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der Dichter über den eignen mißachteten Schauspielerstand Klage führt. (Vgl. über die Sonette die Schriften von Massey: »Shakespeare's Sonnets«, 2. Aufl. 1872, und »The secret drama of Shakespeare's Sonnets«, 1888; H. Brown, The Sonnets of S. solved etc., 1870, und Isaac in Herrigs »Archiv«, Bd. 61, 1879.) Nach Brown geht die Widmung der Sonette, W. H., nicht auf den Grafen Southampton (Henry Wriothesly), sondern auf den Grafen Pembroke (William Herbert). Abgesehen von diesen wenigen lyrischen Produkten seiner Jugendzeit, hat sich S. lediglich dem Drama gewidmet.
Wie aber der Dramatiker von vornherein über eine poetisch gefeilte Sprache [* 2] und Metrik verfügte, haben wir bereits gesehen. Indes ist auch im Versbau der Shakespeareschen Schauspiele, dem durch Marlowe ins Drama eingeführten fünffüßigen Iambus, dem sogen. Blankvers, eine nicht unwesentliche Entwickelung zu beobachten, die für die Chronologie der Stücke von Bedeutung ist. Der englische Kritiker Malone hat hierüber eingehende Untersuchungen angestellt; dieselben ergeben folgende Resultate: In den jugendlichen Stücken Shakespeares findet sich eine Vorliebe für den Reim, welche je länger, je mehr nachläßt.
Man hat gefunden, daß, während in »Love's labour's lost«, unzweifelhaft einem der frühsten der Dramen, die Zahl der gereimten Zeilen diejenige der ungereimten ungefähr im Verhältnis von zwei zu eins übersteigt, im »Hamlet«, einem Stück der mittlern Periode, einige 30 ungereimte Zeilen auf eine gereimte kommen, während in »Winter's tale«, sicherlich einem der spätesten Stücke, in mehr als 1800 Versen sich nicht ein einziger Reim findet. Es ist ferner bemerkt worden, daß in den ältesten Stücken ein Abschnitt des Sinnes mit dem Ende der Zeile zusammenfällt, so daß meistens am Ende des Verses eine natürliche Pause eintritt. In den spätern Stücken aber ist die Behandlung der Metrik eine freiere. (Vgl. Walker, [* 3] Shakespeare's versification, Lond. 1854.)
Nachdem S. bereits zwischen 1604 und 1606 als Schauspieler von der Bühne zurückgetreten (daß er Miteigentümer des 1595 eröffneten Globetheaters war, wurde indes neuerdings von Halliwell bestritten), um fortan nur noch als Dichter für dieselbe zu wirken, zog er sich (vielleicht erst 1613 oder 1614) in seine Geburtsstadt zurück, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Seine Vermögensverhältnisse hatten sich sehr günstig gestaltet. Bereits 1597 hatte er eins der ansehnlichsten Häuser in Stratford (»New Place«) angekauft; wiederholte neue Erwerbungen von Häusern und Grundstücken dort wie in London [* 4] folgten, und schon 1608 schätzte man sein jährliches Einkommen auf mindestens 300 Pfd. Sterl., was nach Halliwell einem Wert von 1000 Pfd. Sterl. unsrer Zeit entsprechen würde. In diese seine spätere Lebenszeit fallen unter andern die Dramen: »König Lear«, »Antonius und Kleopatra«, »Macbeth« und (wohl als seine letzten Dichtungen) »Der Sturm« sowie »Wintermärchen«. Nicht lange sollte sich der Dichter der behaglichen Zurückgezogenheit in seiner Vaterstadt erfreuen.
Nachdem er im März 1616 sein ausführliches Testament entworfen, ereilte ihn (wahrscheinlich plötzlich, ohne vorausgegangene Krankheit) der Tod nach Vollendung des 52. Lebensjahrs. Am 25. April wurde er in der Kirche zu Stratford an der Nordseite beigesetzt; er selbst soll seine Grabschrift verfaßt haben. Auch wurde einige Jahre später seine steinerne bemalte Büste dort aufgestellt, die noch vorhanden ist. Seine Witwe und seine an den Arzt Dr. Hall [* 5] verheiratet gewesene Tochter Susanna liegen an seiner Seite bestattet. Mit der Tochter der letztern, Elisabeth, erlosch 1670 die Familie des Dichters.
Von angeblichen Bildnissen Shakespeares sind besonders zwei zu nennen: das sogen. Chandosporträt, das ursprünglich dem Schauspieler Burbage (s. d.) gehört haben soll und später in den Besitz des Herzogs von Chandos kam (der verbreitetste Typus), und ein Ölbild von Corn. Jansen, das sich im Besitz des Herzogs von Somerset befindet (vgl. Boaden, Inquiry into the authenticity of various portraits of S., Lond. 1824). Eine Bildsäule des Dichters (von Kent und Scheemakers) steht seit 1741 im »Dichterwinkel« der Westminsterabtei zu London; eine andre (von Ward) wurde ihm neuerdings im Zentralpark zu New York errichtet.
Shakespeares Dramen.
Während der ersten Epoche seines dramatischen Schaffens erscheint S., wie bereits angedeutet, noch fast ganz auf den ästhetischen Bahnen, die seine unmittelbaren Vorgänger und die gleichzeitigen Dichter Englands auf demselben Kunstgebiet innehielten. Die frühsten Stücke, welche unter seinem Namen gehen, sind sogar fast sämtlich nur Bearbeitungen älterer Dramen. Bezüglich einzelner dahin zu rechnender Dichtungen herrscht noch heute Streit darüber, ob überhaupt Shakespeares Hand [* 6] damit zu schaffen gehabt hat, zumeist über »Titus Andronicus«, der, wenn er von S. herrührt, jedenfalls eine seiner frühsten Arbeiten ist.
Das Urteil der englischen Kritiker Collier und Knight schreibt das Stück unbedingt S. zu; Brake, Coleridge, Ingleby, Dyce verwerfen es als völlig unecht. Von den deutschen Shakespeareforschern teilen unter andern Gervinus und Kreyßig das Urteil der erstern. In der That aber wird trotz der unleugbaren Roheit und des geschmackwidrigen Bombastes der Diktion der unbefangene Blick, auch abgesehen von dem Zeugnis Meres', der 1598 »Titus Andronicus« als ein Stück Shakespeares nennt (s. oben), Spuren des Shakespeareschen Genius in dem Stück entdecken, welche dessen Ursprung unzweifelhaft machen.
Noch freilich fehlt in der Charakteristik die Feinheit der Nüancen, welche uns in den spätern Dramen Shakespeares entzückt; noch verfährt der Dichter bezüglich der dramatischen Wahrscheinlichkeit mit einer Willkür, die bei ihm später in solchem Maß nur selten wieder anzutreffen ist; aber inmitten dieser Mängel, inmitten der Überladung des faktischen Stoffes, der Verwechselung des Gräßlichen mit dem Tragischen ragen nicht wenige Einzelheiten an dichterischem Wert weit über das, was die gleichzeitigen Dramen andrer Verfasser bieten, hervor.
Im »Perikles« sehen einige nur die stellenweise Umgestaltung einer ältern Dichtung durch Shakespeares Hand. Dryden bezeichnete das Stück 1675 als das erste des Dichters. Daß es nicht kurz vor der Zeit, in welcher es zuerst unter Shakespeares Namen gedruckt erschien (1609), verfaßt, daß es vielmehr schwerlich viel später als 1590 entstanden ist, lehren innere Gründe. Jedenfalls zeigt es Shakespeares Hauptkunst, die Umgestaltung epischer Erzählung in dramatische Handlung, noch auf niedriger Stufe. Mit aufdringlicher Deutlichkeit spricht aus dem Stück eine ziemlich triviale sittliche Lehre; [* 7] statt einheitsvoller Handlung bietet es nur eine dürftige Einheit in der verherrlichten Person. Dennoch aber reckt sich, wo der Stoff dazu angethan, die Klaue [* 8] des Löwen [* 9] hervor, und vorzugsweise die Szenen, wo Perikles und Marina spielen, atmen den echten Geist Shakespeares.
Auch in Hinsicht auf die Echtheit des ersten Stückes der Trilogie, welche die Reihe der sogen. Historien ¶
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Shakespeares eröffnet, den ersten Teil von »Heinrich VI.«, besteht Meinungsverschiedenheit. Der überwiegende Teil der kompetenten Stimmen bestreitet dieselbe. In der That weist das Stück eine so große Menge chronologischer und historischer Fehler auf wie keins der übrigen geschichtlichen Dramen des Dichters, wie auch anderseits die Sprache des Stückes von allen, die unter Shakespeares Namen überliefert sind, am wenigsten shakespearisch zu nennen ist.
In die jugendlichste Epoche Shakespearescher Dichtung gehört ferner die »Komödie der Irrungen«, die um 1590 entstanden ist und zur Grundlage eine englische Übersetzung der »Menächmen« des Plautus hat. In Sprache und Bau verrät sich das Stück als eine der frühsten Gaben der Shakespeareschen Muse. Hier, wie im »Titus«, souveränes Ignorieren der Wahrscheinlichkeitsgesetze; gegen die spätern Lustspiele gehalten, wird die feinere Kunst der Charakteristik, die sittliche Vertiefung der Komik vermißt; der Spaß macht sich mehr geltend als der Witz. Und dennoch läßt sich schon in diesem Jugendspiel, besonders wenn man seine verschlungenen Fäden mit denen der Plautinischen Komödie zusammenhält, der Reichtum des künftig über alle Gebiete des Lebens in Ernst und Scherz herrschenden Dichtergeistes ahnen.
Auch dem »Sommernachtstraum« weist der concetti- und antithesenreiche Stil, die häufige Allitteration, der Mangel scharfer Charakteristik und deutlicher Motivierung gleichfalls unter den frühern Arbeiten des Dichters seinen Platz an. Vermutlich wurde diese liebliche Dichtung, in der eine unendliche Zartheit der Naturanschauung, verwoben mit urwüchsiger Komik, so bezaubernd wirkt, zu einer festlichen Gelegenheit (nach Tieck zur Hochzeit des Grafen Southampton) verfaßt. Zu dem nicht viel später geschriebenen Stück »Die beiden Veroneser« entnahm der Dichter die Fabel einer Episode des berühmten Schäferromans »Diana« von Montemayor. In Hinsicht auf die Nichtbeachtung der dramatischen Wahrscheinlichkeit steht das Lustspiel den »Irrungen« nahe, übertrifft aber diese an psychologischer Feinheit und an volkstümlicher Komik.
Fast gleichzeitig mit den »Veronesern« (um 1591) mag das Lustspiel »Verlorne Liebesmüh'« entstanden sein. Es teilt mit den frühsten Dramen Shakespeares den namentlich durch mythologische Beziehungen gegebenen gelehrten Anstrich, die ältere englische Versbildung und den häufigen Gebrauch des Reims; [* 11] in der formellen Behandlung steht es im ganzen sogar den vorgenannten Stücken nach. Dennoch zeigt es den Dichter fortgeschritten, insofern es entschiedener als die frühern Dichtungen eine beherrschende Idee, fein verwoben in die Handlung, durchschimmern läßt und die sittliche Gerechtigkeit, die in der echten Komödie so wenig wie in der echten Tragödie fehlen kann, in der Bestrafung eitler Ruhmsucht an ihren mannigfaltigen Vertretern in dem Stück zur entschiedenen Geltung bringt.
Einen äußerlichen und innerlichen Gegensatz zu »Verlorne Liebesmüh'« stellt »Ende gut, Alles gut« dar. Aus dem gezierten italienischen Stil jenes Lustspiels tritt man hier in den naturwüchsig englischen der spätern Stücke Shakespeares, aus dem spielenden, in handlungsarmer Redseligkeit sich ergehenden Ton in den schlichter Natürlichkeit und energischer Thatenfreude. Den wunderlichen, in der dargestellten Handlung unser Gefühl bis zum Verletzen befremdenden Stoff entnahm S. der von Boccaccio erzählten Geschichte »Giletta von Narbonne«; die psychologischen Schwierigkeiten, welche die vorgeführten Begebenheiten in sich schließen, sind größtenteils mit Meisterschaft überwunden. Das Stück ist zugleich eine der schönsten Huldigungen, welche S. dem weiblichen Geschlecht gespendet hat. Wie uns die Dichtung jetzt vorliegt, ist sie offenbar die Überarbeitung einer in die erste Epoche von Shakespeares Schaffen gehörigen. Zwei Stilarten sind, wie Coleridge dargethan, darin deutlich nebeneinander wahrzunehmen; der größte Teil des Lustspiels kann seine gegenwärtige Fassung erst etwa 1601-1602 erhalten haben.
Zwischen 1591 und 1593 ist vermutlich auch die Entstehung von »Romeo und Julie« zu setzen. Dies »glühendste, süßeste und leidenschaftlichste« der Werke Shakespeares ist dem Stoff nach einer poetischen Erzählung des Engländers Arthur Brooke entlehnt, welche zuerst 1562 erschien und ihrerseits wieder nur die Bearbeitung einer Novelle von Bandello ist. Shakespeares Dichtung, die von jeher für eine Art Typus aller Liebespoesie gegolten hat, trägt bei allem Reichtum an unübertrefflichen Schönheiten die Züge einer jugendlichen Arbeit. Ihre Diktion erinnert an den Sonettenstil des Dichters, ihr Pathos steigert sich an vielen Stellen zum Schwülstigen; als ein Werk des jungen S. aber offenbart sie sich auch durch eine Fülle lyrischer Elemente, die in einzelnen Situationen geradezu die Form stehender Arten damaliger Lyrik annehmen.
Nun wandte sich S. zur Bearbeitung historischer, zunächst der englischen Geschichte angehörender, Stoffe. Spätestens 1594 entstand »Richard II.«, der ein Grundgesetz des politischen Lebens (freilich nur in der Lehrweise, wie sie echte Dichter üben) vorträgt, eine Lehre über »das Königtum von Gottes Gnaden und das Recht der Unverletzlichkeit«. S. folgt in diesem Stück noch treuer als in irgend einer andern der Historien seiner für die meisten derselben fast ausschließlich benutzten Quelle, [* 12] der Chronik von Holinshed; doch scheint ihm daneben auch wieder eine ältere dramatische Dichtung Anhalt [* 13] geboten zu haben.
Auch von »Richard III.« (1596) lagen zwar ältere Bearbeitungen vor, doch scheint Shakespeares selbständige Urheberschaft hier unzweifelhaft. Das wunderbare Stück, welches in Hinsicht auf tragische Kühnheit zu den gewaltigsten des Dichters zu zählen ist, zeigt in dem Helden, welcher als »Gottesgeißel eines durch eigne Schuld dem Verderben geweihten Geschlechts« erscheint, mit erschütternder Wahrheit das Weltgericht in der Weltgeschichte und bringt in der tragischen Selbstvernichtung des Hauses York ein Grundgesetz allgemeiner Sittlichkeit zur Darstellung.
Die beiden letzten Teile von »Heinrich VI.« sind unmittelbar darauf gedichtet worden. Springt auch hier die Anlehnung an vorhandene fremde Dichtungen in die Augen, so ergibt doch gerade der Vergleich der Schöpfung Shakespeares mit der erhaltenen Grundlage die wunderbare Macht und Zauberkraft seines Genies besonders deutlich. Dasselbe gilt von dem zunächst entstandenen Stücke »König Johann«, das durch die Sorgfalt der Ausführung in Sprache und Charakterzeichnung trotz des herben Geistes, der das Ganze beherrscht (wir erinnern nur an die schauerlich ergreifende Szene von der Blendung Arthurs),
sich den besten selbständigen Werken des Dichters zugesellt.
Einen Übergang zu den Werken einer zweiten, reifern Epoche Shakespeares macht der gleichfalls von Meres 1598 im »Schatzkästlein des Witzes« erwähnte »Kaufmann von Venedig«. [* 14] Mit dem »Sommernachtstraum« hat dieses Stück den Zauber des Märchenhaften gemein; beide Dichtungen mögen auch hinsichtlich ihrer Abfassung einander nahestehen und etwa um 1594 geschrieben sein. Der Handlung im »Kaufmann von Venedig« liegen zwei Erzählungen ¶