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erste Kind dieser Ehe war ein Mädchen, Jane, welches 1558 getauft wurde. Mit 1577 indessen scheint ein sehr merklicher Rückgang im Wohlstand John Shakespeares eingetreten zu sein, da 1578 seine Farm als verpfändet bezeichnet wird. Die Verhältnisse wurden mit den nächsten Jahren immer dürftiger: wir sehen den Vater des großen Dichters nicht nur seines Postens als Alderman beraubt, er muß sogar ins Schuldgefängnis wandern, und nach Freilassung aus demselben 1592 heißt es (mit Bezug auf die Bestimmung des englischen Rechts, daß niemand in seinem Hause schuldenhalber verhaftet werden durfte), daß er nicht in die Kirche gekommen sei »aus Furcht vor einem Schuldprozeß«.
Aus diesen Einzelheiten ergibt sich, daß gerade die reifere Jugendzeit unsers Dichters, vom 14. Lebensjahr an, unter den zerrütteten Vermögensverhältnissen der Eltern zu leiden gehabt haben wird: eine wohlabgeschlossene, gelehrte Schullaufbahn machte er schwerlich durch. Im elterlichen Haus konnte er ferner keine Förderung in dieser Beziehung finden, da auch seine Mutter, wie die meisten Frauen selbst der höhern Stände unter Elisabeth, nicht schreiben konnte.
Jedenfalls aber hat der Knabe William in der »freien Gelehrtenschule« (free grammar-school) Stratfords unentgeltlichen Unterricht genossen. Wenn nun Ben Jonson in seinen »Unterhaltungen mit Drummond« sagt, S. habe wenig Latein und noch weniger Griechisch verstanden, so ist einmal der verstimmte, herabsetzende Charakter, der fast alle Äußerungen Jonsons in jenen Unterhaltungen kennzeichnet, ferner auch der Umstand zu erwägen, daß Jonson als gelehrter Kenner des Altertums einen sehr hohen Maßstab [* 2] anlegte, um aus jenen Worten nicht fälschlicherweise eine Stütze für die früher so verbreitete Meinung von dem »ungelehrten« Dichter zu gewinnen. Wenn John Dryden (gest. 1700) und vor ihm John Milton dergleichen aussprachen und S. als den »von Natur gelehrten« (»naturally learned«) bezeichneten, so kommt dies einerseits daher, daß sie, in engherziger Klassizität befangen, S. als den »kunst- und regellosen Naturdichter« anzusehen sich gewöhnten, und daß sie anderseits, wie Ben Jonson, ihren eignen Maßstab anlegten.
Gewiß hat S. bei seiner geistigen Begabung schnell genug Latein gelernt; er hat den lateinischen Tragiker Seneca wie die Komödiendichter Plautus und Terenz ohne Zweifel im Original gelesen. Außer dem Lateinischen hat er Französisch und wohl auch Italienisch verstanden, das damals in England und Frankreich ungleich mehr getrieben wurde als heutzutage. Dann ist wohl anzunehmen, daß S. ab und zu in Stratford auftretende Schauspielertruppen frühzeitig kennen gelernt und vielleicht nicht ohne Einfluß seiner häuslichen Verhältnisse gleichzeitig den Entschluß gefaßt hat, wie viele andre, als Schauspieler und Schauspielschreiber in London [* 3] sein Glück zu versuchen. So ist der 20jährige S. 1584 höchst wahrscheinlich noch in seinem Geburtsort gewesen und hat wohl auch die im genannten Jahr dort spielenden Schauspieler der Königin sowie diejenigen der Grafen Worcester und Essex zu sehen Gelegenheit gehabt.
Höchst auffallend aber ist es, daß er, noch bevor er das 19. Lebensjahr vollendet hatte, sich mit der bereits 26jährigen Anna Hathaway verheiratete. Sechs Monate nach Schließung der Ehe, ward das erste Kind Shakespeares getauft. Von der Mutter wissen wir übrigens nur, daß sie die Tochter eines Freisassen war, und daß sie ihren Mann um sieben Jahre überlebt hat. Daß aber der junge S. ohne sein Weib Stratford verließ, spricht jedenfalls nicht von großer Zärtlichkeit der Ehe, ebensowenig der andre Umstand, daß er in seinem Testament ihr nur das »zweitbeste« Bett [* 4] vermachte, während er das beste seiner Lieblingstochter Susanna zuwies. Übrigens wissen wir, daß S., der in London sehr bald zu großem Wohlstand gelangte, seine Familie in Stratford häufig besuchte, daß er endlich seine letzten Lebensjahre vollständig in seinem Geburtsort zubrachte.
Man hat nun wohl den Widerklang mancher trüben, ja selbstquälerischen Stimmung aus jenen jungen Jahren in den dem Geschmack der Zeit huldigenden, nach Art der italienischen Concetti Wortspiel und Gesuchtheit liebenden »Sonetten« Shakespeares entdecken wollen; indes ist es sehr bedenklich, jene durchaus lyrischen Produkte seines Geistes biographisch auszunutzen. Wann übrigens S. nach London gegangen, ist auch nicht mit annähernder Genauigkeit zu bestimmen; wir wissen nicht, ob er im März 1585, als ihm zu Stratford Zwillinge geboren wurden, noch dort verweilte.
In den Stratforder Aufenthalt aber würde noch die ebensoviel erwähnte wie wenig beglaubigte Wilddiebstahlsgeschichte und der Vorfall mit Sir Thomas Lucy zu setzen sein. Die Sache wird zuerst von dem oben erwähnten Biographen Shakespeares, Nicol. Rowe, erwähnt. Der junge S. soll nämlich besonders auf der Besitzung des Sir Thomas Lucy Wilddiebstahl verübt und, von diesem gerichtlich verfolgt, sich durch ein Spottgedicht auf Sir Thomas gerächt haben. Es dürfte aber nicht zu den sinnreichsten Einfällen Rowes gehören, wenn er hinzusetzt, daß jenes Spottgedicht Shakespeares erster poetischer Versuch gewesen.
Und so wird denn auch von Malone, Knight u. a. die ganze Sache als unglaubwürdig dargestellt, während sich allerdings neuere Kritiker, wie Halliwell und R. Geneé, zu der entgegengesetzten Annahme neigen. Man beruft sich nämlich auf einen ältern Bericht über die Sache, der vom Pfarrer Davies aus dem Jahr 1690 herrührt. Indes beruht doch auch dieser Bericht sicherlich nur auf mündlicher Tradition; auch die viel citierte Stelle in den »Lustigen Weibern von Windsor« (I, 1),
wo Falstaff klagt, daß Sir Lucy »seine Leute geprügelt und sein Wild erlegt habe«, scheint uns ein dürftiger Beweis: wie kleinlich wäre diese Rache des damals auf der Höhe seines Ruhms stehenden Dichters!
Noch weniger aber als diese Wilddiebstahlsgeschichte verdienen allerhand Anekdoten über Shakespeares erstes Auftreten in London (das man ins Jahr 1586 zu setzen pflegt) eine eingehende Prüfung, wenngleich ein so ernsthafter Mann wie Sam. Johnson dergleichen glaubwürdig zu machen versucht hat. Anderseits läßt sich nichts dagegen einwenden, wenn Rowe sagt, daß S. nach seiner Ankunft in London einen niedern Rang eingenommen habe. Wenn man aber geglaubt hat, über das Emporkommen Shakespeares in London durch gewisse Dokumente einen Anhaltspunkt zu besitzen, so müssen dieselben nach Untersuchung gründlicher Forscher für unecht angesehen werden.
Wir meinen hiermit zunächst das Certifikat von 1589, in welchem Shakespeares Name in der Liste von 16 Schauspielern des Blackfriarstheaters enthalten ist (vgl. Collier, New facts regarding the life of S., 1835; dagegen Halliwell, The life of S., 1848, und Ingleby, Complete view of the S.-controversy, 1861, u. a.). Wir wissen nur, daß die Schauspieler von Blackfriars, die sich seit 1587 des Lord-Kanzlers Diener nannten, den berühmten Richard Burbage, Shakespeares Landsmann und nachmals genialen Darsteller Shakespearescher Rollen, [* 5] zu den Ihrigen zählten. ¶
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Da aber auch gewisse in Spensers Gedicht »Thränen der Musen« [* 7] enthaltene Worte nicht auf S. bezogen werden können, so ist die 1592 herausgekommene Schrift des damals eben verstorbenen Dramatikers Robert Greene: »Ein Groschenwert Witz erkauft mit einer Million Reue« (»A groathworth of wit bought with a million of repentance«) als das älteste historische Zeugnis über die Wirksamkeit Shakespeares anzusehen. In dieser Schrift, deren Titel sich darauf bezieht, daß der Verfasser seine geringe Lebensweisheit teuer erkauft habe, findet sich nämlich folgende Stelle, worin er seine Freunde Marlowe, Peele etc. warnt, ihre Geistesgaben im Dramenmachen zu vergeuden, weil sie »an Marionetten kommen, die aus unserm Mund sprechen, an Gaukler, mit unsern Farben geziert. ... O traut ihnen nicht, denn da ist eine aufsteigende Krähe (an upstart crow), welche, mit dem Tigerherzen in eines Schauspielers Haut [* 8] gehüllt, sich die Fähigkeit zutraut, einen Blankvers auszustaffieren (to bombast-out a blancvers), so gut wie einer von euch und, als ein vollkommener Johannes Faktotum, nach seinem Begriff der einzige Szenenerschütterer (shake-scene) im Land ist.« Hier ist das Wortspiel mit dem Namen S. deutlich genug, ebenso die Anspielung auf Shakespeares Drama »Heinrich VI.«, 3. Teil, 1. Akt, 4. Szene (»Du Tigerherz, in Weiberhaut gehüllt«).
Wenn aber diese Stelle in Bezug auf den S. zugeschriebenen litterarischen Diebstahl durchaus dunkel bleibt, so bildet sie doch anderseits einen sehr willkommenen und sichern Anhaltspunkt in Bezug auf die Chronologie der frühsten Shakespeareschen Stücke. Außer innern Gründen nämlich machen es solche der Sprache [* 9] und Metrik so gut wie sicher, daß um 1592 nicht nur »Heinrich VI.«, sondern auch »Titus Andronicus«, »Perikles«, »Verlorne Liebesmüh'«, »Die Komödie der Irrungen« und die »Beiden Veroneser« bereits aufgeführt worden waren.
Möglicherweise sind auch »Romeo und Julie« und »Die Zähmung der Widerspenstigen« bereits in den ersten Entwürfen vorhanden gewesen. Im übrigen ist es sicher, daß S. wie viele seiner ältern und jüngern Zeitgenossen seine Laufbahn als Schauspieler und Theaterdichter damit begann, daß er ältere, beliebte Stücke um- und neu bearbeitete. So ist denn Shakespeares Originalität im Gegensatz etwa zu Goethe und Schiller eine nicht mit dem ersten Stück bereits gegebene, sondern eine allmählich sich entwickelnde.
Auf der andern Seite ist klar, daß bei dieser redigierenden Thätigkeit des zugleich selbst agierenden Dramatikers der Sinn für den Bühneneffekt und das, was dem Publikum gefällt, sich immer kräftiger entwickeln mußte. So zeigen denn die ersten Stücke Shakespeares in Sprache und Inhalt durchaus die Anlehnung an das damals Vorhandene und den damals herrschenden Geschmack. Wie in den alten »Mysterien« und »Moralitäten«, die ja bis ins 16. Jahrh. hineinreichen, allegorische Personen leibhaftig auf der Bühne auftreten, so tritt vielfach in den ersten Shakespeareschen Stücken, wenigstens den Tragödien, die Neigung zur Allegorie und Personifizierung abstrakter Begriffe hervor, eine Neigung, die in naher Verbindung mit einem gewissen Schwulst und Bombast der Sprache steht, der vornehmlich aus Nachahmung des vorhin genannten römischen Tragikers Seneca entspringt, am meisten in »Titus Andronicus«, in welchem sogar Verse Senecas in lateinischer Sprache hier und da unterlaufen.
Was »König Heinrich VI.« betrifft, so hat man (jedoch ohne hinreichenden Beweis) gemeint, daß der zweite und dritte Teil des Dramas nicht von S., sondern von Marlowe herrührten. Mit wie kunstreicher Meisterschaft der Sprache aber S. bereits ausgerüstet war, als er seine dramatische Laufbahn begann, beweist das 1593 veröffentlichte lyrisch-erotische Gedicht »Venus and Adonis«, das er in der Dedikation an Lord Southampton »den Erstling seiner Erfindung« (»the first heir of my invention«) nennt.
Dies etwas schlüpfrige Gedicht ist vielleicht noch in Stratford verfaßt worden. Es folgte im nächsten Jahr (1594) »Tarquin and Lucrece«, gleichfalls in siebenzeiligen Stanzen, wie Chaucers »Troilus«, geschrieben, ein ähnliches, wenngleich gereifteres Werk. Die Gefeiltheit beider Gedichte beweist schlagend, daß S. keineswegs ein sogen. Naturdichter, sondern von Anfang an ein höchst kunstreicher gewesen ist. Welche Beliebtheit beide Gedichte genossen, ergibt der Umstand, daß »Venus und Adonis« zwischen 1593 und 1602 sechs, »Lucretia« in ungefähr derselben Zeit drei Auflagen erlebte.
Was nun die Chronologie der Shakespeareschen Stücke bis 1598 betrifft, so besitzen wir darüber glücklicherweise das Zeugnis des Francis Meres. Von demselben erschien im genannten Jahr ein Werk: »Palladis Tamia, Wit's Treasury, the second part of Wit's Commonwealth«. In diesem »Schatzkästlein des Witzes« gibt ein Abschnitt einen »Diskurs über unsre englischen Dichter im Vergleich mit den griechischen, lateinischen und italienischen«. Dort heißt es: »Wie die Seele des Euphorbus in Pythagoras leben sollte, so lebt Ovids anmutiger, witzreicher Geist in dem honigströmenden S.; Zeugen: seine "Venus und Adonis«, seine »Lucretia«, seine süßen, seinen nähern Freunden bekannten »Sonette«.
Wie Plautus und Seneca in der Komödie und Tragödie als die besten unter den lateinischen Dichtern galten, so ist unter den englischen S. der ausgezeichnetste in beiden Schauspielgattungen. Für die Komödie bezeugen dies seine »Edelleute von Verona«, [* 10] seine »Irrungen«, seine »Verlorne Liebesmüh'«, seine »Gewonnene Liebesmüh'« (»Ende gut, Alles gut«?),
sein »Mittsommernachtstraum« und sein »Kaufmann von Venedig«; [* 11] für die Tragödie sein »Richard II.«, »Richard III.«, »Heinrich IV.«, »König Johann«, »Titus Andronicus« und »Romeo und Julie«. Wie Epius Stolo sagte, daß die Musen mit Plautus' Zunge reden würden, wenn sie lateinisch sprächen, so sage ich, daß die Musen in Shakespeares fein gefeilter Redeweise (fine-filed phrase) sprechen würden, wenn sie englisch sprächen". Wenn in der mitgeteilten Stelle »Heinrich VI.« und »Die Zähmung der Widerspenstigen« nicht genannt werden, so ist hieraus nur zu schließen, daß diese Stücke weniger Beifall als die angeführten gefunden hatten.
Wichtig aber sind die Worte bei Meres auch wegen der dort erwähnten Sonette, die erst elf Jahre später (1609) und zwar nicht von S. selbst herausgegeben wurden. Unklar ist auch die Widmung, welche der Herausgeber, der Buchhändler Thomas Thorpe, vor das Buch gesetzt hat. Dieselbe lautet: »Dem einzigen Erzeuger (begetter) dieser Sonette, Herrn W. H., wünscht alles Glück und jene von unserm ewig lebenden Dichter verheißene Unsterblichkeit der wohlmeinende T. T.« Aber auch der Inhalt der Sonette ist ein rätselhafter. Man weiß in der That nicht, wie die schwärmerische Verehrung eines unbekannten Freundes in 126 Sonetten zu verstehen ist. Vielfache Selbstanklagen über unbezähmbare Leidenschaft in denselben scheinen die schlimmste Deutung zu verlangen; indes bleibt durchaus unerwiesen, inwieweit wir es hier mit dem Thatsächlichen zu thun haben. Dagegen ist das letztere unleugbar der Fall, wenn ¶