in der
Mehrzahl der deutschen
Staaten eingerichtet worden. Die Staatsanwaltschaft ist demgemäß das ausschließlich berechtigte
Organ der Strafverfolgung. Eine Beschränkung des sogen. Anklagemonopols liegt nur darin,
daß nach einmal erhobener
Anklage der
Richter die Untersuchung auch gegen den
Antrag der Staatsanwaltschaft weiter fortführen
und verurteilen kann, nach französischem
Recht sogar die Staatsbehörde zur
Erhebung derAnklage durch
die Appellhöfe angehalten werden darf, daß ferner in gewissen fiskalischen Angelegenheiten (z. B.
in Zollstrafsachen und Steuerkontraventionen) administrative
Organe an die
Gerichte gehen können, und daß bei sogen. Antragsdelikten
die Staatsbehörde an den Strafantrag des Verletzten gebunden ist.
Die Mängel der kontinentalen Prozeßorganisation treten vorwiegend darin hervor, daß die Staatsbehörde
durch unterlassene Anklageerhebung gleichsam mitbeteiligt wird an der Ausübung des Begnadigungsrechts und, in Abhängigkeit
von den jeweilig herrschenden Parteiströmungen, wenig geneigt sein wird, den Ausschreitungen des Beamtentums wirksam entgegenzutreten.
Auf den deutschen
Juristentagen wurde daher wiederholt die Zulassung der sogen. subsidiären Privatanklage
für diejenigen
Fälle befürwortet, in denen die Staatsbehörde ihr Einschreiten verweigert.
Eine dritte
Klasse ließ neue, einheitlich gearbeitete Strafprozeßordnungen ergehen, indem man sich bald den französischen
Mustern enger anschloß (so in
Hannover,
[* 6]
Rheinhessen), bald die
Erfahrungen des englischen
Rechts verwertete
(Braunschweig),
[* 7] bald in mehr selbständiger Behandlung das Prozeßrecht ordnete
(Baden,
[* 8]
Württemberg,
[* 9]
Sachsen).
[* 10]
Diesen Verschiedenheiten
ist schließlich durch die Reichsstrafprozeßordnung vom in
Verbindung mit dem Gerichtsverfassungsgesetz ein
Ende gemacht worden. Auch dieses neue
Recht ruht auf der Grundlage des französischen Strafprozesses. Die
Grundzüge des gegenwärtigen Rechtszustandes sind folgende:
4) Beweiserhebung im
Hauptverfahren durch den
Richter im
Gegensatz zu der englischen Form des
Kreuzverhörs, wonach die
Parteien
selbst die von ihnen vorgeführten
Zeugen befragen unter Zulassung der Gegenfrage von
seiten des Prozeßgegners.
5)Beibehaltung des
Verhörs der Angeklagten, das dem englischen
Recht fremd blieb.
6) Beseitigung aller die richterliche Überzeugung einschränkenden Beweisregeln mit alleiniger Ausnahme der auf die
Vereidigung der
Zeugen und
Sachverständigen bezüglichen Vorschriften, während in
England ein gerichtsgebräuchliches
System
von Beweisregeln bestehen blieb.
Für das Übergangsstadium von 1848-77: Planck, Systematische
Darstellung des deutschen
Strafverfahrens auf Grundlage
der neuen Strafprozeßordnungen seit 1848
(Götting. 1857);
Zachariä, Handbuch des deutschen Strafprozesses (das. 1861-68).
Für die neue deutsche Reichsstrafprozeßordnung: Kommentare von Dalke (2. Aufl., Berl. 1880),
Hahn
[* 11] (2. Aufl., das. 1884 ff.),
Keller (2. Aufl.,
Lahr
[* 12] 1882),
Löwe (5. Aufl., Berl. 1888), Puchelt,
Schwarze, Thilo u. a.;
v.
Holtzendorff, Handbuch des
deutschen Strafprozeßrechts, in Einzelbeiträgen mehrerer Verfasser (das. 1877-79, 2 Bde.);
Lehrbücher des deutschen Strafprozeßrechts von v.
Bar (das. 1878),
Dochow (3. Aufl., das. 1880),
John (2. Aufl., Leipz. 1882),
Meves (3. Aufl., Berl. 1880), Stenglein (Stuttg.
1887) u. a. Für den österreichischen S.: Ullmann, Österreichisches Strafprozeßrecht (2. Aufl., Innsbr.
1882);
Kommentare zur österreichischen Strafprozeßordnung
von
Mayer (das. 1876, 4 Bde.), Mitterbacher
(das. 1882) u. a. Für den französischen
Prozeß: das klassische Werk von
FaustinHélie,
Traité de l'instruction criminelle
(2. Aufl., Par. 1866-67, 8 Bde.);
(Kriminalrecht, früher auch »peinliches
Recht«, lat.
Jus poenale, franz.
Droit criminel, engl. Criminal
Law,
ital. Diritto criminale),
¶
mehr
im objektiven Sinn der Inbegriff der Rechtsnormen über strafbare Verbrechen; im subjektiven Sinn die Befugnis, wegen verübten
Unrechts Strafe zu verhängen (Strafgewalt, Strafzwang, Jus puniendi). Das S. im objektiven Sinn enthält die Grundsätze, welche
der Staat bei der Ausübung seines Rechts, zu strafen (S. im subjektiven Sinn), zur Anwendung zu bringen
hat. Wie nun jeder Teil der Rechtswissenschaft sich philosophisch, dogmatisch, historisch und rechtspolitisch behandeln läßt,
so wird auch bezüglich des Strafrechts zunächst zwischen natürlichem (allgemeinem, philosophischem) und positivem (dogmatischem)
S. unterschieden.
Ersteres enthält die strafrechtlichen Grundsätze, welche wir durch Denken als die der Idee der Gerechtigkeit und den sozialen
Verhältnissen entsprechenden erkennen, letzteres dagegen ist das geltende S. eines bestimmten Staats. Die historische Behandlung
des Strafrechts beschäftigt sich mit seiner geschichtlichen Entwickelung, während die strafrechtspolitische Untersuchung
(Kriminalpolitik, Strafpolitik) sich mit der zweckmäßigen Weiterentwickelung der einzelnen Strafrechtsinstitute befaßt.
Was das positive S. anbetrifft, so haben gegenwärtig fast alle zivilisierten Staaten umfassende strafrechtliche
Kodifikationen aus- und durchgeführt, deren Ergebnis sich in einem einheitlichen Strafgesetzbuch darstellt. Daneben enthalten
aber Spezialgesetze (Nebengesetze) noch besondere Strafvorschriften, und so entsteht der Gegensatz zwischen allgemeinem und
besonderm S. in diesem Sinn. Das S. ist ein Teil des öffentlichen Rechts, und zwar gehören, um die Strafgewalt des
Staats wirksam werden zu lassen, drei Materien des öffentlichen Rechts zusammen: das S. enthält die Strafgebote und -Verbote
der Staatsgewalt, die Strafgerichtsverfassung schafft die staatlichen Organe für ihre Anwendung (s. Gericht), und der Strafprozeß
(s. d.) regelt ihre Thätigkeit.
Strafprozeß und Strafgerichtsverfassung werden wohl auch unter der Bezeichnung »formelles
S.« zusammengefaßt, indem man alsdann das eigentliche S. als »materielles
S.« bezeichnet. Jede Verwirklichung des staatlichen Strafrechts setzt ferner dreierlei voraus:
1) eine durch die gesetzgebende Macht ergangene Strafdrohung;
3) eine in Gemäßheit des Strafurteils bewirkte Strafvollstreckung. Jeder dieser Sätze enthält auch gleichzeitig
eine Negation. KeineStrafe kann nämlich auf Grund freiwilliger Unterwerfung eines sich selbst Anklagenden oder bei Ergreifung
auf frischer That vollzogen werden, so daß eine sogen. Lynchjustiz mit dem Bestand eines geordneten
Staatswesens unverträglich ist. Anderseits kann aber auch der Richter niemals eine Strafe erkennen, die
nicht auf gewisse Handlungen oder Unterlassungen im voraus angedroht war (nulla poena sine lege poenali); ein Grundsatz, der
von so großer Wichtigkeit ist, daß er vielfach in die Urkunden des neuern Verfassungsrechts aufgenommen wurde. Im konstitutionellen
Staat liegt dabei der Nachdruck darauf, daß Strafdrohungen nur in der Form des Gesetzes, nicht auch in
Gestalt sogen. Verordnungen der Monarchen oder der Verwaltungsbehörden ergehen dürfen, noch viel weniger aber der Richter
befugt ist, gemeinschädliche oder unsittliche Handlungen auf Grund einer von ihm angenommenen Strafwürdigkeit mit Strafe zu
belegen.
Wie aber der Richter an die Schranken des Gesetzes überall gebunden ist, so bleibt auch wiederum der Gesetzgeber
an die Schranken der Rechtsidee gebunden.
Die wissenschaftliche Entwickelung der letztern und die notwendige Begrenzung der
Strafgesetzgebung ist eine der wichtigsten Aufgaben der Rechtswissenschaft. Die wesentlichen Schranken, welche der Bethätigung
der Strafgesetzgebung gegenwärtig auf Grundlage allgemein wissenschaftlicher Erkenntnis gezogen werden, sind aber folgende:
1) Zeitliche, insofern das Gesetz niemals hinterher bezogen werden darf auf früher straflos gewesene
Handlungen. Mißbräuchlich waren daher die in der englischen Rechtsgeschichte vorkommenden Bills of attainder, wonach im Weg
der Gesetzgebung gewisse Handlungen nicht für die Zukunft für strafbar erklärt, sondern hinterher bestraft wurden. In der
Hauptsache gilt also der Satz, daß Strafgesetze keine rückwirkende Kraft
[* 15] haben in Beziehung auf die früher
vor ihrer Geltung begangenen, straflos oder minder strafbar gewesenen Handlungen.
2) Örtliche Grenzen.
[* 16] Der Wille des Strafgesetzgebers ist nur innerhalb des von ihm beherrschten Staatsgebiets verpflichtend;
niemand hat das Recht, Ausländern im Ausland bindende Befehle zu erteilen: das Gesetz ist territorial.
Von diesem Grundsatz gibt es indessen Ausnahmen, welche sich einerseits aus dem praktischen Bedürfnis eines wirksamen Rechtsschutzes,
anderseits aus dem mangelhaften Zustand des Völkerrechts ergeben. Jeder Staat bestraft seine Unterthanen heutzutage wegen gewisser
auch im Ausland begangener Verbrechen, und meistenteils werden ausnahmsweise auch Ausländer wegen einzelner im
Ausland begangener Missethaten schwersten Ranges (z. B. Hochverrat, Münzverbrechen) einer Ahndung unterworfen.
Die Begrenzung dieser Strafgewalt gegenüber dem Ausland ist jedoch noch heute eine der schwierigsten und streitigsten Angelegenheiten
der Wissenschaft. Während nämlich einige von einem sogen. Territorialitätsprinzip ausgehen
und danach die im Ausland begangenen Missethaten grundsätzlich straflos lassen wollen, huldigen andre
(Mohl, Geyer, Carrara) einer Anschauung, die als Weltrechtsprinzip (Weltordnungsprinzip) bezeichnet wird und den Ort der That
regelmäßig gar nicht beachtet, endlich wieder andre dem sogen. Personalitätsprinzip, wonach
wenigstens die Unterthanen des Staats an die heimischen Strafgesetze auch im Ausland überall gebunden bleiben sollen.
3) Gegenständliche Schranken. Das einfach Unsittliche oder Irreligiöse scheidet aus dem Gebiet der Strafgesetzgebung
aus, was um so wichtiger für das heutige S. ist, als in frühern Zeiten die Strafgesetzgebung überall mit religiösen und
kirchlichen Elementen stark versetzt war, vornehmlich im Mittelalter, wo der Einfluß des kanonischen Rechts überwog. Der Strafzwang
des Staats wird ferner nur da angewendet, wo der Zivilzwang nicht ausreicht, d. h.
der Zwang zur Erfüllung, zur Erstattung, zum Ersatz und zur Herausgabe. In letzterer Beziehung lehrt uns aber die Geschichte
des Strafrechts, daß die Ansichten über das Verbrecherische in einer starken Umwandlung begriffen sind.
Vom Standpunkt des gegenwärtigen Wissens aus ist zu sagen, daß die Grenze der kriminalistischen Handlungen
gegenüber der zivilrechtlichen Materie nach einer einfachen, allgemein gültigen Formel nirgends gezogen werden kann. Der
Strafgesetzgeber hat vielmehr notwendig, wenn er die verbrecherischen Handlungen richtig erkennen will, zwei Gesichtspunkte
zu vereinigen: den ethischen, wonach nur die jeweilig unsittlichen Handlungen dem Volksbewußtsein auch als verbrecherisch
erscheinen können, und den kriminalpolitischen, wonach eine empfindliche, dauernde Schädigung oder Gefährdung
¶