Sprache und Sprachwissenschaft (Natur- und Kulturvölker)
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wie die Vokale mit periodischen Schwingungen der Stimmbänder oder ohne solche Schwingungen hervorgebracht. Tonlose Laute sind
z. B. k, t, p, h, f, tönende Laute z. B. r, l, n, m, d, b, g. Übrigens können die tönenden Konsonanten in vielen Fällen auch
tonlos gebildet werden; auch kann sich dem in der Stimmritze gebildeten Ton ein in der Mundhöhle entstehendes
Geräusch beimischen, wodurch solche Konsonanten den Charakter von Geräuschlauten annehmen. Der Artikulationsstelle nach teilt
man die Konsonanten von alters her ein in Dentale oder Zahnlaute, bei deren Hervorbringung der vordere Teil der Zunge und die
Zähne in Betracht kommen, Labiale oder Lippenlaute, die vorn an den Lippen, und Gutturale oder Gaumenlaute,
die hinten am Gaumen gebildet werden.
Thatsächlich gibt es jedoch viele Zwischenstufen;
so kann man nach Brücke von den eigentlichen Dentalen die alveolaren, lingualen
und dorsalen Dentalen unterscheiden, auch gibt es neben den rein labialen die labiodentalen Konsonanten und drei Arten
von Gaumenlauten. Im Deutschen können als Dentale das t, d, s, sch, auch n, r, l angesehen werden;
labiale Konsonanten sind
p, b, f, m, w;
guttural sind k, g, ch, j. Bis zu einem gewissen Grad kommt die Verschiedenheit der Artikulationsstellen auch
für die Vokale in Betracht, indem z. B. bei u ungefähr die labiale, bei
i ungefähr die dentale Artikulation stattfindet.
Drittens lassen sich die Konsonanten nach ihrer Artikulationsart einteilen,
wobei am meisten der Mundraum, außerdem der Nasenraum und der Kehlkopf in Betracht kommen. Wird die Stimmritze so weit verengert,
daß die ausgeatmete Luft an den Rändern der Stimmritze ein reibendes Geräusch erzeugt, so entsteht der
Hauchlaut h; auch alle geflüsterten Laute werden auf diese Weise gebildet. Der Nasenraum erscheint an der Bildung der Nasalen
oder Nasenlaute n, m und ng (z. B. in »Ding«) beteiligt, indem er durch Senkung des Gaumensegels geöffnet wird, so daß die
Luft aus der Nase strömen kann (ein Vorgang, durch den auch das sogen. Näseln bedingt wird).
Die Artikulationsart des Mundraums kann wechseln und so entstehen:
1) Liquidä oder Zitterlaute, die entweder durch Biegung der Zungenspitze gebildet werden (r-Laute) oder an den Seitenwänden
der Zunge (l-Laute);
2) frikative oder Reibelaute, durch Verengerung des Mundkanals gebildet, indem die Ausatmungsluft an den
Rändern der Enge ein reibendes Geräusch erzeugt, wie z. B. beim deutschen s, sch, f, ch, j, w; 3) Explosiv- oder Verschlußlaute,
bei deren Erzeugung der Mundkanal an irgend einer Stelle plötzlich geschlossen und wieder geöffnet wird, z. B. an den Lippen
bei b, p, hinter oder an den Zähnen bei d, t, am Gaumen bei g, k. Andre Sprachen kennen auch noch andre Artikulationsarten,
wie überhaupt die Mannigfaltigkeit der menschlichen Sprachlaute eine fast unbegrenzte und durch die Schrift nicht entfernt
ausdrückbare ist.
Ein sehr wichtiger Faktor bei der Lautbildung ist auch die Betonung, auf der namentlich die Silben- und
Wortbildung und daher auch die landläufige Unterscheidung zwischen Vokalen und Konsonanten vornehmlich beruht. Ihrer akustischen
Beschaffenheit nach unterscheiden sich z. B. die Nasale n, m und die Zitterlaute r, l in keiner Weise von den Vokalen, da sie wie
die letztern mit dem auf regelmäßigen Schwingungen der Stimmbänder beruhenden Stimmton hervorgebracht
werden (daher auch Resonanten genannt); sie stimmen aber darin mit den übrigen Konsonanten überein, daß sie in der Regel
nicht als Träger des Silbenaccents fungieren. Doch gibt es auch hierin
Ausnahmen; man vergleiche z. B.
das silbenbildende l in dem deutschen Wort »Handel« (sprich: Handl) oder die r- und l-Vokale der slawischen
Sprachen und des Sanskrit. Eine künstliche Nachbildung der menschlichen Sprachlaute liefert der Phonograph Edisons, durch den
die schon im 18. Jahrh. von Kempelen konstruierte Sprechmaschine weit überboten wurde. Vgl. auch Lautlehre.
[* ] und Sprachwissenschaft. Unter Sprache versteht man, ohne beide Bedeutungen streng zu sondern, einesteils
die Sprachthätigkeit oder das Sprachvermögen, d. h. nach W. v.
Humboldts treffender Definition der Sprache »die ewig sich wiederholende Arbeit des menschlichen Geistes, den artikulierten Laut
zum Ausdruck des Gedankens fähig zu machen«; andernteils wird damit etwas Konkretes, Individuelles bezeichnet, nämlich die
Summe der Wörter, welche bei einem bestimmten Volk als Mittel zur Verständigung in Anwendung sind oder
(bei toten Sprachen) gewesen sind.
Die einzelnen Sprachen sind das Produkt des Sprachvermögens oder mit andern Worten des Triebes nach Äußerung und Mitteilung,
und die Sprache im allgemeinen ist eine nicht minder wichtige Seite in der Eigenart des Menschen als Recht und Sitte,
Religion und Kunst und zwar eine solche, welche sich schon auf den frühsten Stufen der geistigen Entwickelung, beim Kind und
unzivilisierten Menschen, geltend macht. Gerade bei den rohesten Naturvölkern ist die Sprachthätigkeit besonders lebendig
und das Leben der Sprache, die man bei ihnen gewissermaßen in ihrem natürlichen Zustand studieren kann,
ein ungemein rasches. So herrscht im Innern von Brasilien eine so große Sprachverschiedenheit, daß bisweilen an einem Fluß
hin, dessen Länge 300-500 km nicht übersteigt, 7-8 völlig verschiedene Sprachen gesprochen werden.
Genaue Kenner des Landes erklären dies daraus, daß es ein Hauptzeitvertreib der Indianer ist, während sie an ihrem Feuer
sitzen, neue Wörter zu ersinnen, über die, wenn sie treffend sind, der ganze Haufe in Gelächter ausbricht und sie dann beibehält.
Bei südafrikanischen Negerstämmen, unter denen der englische Missionär Moffat lebte, wurden die Kinder manchmal von ihren
Eltern so sehr sich selbst überlassen, daß sie genötigt waren, sich eine besondere Sprache zu ersinnen,
wodurch im Lauf einer Generation die Sprache des ganzen Stammes eine andre Gestalt annahm.
Missionäre in Zentralamerika hatten von der Sprache des Volkes, dem sie das Christentum predigten, ein sorgfältiges Lexikon
angelegt; als sie nach zehn Jahren zu dem nämlichen Stamm zurückkehrten, fanden sie, daß dasselbe veraltet
und unbrauchbar geworden war. Die kleinen melanesischen Inseln des Stillen Ozeans haben jede eine besondere Sprache, wenn dieselben
auch zu dem gleichen Sprachstamm gehören. Selbst auf den friesischen Inseln der Nordsee hat die Isoliertheit der insularen
Lage die Folge gehabt, daß auf allen diesen Inseln verschiedene Dialekte herrschen, worin sogar ein so gewöhnlicher
Begriff wie »Vater« durch besondere Wörter ausgedrückt wird. Dieselbe sprachliche Isoliertheit wie bei Inselvölkern findet
sich auch bei Bergvölkern. So fand der russische General Baron v. Uslar bei der ethnographischen und linguistischen Durchforschung
des nördlichen Kaukasus dort mindestens zehn total verschiedene Sprachen, und die auf etwa 800,000 Köpfe
geschätzten Basken der Pyrenäen sprechen acht Dialekte, die so stark voneinander abweichen wie das Französische vom Englischen.
Bei Kulturvölkern erscheint die Veränderung der
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Sprache ungemein verlangsamt. Ganz neue Wörter werden meist nur von Kindern erfunden, deren Neuerungsversuche in der Regel
keine bleibende Wirkung hinterlassen. So berichtet Charles Darwin von einem englischen Kinde, das im Alter von einem Jahr alles
Eßbare mit der Silbe »umm« bezeichnete; Taine beobachtete ein französisches Kind, das etwa im gleichen
Alter einen Hund »na-na«, ein Pferd »da-da« nannte; und der Schreiber dieser Zeilen kannte ein deutsches Kind, das umherflatternde
Tauben als »Wattel-Wattel« bezeichnete.
Aber wenige Jahre später waren diese Wörter vergessen. Dem gebildeten Deutschen, Engländer, Franzosen etc. sind daher noch
jetzt Bücher, die in den zwei oder drei letzten Jahrhunderten geschrieben wurden, fast ohne Mühe verständlich.
Das Englische hat sich über alle Weltteile verbreitet, ist aber dabei vollkommen stabil geblieben. Namentlich bildet die Schrift
und in der Neuzeit auch der Buchdruck, dann die ungeheure Vermehrung und Verbesserung der Verkehrsmittel die wirksamste Schranke
gegen die sprachliche Neuerungssucht.
Dennoch wäre es ein vollkommener Irrtum, irgend eine moderne Sprache für vollkommen abgeschlossen zu
halten. Vor allem ist auch in der Sprache unaufhörlich ein Gesetz der Trägheit wirksam, das sich besonders in der Vereinfachung
oder gänzlichen Beseitigung schwer sprechbarer oder unbetonter Laute und Lautverbindungen geltend macht. Durch diese stufenweise
fortschreitende Abschleifung und Verwitterung der Laute ist z. B. im Englischen überall das ch und das
vor einem n stehende k abgestoßen worden, so daß knight, das deutsche »Knecht«, wie neit gesprochen wird; im Deutschen ist
das tonlose e in Schlußsilben in völligem Rückzug begriffen, wodurch z. B. erst in neuester Zeit »des
Königes, dem Könige« in »Königs, König«, »befestiget« in »befestigt«
verwandelt wurde u. dgl. Anderseits führt der
Nachahmungs- und Analogietrieb zur Erfindung und Ausbildung neuer Wörter, Formen und Bedeutungen, die entweder aus fremden Sprachen
entlehnt werden, wie z. B. unsre aus dem Französischen herübergenommenen zahlreichen Verba auf -ieren, oder aus den Mundarten
in die Schriftsprache eindringen, oder an ältere einheimische Wörter und Formen angelehnt werden, wie
z. B. die deutsche Form der Vergangenheit auf -te, welche zusehends die alten ablautenden
Verba verdrängt, wofür unser »backte« für das noch im vorigen Jahrhundert übliche »buk« als Beispiel dienen kann. Überhaupt
hat die Sprachforschung dargethan, daß der Grad, bis zu dem sich Laute, Wörter, Wort- und Satzformen verändern
können, an und für sich ein völlig unbegrenzter ist und oft die scheinbar unähnlichsten Sprachen durch eine Reihe von
Mittelgliedern hindurch auf eine und dieselbe Grundsprache zurückgeführt werden können.
Denkt man sich die Entwickelung sämtlicher geschichtlich nachweisbarer Grundsprachen in einer vorgeschichtlichen
Periode bis an ihren Ausgangspunkt fortgesetzt, so liegt es nahe, die Frage aufzuwerfen, ob nicht dieser Ausgangspunkt der
gleiche, alle Grundsprachen in letzter Linie aus der nämlichen Ursprache entsprungen seien. Diese Frage, die man früher,
teilweise aus religiösen Vorurteilen, voreilig zu bejahen pflegte, muß auf dem heutigen Stande der Wissenschaft
entschieden verneint werden.
Standen auch eine Reihe wichtiger Sprachen einander früher viel näher als jetzt, so weichen doch die Grundsprachen, auf die
sie zurückgehen, sowohl hinsichtlich der Wurzeln als des grammatischen Baues so entschieden voneinander ab, daß alle Versuche,
sie (z. B. die indogermanische und
semitische Grundsprache) auf eine gemeinsame Ursprache
zurückzuführen, vollständig scheitern mußten. Man muß im Gegenteil annehmen, daß eine Reihe ursprünglicher Sprachtypen
jetzt entweder völlig oder nur mit Hinterlassung vereinzelter Überreste, wie das rätselhafte Baskisch der Pyrenäen und
die Sprachen des nördlichen Kaukasus, vom Erdboden verschwunden sind; denn je mehr die Kultur zunimmt, desto mehr nimmt die
Sprachverschiedenheit ab und ist daher in Europa trotz seiner dichten Bevölkerung weit geringer als in
allen übrigen Erdteilen. Auch die bestehenden Sprachen werden von der heutigen Sprachforschung auf eine beträchtliche Anzahl
selbständiger Ursprachen zurückgeführt.
Mit dieser Erkenntnis hat sich die Frage nach dem Ursprung der Sprache, die schon Platon und Aristoteles,
Epikur und die Stoiker beschäftigt und die griechischen und römischen Grammatiker in zwei Lager gespalten hat, später mit
unbegründetem Hinweis auf die Bibel, welche die Erfindung der Sprache dem ersten Menschen beilegt, im Sinn eines übernatürlichen
Ursprungs beantwortet wurde, in eine Frage nach der Entstehung der einzelnen thatsächlich nachgewiesenen Grundsprachen
verwandelt.
Wie man sich dieselbe zu denken habe, läßt sich freilich historisch nicht feststellen; auch gehen die Ansichten darüber
sehr auseinander, indem die einen, wie W. v. Humboldt, M. Müller, Steinthal etc., annehmen, daß sich unwillkürlich bestimmte
Laute an bestimmte Begriffe oder Anschauungen anschlossen (Nativismus), die andern dagegen, wie Whitney, L.
Geiger, Bleek, Marty, Madvig u. a., von der jetzigen Unabhängigkeit des Lauts vom Gedanken und des Gedankens vom Laut ausgehend,
einen solchen Zusammenhang der Laute mit dem Gedanken abweisen (Empirismus).
Doch ist neuerdings eine Vermittelung zwischen den beiden sich entgegenstehenden Ansichten angebahnt und namentlich die früher
versuchte Zurückführung der Sprache auf ein eigentümliches, später verlornes Vermögen der ursprünglichen
Menschheit durchweg aufgegeben worden. Überhaupt ist es bei allen Mutmaßungen über den Sprachenursprung nötig, sich durchaus
auf den thatsächlichen Boden zu stellen, welchen das Leben der Sprache während der durch die Geschichte beleuchteten Strecke
ihrer Entwickelung und besonders bei unzivilisierten Völkern darbietet, und es sind dabei namentlich
folgende Sätze festzuhalten, die sich also ebenso auf das Wesen wie auf den Ursprung der Sprache beziehen:
1) Sprache und Vernunft sind nicht identisch, so vielfach sie sich gegenseitig beeinflussen, und zwar ist das Sprechen eine
weitaus beschränktere Fähigkeit als das Denken, da selbst die gebildetsten Sprachen, die das Sprachvermögen
erzeugt hat, bei weitem nicht alle Gedanken auszudrücken vermögen. Es gibt Gedanken und Empfindungen, welche ein Ton oder eine
Gebärde viel bezeichnender ausdrückt als ein Wort, und namentlich beim Kind und bei einem Menschen von lebhaftem Naturell ist
die Gebärdensprache höchst entwickelt.
Die Taubstummen, denen gewiß niemand die Vernunft absprechen wird, haben eine höchst künstliche und
ihnen gleichwohl völlig geläufige Zeichensprache. Viele Lehrsätze der Mathematik, welche sich in Worten nur mit Mühe oder
gar nicht ausdrücken lassen, können durch ein paar einfache Zeichen oder eine Zeichnung leicht demonstriert werden. Musik
und Malerei stehen der Poesie als selbständige Künste zur Seite. Auch sind die Gesetze der Denklehre oder
Logik von den Gesetzen der Sprachlehre oder Grammatik verschieden, wie z. B. der deutsche Satz: »die
mehr
Kugel ist viereckig« grammatisch ganz richtig, aber logisch verkehrt ist. Hiernach hat es gewiß auch von allem
Anfang an ein Denken ohne Sprechen gegeben.
2) Kinder und Naturmenschen bezeichnen viele Individuen oder Gegenstände dadurch, daß sie mit ihrer Stimme den Schall nachahmen,
den sie als von denselben ausgehend wahrgenommen haben. Diese einfache und nächstliegende Art der Bezeichnung,
die onomatopoetische, war ohne Zweifel in jeder Ursprache sehr häufig, wenn die Wau-wau-Theorie (so genannt von dem Namen Wau-wau
des Hundes in der Kindersprache) auch nicht den Anspruch erheben kann, alle Wörter zu erklären.
3) Ausrufe und Schreie (Interjektionen) spielen selbst bei gebildeten und erwachsenen Menschen noch eine
mehr oder weniger große Rolle, eine sicher viel größere in den Anfängen einer Sprache. Hierin liegt die Berechtigung der
sogen. Ah-ah- oder Interjektionstheorie vom Ursprung der Sprache.
4) Hiernach sind wohl auch die ersten Wörter nichts als Reflexlaute gewesen, welche im Affekt hervorgebracht wurden, gerade
wie die Zuckungen oder sonstigen unwillkürlichen Reflexbewegungen, die aus Gemütsbewegungen hervorgehen. Die Reflexlaute
gingen ursprünglich mit den andern unwillkürlichen Gebärden Hand in Hand. Da die Gemütsbewegungen am leichtesten durch verschiedenerlei
Geräusche verursacht wurden, so ahmte die menschliche Stimme mit Vorliebe diese Geräusche nach.
5) Erst in zweiter Linie wurden die Sprachlaute zugleich zu Mitteilungen verwendet, nachdem es wiederholt
gelungen war, durch ihre Hervorbringung die Aufmerksamkeit der andern zu erregen. Es ging damit ähnlich wie mit der Gebärdensprache,
die sich aus ursprünglichen Reflexbewegungen zu der ausgebildeten Zeichensprache entwickelt hat, die man z. B. bei den Indianern
Nordamerikas findet. Auch die Schrift hat sich aus roher Ideenmalerei und Bilderschrift successive zu einem
der vollkommensten Verständigungsmittel entwickelt.
6) Die ersten Sprachschöpfungen waren primitive Sätze, etwa wie die Ausrufe: »Diebe!« »Feuer!«, und aus diesen chaotischen
Äußerungen haben sich erst allmählich selbständige Wörter und Redeteile entwickelt.
Vgl. Herder, Über den Ursprung der Sprache (zuerst Berl. 1772);
W. v. Humboldt, Über die Verschiedenheit
des menschlichen Sprachbaues (neu hrsg. mit einer Einleitung von Pott, das. 1876, 2 Bde.);
Steinthal, Der Ursprung der Sprache
im Zusammenhang mit den letzten Fragen alles Wissens (4. Aufl., das. 1888);
Derselbe, Abriß der Sprachwissenschaft (2. Aufl.,
das. 1881, Bd. 1: »Einleitung in die Psychologie und Sprachwissenschaft«);
J. Grimm, Über den Ursprung
der Sprache (in »Kleinere Schriften«, Bd. 1, das.
1864);
Max Müller, Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache (deutsch von Böttger, 2. Aufl., Leipz. 1866-70, 2 Bde.);
Renan, De l'origine du langage (4. Aufl., Par. 1863);
Heyse, System der Sprachwissenschaft (Berl. 1856);
Schleicher,
Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft (3. Aufl., Weim. 1873);
Wedgewood, On the origin of language (Lond. 1866);
Whitney, Die Sprachwissenschaft (bearbeitet von Jolly, Münch. 1874);
Bleek, Über den Ursprung der Sprache (Weim. 1868);
L.
Geiger, Ursprung und Entwickelung der menschlichen Sprache und Vernunft (Stuttg. 1869-72, 2 Bde.);
Wackernagel, Über den Ursprung und die Entwickelung der Sprache (Basel
1872);
Madvig, Kleine philologische Schriften
(Leipz. 1875);
Marty, Über den Ursprung der Sprache (Würzb. 1875);
Noiré, Der Ursprung der Sprache
(Mainz 1877);
Paul, Prinzipien
der Sprachgeschichte (2. Aufl., Halle 1886).
Weitere Litteratur S. 182.
Sprachwissenschaft.
Die Sprachwissenschaft oder Linguistik (auch allgemeine Grammatik genannt) ist als Wissenschaft erst ein
Kind des 19. Jahrh. Denn die Grammatik der Griechen und Römer und die nicht minder bedeutenden grammatischen Forschungen der
Inder und Araber waren schon durch ihre Beschränkung auf eine oder höchstens zwei Sprachen völlig ungeeignet, zu einer
Einsicht in das Wesen und die Verwandtschaftsverhältnisse der Sprachen zu führen, und vom Mittelalter
ab bis in die Neuzeit herein bildete besonders das Vorurteil, als sei das Hebräische die Ursprache der Menschheit, ein Hemmnis
für den Fortschritt der Sprachforschung.
Erst die Entdeckung der alten heiligen Sprache Indiens, des Sanskrit, gegen Ende des 18. Jahrh. und die Aufdeckung
des Zusammenhangs, in dem es mit den meisten Kultursprachen Europas steht, gaben den Anstoß zu einer ausgedehntern Sprachvergleichung
und damit zur Begründung einer wirklichen Wissenschaft von der Sprache, deren Lebensprinzip, wie das jeder Wissenschaft, die
Vergleichung ist. Ihrer exakten, streng induktiven Methode wegen ist die Sprachwissenschaft mehrfach den Naturwissenschaften
zugezählt worden; doch gehört sie ihres Objekts wegen entschieden zu den sogen. Geisteswissenschaften,
da die Sprache kein Naturprodukt, sondern ein Erzeugnis des menschlichen Geistes ist.
Auch waren die Begründer der Sprachwissenschaft durchweg Philologen. Durch die Forschungen Fr. Schlegels, Bopps und ihrer Nachfolger
wurde der indogermanische Sprachstamm nachgewiesen und die zu ihm gehörigen Sprachfamilien festgestellt
wie auch die vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen begründet. Zugleich regten W. v. Humboldts und Potts weitgreifende
Forschungen eingehende Untersuchungen sowohl auf andern, selbst den fernst liegenden Sprachgebieten als auf dem Gebiet der
Sprachphilosophie an, und die historische Sprachforschung, von J. Grimm und W. Diez begründet, schuf durch
exakte und gründliche Forschung in dem enger begrenzten Bereich einzelner Sprachfamilien die Methode der historischen Grammatik.
Seitdem hat der Betrieb der Sprachwissenschaft in ihren drei Hauptrichtungen, der historischen, vergleichenden und philosophischen,
in allen Ländern, namentlich aber in Deutschland, einen mächtigen Aufschwung genommen.
Die genaue Beobachtung des Lautwechsels, der sogen. Lautgesetze, bildet die Hauptgrundlage, auf der die
bedeutenden Resultate der Sprachwissenschaft beruhen. Vor allem besitzen wir jetzt eine wissenschaftliche Etymologie, während
früher nach dem Ausspruch des heil. Augustin die Ableitung der Wörter wie die Deutung der Träume ganz nach subjektiver Willkür
betrieben und das berüchtigte Prinzip »lucus a non lucendo« nicht selten alles
Ernstes angewendet wurde.
Nicht minder haben auch alle Teile der Grammatik, die Laut-, Flexions- und Wortbildungslehre wie die Syntax und die Lehre von der
Zusammensetzung, eine völlige Umgestaltung erfahren, der sich auch die Schulgrammatik nicht mehr entziehen kann, seitdem
Curtius in seiner »Griechischen Schulgrammatik« (zuerst 1852) gezeigt hat, wie wichtig auch für den Schulbetrieb
der Grammatik die Ergebnisse der vergleichenden Sprachforschung sich gestalten. Ferner ist über die Urgeschichte der Menschheit,
besonders der indogermanischen Völker, ein
I. Einsilbige Sprachen in Südostasien.
Chinesisch mit seinen Dialekten, Anamitisch mit der Sprache von Kambodscha, Siamesisch nebst dem Schan und der Sprache der Miaotse,
Birmanisch nebst Khassia und Talaing (Pegu) und Tibetisch nebst den zahlreichen, noch wenig erforschten Himalajasprachen. Die
Sprache besteht ganz aus einsilbigen Wurzeln, welche keiner Veränderung fähig sind; jede Wurzel kann je
nach ihrer Stellung im Satz alle verschiedenen Redeteile ausdrücken, die wir durch besondere Wortformen unterscheiden. Doch
gibt es neben den Stoffwurzeln, welche Begriffe und Thätigkeiten ausdrücken, auch eine Anzahl Deutewurzeln, die sich mit
unsern grammatischen Endungen vergleichen lassen. Unter sich sind diese Sprachen nur durch die Gleichheit
des Baues, nicht durch Gleichklang der Wurzeln verbunden.
II. Malaio-polynesischer Sprachstamm,
zerfallend in drei Gruppen (nach Fr. Müller):
1) Die malaiische, welche von der Insel Formosa an der chinesischen Küste bis zur Insel Java im Süden und bis zur Insel Madagaskar
in Afrika reicht und die Sprachen der Philippinen (Tagalisch, Bisaya, Pampanga etc.), der Insel Formosa, der
Inseln Borneo, Celebes und Sumatra (Dajak, Alfurisch, Bugi, Makassarisch und Batak), der Marianen, Molukken und einiger andern kleinern
Inseln, der Insel Java (dazu Kawi, die stark mit Sanskrit versetzte Litteratursprache), der Halbinsel Malakka (eigentliches Malaiisch)
und der Insel Madagaskar (Malagasi) umfaßt.
2) Die melanesische, auf den Neuen Hebriden und den Fidschi- sowie den Salomoninseln, vielleicht auch auf Neukaledonien (Gabelentz),
den Palau-, Marshall- und Kingsmillinseln (Fr. Müller).
3) Die polynesische, auf Neuseeland (Maori), den Unionsinseln, Samoa, Tonga, Tahiti, Rarotonga, Paumotu, den Markesas, der Osterinsel
etc. bis einschließlich Hawai im Norden.
Diese Sprachen zeichnen sich durch Wohlklang aus, indem sie sehr reich an Vokalen sind, dagegen nur wenig
Konsonanten unterscheiden; auch sind die Wörter meist vielsilbig. Gleichwohl ist die Grammatik auch hier sehr unentwickelt,
wie z. B. Nomen und Verbum gar nicht unterschieden und nur einige andre grammatische Beziehungen durch vorn angehängte Silben
bezeichnet werden. Am unentwickeltsten sind die Sprachen Polynesiens, das wahrscheinlich den Ausgangspunkt
der großen nach Westen gerichteten Wanderung der Malaio-Polynesier gebildet hat.
III. Drawidasprachen in Südindien.
Telugu und Tamil an der Koromandel-, Kanaresisch, Malayalam, Tulu an der Malabarküste, die Hauptsprachen Südindiens, die sich
nach der neuesten Statistik der englischen Regierung auf ungefähr 49 Mill. Köpfe in der Weise verteilen,
daß das Tamil oder Tamulische nebst dem nördlich und nordwestlich davon bis nach der Provinz Orissa sich verbreitenden Telugu
zusammen von nahezu 35 Mill., das Malayalam nebst dem nördlich daran anstoßenden Tulu und das Kanaresische zusammen von etwa 14 Mill.
gesprochen werden. Das Tamil wird außerdem von einem Bruchteil der Bevölkerung von Ceylon gesprochen.
Zu den Drawidasprachen werden auch die Idiome der Kota, Toda, Gond, Kond, Uraon und einiger andrer wilder Stämme in Südindien
sowie der Brahui in Belutschistan gerechnet. Die grammatischen Elemente folgen hier der Wurzel nach und wirken auf dieselbe
zurück, indem sie sich ihren Endvokal assimilieren; sonst bleibt die Wurzel
unverändert.
IV. Uralaltaischer Sprachstamm,
auch Turanisch (Max Müller), Skythisch (Whitney) oder Finnisch-Tatarisch genannt, zerfällt in fünf Gruppen:
1) Die finnisch-ugrische in Osteuropa und Nordasien (nach Budenz), mit den 7 Hauptsprachen: Finnisch (Suomi) nebst Esthnisch
und Livisch, Lappisch, Mordwinisch, Tscheremissisch, Sirjänisch-Wotjakisch und Permisch, Ostjakisch-Wogulisch,
Magyarisch.
2) Die samojedische, im Norden und Nordosten der vorigen, nämlich: Yurak, Tawgy, Jenissei- und Ostjakisch-Samojedisch.
3) Die türkische, von der europäischen Türkei mit Unterbrechungen bis zur Lena, nämlich: Osmanisch, Nogaisch (in der Krim),
Tschuwaschisch, Kirgisisch, Kumükisch, Uigurisch, Tschagataisch, Turkmenisch, Uzbekisch und Jakutisch. Alle diese Sprachen
sind trotz der großen räumlichen Entfernung sehr nahe untereinander verwandt.
4) Die mongolische, nämlich die Sprachen der Mongolen, Kalmücken und Buräten.
5) Die tungusische, nämlich die Sprachen der Tungusen und Mandschu.
Der grammatische Bau ist auch hier sehr einfach, indem jedes Wort aus einer unveränderlichen Wurzel und einem oder mehreren
Suffixen besteht. Letztere sind aber sehr zahlreich und drücken nicht bloß den Unterschied von Nomen und Verbum, sondern die
verschiedensten andern grammatischen Beziehungen aus; die in den Suffixen enthaltenen Vokale werden an den Wurzelvokal assimiliert
(Vokalharmonie). Die Flexion zeichnet sich durch große Regelmäßigkeit aus.
V. Bantu-Sprachstamm
(von kafferisch abantu, »Leute«),
auch südafrikanischer Sprachstamm genannt, reicht, abgesehen von einigen
Unterbrechungen im Süden durch die isoliert dastehenden Sprachen der Hottentoten und Buschmänner, von der Kapkolonie an im Westen
etwa bis zum 8.° nördl. Br., im Osten bis zum Äquator, weiter wahrscheinlich in den noch unbekannten Regionen Zentralafrikas.
Er zerfällt in 3 Gruppen (Fr. Müller):
1) Die östliche Gruppe umfaßt die Kaffernsprachen (Kafir im engern Sinn, Zulu), die Sambesisprachen (Sprachen der Barotse, Bayeye,
Maschona) und Sansibarsprachen (Kisuaheli, Kinika, Kikamba, Kihiau, Kipokomo).
2) Die mittlere Gruppe besteht aus:
a) Setschuana (Sesuto, Serolong, Sehlapi).
b) Tekeza (Sprachen der Mankolosi, Matonga, Mahloenga).
3) Zur westlichen Gruppe gehören:
a) Herero, Bunda, Loanda.
b) Congo, Mpongwe, Dikele, Isubu, Fernando Po, Dualla (in Camerun).
Auch dieser Sprachstamm zeichnet sich durch eine sehr reiche und regelmäßige Flexion aus, die aber fast nur durch vorn antretende
grammatische Elemente (Präfixe) bewirkt wird. Besonders besitzen sämtliche Bantusprachen eine beträchtliche Anzahl von
Artikeln, die zugleich, in der Bedeutung von Pronomina, an das Verbum und andre Satzteile vorn angesetzt
werden, um die grammatische Kongruenz der Satzglieder auszudrücken. Daher hat sie Bleek die »präfix-pronominalen« Sprachen
genannt.
VI. Hamito-semitischer Sprachstamm.
A. Die hamitische Gruppe umfaßt:
1) Die libyschen od. Berbersprachen in Nordafrika.
2) Die äthiopischen Sprachen, Galla, Somali, Bedscha, Dankali (Danakil), Agau, Saho, Falascha, Belen, vom südlichen
Ägypten bis au den Äquator reichend.
3) Das Altägyptische der ägyptischen Denkmäler und Papyrusrollen mit seiner ebenfalls schon ausgestorbenen Tochtersprache,
dem Koptischen.
B. Die semitische Gruppe teilt sich in:
1) Nördliche Abteilung, bestehend aus dem nahe verwandten Assyrisch und Babylonisch der Keilinschriften, den kanaanitischen
Sprachen, nämlich Hebräisch nebst Samaritanisch und Phönikisch nebst Punisch, und aus den aramäischen
Sprachen, d. h. Chaldäisch und Syrisch nebst Mandäisch und Palmyrenisch.
2) Südliche Abteilung mit Arabisch, jetzt auch in Nordafrika verbreitet u. mit dem Islam immer weiter nach dem Süden Afrikas
vordringend, Himjarisch, Äthiopisch (Geez), Amharisch, Tigré, Harrari.
Die beiden ersten Spezies der semitischen Gruppe sind völlig ausgestorben, wenn man von dem syrischen
Dialekt einiger Nestorianer und Jakobitengemeinden am Urmiasee und in Turabdin absieht, und auch von der dritten Spezies sind
das Äthiopische und Himjarische jetzt erloschen. Die hamitische und semitische Gruppe stimmen nur betreffs eines Teils ihrer
Wurzeln, namentlich bei den Pronomina und Zahlwörtern, und betreffs der Unterscheidung des grammatischen
Geschlechts überein. Sonst sind die hamitischen Sprachen grammatisch sehr wenig, die semitischen dagegen im höchsten Grad
entwickelt, indem sie, die verschiedenen grammatischen Beziehungen, sowohl am Nomen als am Verbum, teils durch vorn oder hinten
antretende Affixe, teils durch Variation des Wurzelvokals ausdrücken. Jede Wurzel enthält drei Konsonanten, welche stets unverändert
bleiben, so sehr die Vokale wechseln.
VII. Der indogermanische Sprachstamm
zerfällt in acht Gruppen:
1) Indische Gruppe: Jetzt ausgestorben sind das Sanskrit, Prâkrit und Pâli;
lebende Sprachen sind: Hindi und Hindostani (Urdu),
fast in ganz Nordindien verbreitet, wo es von nahezu 100 Mill. Menschen gesprochen wird, Pandschabi am obern, Sindi
am untern Indus, Marathi und Gudscherati in der Präsidentschaft Bombay, Bengali, Assami, Oriya in Bengalen, Nepali, Kaschmiri im
Norden, nach einigen auch das Singhalesische auf der Südhälfte der Insel Ceylon, nördlich von Indien das Kafir und Dardu, in
Europa die mit diesen beiden Idiomen nahe verwandte Sprache der Zigeuner, die Auswanderer aus Indien sind.
2) Iranische Gruppe: Zend oder Altbaktrisch, Altpersisch der Keilinschriften, Pehlewi oder Mittelpersisch, Pazend und Parsi, wahrscheinlich
auch die Sprache der Skythen nordwärts vom Schwarzen Meer (Müllenhoff) sind die toten, Neupersisch, Kurdisch, Belutschi, Afghanisch
oder Puchtu und Ossetisch (im Kaukasus) die lebenden Sprachen dieser Gruppe, die mit der indischen sehr
nahe verwandt ist.
3) Armenisch, früher zu der iranischen Gruppe gerechnet.
4) Griechische Gruppe: Dazu gehören die alt- und neugriechischen Dialekte und Schriftsprachen;
das Neugriechische herrscht auch
auf der Südküste von Kleinasien, in Kreta und Cypern.
5) Illyrische Gruppe: Albanesisch in Epirus.
6) Italische Gruppe: Latein, Umbrisch, Oskisch im Altertum; in der Neuzeit die romanischen Sprachen: Spanisch
nebst Katalonisch, Portugiesisch, Italienisch, Französisch nebst Provençalisch, Rumänisch, Ladinisch nebst Rätoromanisch (in
Südtirol, Graubünden
und Friaul).
7) Keltische Gruppe: Kymrisch in Wales und der Bretagne, dazu das ausgestorbene Cornisch in Cornwallis;
Gälisch in Irland, dem schottischen
Hochland (Erse) und auf der Insel Man (Manx).
Auch die nur aus einigen Inschriften bekannte Sprache der alten
Gallier gehört hierher.
8) Slawisch-lettische Gruppe, dazu:
a) Altslawisch oder Kirchenslawisch, jetzt ausgestorben, Russisch nebst Weiß- und Kleinrussisch (Russinisch, Ruthenisch), Serbo-kroatisch,
Slowenisch oder Südslawisch in Steiermark, Kärnten etc., Tschechisch-Slowakisch in Böhmen und Mähren, Polnisch in Preußisch-
und Russisch-Polen und Galizien, Wendisch in der Lausitz,
b) Altpreußisch (jetzt ausgestorben), Litauisch, Lettisch.
9) Germanische Gruppe, zerfallend in:
a) Ost- und Nordgermanisch mit Gotisch (ausgestorben), Schwedisch, Norwegisch, Dänisch, Isländisch.
b) Westgermanisch mit Hoch- oder Oberdeutsch, Mitteldeutsch, Niederdeutsch od. Plattdeutsch, Vlämisch, Niederländisch und Englisch.
Der indogermanische Sprachstamm ist, wie der wichtigste u. verbreitetste,
so der vollkommenste aller Sprachtypen, dem nur der semitische einigermaßen nahekommt. Wie die übrigen grammatisch entwickelten
Sprachstämme, bildet er die Wörter aus Wurzeln und Affixen, welch letztere in der Regel der Wurzel nachfolgen. Die große Anzahl
der Affixe, welche überdies in beliebiger Menge aufeinander gehäuft werden können, ihre innige Vereinigung
mit der Wurzel zu einem vollkommen selbständigen, neuen Wort ermöglichen den charakteristischen Wort- und Bedeutungsreichtum
der indogermanischen Sprachen. Auch die feine und mannigfaltige Gliederung der Sätze ist ihnen eigentümlich.
VIII. Der amerikanische Sprachstamm
umfaßt die Sprachen der Eingebornen von Nord- und Südamerika mit Ausnahme der Eskimo im äußersten Norden.
Es gehört dazu der an die Eskimosprachen angrenzende athabaskische Sprachstamm (dazu nach Buschmann auch die Kenaisprachen
in Alaska), dessen südwestliche Ausläufer, die Idiome der Apatschen und der Navajo, bis nach Mexiko hinein reichen; die Algonkinsprachen
(dazu das Delaware, Mohikan, Odschibwä, Minsi, Kri, Mikmak etc.) südlich davon sind besonders im Osten heimisch
und reichten früher von Labrador bis nach Südcarolina; westlich vom Hudson schließt sich daran das Irokesische, weiter nach
Westen, jenseit des Mississippi, das Dakota der Sioux-Indianer, das Pani der Pani-Indianer am Arkansas etc. Im Felsengebirge und
Quellengebiet des Missouri beginnt mit der Gruppe der Schoschonensprachen der Sonora-Sprachstamm, der im
südlichen Arizona und Kalifornien sowie im nördlichen Mexiko herrscht; dazu gehören wohl auch das Nahuatl der Epoche Montezumas
und das davon abgeleitete moderne Aztekisch nebst zahlreichen Dialekten, die bis nach San Salvador reichen. Im Süden und Südosten
schließen sich daran die Sprachen der Urbewohner Mexikos, der mittelamerikanischen Republiken und der Antillen:
Otomi, Mixtekisch, Zapotekisch, Tarasca, Cibuney, Cueva, Maya u. a. Die Hauptsprachen Südamerikas sind: das Galibi oder Karibische
nebst dem Arowakischen, vom Isthmus von Panama bis nach Guayana, zur Zeit der Entdeckung Amerikas auch auf den Antillen heimisch,
verwandt mit dem weitverbreiteten Tupi (Lingoa geral, d. h. allgemeine Umgangssprache, genannt) im Innern
von Brasilien und dem Guarani am La Plata;
das Chibcha in Kolumbien;
die andoperuanische Gruppe mit Kechua und Aymara als Hauptsprachen;
die andisische Gruppe östlich davon, mit den Sprachen der Yuracare u. a.;
das Araukanische, Patagonische, Guaicuru, Chiquito,
Abiponische und die Sprache der Pescheräh oder Feuerländer.
Alle diese Sprachen oder Sprachstämme Amerikas
nebst vielen andern hier ungenannten Sprachen (Amerika zählt deren über 400) haben zwar keine Wurzeln, aber den gleichen grammatischen
Bau miteinander gemeinsam. Der ganze Satz geht im Verbum auf, mit welchem Subjekt, Objekt und adverbiale Bestimmungen zu Einem
Wort verschmolzen werden, wodurch die ungeheuern Wortkonglomerate entstehen, welche die amerikanischen
Sprachen charakterisieren.
Über die außerhalb der angeführten acht Sprachstämme stehenden sogen. isolierten Sprachen vgl. den Text, S. 181 f.
Maßstab am Äquator
1:155.000.000.
Indogermanischer Sprachstamm:
Germanisch
Romanisch
Slavisch
Keltisch
Griechisch
Iranisch
Indisch
Ural-Altaischer Sprachstamm:
Finnisch-Ugrisch
Türkisch u. Jakut.
Mongolisch
Tungusisch
Samojedisch
Südostasiatischer Sprachstamm:
Chinesisch
Anamitisch
Siamesisch
Birmanisch
Tibetisch
Hamito-Semitischer Sprachstamm:
Semitisch (Arabisch)
Hamitisch
Malayo-Polynesischer Sprachstamm:
Malayisch
Melanesisch
Polynesisch
Bantu-Sprachstamm
Drawida-Sprachen
Amerikan. Sprachen (nur dem Bau nach verwandt)
Isolirte oder noch unerforschte Sprachen
Zum Artikel »Sprachwissenschaft«
mehr
unerwartetes Licht verbreitet worden, indem die Ausscheidung der allen indogermanischen Sprachen gemeinsamen Wörter erkennen
ließ, welchen Kulturgrad diese Völker vor ihrem Aufbruch aus der gemeinsamen asiatischen Heimat schon erreicht hatten. Auch
hat sich im Anschluß an diese Forschungen eine vergleichende Mythologie und eine vergleichende Sitten- und Rechtsgeschichte
entwickelt. Selbst die schwierige Frage nach dem Ursprung der Sprache ist, wie schon erwähnt, in ein ganz
neues Licht getreten.
Das wichtigste Ergebnis bleibt aber immer die Klassifikation der Sprachen, weil dadurch zugleich die wichtigsten Fragen der
Anthropologie auf einem ganz neuen Weg ihrer Lösung entgegengeführt werden. Man unterscheidet zwischen einer morphologischen
und einer genealogischen Einteilung der Sprachen. Bei der erstern gibt der grammatische Bau der Sprachen
den Einteilungsgrund ab, und man stellt meistenteils drei Hauptarten desselben auf. Die isolierenden Sprachen, wie z. B. das
Chinesische, bestehen aus lauter einsilbigen Wurzeln, welche stets unverändert bleiben, selbst wenn sie miteinander zusammengesetzt
werden.
Der Unterschied zwischen Subjekt und Objekt und überhaupt alle grammatischen Verhältnisse werden nur
durch die Stellung der Wörter im Satz ausgedrückt. Agglutinierende (»anleimende«) Sprachen sind solche, welche einen Teil ihrer
Wurzeln zum Zweck des Beziehungsausdrucks an andre regelmäßig anfügen und dabei die erstern verändern, während dagegen
die Hauptwurzel, welche den Begriff des Wortes enthält, unverändert bleibt. Eine Unterart dieser sehr
zahlreichen Klasse sind die polysynthetischen Sprachen, die, wie z. B. die amerikanischen, alle abhängigen oder minder wichtigen
Satzglieder in verkürzter Form an die Hauptwurzel anhängen.
Diese unbeholfene Ausdrucksweise ist vielleicht als ein Überbleibsel aus der primitiven Stufe des Sprachlebens anzusehen,
als man noch nicht dazu gelangt war, den Satz in seine einzelnen Bestandteile aufzulösen. Von den polysynthetischen
Sprachen trennen manche als eine besondere Klasse die einverleibenden ab, die, wie das Baskische, die Nebenbestimmungen zwischen
Wurzel und Endung einschieben. Flektierend sind diejenigen Sprachen, welche in Zusammensetzungen sowohl die erste als die zweite
nebst den folgenden Wurzeln beliebig verändern können, um verschiedene Nebenbeziehungen auszudrücken.
Zu dieser höchsten morphologischen Klasse rechnet man nur den indogermanischen und semitischen Sprachstamm.
Die morphologische Verschiedenheit läßt sich auch durch Zeichen ausdrücken, indem man die unveränderlichen Wurzeln durch
große, die veränderlichen durch kleine Buchstaben bezeichnet. Die Wörter der isolierenden Klasse können dann
nur die Form A oder A B, B A, A B C etc., die der agglutinierenden außerdem auch die Form A b, A c, b A etc., die der flektierenden
noch die Formen a b, b a, a b c etc. annehmen. Übrigens kommen nicht nur in den flektierenden und
agglutinierenden Sprachstämmen Wortbildungen nach dem isolierenden, sondern auch in den isolierenden Sprachen solche nach
dem agglutinierenden und selbst dem flektierenden Prinzip vor, so daß sich diese Einteilung keineswegs streng durchführen
läßt.
Viel wichtiger als die morphologische Klassifikation ist daher die genealogische Einteilung der Sprachen, welche Gemeinsamkeit
der Abstammung zum Einteilungsgrund macht. Stimmen zwei oder mehrere Sprachen sowohl in betreff ihrer Wörter
und Wurzeln als ihres grammatischen Baues überein, oder haben sie wenigstens in einer diesen beiden Beziehungen
so viel miteinander
gemein, daß die Annahme einer bloß zufälligen Ähnlichkeit völlig ausgeschlossen ist, so muß man annehmen, daß sie auf
eine und dieselbe Grundsprache zurückgehen.
Hieraus folgt zugleich, daß die Völker, welche die betreffenden Sprachen sprechen, zu irgend einer Zeit einmal ein einziges
Volk gebildet haben müssen, und es ergeben sich so aus der genealogischen Klassifikation der Sprachen die wichtigsten Resultate
für die Einteilung der Völker und Rassen, Resultate, die viel sicherer sind als diejenigen der Schädelvergleichung,
da die Sprachen weniger leicht der Mischung unterliegen und stattgehabte Mischungen weit leichter erkennbar sind als bei den
Körpermerkmalen.
Verbreitung und Einteilung der Sprachen.
(Hierzu die »Sprachenkarte«, mit Textblatt.)
Die Gesamtzahl der lebenden Sprachen mag in runder Summe etwa 1000 betragen. Adelung in seinem »Mithridates«
zählte deren über 3000 auf; dagegen veranschlagen Balbi und Pott sie nur auf 860, Max Müller auf 900, welche Ziffern jedoch
wahrscheinlich zu niedrig gegriffen sind. Die Sprachenstatistik wird dadurch sehr erschwert, daß es unmöglich ist, die
Grenze zwischen Sprache und Dialekt zu bestimmen. Bei einer Übersicht über die geographische Verbreitung
der Sprachen handelt es sich vorzugsweise darum, ihre Zusammengehörigkeit zu größern oder kleinern Gruppen, die von einer
gemeinsamen Ursprache herstammen, zur Anschauung zu bringen.
Auf beifolgender »Sprachenkarte« und der zugehörigen Übersicht sind nur
die wichtigern der bis jetzt von der Linguistik ermittelten Sprachstämme und deren Unterabteilungen vollständig (letztere
auch einschließlich der jetzt ausgestorbenen), von den einzelnen Sprachen sind nur die hervorragendsten
aufgeführt, namentlich von den in Amerika gesprochenen. Dort ist die Sprachverschiedenheit am größten; geringer ist sie
in den Weltteilen, die wenigstens teilweise von alters her von Kulturvölkern bewohnt und daher früher zur Ausbildung von
Schriftsprachen gelangt sind, in Asien und Afrika, am geringsten in Europa, wo es nur 53 Sprachen gibt; die
Sprachen der Eingebornen von Australien sind teilweise schon ausgestorben.
Nach den bisherigen Ergebnissen der genealogischen Einteilung der Sprachen unterscheiden wir nun acht Sprachstämme:
1) einsilbige Sprachen in Südostasien;
2) den malaio-polynesischen Sprachstamm;
3) die Drawidasprachen in Südindien;
4) den uralaltaischen Sprachstamm;
5) die Bantusprachen (südafrikanischer Sprachstamm);
6) den hamito-semitischen Sprachstamm;
7) den indogermanischen Sprachstamm;
8) den amerikanischen Sprachstamm. Außerdem gibt es noch eine beträchtliche Anzahl isolierter Sprachen, welche sich, wenigstens
auf Grund der bisherigen Forschungen, in keinen der größern Sprachstämme einreihen lassen. Dazu gehören: in Europa
das Baskische in den Pyrenäen und das jetzt ausgestorbene Etruskische (nach Corssen Indogermanisch) in Toscana;
die meisten
Negersprachen in Nord- und Zentralafrika, so das Wolof, Bidschogo, Banyum, Haussa, Nalu, Bulanda, Baghirmi, Bari, Dinka etc.,
von denen nur einzelne, wie die Nuba-, Fulbe-, Mande-, Nil-, Kru-, Ewe-, Bornusprachen, sich zu Gruppen vereinigen
lassen;
in Südafrika die verschiedenen Sprachen der Hottentoten und Buschmänner, welche sich durch das Vorhandensein zahlreicher
Schnalzlaute, im Buschmännischen acht, auszeichnen, übrigens dem Aussterben nahe sind;
die Sprachen des Kaukasus, unter denen
man einen südkaukasischen Sprachstamm
mehr
mit Georgisch, Mingrelisch und Lasisch nebst Suanisch und einen nordkaukasischen Sprachstamm mit Tscherkessisch, Awarisch,
Udisch, Tschetschenzisch etc. unterscheiden kann;
im Innern von Ostindien die Mundasprachen (Ho und Santhal) etc.;
das Japanische
und Koreanische in Japan und Korea;
das Jukagirische, Korjakische u. Tschuktschische, Kamtschadalische, Aino, Giljakische, Jenissei-Ostjakische
und Kottische in Nordasien;
die Sprachen der Alëuten in Nordamerika;
die Maforsprache auf Neuguinea und andre
Papuasprachen;
die südaustralischen und die jetzt ausgestorbenen tasmanischen Sprachen auf Vandiemensland;
die Sprachen der
Mincopie auf den Andamanen sowie der Negrito auf den Philippinen und der Halbinsel Malakka und andre Sprachen.
Vgl. außer den S. 180 angeführten Werken: Pott, Die quinäre und vigesimale Zählmethode bei Völkern
aller Weltteile (Halle 1847);
Steinthal, Charakteristik der hauptsächlichsten Typen des Sprachbaues (Berl. 1860);
Max Müller,
Essays (deutsch, Leipz. 1869 ff., 4 Bde.);
Schleicher, Die deutsche Sprache (5. Aufl., Stuttg. 1888);
Whitney, Leben u. Wachstum der Sprache (deutsch von Leskien, Leipz.
1876);
Sayce, Introduction to the science of language (2. Aufl., Lond.
1883, 2 Bde.);
Hovelacque, La linguistique (3. Aufl., Par. 1882);
Pezzi, Glottologia aria recentissima (Tur. 1877);
Fr. Müller,
Grundriß der Sprachwissenschaft (Wien 1876-88, 4 Bde.);
G. Curtius, Kleine Schriften (Leipz. 1886, 2 Bde.);
Delbrück, Einleitung in das Sprachstudium (2. Aufl., das.
1884);
Brugmann, Zum heutigen Stand der Sprachwissenschaft (Straßb. 1885);
Jolly, Schulgrammatik und Sprachwissenschaft (Münch.
1874);
Benfey, Geschichte der Sprachwissenschaft und orientalischen Philologie in Deutschland (das. 1869);
Brücke, Physiologie
und Systematik der Sprachlaute (2. Aufl., Wien 1876);
Sievers, Grundzüge der Phonetik (3. Aufl., Leipz. 1885).
Eine »Zeitschrift für allgemeine Sprachwissenschaft« wird von Techmer herausgegeben (Leipz.,
seit 1884).