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und sittenlose Geistlichkeit hielt durch Beförderung eines blinden, sinnlichen Aberglaubens das Volk in geistiger Verdumpfung und in Unkenntnis über alle höhern Dinge. Der Grundbesitz häufte sich in den Händen des Adels und des Klerus an, und die ganze Last der hohen Steuern, deren Ertrag zum großen Teil in die Kasse des Königs von Spanien [* 2] und des Oberlehnsherrn, des Papstes, floß, bedrückte das niedere Volk, welches durch die Verteurung der notwendigsten Lebensmittel in die bitterste Not geriet.
Seine Verzweiflung führte, von unbedeutendem Streit ausgehend, unter Tommaso Aniello (Masaniello) zu einem Aufstand der aber an der Unfähigkeit der Führer und der mangelhaften Unterstützung seitens der Franzosen scheiterte. Im spanischen Erbfolgekrieg wurde Neapel [* 3] von den Österreichern unter dem General Daun besetzt, und im Utrechter Frieden (1713) wurde diese Besitznahme gutgeheißen. Sizilien [* 4] kam durch denselben Frieden an Savoyen, wurde aber schon 1720 gegen Sardinien [* 5] ausgetauscht und wieder mit Neapel vereinigt.
Sizilien eine bourbonische Sekundogenitur.
Jedoch nicht lange blieb das Königreich unter der Herrschaft der österreichischen Habsburger: schon 1735 (definitiv 1738) trat Kaiser Karl VI. im Frieden von Wien [* 6] Neapel und Sizilien an den Infanten Karl von Spanien als eine mit diesem Königreich nie zu vereinigende Sekundogenitur der spanischen Bourbonen ab. König Karl III. (1735-59) berief den freisinnigen Staatsmann Tanucci an die Spitze der Staatsgeschäfte, der vor allem die Privilegien des Klerus zum allgemeinen Besten einschränkte; denn 112,000 Geistliche waren nicht nur für sich und ihre Güter von den Landesgesetzen befreit, sondern auch alle, die in ihrem Bezirk ein Asyl suchten; der Papst betrachtete die geistlichen Stellen als sein Eigentum und bezog die Einkünfte derselben während ihrer Erledigung.
Tanucci hob dies Recht auf, verlieh der weltlichen Macht gegenüber der kirchlichen eine größere Gewalt, minderte die Privilegien und die Zahl der Geistlichen und säkularisierte eine Menge von Klöstern zum Besten der Staatskasse. Als Karl III. 1759 auf den spanischen Königsthron berufen wurde, überließ er Neapel und Sizilien seinem jüngern Sohn, Ferdinand IV. (1759-1825), während dessen Minderjährigkeit Tanucci das Reich bis 1767 mit fast unumschränkter Gewalt regierte; noch energischer ging er nun gegen die Übergriffe der Kirche und gegen die Jesuiten vor.
Aber als Ferdinand 1767 selbständig geworden war, verlor Tanucci allmählich den herrschenden Einfluß an die Königin Karoline, eine Tochter Maria Theresias, und wurde 1777 ganz beseitigt, worauf Karoline im Verein mit dem obersten Minister Acton ein launenhaftes Willkürregiment führte. Seit dem Ausbruch der französischen Revolution und der Hinrichtung ihrer Schwester Marie Antoinette von tödlichem Haß gegen die französische Republik und die Liberalen erfüllt, bestimmte sie ihren Gemahl 1798, noch vor der Kriegserklärung der zweiten Koalition mit einem Heer wenig geübter Truppen unter General Mack in den Kirchenstaat einzurücken.
Rom [* 7] wurde besetzt und die neapolitanischen Truppen drangen bis Toscana vor, zogen sich aber ebenso schnell vor den wieder vordringenden Franzosen zurück, die nun in Neapel einfielen. Bestürzt und ratlos floh der König mit dem Hof [* 8] nach Sizilien, ließ seine eigne Kriegsflotte in Brand stecken und gab das Land den Siegern preis, mit denen Mack nach mehreren unglücklichen Gefechten Waffenstillstand schloß. Hierüber entstand in der Hauptstadt ein furchtbarer Aufstand des gegen die Jakobiner und Verräter erbitterten Volkes, vor dem sich der königliche Statthalter nach Sizilien, Mack in das französische Lager [* 9] flüchteten. Über Blut und Leichen bahnte sich Championnet, der Anführer der Franzosen, einen Weg in die hartnäckig verteidigte Hauptstadt, nach deren Eroberung er im Einvernehmen mit den einheimischen, den gebildeten Ständen angehörigen Republikanern die Parthenopeische Republik gründete.
Der neue Staat war jedoch nur von kurzem Bestand, denn kaum waren die Alliierten in Oberitalien [* 10] eingedrungen und hatten die Franzosen geschlagen, als die Geistlichkeit in Kalabrien das Volk zur Erhebung gegen die gottlose Republik aufrief. An die Spitze der »Glaubensarmee«, welcher sich auch Verbrecher und Räuber wie Fra Diavolo anschlossen, trat der vom König zum Generalvikar ernannte Kardinal Ruffo, der vor Neapel rückte, das die Franzosen 5. Mai geräumt hatten.
Nachdem die »Patrioten« die Stadt zehn Tage lang (13.-23. Juni) verteidigt hatten, übergaben sie dieselbe gegen das Versprechen ihrer Freiheit und Sicherheit. Der König genehmigte dasselbe jedoch nicht, und teils durch die fanatisierten Kalabresen und die Lazzaroni, teils infolge des Richterspruchs der hierzu eingesetzten Staatsjunta wurden zahlreiche Patrioten getötet oder eingekerkert, sowohl in der Hauptstadt als im übrigen Königreich. Der König, der am 10. Juli nach Neapel zurückkehrte, ließ diese Greuel ruhig geschehen.
Als 1805 der Krieg der dritten Koalition gegen Frankreich ausbrach, ließ die Königin Karoline entgegen dem mit Napoleon abgeschlossenen Vertrag eine russisch-englische Flotte landen, worauf Napoleon in Schönbrunn das Dekret erließ: »Die Dynastie der Bourbonen in Neapel hat aufgehört zu regieren«. Umsonst suchte die Königin erst durch eine demütige Gesandtschaft an Napoleon, dann durch Aufwiegelung der Lazzaroni und Kalabresen den Umsturz ihres Throns abzuwehren.
Als die Franzosen unter Joseph Bonaparte und Masséna heranrückten, flüchtete der Hof wiederum nach Sizilien das Ferdinand unter dem Schutz der englischen Flotte bis zum Sturz Napoleons behauptete. Unter blutigen Kämpfen nahm Joseph Besitz von der neapolitanischen Krone, die ihm sein Bruder verlieh (30. März), die er aber schon nach zwei Jahren (1808) an seinen Schwager Joachim Murat abtreten mußte, um den Thron [* 11] Spaniens einzunehmen. Die französische Herrschaft fegte mit scharfem Besen die feudalen Institutionen, die Klöster und die klerikalen Vorrechte weg und gab dem Land eine moderne Gesetzgebung und Verwaltung. Doch dauerte sie nur bis zum Wiener Kongreß, auf welchem Neapel nach der Niederlage Murats bei Tolentino (2. und dem König Ferdinand zurückgegeben wurde.
Das Königreich beider Sizilien 1815-60.
Ferdinand IV. nahm nach seiner Rückkehr nach Neapel den Titel eines Königs beider Sizilien an und nannte sich als solcher Ferdinand I; die 1812 auf Verlangen Englands der Insel Sizilien erteilte freisinnige Verfassung wurde wieder aufgehoben. In einem geheimen Vertrag mit Österreich [* 12] (1815) verpflichtete sich Ferdinand, keine Verfassung einzuführen und keine Einrichtungen zu treffen, die liberaler seien als die der Lombardei. Zwar änderte der träge, unfähige König an den von der französischen Herrschaft überkommenen Institutionen wenig, doch ließ er sie verfallen. Unter der schwachen und liederlichen Verwaltung, die nun eintrat, nahm die Zahl ¶
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der Briganten so überhand, daß man ihre Zahl auf 30,000 schätzte und die Regierung, um sie etwas in Schranken zu halten, eine Bande gegen die andre dang. Die allgemeine Unzufriedenheit mit den bestehenden Zuständen wurde genährt von dem Geheimbund der Karbonari und ergriff auch die einem österreichischen General, Nugent, unterstellte Armee. Als daher 1820 die Kunde von der Revolution in Spanien erscholl, rief ein Leutnant in Nola, Morelli, die spanische Konstitution von 1812 aus, rückte mit seinem Dragonerregiment nach Neapel und erhielt auf seinem Marsch so große Verstärkung, [* 14] daß man am Hof jeden Widerstand aufgab.
Der König ernannte seinen Sohn, den Herzog Franz von Kalabrien, zum Prinzregenten, und dieser übertrug dem liberalen General Guglielmo Pepe den Oberbefehl über die Truppen und versprach die Einführung der spanischen Verfassung. Pepe forderte indes, daß der König selbst den Eid auf die Verfassung leisten solle, und Ferdinand that dies nicht nur 13. Juli, sondern fügte auch noch den Schwur hinzu, daß, wenn er lüge, Gott ihn in diesem Augenblick mit dem Blitz seiner Rache treffen möge. In Sizilien regten sich indes separatistische Gelüste, und das Volk in Palermo [* 15] vertrieb 18. Juli den Statthalter, setzte eine provisorische Regierung ein und forderte bloße Personalunion mit Neapel.
Zwar unterwarfen die neapolitanischen Truppen unter General Florestano Pepe die Insel bald wieder und nahmen 5. Okt. Palermo. Indes wurde die neue Regierung hierdurch geschwächt, und während in Neapel die Einführung der Verfassung festlich begangen wurde, betrieb Metternich auf Bitten des Königs Ferdinand die Einmischung der Mächte. Auf dem Kongreß zu Laibach, [* 16] wo Ferdinand selbst erschien und seinen Eid für erzwungen erklärte, beschlossen die Mächte im Januar 1821 die Intervention im Königreich beider Sizilien.
Anfang Februar überschritt General Frimont mit 43,000 Österreichern die Grenze. Nach einem kurzen Gefecht bei Rieti (7. März) liefen die von Pepe befehligten neapolitanischen Truppen auseinander, und die Österreicher rückten 22. März in Neapel ein, wo ebenso wie auf der Insel Sizilien, wohin ein österreichisches Korps unter Wallmoden geschickt worden war, die alte Ordnung mit blutiger Strenge gegen die Urheber der Revolution hergestellt wurde. Ferdinand, der im Mai zurückkehrte, beseitigte alle liberalen Einrichtungen und erneuerte die frühere Mißwirtschaft.
Ferdinands Sohn Franz I. (1825-30) blieb während seiner kurzen Regierung dem System seines Vaters treu, während dessen Sohn Ferdinand II. (1830-59) anfangs manche nützlichen Reformen einführte und namentlich die Finanzen in trefflichen Stand brachte; Aufstände, zu denen die entsetzlich wütende Cholera auf Sizilien den Anlaß gab, boten die Gelegenheit, die völlige Verschmelzung der Insel mit dem Festland durchzuführen. Indes auch Ferdinand II. näherte sich mehr und mehr dem Regierungssystem seiner Vorgänger und erweckte dadurch wieder die allgemeinste Unzufriedenheit.
Die Reformen, die Papst Pius IX. 1847 gab und versprach, riefen besonders auf Sizilien eine solche Erregung hervor, daß daselbst schon im Januar 1848 ein Aufstand ausbrach. Es war vergeblich, daß Ferdinand eine konstitutionelle Verfassung gab, die er übrigens bald wieder aufhob, und Palermo 14. Jan. bombardieren ließ. Sizilien sagte sich 13. April von den Bourbonen los und erwählte 11. Juli den Herzog von Genua, [* 17] einen Sohn Karl Alberts von Sardinien, zum König. Indes die Neapolitaner behaupteten sich im Besitz der östlichen Hälfte der Insel, und als die Verhandlungen, welche während einer von Frankreich und England vermittelten Waffenruhe geführt wurden, kein Ergebnis hatten, begannen sie den Kampf im April 1849 von neuem und eroberten 14. Mai Palermo, womit Sizilien unterworfen war. Auch in Neapel hatte sich die Bürgerschaft gegen die Tyrannei des Königs erhoben, war aber durch die Schweizergarden und den entfesselten Pöbel bezwungen worden.
Die Reaktion, welche in Neapel und Sizilien auf die Erhebung folgte, war schlimmer als anderswo; 22,000 Menschen wurden wegen politischer Vergehen bestraft; seine liberalen Minister schickte der König auf die Galeeren. Seine Herrschaft artete in einen reinen Militärdespotismus aus, so daß Frankreich und England, durch Briefe Gladstones auf die Zustände im Königreich aufmerksam gemacht, dem König die Verleihung einer Verfassung anrieten und, als ihre Vorstellungen nichts fruchteten, ihre Gesandten abberiefen (Oktober 1856). Während der Geheimbund der Camorra den Staat unterwühlte, suchten eine revolutionäre und eine muratistische Partei die Herrschaft der Bourbonen zu stürzen. 1856 versuchte ein Baron Bentivegna in Sizilien einen Aufruhr, und 1857 landete der sardinische Dampfer Cagliari mit politischen Flüchtlingen an der Küste Neapels, um das Volk zur Empörung aufzurufen; beide Unternehmungen mißlangen.
Doch wagte der König nicht, in Neapel zu bleiben, sondern bezog das Schloß Caserta, wo er von zahlreichen Truppen bewacht wurde. Nach seinem Tod folgte sein junger, einseitig erzogener und völlig unerfahrener Sohn Franz II., der nicht im stande war, in liberale Bahnen einzulenken, und trotz aller Bemühungen des russischen und des französischen Gesandten sich weigerte, sich mit Sardinien zu einer Einigung Italiens [* 18] zu verbinden. Schon ein Jahr nach seinem Regierungsantritt brach vor dem unwiderstehlichen Einheitsdrang der Italiener sein morscher Thron zusammen. Am landete Garibaldi in Marsala auf Sizilien, und schon 6. Juni war Palermo in seiner Gewalt. Zu spät stellte nun Franz II. die Verfassung von 1848 her, ernannte ein liberales Ministerium und erklärte sich zu einer Amnestie und zu einer Allianz mit Sardinien bereit. Im August betrat schon Garibaldi in Kalabrien den Boden des Festlandes, 6. Sept. verließ der König Neapel, um sich mit dem treugebliebenen Teil des Heers, 40,000 Mann, hinter den Volturno zurückzuziehen, und 7. Sept. hielt Garibaldi seinen Einzug in die Hauptstadt; am begann die Abstimmung des Volkes, das mit überwältigender Mehrheit (1,732,000 Ja gegen 11,000 Nein) sich für den Anschluß an Sardinien und die Vereinigung mit dem Königreich Italien [* 19] entschied.
Die Eroberung des Königreichs vollendeten die sardinischen Truppen, welche nach der Einnahme von Capua (2. Nov.) die Neapolitaner zum Rückzug nach Gaeta zwangen, das nach tapferer Verteidigung durch die junge Königin Maria, eine bayrische Prinzessin, kapitulierte. Die Citadelle von Messina [* 20] ergab sich 10. März, Civitella del Tronto 20. März; seitdem bildete das Königreich beider Sizilien einen Bestandteil des Königreichs Italien. Die entthronte Königsfamilie, welche keinen ernstlichen Versuch zu ihrer Wiederherstellung machte, und von der einzelne Mitglieder sich sogar mit Italien versöhnten, zog sich nach Rom zurück. Der jetzige Kronprinz von Italien ist 1869 in Neapel geboren und erhielt daher den Titel eines Prinzen von Neapel. ¶