eine
Gattung der
Sage (s. d.), welche von dem
Leben und
Treiben der
Tiere und zwar vorzugsweise der ungezählten
Tiere des
Waldes handelt, die man sich mit
Sprache
[* 2] und
Vernunft ausgestattet denkt. Die
Wurzeln der Tiersage liegen in der Natureinfalt
der ältesten
Geschlechter, die noch in unbefangenem, sei's freundlichem oder feindlichem, immer nahem
Verkehr mit den
Tieren standen: aus der harmlosen
Freude des Naturmenschen an dem
Treiben der
Tiere, seiner
Beobachtung ihrer besondern
Art und »Heimlichkeit« entsprang die einfache
Erzählung dessen, was
er an und mit den
Tieren erfuhr und erlebte,
und sie eben
bildet das charakteristische Merkmal dieser Art Naturpoesie, die teils in einzelnen konkret gewordenen
Erscheinungen als Tiermärchen, teils in Verknüpfung und Verschmelzung derselben zu einem dichterischen Ganzen als Tierepos
auftritt.
Wohl zu unterscheiden ist dieses Tierepos von der gewöhnlichen (Äsopischen oder Lessingschen) Tierfabel, die rein didaktischer
Natur ist, indem sie nach kurzer
Erzählung des Thatsächlichen eine nüchterne Verstandeslehre mit epigrammatischer
Schärfe ausspricht (s.
Fabel). Das Tierepos ist dagegen von aller lehrhaften und satirischen
Tendenz frei; sein
Wesen beruht
auf der poetischen Auffassung und naturgetreuen
Darstellung des Tierlebens als eines in seiner geheimnisvollen Eigentümlichkeit
abgeschlossenen, aber zugleich in den Bereich des Menschlichen erhobenen Daseins.
Die
Tiere, welche diese
Dichtung vorführt, sind nicht nackte, außer aller psychischen
Gemeinschaft mit
dem
Menschen stehende
Tiere, noch weniger allegorische
Figuren oder in Tiergestalt verkleidete
Menschen: es sind die
Tiere in
ihrem wirklichen
Leben, jedoch mit
Gedanken und
Sprache ausgestattet und von
Trieben geleitet, denen Absicht und Bedeutung geliehen
sind. In dieser Verschmelzung des menschlichen und tierischen
Elements liegt die
Bedingung und zugleich
der höchste
Reiz der Tiersage. Daß bei solcher Schilderung der Tierwelt zugleich das gewöhnliche
Treiben der
Menschen abgespiegelt
wird, ist unleugbar, aber keineswegs die beabsichtigte
Wirkung der
Dichtung, die vielmehr, wie das Heldenepos, in ruhiger
Breite
[* 3] dahinfließt, ohne weitereTendenz, als in ungestörter Gemütlichkeit sich auszusprechen.
Gelegenheit freilich, satirische Nebenbeziehungen auf bestimmte menschliche Zustände anzubringen, bietet die Tiersage nur
allzu reichlich,
und sie wurde auch schon frühzeitig von den Bearbeitern benutzt.
Spuren der Tiersage sind schon bei den ältesten
Völkern nachzuweisen, aber diese ließen sie frühzeitig wieder fallen oder wandten sich der didaktischen
Tierfabel (s.
oben) zu; eine vollständige epische Durchbildung erhielt die Tiersage nur bei den mit hervorragendem Natursinn
ausgestatteten
Deutschen und zwar vorzugsweise bei den
Franken.
Mit diesen wanderte sie im 5. Jahrh. über den
Rhein, wo sie in
Flandern und Nordfrankreich
Wurzel
[* 4] faßte und gepflegt wurde,
bis sie später nach
Deutschland
[* 5] zurückkehrte, um hier im 15. Jahrh. in der niederdeutschen
Dichtung
»ReinekeVos« ihre endgültige Gestalt zu erhalten (s.
Reineke Fuchs). Die älteste und echteste Tiersage kennt nur einheimische Tierhelden
(mit treffenden, echt deutschen
Namen), und der
Bär, der König der deutschen
Wälder, war auch im Gedicht
der König der
Tiere; erst später (im 12. Jahrh.) trat statt seiner der orientalische
Löwe an die
Spitze des Tierstaats, in
den nun auch
Affen
[* 6] und andre fremdländische Geschöpfe eingeführt wurden. Die besten, vollkommen befriedigenden Aufschlüsse
über den
Charakter der Tiersage gab J.
Grimm in einer
Einleitung zu
»ReinhartFuchs«
[* 7] (1843).
der Inbegriff aller
Anordnungen und Bestrebungen, welche zum
Zweck haben, den
Tieren unnötige Quälereien
zu ersparen. Das
Strafgesetzbuch für das
Deutsche Reich
[* 10] bedroht (§ 360, Ziff. 13) »mit
Geldstrafe bis zu 150
Mk. oder mit
Haft
denjenigen, welcher öffentlich oder in Ärgernis erregender
WeiseTiere boshaft quält oder roh mißhandelt«.
Zur Verhütung einzelner
Arten von
Mißhandlungen der
Tiere bestehen auch vielfach besondere Polizeivorschriften, wie z. B.
bezüglich des
Transports kleinerer
Haustiere, des
Bindens der
Füße derselben, bezüglich der Hundefuhrwerke etc. In vielen
Fällen ist es schwer zu erkennen, wann eine
Handlung wirklich als eine strafbare
Tierquälerei zu erachten ist; denn
der
Charakter, das Benehmen u. die Benutzungsweise der verschiedenen
Tiere weichen wesentlich voneinander
ab u. machen deshalb
eine verschiedene Art in der Behandlung derselben, zumal bei Arbeitstieren, nötig.
Um denTieren eine humane Behandlung zu sichern, haben sich allenthalben Tierschutzvereine gebildet, wozu der verstorbene
Hofrat
Perner in
München
[* 11] zuerst die Anregung gegeben hatte. Diese
Vereine suchen Mitglieder in allen
Schichten
der
Bevölkerung
[* 12] zu gewinnen und verpflichten dieselben, nicht nur selbst keinerlei
Tierquälerei zu begehen und von ihren
Angehörigen zu dulden, sondern auch andre davon abzumahnen und nötigen Falls polizeiliche Abhilfe zu veranlassen. Da
in erster
Linie schon bei derErziehung der
Kinder darauf hingewirkt werden muß,
Mitgefühl für die
Leiden
[* 13] der
Tiere und Abscheu vor allen
Handlungen zu erwecken, welche
Tieren jeder Art unnötige
Schmerzen verursachen, suchen diese
Vereine durch
Schriften und bildliche
Darstellung auf die
Jugend einzuwirken.
Durch diese Tierschutzvereine sind schon manche tierquälerische
Mißbräuche bei der Benutzung und Behandlung
von
Tieren abgestellt worden; ihren Bemühungen ist es unter anderm zuzuschreiben, daß mit Fußleiden und andern
Gebrechen
behaftete
Pferde,
[* 14] anstatt noch länger herumgeplagt zu werden, zum
Zweck des
Fleischgenusses in Pferdeschlächtereien eine nutzbringende
Verwendung finden, daß ferner unzweckmäßige Zuggeräte, wie das
Doppeljoch, immer mehr außer
Gebrauch kommen, bessere Schlachtmethoden
angewendet werden, nutzlose und unsinnige
Operationen, wie
Stechen und
Brennen des
Gaumens sowie Nagelschneiden bei
Pferden, Ohrenschneiden
bei
Hunden etc., immer seltener werden. Es bleibt für
¶
mehr
den Tierschutz übrigens noch ein großes Feld der Thätigkeit, wenn er seine Aufmerksamkeit auch fernerhin auf entsprechendere Einrichtungen
bei dem Transport der Tiere auf den Eisenbahnen, auf Verbesserungen der häufig noch unbeschreiblich schlechten Ställe sowie
des unzweckmäßigen, zu schmerzhaften Fußleiden führenden Hufbeschlags etc. richtet. In Deutschland richtete sich die Agitation
der Tierschutzvereine in letzter Zeit namentlich gegen die Vivisektion (s. d.). Auch wird eine Abänderung des deutschen Strafgesetzbuchs
in dem Sinn angestrebt, daß zu dem Begriff der Tierquälerei nicht mehr das Requisit der Öffentlichkeit oder das Erregen von
Ärgernis gehören soll.
Der Tierschutz darf jedoch nicht in übertriebene Sentimentalität ausarten, die für zuweilen unvermeidliche
Leiden der TiereAusdrücke des tiefsten Bedauerns findet und alles mögliche aufbietet, vermeintliche Tierquälereien abzustellen,
während sie für Leiden der Menschen weniger empfindlich ist. Insbesondere kann der (bei Verleihung von Medaillen etc.) übertriebene
Diensteifer niederer Polizeiorgane, in vielen an und für sich unschuldigen HandlungenTierquälereien zu erblicken,
zuweilen unangenehm werden und zu lästigen Plackereien führen. Im weitern Sinn erstreckt sich der Tierschutz auch auf die Verhinderung
der Ausrottung oder der zu starken Verminderung gewisser Arten von Tieren, besonders nützlicher Vogelarten, der Fische
[* 16] etc.,
zu welchem Zweck besondere Polizeivorschriften zu erlassen sind. Dem Tierschutz gewidmete Zeitschriften erscheinen gegenwärtig
in Berlin (»Ibis«, seit 1872), Darmstadt
[* 17] (seit 1874), Stuttgart
[* 18] (seit 1875),