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Kaisertums kam Tirol [* 2] unter die Herrschaft der Ostgoten, nach deren Zertrümmerung der nördliche Teil des Landes von den Bojoaren (Bayern), [* 3] der südliche von den Langobarden besetzt ward. Dann ward Tirol fränkische Provinz, in Gaue geteilt, deren Namen sich erhalten haben, wie Vintschgau (Finsgowe), Thal [* 4] Passeyer (Passir), Zillerthal (Cillarestal), Pusterthal (Pustrissa), Innthal, Norithal (das innere um den Brenner herum) mit der Grafschaft Bozen, [* 5] und von Grafen verwaltet.
Nach dem Aussterben des karolingischen Hauses nahmen es die wieder emporgekommenen bayrischen Herzöge zum Teil in Besitz. Außer den geistlichen Fürsten von Brixen und Trient [* 6] bewahrten ihre Unabhängigkeit die Grafen von Tirol, welchen der Vintschgau und ein Teil des Engadin gehörte. Ihre Stammburg war Schloß Tirol oberhalb Meran [* 7] (früher Maias). Schon seit 1001 werden Grafen von Tirol erwähnt, doch beginnt eine regelmäßige Succession erst seit Albrecht I. um 1110. Einer seiner Nachfolger, Albrecht IV. (1202-53), erwarb 1248 die Grafschaft Andechs im Oberinnthal bei dem Aussterben der Herzöge von Meran, welche diesen Titel als Markgrafen des am Meer liegenden Istrien [* 8] führten und sich von Friedrich I. von Dießen (gest. 1020) ableiteten.
Die übrigen Besitzungen dieses Geschlechts in Oberbayern, wo Andechs am Starnberger See lag, im Norithal (um Brixen) und Pusterthal wurden von den Herzögen von Bayern und den Bischöfen von Brixen okkupiert. Das Gebiet einer dritten Familie, nämlich der Herren von Eppan, welche angeblich zum Geschlecht der Welfen gehörten, erwarben in 12. Jahrh. die Bischöfe von Trient, wie z. B. die Grafschaft Bozen. Diesem Stift war auch die Grafschaft Matrei zugefallen, während das Zillerthal schon seit dem 11. Jahrh. zum Erzstift Salzburg [* 9] gehörte.
Ein viertes Geschlecht, die Grafen von Heimföls-Lurenfeld, seit dem 12. Jahrh. Grafen von Görz [* 10] genannt, war im tirolisch-kärntnischen Pusterthal reich begütert. Als Albrecht IV. von Tirol 1253 starb, teilten seine Schwiegersöhne, die Grafen Meinhard I. von Görz und Gebhard von Hirschberg, [* 11] die kaum vereinigte Erbschaft; jener erhielt die Besitzungen der Grafen von Tirol, dieser die der Grafen von Andechs. Doch fiel die Erbschaft Gebhards durch Kauf wieder an Meinhard II., Enkel des letzten Grafen von Tirol, welcher 1282 von Kaiser Rudolf I. die Reichsunmittelbarkeit des nun in seinen Besitzverhältnissen geschlossenen Landes zuerkannt erhielt, das nunmehr den Namen Tirol (Etschland und Innthal) zu führen begann.
Meinhards II. Enkel Heinrich, Herzog von Kärnten und Graf von Tirol, hinterließ eine Erbtochter, Margarete Maultasch, welche zuerst mit Johann von Luxemburg [* 12] und dann mit dem Markgrafen Ludwig von Brandenburg, [* 13] Kaiser Ludwigs ältestem Sohn, vermählt war und nach dem Tod ihres Sohns Meinhard 1363 das Land an die Herzöge von Österreich [* 14] abtrat. 1364 bestätigte der Kaiser diese Gebietsveränderung im Vertrag zu Brünn, [* 15] und 1369 erkannten sie auch die bayrischen Herzöge im Schärdinger Vergleich an. Bei der Teilung der habsburgischen Brüder Albrecht III. u. Leopold III. (1379) fiel an Herzog Leopold, der 1386 bei Sempach fiel.
Bei der Teilung von 1406 überkam sein jüngster Sohn, Herzog Friedrich IV. (mit der leeren Tasche), das Land samt den schwäbischen Vorlanden in ziemlicher Verwirrung, die sich durch den Konflikt, in den Friedrich mit dem Konstanzer Konzil und dem Kaiser Siegmund 1415 geriet, noch steigerte. Während Friedrich im Gebirge umherirrte, suchte sich sein Bruder Ernst von Steiermark [* 16] des Landes zu bemächtigen; doch kam 1416 eine Versöhnung zwischen den Brüdern zu stande, und die Grafschaft Tirol erhielt der Herzog Friedrich zurück, der nun mit Hilfe des Landvolks den widerspenstigen Adel demütigte.
Von nun an erhielten die Städte und das Landvolk gleiche politische Rechte mit den zwei vornehmen Ständen (Landtag zu Meran 1433). Unter seinem Sohn Siegmund, dem »münzreichen«, aber durch verschwenderische Freigebigkeit stets geldbedürftigen Herrscher, blühte der Bergbau [* 17] in Tirol auf, zumal die Silbergruben von Schwaz ergaben unermeßliche Ausbeute. Dieser Fürst ist besonders bekannt durch den Kirchenstreit, der 1455 zwischen ihm und dem Bischof von Brixen, Nikolaus von Cusa, wegen der Vogtei über das Nonnenkloster Sonnenburg im Pusterthal sich entspann und 1464 resultatlos endete. Da Siegmund kinderlos war, übergab er die Grafschaft 1490 seinem Neffen, dem König Maximilian I., der sie 1504 durch das Zillerthal, Kufstein, Kitzbühel, Rattenberg, das kärntnische Pusterthal zwischen Ober-Drauburg und Lienz, ferner gegen Italien [* 18] durch die Reichsvikariate Ala, Avia, Mori, Brentonico, das Grenzgebiet von Covolo (Kofel) und Pudestagno (Peutelstein), ferner Riva und Roveredo vergrößerte und ihr den Titel gefürstete Grafschaft beilegte.
Ferdinand I. trat der Reformation entgegen, die seit 1522 im Land Eingang gefunden hatte, unterdrückte zwar 1525 den Bauernaufstand, den in Brixen Michael Geißmayer angestiftet hatte, mußte aber die freie Predigt nach dem Wort Gottes gestatten. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. ward durch das Zusammenwirken des katholischen Adels und der Regierung in Innsbruck [* 19] bewirkt, daß Tirol von den Protestanten verlassen wurde. Nach Ferdinands I. Tod (1564) übernahm sein zweiter Sohn, Erzherzog Ferdinand, der Gemahl der schönen Philippine Welser von Augsburg, [* 20] die Regierung; da Ferdinand keine erbberechtigten Söhne hinterließ, so fiel nach seinem Tod (1594) das Land wieder an die kaiserliche Familie, bis 1602 Rudolf II. seinen Bruder Maximilian zum Regenten bestellte.
Nach dessen Tode trat (1618) Erzherzog Leopold aus der steirischen Linie ein, der Gatte Claudias von Medici, welche nach seinem Ableben als Vormund des Sohns die Grafschaft verwaltete (1632-46). Auf Claudia folgten noch ihre beiden Söhne, zuerst Ferdinand Karl, dann Franz Siegmund, der 1665 starb. Mit ihm erlosch die steirische Nebenlinie in Tirol, und dieses wurde jetzt wieder von Wien [* 21] aus regiert. Kaiser Leopold I. stiftete 1673 die Universität zu Innsbruck. Im spanischen Erbfolgekrieg (1703) unternahm Max Emanuel von Bayern eine Expedition nach Tirol, die anfangs gelang, bald aber durch die Tapferkeit des Landsturms den Bayern ebenso verderblich ward wie den Franzosen, die unter Vendôme von Italien her bis Trient vorgedrungen waren.
Durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 erhielt Kaiser Franz II. die geistlichen Fürstentümer Brixen und Trient. Im Frieden zu Preßburg [* 22] fiel an Bayern; erfolgte die Übergabe. Die Einmischung der neuen Regierung in viele Dinge, welche die Wiener Hofräte bisher klüglich unberührt gelassen, die bedeutenden Geldverluste, welche die Entwertung der das Land überschwemmenden Bankozettel verursachte, die Störung des altgewohnten Absatzes in den Erbländern, die Einführung neuer Steuern und die Konskription, die Auflösung der Tiroler Landschaft, die Beseitigung selbst des Namens »Tirol«, namentlich aber die Verminderung der Feiertage und Klöster: dies alles erzeugte im Land eine ¶
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den Bayern sehr feindliche Stimmung und bereitete den heimlichen Aufforderungen Erzherzog Johanns und Hormayrs in Wien zum Aufstand einen günstigen Boden. So entzündete sich im April 1809 jener Volkskrieg unter den Helden Andreas Hofer (s. d.), Speckbacher u. a., nach dessen unglücklichem Ende im Wiener Frieden von 1809 Tirol in drei Teile zerrissen ward: Welschtirol mit Bozen fiel an das Königreich Italien, Oberpusterthal an Illyrien, und das übrige blieb bei Bayern. Nach dem Fall des französischen Kaiserreichs 1814 wurde das ganze Land wieder mit Österreich vereinigt. Durch das Patent vom stellte Kaiser Franz die Verfassung in etwas veränderter Gestalt wieder her. Tirol fügte sich weniger gern als die andern deutschen Kronländer in den durch das Februarpatent von 1861 (s. Österreich, S. 521) in Österreich geschaffenen Zustand; eine Adresse der alttiroler Partei vom hatte geradezu die Aufrechterhaltung der alten ständischen Gliederung verlangt.
Dazu weigerte sich der italienische Süden, den Landtag zu beschicken, und verlangte eine Abtrennung der italienischen Bezirke von den deutschen. Die Abneigung der Massen, namentlich auf dem Land, gegen die neue Ordnung der Dinge wuchs noch, als das Patent vom 8. April im Prinzip die Gleichstellung der Protestanten aussprach. Doch hatte die Adresse des allein aus Vertretern von Deutschtirol zusammengesetzten Landtags, welcher auf Antrag des Fürstbischofs von Brixen an den Kaiser die Bitte richtete, die Ausübung des öffentlichen Gottesdienstes, die Bildung kirchlicher Gemeinden, den Erwerb von Realbesitz den Protestanten in Tirol nicht zu gestatten, keinen Erfolg.
Die Sistierung der Verfassung nach Schmerlings Sturz 1865 rief in Tirol keine oppositionelle Kundgebung hervor, weil die Regierung Tirol in Absicht auf das Protestantenpatent bedeutende Zugeständnisse machte. So wurde durch das Gesetz vom die Bildung protestantischer Gemeinden von der Einwilligung des Landtags abhängig gemacht. Daher gab sich für die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Zustände 1867 in dem Landtag Tirols geringe Sympathie zu erkennen; indessen erfolgte doch der Beschluß, den Reichsrat zu beschicken.
Die liberalen österreichischen Gesetze über Kirche und Schule stießen in Tirol natürlich auf große Abneigung und im Landtag auf Opposition. Alle Versuche des verfassungstreuen Ministeriums, eine liberale Mehrheit durch Neuwahlen zum Landtag zu erreichen, waren vergeblich. Auch nach dem Eintritt der Welschtiroler in den Landtag (1875) blieb die Mehrheit ultramontan und protestierte ebenso wie die Bischöfe immer wieder gegen die konfessionslose Schule und für die Glaubenseinheit.
Vgl. v. Hormayr, Geschichte der gefürsteten Grafschaft Tirol (Tübing. 1806-1808, 2 Bde.);
Egger, Geschichte Tirols (Innsbr. 1872-80, 3 Bde.);
über einzelne Perioden: A. Huber, Geschichte der Vereinigung Tirols mit Österreich (das. 1864);
v. Hormayr, Tirol und der Tiroler Krieg von 1809 (2. Aufl., Leipz. 1845);
A. Jäger, Zur Vorgeschichte des Jahrs 1809 in Tirol (Wien 1852);
»Tirol unter der bayrischen Regierung« (Aarau [* 24] 1816);
A. Jäger, Geschichte der landständischen Verfassung Tirols (Innsbr. 1880-1885, 2 Bde.) und andre Werke des Verfassers; Streiter, Studien eines Tirolers (für die neuere Zeit, Leipz. 1862);
»Archiv für Geschichte und Altertumskunde Tirols« (Innsbr. 1864-68);
»Acta Tirolensia« (das. 1886 ff.);
»Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol« (das., seit 1825).