mehr
weder Intelligenz noch Willen besitzt, von einem »Weltplan« oder gar einer »Wahl« zwischen mehreren Weltplänen nicht die Rede sein kann) noch eines blinden Verhängnisses (da die Substanz Ursache ihrer selbst und von nichts außer ihr abhängig ist). Die Beschaffenheit und Reihenfolge derselben sind nicht durch Zweck-, sondern lediglich durch wirkende Ursachen bestimmt; dieselben sind weder nützlich (gut) noch schädlich (schlecht), sondern einfach notwendig.
Als solche ist die Welt weder die beste noch die schlechteste unter (mehreren) möglichen, sondern die einzig mögliche. Die Erkenntnis dieser unabänderlichen Weltordnung ist es, welche den Weisen vom Thoren scheidet. Während der letztere vom Weltlauf die Erfüllung seiner Wünsche hofft oder deren Gegenteil fürchtet, erkennt der erstere, daß jener unabhängig von diesen unabänderlich feststeht und daher weder Hoffnung noch Furcht einzuflößen vermag. Die philosophische Erkenntnis besteht darin, die Dinge zu schauen, wie Gott sie schaut (unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit, sub specie aeternitatis, gleichsam »aus der Vogelperspektive«),
d. h. jedes Einzelne (Idee, Körper, Ereignis) im Zusammenhang als Glied [* 2] des (unendlichen) Ganzen. Die philosophische Gemütsstimmung besteht einerseits in der Resignation, d. h. in der Ergebung, welche aus der Erkenntnis der Notwendigkeit, anderseits in der (intellektuellen) Liebe zu Gott, welche aus der Erkenntnis der (ursprünglichen) Göttlichkeit des Weltlaufs entspringt. Da die eine wie die andre Wissen, d. h. Erkenntnis des (metaphysischen) Wesens der Welt (als Entfaltung Gottes), voraussetzt, so bildet die (pantheistische, richtiger akosmistische) Metaphysik die unentbehrliche Vorbedingung zu der (affekt- und leidenschaftslosen) Ethik Spinozas.
Sowohl um dieses ihres echt philosophischen Ergebnisses in praktischer wie um ihres auf den Zusammenhang des Ganzen als Weltorganismus gerichteten Blicks (den übrigens Leibniz zum mindesten im gleichen Grad besaß) in theoretischer Hinsicht halber hat die Philosophie Spinozas, die anfänglich nur in Holland einen kleinen Kreis [* 3] von Anhängern fand (de Vries, Mayer u. a.), ein Jahrhundert später bei Größen ersten Ranges, wie Lessing, Jacobi, Herder, Goethe u. a., Bewunderung, bei Fichte, [* 4] Schelling, Hegel mehr oder weniger eingestandene Nachahmung gefunden. Am ist ihm im Haag [* 5] ein Denkmal (von Hexamer) errichtet worden.
Für die Erläuterung seiner (selbst von seinen Freunden oft mißverstandenen) Lehre [* 6] ist sein ziemlich umfangreicher Briefwechsel wichtig. Eine vollständige Ausgabe der Werke Spinozas wurde von Paulus veranstaltet (Jena [* 7] 1802, 2 Bde.); eine andre von Gfrörer im »Corpus philosophorum optimae notae«, Bd. 3 (Stuttg. 1830), enthält sämtliche Werke ohne die hebräische Grammatik. Korrekter als die erstgenannte, aber ohne die Biographie des Colerus ist die Ausgabe von Bruder (Leipz. 1843-46, 3 Bde.); die neueste ist die von J. van Vloten und Land (Haag 1882, 2 Bde.). Deutsche [* 8] Übersetzungen lieferten B. Auerbach [* 9] (2. Aufl., Stuttg. 1871, 2 Bde.), welcher die französische von Saisset (2. Aufl., Par. 1861, 3 Bde.) vorzuziehen ist, und neuerlich Kirchmann und Schaarschmidt in der »Philosophischen Bibliothek«. Den »Tractatus de deo et homine« (hrsg. von van Vloten, Amsterd. 1862, und mit Einleitung von Ginsberg, Leipz. 1877) hat Sigwart (Tübing. 1870) ins Deutsche übersetzt und erläutert.
Über die S. betreffende Litteratur vgl. van der Linde, S. (Göttingen [* 10] 1862);
über dessen Philosophie: Sigwart, Der Spinozismus, historisch und philosophisch erläutert (Tübing. 1839);
Thomas, S. als Metaphysiker (Königsb. 1840);
Saintes, Histoire de la vie et des ouvrages de S. (Par. 1842);
Trendelenburg, Historische Beiträge zur Philosophie, Bd. 2 und 3 (Berl. 1855-67);
K. Fischer, Geschichte der neuern Philosophie (Bd. 1, Abt. 2);
Camerer, Die Lehre Spinozas (Stuttg. 1877);
Baltzer, Spinozas Entwickelungsgang (Kiel [* 11] 1888);
Ginsberg, Briefwechsel des S. (Leipz. 1876, mit der Biographie von Colerus).