mehr
Sie teilen das Gemeindeland wie die andern Bauern; statt Kopfgeldes leisten sie Kriegsdienste; in dem Tauschhandel mit Eingebornen erzielen sie hohen Gewinn. Der niedere Beamte ist Sibirier; die höhern Stellen sind in den Händen von Russen, die sich später wieder in ihre Heimat zurückziehen. Die Tagelöhner stellen die Eingebornen, das eigentliche Nomadentum wird mehr und mehr eingeengt und vom Kulturboden verdrängt. Häuser findet man nur in den Industrieorten, überall sonst dienen ärmliche Hütten [* 2] als Wohnungen. Der Religion nach zählte man 3 Mill. Christen (2,9 Mill. Griechisch-Orthodoxe; die Bekehrung unter den Nomaden ist eine rein oberflächliche, auch haben die Missionen wenig Erfolg hinsichtlich der Zahl der Bekehrten aufzuweisen), ferner 61,083 Mohammedaner, 283,621 Buddhisten und Schamanen (die letztern in beständigem Abnehmen).
[Verwaltung.]
Für Zwecke der Verwaltung zerfällt S. in vier Gouvernements und vier Gebiete.
QKilometer | QMeilen | Bevölkerung 1885 | |
---|---|---|---|
Küstengebiet | 1896544 | 34443 | 101750 |
Amurgebiet | 449500 | 8163 | 62640 |
Gebiet Transbaikalien | 603228 | 10955 | 530896 |
= Generalgouv. Amur: | 2949272 | 53561 | 695286 |
Gouvernement Irkutsk | 784691 | 14251 | 408028 |
Gebiet Jakutsk | 3929194 | 71358 | 253834 |
Gouvernement Jenisseisk | 2571429 | 46700 | 447076 |
= Generalgouv. Irkutsk: | 7285314 | 132309 | 1108938 |
Gouvernement Tomsk | 847887 | 15398 | 1196064 |
" Tobolsk | 1374297 | 24958 | 1313392 |
= Westsibirien | 2222184 | 40356 | 2509456 |
Zusammen: | 12456770 | 226226 | 4313680 |
Die Insel Sachalin hat eine gesonderte Verwaltung. Westsibirien war früher ein Generalgouvernement, seit 1882 unterstehen die Gouvernements Tomsk und Tobolsk dem Ministerium des Innern direkt. In den Gebieten sind die Befugnisse der Verwaltungsbeamten größer als in den Gouvernements. Die 1864 für das europäische Rußland durchgeführte Justizreform ist bis jetzt nur für Westsibirien in Aussicht genommen; inzwischen ward aber durch Einsetzung von Untersuchungsrichtern und Erhöhung der Beamtengehalte den schreiendsten Mißbräuchen gesteuert.
Die russische Städteordnung von 1870 ist in Tobolsk, Tomsk, Krassnojarsk und Irkutsk eingeführt. Die Einrichtungen für Schulwesen sind ungenügend, die Maßregeln der Regierung für Volksunterricht wurden nie ernstlich durchgeführt. Im ganzen gibt es (1885) 1251 Lehranstalten mit 41,237 Schülern, die kaum 2 Proz. der schulpflichtigen Kinder ausmachen sollen. Für Knaben gibt es 5 Gymnasien (Tomsk, Tobolsk, Omsk, Irkutsk u. Tjumen), 4 Progymnasien (Jenisseisk, Jakutsk, Blagoweschtschensk, Wladiwostok), 3 Realschulen und 9 Kirchenschulen, die zusammen von 3026 Schülern besucht werden.
Für Mädchen gibt es 29 mittlere Lehranstalten mit 3589 Schülerinnen. Elementarschulen zählte man 1179 für beide Geschlechter mit 33,213 Lernenden, Fachschulen 22 mit 1409 Lernenden. In Tomsk ist 1887 eine Universität eröffnet worden. Von Zeitungen bestehen in den größern Städten offizielle Publikationen und 5 Privatzeitungen, öffentliche Bibliotheken, die aber kaum benutzt werden, an mehreren Orten. Auch bestehen seit einer Reihe von Jahren mehrere gelehrte Gesellschaften.
Die kaiserliche Post erreicht alle Garnisonen, die entlegensten aber nur einmal im Jahr; im N. wird sie durch Hunde [* 3] und Renntiere befördert. Eine Eisenbahn wurde 1885 von Jekaterinenburg nach Tjumen (342 km) vollendet. Mit der Ausarbeitung von Projekten für den Bau weiterer Bahnen ist man seit Jahren beschäftigt. Im Juli 1887 hat die Regierung Voruntersuchungen zu einer Eisenbahn von Tomsk nach Irkutsk (1200 km) und einer Bahn von Wladiwostok bis zum See Harki (400 km) ausführen lassen.
Auch das Projekt zum Bau einer Ob-Eisenbahn (von Obdorsk an der Obmündung nordwestlich zum Waigatschmeer, 400 km) liegt der Regierung zur Bestätigung vor. Ein Projekt des Generals Skobelew endlich geht dahin, eine Eisenbahn herzustellen, welche Nordasien von W. nach O. durchschneidet und Orenburg über Tomsk, Irkutsk, Werchne-Udinsk, Kiachta und Urga mit Peking [* 4] verbindet (im ganzen 5900 km). Da es bei diesem Plan wesentlich darauf ankommt, ob China [* 5] geneigt ist, die Bahn durch die Mongolei fortzuführen, hat Skobelew noch ein andres Projekt, nämlich das einer Bahn von Orenburg nach Strjetensk an der Schilka, deren Länge 4878 km betragen würde, aufgestellt. Der Telegraph [* 6] durchzieht seit 1871 S. seiner ganzen Länge nach und ist durch eine Landleitung bis Peking verlängert, durch ein Kabel auch mit Japan verbunden. Der Transitverkehr zwischen China und Europa [* 7] hat seit Eröffnung Chinas für die Seeschiffe aller Nationen und Beseitigung des Handelsmonopols für Kiachta an Bedeutung verloren.
Für Sicherheit nach außen sorgen eine Postenkette von
Kosaken längs der
Grenze und kleine
Garnisonen an den
Hauptorten im Innern. Die Kosakentruppen bestehen im
Frieden aus 30
Sotnien zu
Pferde,
[* 8] 12
Sotnien zu
Fuß und 2
Batterien mit 8
Geschützen
und 7279
Kombattanten. Die
Citadellen haben vielfach alte, unbrauchbare
Kanonen. In Westsibirien bilden Linienregimenter, in
Ostsibirien Lokaltruppen, zu Linienbataillonen formiert, die
Besatzung. Die allgemeine
Wehrpflicht gilt
seit 1874 für den größern Teil der
Gouvernements
Tomsk,
Tobolsk und
Jenisseisk; die aus
Rekruten dieser
Gouvernements formierten
Regimenter bilden einen Teil der
Reichsarmee. Die Lokaltruppen dienen nach Art ihrer Obliegenheiten dem Zivilressort und verrichten
den
Sicherheitsdienst. Für Heranbildung von
Offizieren sorgt ein Kadettenhaus in
Omsk.
Wladiwostok, das aber ungenügend
befestigt ist, bildet die
Station für die sibirische
Flotte, welche aus 8 Kriegsdampfern mit 42
Geschützen, 13 nichtarmierten
Dampfern und 6 Torpedofahrzeugen besteht.
[Geschichte.]
In alter Zeit war S. die Zufluchtsstätte der aus Innerasien verdrängten
Völker. Der Pelzhandel wurde die
Ursache, daß die Kaufleute aus der russischen
Familie
Stroganow, die zu beiden Seiten des Uralgebirges
ein weites Gebiet zu
Lehen hatten, es unternahmen, die 1555 vom sibirischen
Nachbarfürsten Jediger abgegebene
Erklärung seiner
Ergebenheit an den
Zaren
Johann IV. zur
Wahrheit zu machen, um sich vor den
Mißhandlungen zu schützen, denen sie sich ausgesetzt
sahen. In
Verbindung mit dem Kosakenführer
Jermak besiegten sie Kutschum, Jedigers Nachfolger; 1579 zog
Jermak mit einem kleinen Häufchen Uralischer
Kosaken über den
Ural, aber zu schwach, sich zu behaupten, bot er
Iwan dem Schrecklichen
seine
Eroberung, die dieser annahm. So kam S. unter die Herrscher Rußlands, welche von 1563 ab sich
Zaren von S. nannten. 1590 wurde
Tobolsk zur Hauptstadt der neuen, damals an 6000 QM. großen
Provinz bestimmt; 1600 drangen die russischen
Kosaken in das jetzige
Ostsibirien vor und gründeten die
Städte
Turinsk (1600),
Tomsk (1609), Kusnetsk und
Jenisseisk (1617-18). 1620
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mehr
waren die Russen bis zum Wiluifluß gekommen, und 1626 wurde Krassnojarsk gegründet. 1627 erschienen sie an der Angara, 1628 an der Lena; 1632 ward Jakutsk angelegt; 1633 gelangten sie nach Kamtschatka. Langsamer drangen die Russen im dichter bevölkerten und gebirgigern Süden vor: 1646 war der Baikalsee erreicht, 1652 wurde Irkutsk gegründet und 1656 Nertschinsk;
1699 endlich wurde Kamtschatka vollständig erobert.
Von 1708 datiert die Errichtung eines sibirischen
Gouvernements mit Tobolsk als Hauptstadt; 1719 wurde
die Provinz Irkutsk gebildet, 1806 der Posten eines sibirischen
Generalgouverneurs gegründet, 1822 ganz S. in Ost- und Westsibirien
geteilt. Die Besetzung der wichtigen Amurprovinz und die Erweiterung der Küstenprovinz um die russische
Mandschurei wurde 1852 begonnen, staatsrechtlich von China im Vertrag von Aigun und im Traktat vom anerkannt.
An der Insel Sachalin wurde im Vertrag mit Japan vom 7. Mai der Alleinbesitz erworben gegen Abtretung der Kurilen. Um die Erforschung Sibiriens haben sich namentlich verdient gemacht von Russen: Fuß mit Feodorow und Lessing, Wrangell, Ledebur, Bunge, Turtschaninow, Politow, Gebler, Helmersen, Kartlin, Bulitschew, Middendorff, Semenow, Schrenk, Radde, Sibirjakow u. a.; von Deutschen: Erman und A. v. Humboldt mit Ehrenberg und Rose, außerdem der Norweger Hansteen und der Engländer Rose. Die ethnographischen Verhältnisse erforschten eingehend Castrén, Böthlingk und Schiefner. Wertvolles Material lieferten in neuester Zeit die Lena-Olenek-Expedition unter Tschekanowski (1875), die Expedition nach Westsibirien von Brehm, Finsch und Graf Waldburg-Ziel ^[richtig: Waldburg-Zeil] 1876) und die Umschiffung der Nordküste durch Nordenskjöld (1878-79). Die 1851 zu Irkutsk und 1877 zu Omsk gegründeten Abteilungen der kaiserlich Russischen Geographischen Gesellschaft zu Petersburg [* 10] bilden treffliche Stützpunkte für die fernere Forschung.
Weiteres über die neuere Entdeckungsgeschichte Sibiriens s. Asien, [* 11] S. 931.
Vgl. Radde, Reisen im Süden von Ostsibirien (Petersb. 1862);
Wenjukow, Die russisch-asiatischen Grenzlande (deutsch, Leipz. 1874);
Lankenau und v. d. Ölsnitz, Das heutige Rußland, Bd. 2 (das. 1876);
Kohn, S., Geschichte und Reisen (2. Aufl., das. 1876);
Finsch, Reise durch Westsibirien (Berl. 1876);
Lansdell, Durch S. (deutsch, Jena [* 12] 1882, 2 Bde.);
Joest, Aus Japan nach Deutschland [* 13] durch S. (Köln [* 14] 1883);
Nordenskjöld, Die Umseglung Asiens und Europas (Leipz. 1882);
Radloff, Aus S. (das. 1884, 2 Bde.);