Republik, der von den Sozialdemokraten angestrebte
Freistaat mit Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise
und jeglichen Klassenunterschiedes. S.
Sozialdemokratie.
(lat.), nach dem in der
Wissenschaft noch heute üblichsten, auch in der deutschen
Gesetzgebung und im großen
Publikum herrschenden Sprachgebrauch die Bezeichnung für eine bestimmte
Richtung, ein bestimmtes
System
zur
Lösung der
Arbeiterfrage (s. d.). Dieser S. unterscheidet sich scharf von dem
Kommunismus (s. d.), obschon er mit demselben
manche
Grundanschauungen teilt, namentlich den
Glauben an die unbedingte
Lösung dieser
Frage, die ausschließliche Zurückführung
der für sie in Betracht kommenden Übelstände auf verkehrte menschliche Einrichtungen und die
Forderung
einer gänzlichen Umgestaltung des Wirtschaftsorganismus, der Rechtsordnung und des Staatswesens der Kulturvölker, nach
welcher unter Beseitigung der individuellen wirtschaftlichen
Freiheit die Gesamtheit die Verantwortlichkeit und Sorge für
die ökonomische und soziale
Lage der Einzelnen zu übernehmen habe.
Die ihm eigentümlichen, von allen andern sozialpolitischen
Richtungen (s.
Arbeiterfrage) verschiedenen
Anschauungen und praktischen
Forderungen haben sich erst allmählich in der Geschichte des S. klarer und schärfer herausgebildet.
Dieselben sind heute folgende: der Kernpunkt der sozialen
Frage ist ihm die ungerechte Verteilung der
Güter, und diese führt
er vorzugsweise auf die Einrichtung des privaten
Grundeigentums undErbrechts und auf die freie individualistische
und kapitalistische Produktionsweise mit der Trennung von Unternehmern und Lohnarbeitern, mit dem
Eigentum der erstern an den
Produktionsmitteln und der Herrschaft des »ehernen Lohngesetzes« über
die letztern zurück. Er vertritt die falsche
Ansicht der ältern englischen Nationalökonomen, daß allein die
ArbeitWerte
erzeuge, und behauptet, daß infolge jener
Ursachen die bisherige Vermögensbildung und die heutige Verteilung
der neu produzierten
Güter auf einer Ausbeutung der Lohnarbeiter durch Unternehmer,
Grundeigentümer und Kapitalisten, mit
andern
Worten der Nichtbesitzenden durch die besitzende
Klasse beruhe.
Diese ungerechte Verteilung ist ihm die wesentliche
Ursache des Proletariats und aller andern Übelstände in
den untern Volksklassen. Beseitigung dieser
Übelstände erwartet er nicht wie der
Kommunismus von der völligen
Gleichheit
aller, aber doch von einer sehr starken Ausgleichung der ökonomischen und sozialen Unterschiede und von einer gesellschaftlichen
Verfassung, in welcher allein die
Arbeit einen Anspruch auf
Einkommen und
Vermögen gibt. Das
Einkommen soll nur
noch Arbeitsertrag sein.
Bekämpft wird deshalb das private
Grundeigentum, das
Erbrecht und die
Kapitalrente
(Kapitalzins und
Kapitalgewinn). Jene beiden
Rechtsinstitutionen sollen durch
Gesetz, diese Einkommensart soll durch eine neue
Organisation derProduktion: die sozialistisch-genossenschaftliche
(»kollektivistische«) Produktionsweise, abgeschafft werden. Das
Wesen dieser besteht darin, daß nur noch in genossenschaftlichen
Kollektivunternehmungen in planmäßiger Regelung (Beseitigung der Lohnarbeit und soziale
Organisation der Arbeit)
produziert wird, in welchen das
Eigentum an den Produktionsmitteln
(Grundstücken und Kapitalien) Kollektiveigentum der
Gesellschaft
ist und der
Ertrag nur an die
Arbeiter und gerecht verteilt wird (Beseitigung des
Einkommens aus
Kapital und
Grundstücken und
des »ehernen Lohngesetzes«). Diese Umwandlung der bisherigen
Produktionsweise in die sozialistische und die planmäßige Regelung der letztern soll durch den
Staat geschehen.
Als eine selbständige Wirtschaftstheorie ist dieser
S. ein
Produkt des 19. Jahrh.; als sein Begründer gilt mit
Recht der französische
GrafSaint-Simon, der auch zuerst die
Lösung der sozialen
Frage als die große Aufgabe der modernen
Gesellschaft hinstellte.
Die Vertreter des S. stimmen in denoben erwähnten allgemeinen
Grundanschauungen überein, im einzelnen
aber gehen sie in ihren
Ansichten wie in ihren
Forderungen wieder weit auseinander, so daß man deshalb verschiedene sozialistische
Systeme oder
Theorien (insbesondere die des
Saint-Simonismus, von
Ch.
Fourier, L.Blanc, F.
Lassalle, K.
Marx) unterscheidet.
Saint-Simon
(s. d. 2) hat seine sozialistischen
Anschauungen nicht zu einem geschlossenen
System entwickelt. Das geschah
erst durch seine
Schüler (die
Saint-Simonisten), vor allen durch den hervorragendsten derselben,
Bazard (s. d.). Dieselben
nannten nach ihrem
Lehrer und
Meister dies
System den
Saint-Simonismus. Die
soziale Frage betrachten sie nicht nur als eine ökonomische,
sondern ebensosehr als eine moralische, religiöse und politische, da es sich in ihr um eine
Reform aller
Verhältnisse des Volkslebens
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mehr
handle. Von der Ansicht ausgehend, daß die Arbeit die Quelle
[* 13] aller Werte sei, sehen sie das Hauptunrecht in Staat und Gesellschaft
darin, daß der nützlichste Stand, der der Arbeiter (industriels), den letzten Rang einnehme, zum weitaus größten Teil mißachtet,
in traurigster Lage und politisch ohne Einfluß sei. Es sei deshalb eine neue Organisation derGesellschaft
zu bilden, in welcher die Klasse der Besitzenden und der »légistes« (Beamten, Gelehrten, Advokaten) wie die militärische Gewalt
dem arbeitenden Teil der Gesellschaft untergeordnet sei, so daß an die Stelle der bisherigen feudalen Organisation des Staats
eine »industrielle« trete, die zugleich das ideale ZielSaint-Simons erreiche, »allen Menschen die freieste
Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu sichern«.
Erziehung und Ausbildung sollen auf der Grundlage einer neuen Religion, eines neuen Christentums der Bruderliebe und werkthätigen
Moral, die wirtschaftliche Thätigkeit durch eine Änderung der Rechtsordnung umgestaltet werden. Um eine gerechte volkswirtschaftliche
Verteilung herbeizuführen, müsse die Arbeit zum einzigen Eigentumstitel gemacht und eine Verteilung
nach dem Prinzip organisiert werden: »Jedem nach seiner Fähigkeit, und jeder Fähigkeit
nach ihren Werken«.
Vor allem sei das Erbrecht der Blutsverwandtschaft abzuschaffen und durch ein Erbrecht des Verdienstes zu ersetzen. Die Güter
der Einzelnen sollten nach ihrem Tode der Gesamtheit zufallen, der Staat als Vertreter derselben der Erbe
sein und nun die ihm anfallenden Güter denjenigen zuweisen, die sie am besten zum Wohl des Ganzen gebrauchen würden. Außerdem
sollten Staatsbanken zur leichtern Gewährung eines billigen Kredits gegründet werden. Der Unterricht sollte ein unentgeltlicher,
öffentlicher und zwar der allgemeine theoretische ein gleicher für alle (mit besonderer Berücksichtigung
der moralischen Ausbildung), der professionelle aber ein den individuellen Fähigkeiten entsprechender sein. - Die Saint-Simonisten
haben später die Bazardsche Erbrechtsreform auf die Forderung hoher progressiver Erbschaftssteuern und Aufhebung des Erbrechts
in den weitern Verwandtschaftsgraden beschränkt.
Gleichzeitig mit Saint-Simon, aber völlig unabhängig von ihm, entwickelte Ch. Fourier (s. d.) ein sozialistisches
System, das durch seine Schüler, besonders durch V. Considérant (s. d.), um die Mitte der 30er Jahre in Frankreich allgemeiner
bekannt wurde. Im Gegensatz zu Saint-Simon konstruierte er seine neue sozialistische Gesellschaftsordnung bis ins einzelne.
Er stützt dieselbe auf eine eigentümliche wissenschaftlich unhaltbare Psychologie und auf eine eingehende Kritik der ökonomischen
Zustände seiner Zeit, die neben vielem Falschen wertvolle Wahrheiten enthält.
Diese Zustände erscheinen ihm von Grund aus schlecht, weil die große Masse des Volkes, durch eine kleine Zahl ausgebeutet,
eine elende Existenz führe und keine Freude an der Arbeit und am Dasein haben könne. Er findet es völlig verkehrt, daß
die Produktion eine individualistische (in Einzelunternehmungen) mit freier Konkurrenz sei. Durch die Existenz der vielen kleinen
Unternehmungen finde eine ungeheure Verschwendung in der Benutzung der Arbeitsmittel und -Kräfte statt; würde nur in großen
genossenschaftlichen Unternehmungen produziert, so könnte mit gleichem Aufwand viel mehr produziert und bei gerechter Verteilung
ein höheres Genußleben für die Arbeiter herbeigeführt werden.
Sie bewirke weiter eine solche Ausdehnung
[* 14] der Arbeitsteilung, daß die meisten Menschen keine Abwechselung bei der Arbeit hätten
und diese dadurch, statt zu einer Freude,
zu einer Last und für viele zu einer unerträglichen Last und Qual werde. Sie veranlasse
endlich auch die Existenz einer großen Zahl an sich völlig überflüssiger Kaufleute und dadurch eine
unnötige Verteurung der Produkte. Fourier findet ebenso die bestehende Art der Konsumtion in den Einzelwirtschaften völlig
unwirtschaftlich. Er fordert deshalb eine genossenschaftliche Produktion und Konsumtion in großen Verbänden, die, etwa 300-400
Familien umfassend, möglichst alle Genußmittel für die Mitglieder herstellen, jedenfalls Landwirtschaft
und Gewerbe betreiben, in einem großen Gebäude (Phalanstère) alle ihre Wohnungen und Arbeitsräume einrichten, in wenigen
Küchen die Speisen für alle bereiten und zugleich für die Vergnügungen und den Unterricht sorgen. Er entwirft den Plan dieser
sozialen Wirtschaftsorganismen, von ihm Phalangen genannt, im einzelnen und sucht nachzuweisen, daß sie,
richtig organisiert, eine Garantie dafür bieten, daß jeder durch seine Arbeit die Mittel erlange, ein behagliches Genußleben
zu führen, dabei an derselben Freude habe und für alle aus der freien naturgesetzlichen Entfaltung der Triebe die Harmonie derTriebe sich ergebe, die nach FouriersPhilosophie die Glückseligkeit der Menschen sei. Die Gründung der Phalangen
soll aber nicht durch staatlichen Zwang, sondern durch den freien Willen der Einzelnen erfolgen. Fourier trug sich mit der überspannten
Hoffnung, daß, wenn nur erst eine Phalange gebildet worden, die Phalangen sich allmählich über die ganze Welt verbreiten würden.
Fourier stellte zuerst die Abschaffung der Lohnarbeit und Gründung großer Produktiv- und Konsumgenossenschaften
als die Panacee für die soziale Frage auf.
Wenn dies geschehen, habe er es in der Hand,
[* 15] durch die Regelung der innern Organisation dieser Genossenschaften und der Art
der Ertragsverteilung den arbeitenden Klassen die genügende materielle Existenz zu sichern. LouisBlanc
denkt sich dann die Entwickelung für die gewerbliche Produktion in drei Stadien. In dem ersten gründe der Staat die Ateliers
sociaux für die verschiedenen Industriezweige, zunächst als Staatsunternehmungen; nach einiger Zeit aber wandle er sie
um in reine Produktivgenossenschaften, überlasse die Verwaltung den Mitgliedern und beschränke sich nur
auf die gesetzliche Regelung der Organisation und der Gewinnverteilung.
Diese Genossenschaften würden sofort die bessern Arbeitskräfte an sich ziehen und mit geringern Kosten produzieren, zumal
wenn sie gleichzeitig große Konsumgenossenschaften errichten würden. Die bestehenden Unternehmungen würden gezwungen werden,
entweder den Betrieb einzustellen, oder sich in solche Genossenschaften umzuwandeln. In dem zweiten Stadium
sollen dann, damit keine Konkurrenz unter den Genossenschaften entstehe, die
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