien 998, in Amerika 287, in Schweden [* 21] 39, in England 16, in Frankreich 7, in Dänemark [* 22] 1 Person. Es ist sehr wahrscheinlich, daß man in Zukunft zu diesem System der Totenbestattung allgemein übergehen wird, denn es besitzt außerordentliche sanitäre Vorzüge und kann in einer die Pietät und das ästhetische Gefühl völlig zufriedenstellenden Weise ausgeführt werden.
Das einzige gewichtige Bedenken (Vernichtung der Spuren eines an dem Verstorbenen ausgeübten Verbrechens) könnte wohl durch die Einführung der allgemeinen Leichenschau gehoben werden. In der neuesten Zeit haben sich in vielen großen Städten Vereine zur Agitation für die Leichenverbrennung [* 23] gebildet, deren Organisation von Mailand ausging. Von der neuerdings sehr angeschwollenen Litteratur über die Verbrennung der Toten sei nur erwähnt: J. Grimm, Über das Verbrennen der Leichen (Berl. 1850);
Trusen, Die Leichenverbrennung (Bresl. 1855);
Wegmann-Ercolani, Über Leichenverbrennung (4. Aufl., Zürich 1874);
Küchenmeister, Die Feuerbestattung (Stuttg. 1875);
Pini, La crémation en Italie et à l'étranger de 1774 etc. (Mail. 1884);
Thompson, Die moderne Leichenverbrennung (deutsch, Berl. 1889);
über die Totenbestattung überhaupt vgl. Weinhold, Die heidnische Totenbestattung (Wien [* 24] 1859);
De Gubernatis, Storia popolare degli usi funebri indoeuropei (Mail. 1873);
Tegg, The last act, the funeral rites of nations (2. Aufl., Lond. 1878);
Sonntag, Die Totenbestattung, Totenkultus alter und neuer Zeit (Halle [* 25] 1878);
Wernher, Bestattung der Toten in Bezug auf Hygiene etc. (Gießen [* 26] 1880).