mehr
November 1775 zuerst persönlich kennen und wurde, wiewohl fast sieben Jahre älter als er und bereits Mutter von sieben Kindern, von ihm bald glühend geliebt. Die Innigkeit des eigentümlichen Verhältnisses, das auf Goethes Leben und Dichten von großem Einfluß war, litt später unter Charlottens wachsenden Ansprüchen und endete nach Goethes Rückkehr aus Italien [* 2] (1788) mit einem gewaltsamen Bruch, welcher sich in einer 1794 von Charlotte gedichteten Tragödie »Dido« (hrsg. von Otto Volger, Leipz. 1867) in peinlicher Weise kundgibt.
Erst nach vielen Jahren gestaltete sich zwischen beiden wieder ein gewisses Freundschaftsverhältnis, das bis zum Tode der Frau v. S., die bereits 1793 Witwe geworden, dauerte. Sie starb in Weimar. [* 3] Charlottens schönstes Ehrendenkmal bleiben »Goethes Briefe an Frau v. S. aus den Jahren 1776-1820« (hrsg. von A. Schöll, Weim. 1848-51, 3 Bde.; 2. vervollständigte Ausg. von Fielitz, Frankf. a. M. 1883-85, in welcher auch »Dido« abgedruckt ist). Eine wertvolle Ergänzung haben dieselben erhalten durch die von Goethe aus Italien an sie gerichteten, aber von ihm für die Ausarbeitung seiner »Italienischen Reise« zurückerbetenen Briefe, die, bisher im Goetheschen Hausarchiv zu Weimar aufbewahrt, neuerdings durch die Goethe-Gesellschaft (Weim. 1886) veröffentlicht wurden.
Ihre eignen Briefe an Goethe hatte Frau v. S. sich zurückgeben lassen und kurz vor ihrem Tod verbrannt. Zahlreiche Briefe derselben sind in dem Werk »Charlotte von Schiller und ihre Freunde« (Bd. 2, Stuttg. 1862),
enthalten. Gegen mancherlei Anklagen, die neuerlich erhoben worden sind, rechtfertigt sie H. Düntzer in »Charlotte v. S.« (Stuttg. 1874).
Vgl. auch dessen »Charlotte v. S. und Corona [* 4] Schröter« (Stuttg. 1876);
Höfer, Goethe und Charlotte v. S. (das. 1878).
2) Heinrich Friedrich Karl, Freiherr vom und zum, berühmter deutscher Staatsmann, geb. zu Nassau an der Lahn aus einem alten reichsfreiherrlichen Geschlecht, Sohn des kurmainzischen Geheimrats Philipp von S., widmete sich von 1773 bis 1777 in Göttingen [* 5] dem Studium der Rechte und der Staatswirtschaft, arbeitete ein Jahr beim Reichskammergericht in Wetzlar, [* 6] unternahm eine Reise durch einen Teil von Europa, [* 7] trat dann, entgegen den Traditionen seines Hauses, in den preußischen Staatsdienst und erhielt 1780 eine Anstellung als Bergrat zu Wetter [* 8] in der Grafschaft Mark. Schon 1782 ward er zum Oberbergrat befördert, und im Februar 1784 erhielt er die Oberleitung der westfälischen Bergämter. 1793 erfolgte seine Ernennung zum Kammerdirektor in Hamm, [* 9] 1795 zum Präsidenten der märkischen Kriegs- und Domänenkammer und 1796 zum Oberpräsidenten aller westfälischen Kammern, in welcher Stellung er sich die größten Verdienste namentlich um den Chausseebau und die Forsten sowie um Hebung [* 10] der Gewerbthätigkeit und Belebung des Handels erwarb. Im Oktober 1804 als Minister des Accise-, Zoll-, Salz-, Fabrik- und Kommerzialwesens nach Berlin [* 11] in das Generaldirektorium berufen, bewirkte er die Aufhebung sämtlicher binnenländischer Zölle im Innern von Preußen, [* 12] errichtete das Statistische Büreau und schuf als Erleichterungsmittel für den Handel und Verkehr Papiergeld.
Vergeblich waren freilich seine Anstrengungen, den König zu einer kräftigen, würdigen Politik zu bewegen. Als er im Januar 1807 seinen Eintritt in das neue Ministerium von der Umgestaltung der obersten Verwaltungsstellen und insbesondere von der Beseitigung der Kabinettsregierung abhängig machte, erhielt er vom König in ungnädigster Weise den Abschied. Nach dem Tilsiter Frieden (Juli 1807) berief ihn derselbe jedoch wieder zu sich, um ihm als erstem Minister das große Werk der Neugestaltung des Staats zu übertragen.
Steins Plan war: das Volk wieder für die Teilnahme am Staat und seinen Zwecken zu beleben und an der Leitung desselben zu beteiligen, die bisher unterdrückten Stände von den aus dem Mittelalter überkommenen Lasten und Fesseln zu befreien und ein allgemeines freies Staatsbürgertum zu gründen. Die Weise, wie er diese Reform anstrebte, zeugt ebenso von seinem echt deutschen Geist wie von tiefer staatsmännischer Einsicht. Im September 1807 übernahm er sein neues Amt, und 9. Okt. erschien bereits das Edikt, den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums sowie die persönlichen Verhältnisse des Grundeigentümers betreffend.
Ein andres Gesetz überließ den Domanialbauern ihr Land zu unumschränktem Grundeigentum. Seine Städteordnung vom bildet noch jetzt die Grundlage der Rechtsverhältnisse der preußischen Städte. Damit das so in seinen Verhältnissen und Rechten sittlich und geistig gehobene Volk auch das Bewußtsein seiner Kraft [* 13] und Mut zur Abwerfung des Fremdenjochs gewinne, unternahm S. darauf mit Scharnhorst die Herstellung einer volkstümlichen Wehrverfassung.
Aber kaum ein Jahr hatte S. als Minister gewaltet, als er durch einen Machtbefehl Napoleons I., dem ein aufgefangener Brief Steins an den Fürsten von Wittgenstein seine Hoffnung, bald das französische Joch abzuschütteln, verraten hatte, seinen Abschied zu nehmen und 16. Dez. förmlich geächtet aus Preußen zu fliehen gezwungen wurde. Ehe er sein Vaterland verließ, legte er die Grundsätze seiner Staatsverwaltung in einem Sendschreiben an die oberste Verwaltungsbehörde nieder, welches unter der Bezeichnung »Steins politisches Testament« weltgeschichtliche Bedeutung gewonnen hat.
Von der westfälischen Regierung gerichtlich verfolgt und seiner Güter beraubt, begab er sich nach Österreich, [* 14] wo er abwechselnd in Brünn, [* 15] Troppau [* 16] und zuletzt dauernd in Prag [* 17] lebte. Als zu befürchten stand, daß seine Auslieferung gefordert werden möchte, folgte er im Mai 1812 der Einladung des Kaisers Alexander I. nach Petersburg. [* 18] Auch von dort aus aber wußte er durch seinen Einfluß auf den Kaiser sowie durch seine ausgedehnten Korrespondenzen und die Bildung einer russisch-deutschen Legion die spätere nationale Erhebung gegen Napoleon I. vorzubereiten.
Nach der Katastrophe von 1812 kehrte er mit dem Kaiser nach Deutschland [* 19] zurück und ward zum Vorsitzenden eines russisch-preußischen Verwaltungsrats für die deutschen Angelegenheiten ernannt, doch sah er sich in seiner Thätigkeit in dieser Stellung vielfach beengt. Als nach dem Sieg bei Leipzig [* 20] eine Zentralkommission für die Verwaltung aller durch die Truppen der Verbündeten besetzten Länder angeordnet worden war, übernahm S. den Vorsitz in derselben und erwarb sich trotz der ihm von den einzelnen Regierungen in den Weg gelegten Hindernisse durch tüchtige Verwaltung im Innern und Aufstellung zahlreicher Heerhaufen gegen den äußern Feind hohe Verdienste um das Gesamtvaterland. Die Zentralverwaltung folgte dem Heer der Verbündeten bis nach Paris. [* 21] Von dort kehrte S. im Juni 1814 nach Berlin zurück und begab sich im September zum Kongreß nach Wien. [* 22] Hier nahm er besonders an den Verhandlungen über die deutsche Frage teil. Dann zog er sich ins Privatleben zurück. Den Sommer brachte er meist auf seinen Gütern in Nassau, ¶
mehr
den Winter in Frankfurt [* 24] a. M. zu, wo sich im Januar 1819 unter seinem Vorsitz die Gesellschaft für Deutschlands [* 25] ältere Geschichte konstituierte. Ihr Werk ist die Herausgabe der »Monumenta Germaniae historica« (s. d.), für welche S. selbst viel sammelte. Mit der nassauischen Regierung in mancherlei Mißhelligkeiten geraten, siedelte er später auf sein Gut Kappenberg in Westfalen [* 26] über. Nach der Einführung der Provinzialstände in Preußen 1823 ward er für den westfälischen Landtag zum Deputierten erwählt und vom König zum Landtagsmarschall ernannt.
Auch die Verhandlungen der evangelischen Provinzialsynode Westfalens leitete er. 1827 ernannte ihn der König zum Mitglied des Staatsrats. S. starb in Kappenberg als der letzte seines Geschlechts, da ihn von den Kindern, die ihm seine Gemahlin, Gräfin Wilhelmine von Wallmoden-Gimborn, geboren, nur drei Töchter überlebten. 1872 ward ihm auf der Burg Nassau (von Pfuhl), 1874 in Berlin (von Schievelbein und Hagen) [* 27] ein Standbild errichtet. Steins Denkschriften über deutsche Verfassungen wurden von Pertz (Berl. 1848) herausgegeben, Steins Briefe an den Freiherrn v. Gagern 1813-31 von diesem (Stuttg. 1833), sein Tagebuch während des Wiener Kongresses von M. Lehmann (in Sybels »Historischer Zeitschrift«, Bd. 60).
Vgl. Pertz, Das Leben des Ministers Freiherrn vom S. (Berl. 1849-55, 6 Bde.);
Derselbe, Aus Steins Leben (das. 1856, 2 Bde.);
Stern, S. und sein Zeitalter (Leipz. 1855);
Arndt, Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Freiherrn vom S. (3. Aufl., Berl. 1869);
M. Lehmann, S., Scharnhorst und Schön (Leipz. 1877);
Seeley, Life and times of S. (Cambr. 1878, 3 Bde.; deutsch, Gotha [* 28] 1883-87, 3 Bde.) und die kürzern Biographien von Reichenbach [* 29] (Brem. 1880), Baur (Karlsr. 1885).
3) Christian Gottfried Daniel, Geograph, geb. zu Leipzig, wo er studierte, wurde 1795 an das Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin berufen, an welchem er bis zu seinem am erfolgten Tod wirkte. Von seinen zahlreichen Werken sind besonders zu nennen sein mit Hörschelmann begründetes »Handbuch der Geographie und Statistik« (Leipz. 1809, 3 Bde.; neubearbeitet von Wappäus, Delitsch, Meinicke u. a., 7. Aufl., das. 1853-71, 4 Bde.);
»Geographie für Schule und Haus« (27. Aufl. von Wagner und Delitsch, das. 1877);
»Geographisch-statistisches Zeitungs-, Post- und Komptoirlexikon« (2. Aufl., das. 1818-21, 4 Bde.; nebst zwei »Nachträgen«, das. 1822-24);
»Über den preußischen Staat nach seinem Länder- und Volksbestand« (Berl. 1818);
»Handbuch der Geographie und Statistik des preußischen Staats« (das. 1819);
»Reisen nach den vorzüglichsten Hauptstädten von Mitteleuropa« (Leipz. 1827-29, 7 Bde.).
Sein »Neuer Atlas [* 30] der ganzen Erde« (Leipz. 1814) erlebte in der Bearbeitung durch Ziegler, Lange u. a. eine 33. Auflage (28 Karten mit Tabellen etc., das. 1875).
4) Leopold, jüd. Theolog, geb. zu Burgpreppach (Bayern), [* 31] bildete sich auf der Talmudschule in Fürth [* 32] und den Universitäten zu Erlangen [* 33] und Würzburg, [* 34] ward 1834 Rabbiner in Burgkundstadt, 1843 in Frankfurt a. M., wo er nach Niederlegung des Rabbinats 1864-74 einer höhern Töchterschule vorstand und starb. Er war der entschiedenste Vertreter der Reform des Judentums. Sein Hauptwerk ist: »Die Schrift des Lebens. Inbegriff des gesamten Judentums in Lehre, [* 35] Gottesverehrung und Sittengesetz« (Mannh. 1868-77). Außerdem gab er verschiedene Predigtsammlungen und Zeitschriften (»Der israelitische Volkslehrer«, 1851-60; »Freitagabend«, 1860, etc.),
mehrere Dramen (»Die Hasmonäer«, Frankf. 1859; »Der Knabenraub von Carpentras«, Berl. 1863, u. a.) heraus. Sein »Gebetbuch« (Straßb. u. Mannh. 1880-82, 2 Bde.) zeigt S. als formgewandten synagogalen Dichter.
5) Lorenz von, Staatsrechtslehrer und Nationalökonom, geb. zu Eckernförde, studierte in Kiel [* 36] und Jena [* 37] Philosophie und Rechtswissenschaft, habilitierte sich dann als Privatdozent in Kiel und wurde 1846 Professor daselbst. Da er das Recht der Herzogtümer gegen die dänische Regierung verfocht und an der Schrift der neun Kieler Professoren über diesen Gegenstand Anteil nahm, wurde er 1852 aus dem Staatsdienst entlassen. Er folgte 1855 einem Ruf als Professor der Staatswissenschaften an die Universität zu Wien, an welcher er bis zu seiner 1885 erfolgten Pensionierung wirkte.
Seine Schriften sind sehr zahlreich;
wir nennen: »Der Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreich« (Leipz. 1842, 2. Aufl. 1847);
»Die sozialistischen und kommunistischen Bewegungen seit der dritten französischen Revolution« (Stuttg. 1818);
»Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsre Tage« (Leipz. 1850, 3 Bde.);
»Geschichte des französischen Strafrechts« (Bas. 1847);
»Französische Staats- und Rechtsgeschichte« (das. 1846-48, 3 Bde.);
»System der Staatswissenschaft« (Bd. 1: Statistik etc., das. 1852; Bd. 2: Gesellschaftslehre, das. 1857);
»Die neue Gestaltung der Geld- und Kreditverhältnisse in Österreich« (Wien 1855);
»Lehrbuch der Volkswirtschaft« (das. 1858; 3. Aufl. als »Lehrbuch der Nationalökonomie«, 3. Aufl. 1887);
»Lehrbuch der Finanzwissenschaft« (Leipz. 1860; 5. Aufl. 1885-86, 4 Bde.);
»Die Lehre vom Heerwesen« (Stuttg. 1872).
Sein bedeutendstes Werk ist die »Verwaltungslehre« (Stuttg. 1865-84, 8 Bde.),
eine umfassende, nicht zum Abschluß gelangte Behandlung desjenigen Gegenstandes, den man sonst als Polizeiwissenschaft zu behandeln pflegt. Eine kompendiöse Zusammenfassung der ganzen Wissenschaft ist das »Handbuch der Verwaltungslehre« (Stuttg. 1870; 3. Aufl. 1889, 3 Bde.). Außerdem schrieb er: »Zur Eisenbahnrechtsbildung« (Wien 1872);
»Die Frau auf dem Gebiet der Nationalökonomie« (Stuttg. 1875, 6. Aufl. 1886);
»Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands« (das. 1876);
»Der Wucher und sein Recht« (Wien 1880);
»Die drei Fragen des Grundbesitzes und seiner Zukunft« (Stuttg. 1881).
Das Eigentümliche der Werke Steins besteht darin, daß er die Hegelsche Dialektik auf das Gebiet der Volkswirtschaft und der Staatswissenschaft anwandte, um an der Hand [* 38] derselben die Systematik dieser Wissenschaften zu verbessern. Doch hat er darüber die Hinwendung auf das Geschichtliche nicht vernachlässigt.