Wärme.
[* 15] Thermometrische Messungen haben dargethan, daß zahlreiche
Tiere eine ihnen eigne,
nur geringen Schwankungen ausgesetzte und von der
Temperatur der
Außenwelt ganz unabhängige
Körpertemperatur oder Eigenwärme
besitzen. Dieselbe ist im hohen
Norden
[* 16] nicht geringer als unter den
Tropen, und man bezeichnet derartige
Tiere als warmblütige
oder homöotherme (konstant temperierte)
Tiere.
Andre Organismen besitzen eine schwankende, wesentlich
von der
Temperatur des sie umgebenden
Mediums abhängige
Temperatur, man nennt sie kaltblütige oder richtiger poikilotherme
(variabel temperierte) Organismen.
Bei ihnen ist die
Energie der Oxydationsprozesse so gering, daß die Eigenwärme nur wenige
Grade höher als die
Temperatur
der Umgebung ist. Ein ganz eigentümliches Verhalten bieten einige
Säugetiere (Fledermaus,Igel,
Murmeltier,
Hamster etc.), welche man als
Winterschläfer bezeichnet hat; diese sind während der wärmern
Jahreszeit homöotherm, verfallen
aber in der kältern
Jahreszeit in einen eigentümlichen Erstarrungszustand, in welchem der ganze
Stoffwechsel auf ein äußerst
geringes
Maß beschränkt ist, und in welchem sie sich ganz wie die
Kaltblüter verhalten.
DieTemperatur des
Murmeltiers sinkt dann auf 1,6°.BeimMenschen und den
Warmblütern ist die Körperwärme
eine der unerläßlichsten
Bedingungen für den geregelten
Ablauf
[* 17] der wichtigsten Lebensprozesse. Das
Experiment hat gezeigt,
daß mit einem
Absinken der Körperwärme die
Energie aller Lebensprozesse ganz wie bei den Winterschläfern erlahmt, und daß
auf der andern Seite schon geringe
Erhöhungen der Eigenwärme bedeutende
Gefahren im
Gefolge haben, daß
beim
Menschen und den
Säugetieren sogar der
Tod eintritt, sobald die Körperwärme 42-43° C. übersteigt.
Die t. W. wird nun in den
Geweben des
Organismus gebildet, und zwar resultiert sie aus dem ganzen
Cyklus von Veränderungen,
den man als
Stoffwechsel bezeichnet. Ganz besonders müssen wir die
Drüsen und die
Muskeln
[* 18] als Hauptquellen
der
Wärme bezeichnen. Es ist möglich, die durch eine einzige Muskelkontraktion bewirkte Temperatursteigerung nachzuweisen.
Trotz der sehr ungleichen Wärmemengen, welche in den verschiedenen
Organen gebildet werden, verteilt sich die gebildete
Wärme
ziemlich gleichmäßig über den ganzen
Organismus; dieses wird bewirkt durch direkte Berührung der verschiedenen
Organe,
weit mehr aber noch mittels einer durch den Blutstrom hergestellten wärmeleitenden
Verbindung.
Auf diese
Weise erreichen die in den einzelnen
Organen gebildeten Wärmemengen selbst solche Körperteile, welche für sich
gar keine
Wärme erzeugen. Das
Resultat dieser Ausgleichung ist eine annähernd konstante
Temperatur des
ganzen
Organismus.
Oxydationen sind nun die verbreitetsten, durchaus aber nicht die ausschließlichen Erzeuger der
Wärme;
Wärme
wird vielmehr bei allen chemischen
Prozessen frei, bei denen der Vorrat an
Spannkraft sich mindert. Dieser
Punkt ist deshalb
von Bedeutung, weil im tierischen
Körper neben Oxydationsprozessen komplizierte Spaltungsvorgänge eine wichtige
Rolle spielen.
Die eigne
Natur der im Tierkörper verlaufenden
Prozesse ist daher von keinem Einfluß auf die Verbrennungswärme; die gebildete
Wärme ist vielmehr durch die Anfangs- und Endzustände der
Körper gegeben und hängt durchaus nicht von den Zwischenstufen
ab, welche die
Körper durchlaufen. Das
Prinzip von der
Erhaltung derKraft
[* 19] fordert ja, daß bei einem
Prozeß,
der aus mehreren getrennten
Akten zusammengesetzt ist, eine Wärmemenge entsteht, die derjenigen völlig gleich ist, welche
beim
Ablaufen des
Prozesses in einem
Akt gebildet wird. Folgende
Tabelle enthält die Verbrennungswärme einiger für den
Organismus
bedeutungsvoller
Substanzen:
1) durch Strahlung von der freien Körperoberfläche. Das
Quantum dieser
Wärme wird unter sonst gleichen Verhältnissen um
so größer sein, je erheblicher die Temperaturdifferenz zwischen dem
Körper und der umgebenden
Luft sich gestaltet.
2) DurchLeitung, und zwar leitet der
KörperWärme a) an kältere Gegenstände, die seine Oberfläche
berühren,
Luft,
Kleidung etc.;
b) an die in die
Lungen gelangende
Luft; c) an die in den Verdauungsapparat gelangenden
Substanzen;
d) an das in den
Lungen und an der Körperoberfläche verdunstende
Wasser. Um zu einer ungefähren
Vorstellung von der Verteilung
der Wärmeabgabe auf die verschiedenenPosten zu gelangen, sei angegeben, daß
Helmholtz den durch Erwärmung
der
Nahrung entstandenen Verlust auf 2,6 Proz., den Verlust durch
Erwärmung der Atmungsluft auf 5,2, denjenigen durch Wasserverdunstung auf 14,7
Proz. schätzt, während
er den ganzen Rest durch die Körperoberfläche zur Verausgabung gelangen läßt.
Da sowohl Wärmebildung als Wärmeabgabe großen Schwankungen ausgesetzt ist, die Eigenwärme aber stets
konstant bleibt, so muß der
Organismus über Vorrichtungen verfügen, welche seine
Temperatur regulieren. Bei der Betrachtung
dieser regulatorischen Einrichtungen haben wir zu unterscheiden zwischen solchen, welche auf die
¶
mehr
Wärmeerzeugung, und solchen, welche auf die Wärmeabgabe einwirken. Von den Einflüssen der ersten Art ist in erster Linie
die Nahrungszufuhr zu nennen. In der Kälte ist das Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme größer als in der Wärme. Ein zweites
Mittel dieser Art ist die Muskelarbeit. In der Kälte suchen die Organismen durch vermehrte Muskelkontraktionen
Wärme zu bilden, in der Wärme vermeiden sie Muskelarbeit am liebsten ganz. Unter den regulatorischen Vorrichtungen, welche
auf die Wärmeausgabe einwirken, kommt in erster Linie der die äußere Haut
[* 21] und die Lungen passierende Blutstrom in Betracht.
Diese Vorrichtung basiert auf der Veränderlichkeit in der Weite der Arterien (s. Blutbewegung), und sie
ist entschieden der wichtigste Regulator
[* 22] der Eigenwärme. Durch eine Erweiterung der Gefäße in der äußern Haut und den Lungen
wird der Wärmezufluß vom Innern des Körpers her vermehrt, durch eine Verengerung verringert. Nun sichert eine nervöse Verbindung
einen ursachlichen Zusammenhang in der Weite dieser Gefäße und der Körpertemperatur und macht sich derartig
geltend, daß die Gefäße sich erweitern, sobald die Körperwärme steigt, daß sie sich aber verengern, sobald diese sinkt.
Ein andres Prinzip, welches bei der Wärmeregulation Anwendung findet, ist die Wärmeabgabe bei der Veränderung des Aggregatzustandes
von Körperbestandteilen. Der Organismus macht hiervon beim Übertritt von Flüssigkeiten in den gasförmigen
Zustand, also bei der Verdunstung, Gebrauch. Diese findet besonders umfangreich in zwei Organen statt, nämlich in den Lungen
und in der äußern Haut. Wie bedeutend die Verdunstung durch die Lungen ist, kann man schon aus der Beobachtung der ausgeatmeten
Luft bei kalter Witterung schließen.
Was die Verdunstung durch die äußere Haut betrifft, so ist die dichte Bekleidung derselben mit Epidermiszellen
der Verdunstung nicht günstig, und der Mechanismus ist hier der, daß bei gesteigerter Körperwärme ein Reiz auf die Schweißzentren
(s. Schweiß) ausgeübt wird, daß infolgedessen die Schweißdrüsen durch ihre Thätigkeit die Hautoberfläche mit einer Flüssigkeitsschicht
überziehen, zu deren VerdunstungWärme vom Körper abgegeben wird. Als dritte die Wärmeabgabe betreffende
Regulationsvorrichtung benutzt der Organismus die Lungenatmung.
Diese Vorrichtung basiert auf dem Prinzip des Fächers, also darauf, daß ein bewegter Luftstrom die Wärmeabgabe eines Körpers
begünstigt, indem er diesen fortwährend mit neuen kältern Luftmassen in Berührung bringt. Steigt die
Körperwärme, so vermehren sich die Atemzüge, und die außerordentlich große Oberfläche der Lungenbläschen wird jetzt
mit einem in beständiger Bewegung begriffenen großen Quantum kühlerer Luft in Berührung gebracht. Es ist übrigens ersichtlich,
daß auf diese Weise nicht allein die direkte Wärmeabgabe, sondern auch die Verdunstung außerordentlich begünstigt wird.
Die Regulierung der Körperwärme mittels der beschriebenen Kompensationsvorrichtungen vollzieht sich
zum allergrößten Teil, vielleicht ganz, durch Vermittelung des Nervensystems. Wie die betreffenden Nervenmechanismen gestaltet
sind, kann einstweilen nur vermutet werden. Die Existenz eines die Thätigkeit der verschiedenen Regulationsvorrichtungen
regelnden Wärmezentrums ist bis jetzt nicht genügend bewiesen.
Die mittlere Körperwärme schwankt beim Menschen zwischen 36,5 und 38° C. Ähnlichen Temperaturen begegnet
man bei den Säugetieren; beim Pferd
[* 23] beträgt sie 37,5-38,5,° beim Rind
[* 24] 37,5-39,5,° bei Schafen 38-41°, bei Schweinen
38,5-40°
und bei Hunden 37,5-39,5° C. Etwas höher liegt die Eigenwärme der
Vögel,
[* 25] sie beträgt 39,4-43,9° C. Bei den übrigen Tieren ist die Temperatur variabel und in der Regel
um wenige Grade höher als die des umgebenden Mediums.
Bei den Warmblütern werden regelmäßige, von der Lebensweise abhängige Temperaturschwankungen um 1-1,5°
C. wahrgenommen. So zeigen sich von der Nahrungsaufnahme abhängige Schwankungen derart, daß ein Minimum der Temperatur etwa
gegen Mitternacht beginnt und bis 7 Uhr
[* 26] morgens andauert, diesem folgt eine etwa bis 4 Uhr nachmittags anhaltende
Periode der steigenden Temperatur, dann kommt ein bis etwa 9 Uhr abends dauerndes Maximum und endlich eine Periode der absinkenden
Temperatur.
Diese Schwankungen kommen beim Hunger in Fortfall. Weitere Schwankungen der Eigenwärme innerhalb physiologischer Grenzen
[* 27] hängen
von der Muskelthätigkeit ab; durch energische Muskelarbeit wird die Temperatur nicht selten bis um 1,5°
C. vermehrt. Von medikamentösen Mitteln bewirken Herabsetzung der tierischen Wärmebildung: Chinin, Salicylsäure, Alkohol,
Chloroform, Chloral u. a., eine Erhöhung derselben Digitalin. Eine erhöhte Körpertemperatur ist eins der wichtigsten Zeichen
des Fiebers (s. d.). BeimMenschen bedient man sich zu Bestimmungen der Körperwärme gewöhnlich der Achselhöhle
oder auch, wie bei den Tieren, des Mastdarms. Ein Thermometer
[* 28] läßt man hier so lange liegen, bis kein Steigen der Quecksilbersäule
mehr wahrgenommen wird, was in der Regel nach zehn Minuten erreicht ist. Regelmäßige, zu bestimmten Tageszeiten wiederholte
Temperaturmessungen sind in der neuern Medizin eins der wichtigsten diagnostischen Mittel.