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Shakespeares eröffnet, den ersten Teil von »Heinrich VI.«, besteht Meinungsverschiedenheit. Der überwiegende Teil der kompetenten Stimmen bestreitet dieselbe. In der That weist das Stück eine so große Menge chronologischer und historischer Fehler auf wie keins der übrigen geschichtlichen Dramen des Dichters, wie auch anderseits die Sprache [* 2] des Stückes von allen, die unter Shakespeares Namen überliefert sind, am wenigsten shakespearisch zu nennen ist.
In die jugendlichste Epoche Shakespearescher Dichtung gehört ferner die »Komödie der Irrungen«, die um 1590 entstanden ist und zur Grundlage eine englische Übersetzung der »Menächmen« des Plautus hat. In Sprache und Bau verrät sich das Stück als eine der frühsten Gaben der Shakespeareschen Muse. Hier, wie im »Titus«, souveränes Ignorieren der Wahrscheinlichkeitsgesetze; gegen die spätern Lustspiele gehalten, wird die feinere Kunst der Charakteristik, die sittliche Vertiefung der Komik vermißt; der Spaß macht sich mehr geltend als der Witz. Und dennoch läßt sich schon in diesem Jugendspiel, besonders wenn man seine verschlungenen Fäden mit denen der Plautinischen Komödie zusammenhält, der Reichtum des künftig über alle Gebiete des Lebens in Ernst und Scherz herrschenden Dichtergeistes ahnen.
Auch dem »Sommernachtstraum« weist der concetti- und antithesenreiche Stil, die häufige Allitteration, der Mangel scharfer Charakteristik und deutlicher Motivierung gleichfalls unter den frühern Arbeiten des Dichters seinen Platz an. Vermutlich wurde diese liebliche Dichtung, in der eine unendliche Zartheit der Naturanschauung, verwoben mit urwüchsiger Komik, so bezaubernd wirkt, zu einer festlichen Gelegenheit (nach Tieck zur Hochzeit des Grafen Southampton) verfaßt. Zu dem nicht viel später geschriebenen Stück »Die beiden Veroneser« entnahm der Dichter die Fabel einer Episode des berühmten Schäferromans »Diana« von Montemayor. In Hinsicht auf die Nichtbeachtung der dramatischen Wahrscheinlichkeit steht das Lustspiel den »Irrungen« nahe, übertrifft aber diese an psychologischer Feinheit und an volkstümlicher Komik.
Fast gleichzeitig mit den »Veronesern« (um 1591) mag das Lustspiel »Verlorne Liebesmüh'« entstanden sein. Es teilt mit den frühsten Dramen Shakespeares den namentlich durch mythologische Beziehungen gegebenen gelehrten Anstrich, die ältere englische Versbildung und den häufigen Gebrauch des Reims; [* 3] in der formellen Behandlung steht es im ganzen sogar den vorgenannten Stücken nach. Dennoch zeigt es den Dichter fortgeschritten, insofern es entschiedener als die frühern Dichtungen eine beherrschende Idee, fein verwoben in die Handlung, durchschimmern läßt und die sittliche Gerechtigkeit, die in der echten Komödie so wenig wie in der echten Tragödie fehlen kann, in der Bestrafung eitler Ruhmsucht an ihren mannigfaltigen Vertretern in dem Stück zur entschiedenen Geltung bringt.
Einen äußerlichen und innerlichen Gegensatz zu »Verlorne Liebesmüh'« stellt »Ende gut, Alles gut« dar. Aus dem gezierten italienischen Stil jenes Lustspiels tritt man hier in den naturwüchsig englischen der spätern Stücke Shakespeares, aus dem spielenden, in handlungsarmer Redseligkeit sich ergehenden Ton in den schlichter Natürlichkeit und energischer Thatenfreude. Den wunderlichen, in der dargestellten Handlung unser Gefühl bis zum Verletzen befremdenden Stoff entnahm S. der von Boccaccio erzählten Geschichte »Giletta von Narbonne«; die psychologischen Schwierigkeiten, welche die vorgeführten Begebenheiten in sich schließen, sind größtenteils mit Meisterschaft überwunden. Das Stück ist zugleich eine der schönsten Huldigungen, welche S. dem weiblichen Geschlecht gespendet hat. Wie uns die Dichtung jetzt vorliegt, ist sie offenbar die Überarbeitung einer in die erste Epoche von Shakespeares Schaffen gehörigen. Zwei Stilarten sind, wie Coleridge dargethan, darin deutlich nebeneinander wahrzunehmen; der größte Teil des Lustspiels kann seine gegenwärtige Fassung erst etwa 1601-1602 erhalten haben.
Zwischen 1591 und 1593 ist vermutlich auch die Entstehung von »Romeo und Julie« zu setzen. Dies »glühendste, süßeste und leidenschaftlichste« der Werke Shakespeares ist dem Stoff nach einer poetischen Erzählung des Engländers Arthur Brooke entlehnt, welche zuerst 1562 erschien und ihrerseits wieder nur die Bearbeitung einer Novelle von Bandello ist. Shakespeares Dichtung, die von jeher für eine Art Typus aller Liebespoesie gegolten hat, trägt bei allem Reichtum an unübertrefflichen Schönheiten die Züge einer jugendlichen Arbeit. Ihre Diktion erinnert an den Sonettenstil des Dichters, ihr Pathos steigert sich an vielen Stellen zum Schwülstigen; als ein Werk des jungen S. aber offenbart sie sich auch durch eine Fülle lyrischer Elemente, die in einzelnen Situationen geradezu die Form stehender Arten damaliger Lyrik annehmen.
Nun wandte sich S. zur Bearbeitung historischer, zunächst der englischen Geschichte angehörender, Stoffe. Spätestens 1594 entstand »Richard II.«, der ein Grundgesetz des politischen Lebens (freilich nur in der Lehrweise, wie sie echte Dichter üben) vorträgt, eine Lehre [* 4] über »das Königtum von Gottes Gnaden und das Recht der Unverletzlichkeit«. S. folgt in diesem Stück noch treuer als in irgend einer andern der Historien seiner für die meisten derselben fast ausschließlich benutzten Quelle, [* 5] der Chronik von Holinshed; doch scheint ihm daneben auch wieder eine ältere dramatische Dichtung Anhalt [* 6] geboten zu haben.
Auch von »Richard III.« (1596) lagen zwar ältere Bearbeitungen vor, doch scheint Shakespeares selbständige Urheberschaft hier unzweifelhaft. Das wunderbare Stück, welches in Hinsicht auf tragische Kühnheit zu den gewaltigsten des Dichters zu zählen ist, zeigt in dem Helden, welcher als »Gottesgeißel eines durch eigne Schuld dem Verderben geweihten Geschlechts« erscheint, mit erschütternder Wahrheit das Weltgericht in der Weltgeschichte und bringt in der tragischen Selbstvernichtung des Hauses York ein Grundgesetz allgemeiner Sittlichkeit zur Darstellung.
Die beiden letzten Teile von »Heinrich VI.« sind unmittelbar darauf gedichtet worden. Springt auch hier die Anlehnung an vorhandene fremde Dichtungen in die Augen, so ergibt doch gerade der Vergleich der Schöpfung Shakespeares mit der erhaltenen Grundlage die wunderbare Macht und Zauberkraft seines Genies besonders deutlich. Dasselbe gilt von dem zunächst entstandenen Stücke »König Johann«, das durch die Sorgfalt der Ausführung in Sprache und Charakterzeichnung trotz des herben Geistes, der das Ganze beherrscht (wir erinnern nur an die schauerlich ergreifende Szene von der Blendung Arthurs),
sich den besten selbständigen Werken des Dichters zugesellt.
Einen Übergang zu den Werken einer zweiten, reifern Epoche Shakespeares macht der gleichfalls von Meres 1598 im »Schatzkästlein des Witzes« erwähnte »Kaufmann von Venedig«. [* 7] Mit dem »Sommernachtstraum« hat dieses Stück den Zauber des Märchenhaften gemein; beide Dichtungen mögen auch hinsichtlich ihrer Abfassung einander nahestehen und etwa um 1594 geschrieben sein. Der Handlung im »Kaufmann von Venedig« liegen zwei Erzählungen ¶
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zu Grunde, die sich getrennt in der bekannten mittelalterlichen Märchensammlung der »Gesta Romanorum« finden, zu deren bizarrem Inhalt S. noch eine Entführungsgeschichte aus Masuccio di Salerno gefügt hat. Wie in keiner andern Dichtung Shakespeares, sind in dieser die scheinbar heterogensten und entlegensten thatsächlichen Verhältnisse miteinander kunstvoll verbunden und in wundervoller Architektonik zusammengefügt. Auch in der als Komödie in der Komödie aufgefaßten »Zähmung der Widerspenstigen«, der Ausführung eines ältern englischen Stückes, sind zwei Handlungen verknüpft, deren eine bereits von Ariost dramatisch verwertet war. Wie in andern Lustspielen Shakespeares triumphiert hier einfache, natürliche Sittlichkeit über verschrobene Unnatur.
Es folgen (1596-98) die beiden Teile von »Heinrich IV.« Der Erfolg dieses in der Anlage unendlich einfachen und fast kunstlos erscheinenden, in der Kunst der Charakteristik aber (es sei nur an die unübertroffenen Gestalten des Prinzen Heinrich und seines Freundes Falstaff erinnert) zu den größten Meisterstücken aller dramatischen Dichtung zählenden Werkes war enorm; einzelne Figuren desselben gewannen typische Bedeutung, und eine massenhafte Produktion im Gebiet der historischen Dramatik folgte seinem Erscheinen auf der Londoner Bühne.
Dagegen ist der etwa 1599 verfaßte »Heinrich V.« in Bezug auf die poetische Kraft [* 9] der Szenen sehr ungleich, in Hinsicht auf den organischen Zusammenhang derselben sogar schwächer als beinahe alle übrigen Shakespeareschen Historien. Immerhin großartig aber wirkt in diesem Stück der Patriotismus Shakespeares, der sich hier als echten Engländer erweist, keineswegs als einen Dichter, der »höher steht als auf den Zinnen der Partei«. Die Franzosen als Feinde Englands erfahren hier eine Charakteristik, die zu dem Bittersten gehört, was bis auf den heutigen Tag über sie gesagt worden ist.
Es reihen sich der Entstehung nach an »Heinrich V.« einige der liebenswürdigsten Gaben der komischen Muse Shakespeares, die sämtlich an der Grenzscheide des 16. und 17. Jahrh. entstanden sind, nämlich die Lustspiele: »Wie es euch gefällt«, das in manchem Betracht an den »Sommernachtstraum« erinnert, indem, wie dort, mutwillige Phantastik ohne Rücksicht auf Zeit und Raum das dramatische Zepter führt;
»Viel Lärm um nichts«, eine mit feinster Motivierung scheinbar widersinniger Begebenheiten ausgestattete Komödie, deren Stoff die von Bandello novellistisch bearbeitete Geschichte von Ariodante und Ginevra aus dem Ariost hergegeben hat;
»Was ihr wollt«, das sinnig-heiterste der Lustspiele Shakespeares;
endlich »Die lustigen Weiber von Windsor«, die nach der Tradition auf ausdrücklichen Wunsch der Königin Elisabeth von dem Dichter gegebene Darstellung Falstaffs in Liebesnöten, ein Werk voll komischer Drastik, und realistischer als Shakespeares übrige Komödien.
Gleichfalls um 1600, zwischen oder unmittelbar nach jenen heitern Gebilden, wurde nach einer Erzählung aus den »Hekatommiti« von Giraldi Cintio der »Othello« verfaßt, jenes düstere Nachtstück, dessen Reiz wesentlich in der fast grauenhaften Treue besteht, mit welcher darin die furchtbare Leidenschaft, die »mit Eifer sucht, was Leiden [* 10] schafft«, dargestellt ist, während eine eigentliche tragische Versöhnung und Erhebung nicht erreicht ist.
Der »Hamlet«, Shakespeares tiefsinnigstes Werk, hat die Gestalt, in der wir das Stück heute lesen, um 1601-1602 erhalten. Die Grundzüge der Handlung entnahm der Dichter einer nordischen, zuerst von dem dänischen Chronisten Saxo Grammaticus erzählten Sage, die ihm in einer novellistischen Bearbeitung des Franzosen Belleforest vorlag. In den hier vorgefundenen, von S. mit ungewöhnlicher Freiheit behandelten Stoff hat der Dichter eine Welt von Gedanken hineingetragen, an deren Verständnis sich seit der Wiedererweckung des Shakespearestudiums die tiefsten und schärfsten Geister, besonders in Deutschland, [* 11] abgemüht haben, ohne daß eine alles befriedigend lösende Erklärung dessen, was S. sicherlich mehr in instinktiver Genialität als mit bestimmter Absicht »hineingeheimnißt« hat, bis heute gefunden ist.
Mit seiner nächsten Schöpfung unternahm S. den ersten seiner Versuche, antik-römische Lebensbilder zu dramatischer Gestaltung zu bringen. Für »Julius Cäsar«, der um 1602 gedichtet ist, wie für die übrigen Römerdramen benutzte der Dichter in sehr genauem Anschluß, welcher nur selten durch eigne Erfindungen unterbrochen ist, die Lebensbeschreibungen des Plutarch in der englischen Übersetzung von North. Man hat in den erwähnten Stücken die treue Wiedergabe antiken Lebens mit Bewunderung zu erkennen geglaubt, eine Täuschung der Shakespeareomanen, welche vor unbefangenen Blicken nicht besteht. Höchster Bewunderung würdig bleibt aber in »Julius Cäsar« die Kunst des Dichters, mit der dem an sich fast dürftigen Stoff der Erzählung das intensivste dramatische Leben verliehen ist.
In dem gleichfalls 1603 geschriebenen Lustspiel »Maß für Maß«, dessen scheinbar höchst mißlicher Stoff, wie der des »Othello«, einer Novelle des Giraldi Cintio entlehnt ist, schuf S. eins seiner tiefsinnigsten Gedichte, bei dem wir zwar über gewisse peinliche Elemente der dargestellten Handlung nur mit Mühe hinauskommen, dessen ethischer Grundgedanke aber für die Verletzungen des ästhetischen Gefühls durch die vorgeführte Begebenheit reichlich entschädigt.
Noch großartiger als »Othello« ist der zwischen 1605 und 1606 gedichtete »König Lear«, eins der grandiosesten, wenn auch bisweilen grausigsten Dramen, die je ein Publikum erschüttert haben. Der Wahnwitz im alten Lear ist mit so psychologischer Wahrheit und Gewalt entwickelt, daß Irrenärzte denselben zum speziellen Studium gemacht haben. Wie erschütternd und grauenvoll das Ganze der Handlung aber auch ist, wie abstoßend auch die gefühllosen Töchter Regan und Goneril uns berühren, so fehlt es doch keineswegs darin an versöhnenden und harmonischen Elementen: echt wie Gold [* 12] ist die Treue Kents, und die kindliche Liebe Cordelias umfließt die furchtbare Handlung wie eine süße Musik, in deren Akkorden sich zuletzt alles harmonisch auflöst.
Noch höher an echt tragischer Gewalt steht Shakespeares nächste Schöpfung, der wahrscheinlich 1605 gedichtete »Macbeth«, nach des englischen Shakespeareologen Drake Urteil »das erhabenste und wirksamste Drama, welches die Welt je gesehen«, jedenfalls aber unter des Dichters Werken das bühnenwirksamste und bei der szenischen Darstellung ergreifendste. Charakteristisch für dieses Drama, das man die Tragödie des Ehrgeizes genannt hat, ist auch die fast gänzliche Abwesenheit komischer Bestandteile, während S. es sonst liebt, den Eindruck des Tragischen durch Einflechtung des Komischen zu erhöhen.
Der Zeit nach dürfte auf »Macbeth« das zweite der Römerdramen: »Antonius und Kleopatra« (1606-1607), folgen, ein Stück, das die verschiedenartigsten Beurteilungen erfahren hat. Das Richtige hat wohl A. W. v. Schlegel angedeutet, wenn er sagt, das Stück sei zwiespältigen Charakters. Es sind nämlich diejenigen Szenen des Stückes, welche sich mit den betreffenden politischen Ereignissen ¶