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Siam, großes Reich auf der Halbinsel Hinterindien, zwischen 4-22° nördl. Br. und 97½-106° östl. L. v. Gr., begreift außer dem eigentlichen S. einen Teil der Laoländer und auf der Halbinsel Malakka einige Schutzstaaten (s. Karte "Hinterindien«), grenzt im N. an China, im W. an Birma und britische Besitzungen, im O. an Anam und französische Besitzungen, im Süden ans Meer und hat einen Flächenraum von 726,850 qkm (13,200 QM.) mit 5,750,000 Einw., welche nach Garnier und Bastian sich verteilen wie folgt: | ||
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QKilom. | Bewohner | |
Eigentliches Siam und Laoland | 539600 | 4650000 |
Siemrab und Battambong | 60600 | 500000 |
Tributäre Malaienstaaten | 126650 | 600000 |
Die bedeutendsten der letztern sind: Tringanu, Kalantan, Patani und Quedah;
die tributären Laostaaten sind Xiengmai, Laphun, Lakhon, Phoe, Nan, Luang-Prabang und Muang-Lom.
Das Land wird von den Flüssen Menam, Mekhong, im westlichsten Teil vom Salwen durchzogen, zwischen welchen Parallelketten sich hinziehen; am Meer eine aus abgelagertem Flußschlamm bestehende Niederung, wird es nach N. äußerst gebirgig. Dort findet man Kupfer, [* 2] Zinn, Antimon, Magneteisen, in den Flüssen Waschgold, Edelsteine [* 3] an mehreren Orten. Aus dem Seewasser gewinnt man durch Verdunstung Salz [* 4] zum Verbrauch und zur Ausfuhr. Das Klima [* 5] ist tropisch, doch sind die Fieber weniger gefährlich als in Bengalen und Java.
Während des trocknen Nordostmonsuns (Dezember bis März) sinkt das Thermometer [* 6] bis auf 12° C. und steigt während des nassen Südwestmonsuns (Mai bis Oktober) auf 35° C. Die Pflanzenwelt ist von demselben Reichtum wie in Indochina überhaupt; ausgedehnte Teakwaldungen liefern vortreffliches Schiffbauholz, Reis gedeiht in dem großen Überschwemmungsgebiet des Menam in vorzüglicher Güte. Von wilden Tieren gibt es Königstiger, Nashörner, Bären, Affen, [* 7] Hirsche, [* 8] Krokodile, [* 9] Schlangen, [* 10] die dem Häuserbau so verderblichen Termiten [* 11] u. a. Allen Tieren voran steht aber der Elefant, [* 12] sehr zahlreich im Laoland und im Becken des Menam; eine weißliche Spielart ist Gegenstand der Verehrung.
Als eifrige Buddhisten töten die Siamesen kein Tier. Das Meer, Flüsse [* 13] und Seen (der Tonle Sap reicht im Süden von Birma herein) wimmeln von Fischen. Die Bevölkerung [* 14] besteht aus 2 Mill. Siamesen, 1½ Mill. Chinesen, 1 Mill. Lao, ½ Mill. Malaien, 300,000 Kambodschanern, wozu noch Bergvölker (Karen, Schan etc.) und eine große Anzahl Eingewanderter kommen. Die Siamesen bilden mit andern hinterindischen Völkern die Nation der Thai, die aus Innerasien, etwa aus der Ecke, wo der Brahmaputra seine Biegung nach W. macht, nach S. wanderte, somit einen Stamm der großen mongolischen Völkerrasse bildet; ihre nächsten Verwandten sind die Lao (s. Tafel »Asiatische Völker«, [* 15] Fig. 16). Die fortgesetzte Beimischung indischen, malaiischen und chinesischen Bluts prägt sich auch dem Äußern auf.
Die Siamesen sind von hellbrauner Hautfarbe, klein, kurz im Knochenbau, mit starkem Kopf, muskelarm infolge des ausschließlichen Genusses von Reis, Obst und Fischen, träge infolge des heißen Klimas, ungebildet und stumpfsinnig durch jahrhundertelange Knechtung unter einer despotischen Regierung. Die Arbeiterbevölkerung wird vornehmlich durch Chinesen, nächstdem durch Malaien gestellt. Die Sprache [* 16] der Siamesen ist wie die chinesische und birmanische eine einsilbige Wurzelsprache, die grammatische Beziehungen in der Regel nur durch die Wortstellung oder durch beigefügte Hilfswurzeln allgemeiner Bedeutung ausdrückt.
Während aber die Birmanen meistens die sinnbegrenzenden Wurzeln der Hauptwurzel voranschicken, lassen die Siamesen sie als Suffixe nachfolgen. Ein weiteres Mittel der Bedeutungsvariation besitzen sie in sehr mannigfach abgestuften gesangartigen Accenten. Grammatiken lieferten Pallegoix (Bangkok [* 17] 1850) und Ewald (Leipz. 1881), ein Wörterbuch Pallegoix (Par. 1854).
Vgl. Steinthal, Charakteristik der hauptsächlichsten Typen des Sprachbaues (Berl. 1860);
Bastian, Über die siamesischen Laut- und Tonaccente (Monatsbericht der Berliner [* 18] Akademie 1867).
Die Schrift der Siamesen ist dem altindischen Alphabet nachgebildet und der birmanischen ähnlich, aber einfacher als letztere. Die Kleidung der Siamesen besteht aus Baumwollgewändern; die Füße bleiben nackt, außer bei Wohlhabenden, welche Sandalen [* 19] tragen. Vornehme tragen einen Sonnenschirm, die übrigen einen breiten Hut [* 20] aus Palmblättern. Die Reichen der Hauptstadt nehmen allmählich europäische Kleidung und Sitten an. Die Häuser stehen im Überschwemmungsgebiet durchgehends auf Pfählen und sind aus Holz, [* 21] Bambus etc. leicht gezimmert.
Vielweiberei ist unter den Wohlhabenden allgemein. In den gesellschaftlichen Verhältnissen herrscht größte Ungleichheit. Ein Dritteil des Volkes fristet sein Leben in drückendster Leibeigenschaft; unter den Freien genießen Adlige und hohe Würdenträger fast königliche Ehre u. Unbeschränktheit; ein arbeitscheues Heer von Beamten saugt das Volk aus und belegt die übrigen Freien mit unerschwinglichen Steuern und Staatsfronen. Die Religion ist der Buddhismus, der aus Vorderindien eingeführt wurde; nirgends hat er sich von fremden Elementen freier erhalten, nirgends beeinflußt er den Hof [* 22] und die höhern Stände, die sämtlich einige Zeit im Kloster zubrachten, sowie das Volk in so hohem Grad wie in S. Die zahlreichen Priester erteilen einen dürftigen Elementarunterricht.
Das Reich hatte früher zwei Könige, von welchen der zweite jedoch ohne jegliche Macht war. Nachdem dieser 1885 gestorben, herrscht nur ein König. Derselbe übt die gesetzgebende Gewalt seit in Gemeinschaft mit dem Großen Staatsrat und dem Ministerrat aus. Der Staatsrat besteht aus dem König, den 7 Ministern, 10-20 vom König ernannten Räten und 6 Prinzen des königlichen Hauses. Das Königtum ist in beschränkter Weise erblich, indem fast stets der älteste Sohn des Königs zum Nachfolger gewählt wird, die Wahl aber durch den Ministerrat in Gemeinschaft mit den alten Prinzen der vier höchsten Rangklassen notwendig ist.
Das Reich wird in 41 Provinzen geteilt, die tributpflichtigen Staaten (s. oben) werden aber von ihren eignen Fürsten regiert. Die Einkünfte des Königs (höchstens 23 Mill. Mk., da der größte Teil unterschlagen wird fließen aus Naturalabgaben, Kopfsteuer (der Chinesen etc.), Monopolen (Opium, Spielhäuser) und Zöllen. Der König verfügt über ein Heer von 12,000 von europäischen Offizieren eingeübten Soldaten. Außerdem besteht ein Gardekorps von 400 Mann zu Fuß und 300 Reitern.
Doch sind alle männlichen Einwohner vom 21. Jahr an zum Kriegsdienst verpflichtet. Die Flotte besteht aus 2 Schraubendampfern mit 18 Kanonen und 6 Kanonenbooten mit 23 Kanonen. Der König von S. verleiht sechs verschiedene Orden [* 23] (s. Textbeilage zur Tafel »Orden«). Der Handel befindet sich fast ausschließlich in den Händen von Chinesen; derselbe konzentriert sich in Bangkok und richtet sich fast ausschließlich nach Hongkong und Singapur. [* 24] Die Einfuhr (1886: 5,5 Mill. Dollar) besteht in Webwaren, Spirituosen, Schmuck- und Edelsteinen, ¶
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Pariser Galanterieartikeln etc.; die Ausfuhr (10 Mill. Doll.) vornehmlich in Reis, dann in Zucker, [* 26] Pfeffer, Sesam, Sappanholz, Häuten, Kardamom. Im Hafen von Bangkok verkehrten 322 Schiffe [* 27] (216 britische, 31 deutsche) von 205,046 Ton. Die Handelsflotte besteht aus 39 Segelschiffen europäischer Bauart von 15,000 Ton., 3 Dampfern von 996 T. und einer großen Zahl von Fahrzeugen einheimischer Bauart. Auf dem Menam hat eine englische Gesellschaft eine Dampferlinie eingerichtet; eine andre englische Gesellschaft hat die Konzession zum Bau einer Eisenbahn von Bangkok nach Zimme erworben, eine zweite Linie von Chantaburi (an der Ostküste) nach Battanbong ist vermessen.
Telegraphenlinien gehen von Bangkok nach Saigon, nach Tavoy (Britisch-Birma), nach Maulmain, ferner von Bangkok nach Zimme, nach Chantaburi und nach Paknam. Im Bau sind Linien nach Yluan Phra Bang und nach der Malaiischen Halbinsel. Sämtliche Hauptplätze haben regelmäßige Postverbindung miteinander und mit Bangkok, das mit Singapur durch Dampfer in Verbindung steht. Von Münzen [* 28] sind Goldstücke (sehr selten), Silbermünzen (Bat oder Tikal), als Kleingeld Zinkmünzen und Kaurimuscheln im Umlauf. Die Europäer rechnen nach mexikanischen Piastern. Über die Flagge Siams s. Tafel »Flaggen [* 29] I«. [* 30] Haupt- und Residenzstadt ist Bangkok (s. d.).
[Geschichte.]
Die Jahrbücher des Reichs datieren von 638 n. Chr., d. h. von der Einführung des Buddhismus als Staatsreligion und dem Beginn der Ära, nach welcher in S. die Zeiten bestimmt werden. Die Residenz lag damals am obern Menam im Laoland, ward aber von den aus Nordwesten nachdrängenden Birmanen immer weiter nach Süden, 1350 nach Ajuthia (jetzt Krungkau, 100 km von der Mündung des Menam entfernt) verlegt;
mit China [* 31] wurde ein freundschaftliches, tributpflichtiges Verhältnis unterhalten, dagegen war S. vom 14. bis 17. Jahrh. in stetem Krieg mit Birma (Pegu), zeitweise mit Malakka begriffen. Im Innern folgte Revolution auf Revolution;
nirgends wohl war die Thronfolge so ungeregelt wie hier;
von 1567 bis 1596 kam infolgedessen S. in die Gewalt von Birma. 1627 schwang sich ein Europäer, der Grieche Konstantin Phaulkon aus Kephalonia, zum Leiter des Reichs wie zum ersten Minister empor und schuf als solcher viele gute Einrichtungen.
Unter ihm empfing König Ludwig XIV. von S. 1684 eine Gesandtschaft; Frankreich erwiderte sie 1685-88 unter Entsendung einer Flotte mit 500 Mann Landungstruppen, denen der Hafen Bangkok übergeben wurde; die Truppen mußten jedoch abziehen, Phaulkon und sein Anhang wurden 1689 ermordet, weil die Bevölkerung seinen Plan durchschaut hatte, sich an Stelle des einheimischen Königes als Herrscher aufzuwerfen und das Land den Fremden zu überantworten. 1766 wurde S. vom König von Ava verwüstet, 1769 aber dessen Heer von dem Chinesen Phyatak vertrieben, der, ursprünglich Kaufmann, dann Gouverneur der Nordprovinz und wegen seines Wohlwollens beliebt, sich selbst auf den Thron [* 32] setzte, Bangkok zur Residenz erhob, als König grausam ward und durch seinen General Chakri ermordet wurde.
Dieser nahm nun selbst den Thron ein und ward Begründer der noch heute regierenden Dynastie. Eine Schreckensregierung führte Phendingkang 1809-24; Palastrevolutionen kennzeichnen die Regierung seines Nachfolgers. Am trat sodann Maha Mongkut die Regierung an und führte sie mit Kraft; [* 33] er belebte den Verkehr und suchte den Bedrückungen des Volkes zu steuern. Mit den Fremden kamen endlich Handelsverträge zu stande: mit England 1855, mit Frankreich 1858, mit Deutschland [* 34] mit Österreich [* 35] 1868. Am bestieg Somdetsch Tschaufa Chulalonkorn, 17 Jahre alt, den Thron;
er erhielt seine Erziehung von einer Engländerin, besuchte 1871 Kalkutta, [* 36] zeichnet sich durch fleißige Anteilnahme an den Regierungsgeschäften aus, steht in ständigem Verkehr mit den fremden Konsuln an seinem Hof und ist mit Erfolg bemüht, sein Land auf eine höhere Stufe der Kultur zu heben.
Das Deutsche Reich [* 37] unterhält in Bangkok einen Generalkonsul zum Schutz der dort angesiedelten und im lebhaften Frachtverkehr zusprechenden Deutschen.
Vgl. Bowring, Mission to the kingdom of S. in 1885 (Lond. 1857, 2 Bde.);
Bastian, Die Völker des östlichen Asien, [* 38] Bd. 3 (Leipz. 1867);
»Die preußische Expedition nach Ostasien« (Berl. 1864-73, 4 Bde.);
Scherzer, Fachmännische Berichte über die österreichisch-ungarische Expedition nach S. (Stuttg. 1872);
Gréhan, Le [* 39] royaume de S. (4. Aufl., Par. 1879);
Bock, [* 40] Im Reich des weißen Elefanten (deutsch, Leipz. 1885);
Rosny, Ethnographie [* 41] du S. (Par. 1885).