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bestimmt wurde, zusammen und wählte den ersten Bundesrat.
Neueste Zeit.
Fortan erfreute sich die S. im Innern fast ohne Ausnahme gesetzlicher Ruhe und Ordnung. Die neuen Bundesbehörden entwickelten eine rege organisierende Thätigkeit: das Heerwesen, Maß u. Gewicht, Münze, Post, Telegraphie und Zölle wurden einheitlich geregelt, die Zollschranken zwischen den Kantonen, die Brücken- und Wegegelder beseitigt, ein eidgenössisches Polytechnikum in Zürich [* 2] gegründet u. a. m.; der Bau der Eisenbahnen blieb nach heftigen Kämpfen der Privatthätigkeit überlassen.
Auch die Beziehungen zum Ausland blieben freundlich. Der deutsche Bundestag und Österreich [* 3] beschwerten sich zwar 1848 und 1849 über die Aufnahme deutscher und italienischer Flüchtlinge in der S., waren aber nicht in der Lage, ihren Drohnoten Folge zu geben. Nur wegen Neuenburgs (s. d.) kam es zu einem Konflikt mit Preußen, [* 4] indem die Royalisten in diesem Kanton, [* 5] in welchem ein Aufstand der Republikaner der Herrschaft des preußischen Königs ein Ende gemacht hatte, sich erhoben und Friedrich Wilhelm IV. wieder zum Herrscher ausriefen.
Doch scheiterte die Erhebung, und die Führer wurden gefangen gesetzt. Preußen verlangte ihre sofortige Freilassung und traf, als sie verweigert wurde, kriegerische Anstalten. Indes vermittelte Napoleon III. einen Vergleich dahin, daß der Bundesrat die Royalisten freiließ, der König aber auf Neuenburg [* 6] verzichtete Als Sardinien [* 7] 1860 Savoyen an Frankreich abtrat, erhob die S. Ansprüche auf die Landschaften Faucigny und Chablais, weil dieselben vom Wiener Kongreß in ihre Neutralität eingeschlossen worden waren.
Zwar wurde die Neutralität der Landschaften von Frankreich anerkannt, die Abtretung aber entschieden abgelehnt, und da keine der Mächte für die S. eintrat, mußte sie sich in die vollendete Thatsache fügen. Doch gab Frankreich einen Teil des Dappenthals, das vom Wiener Kongreß der S. zugewiesen, bisher ihr aber immer noch nicht abgetreten worden war, zurück und bewilligte ihr einen günstigen Handelsvertrag, dem Handelsverträge der S. fast mit allen zivilisierten Ländern folgten. 1869 wurde die wichtige Frage eines Alpendurchstichs zu gunsten des St. Gotthard entschieden, und Italien [* 8] und Deutschland [* 9] verpflichteten sich zu ansehnlichen Subventionen.
Der deutsch-französische Krieg von 1870 zog auch die S. in Mitleidenschaft, indem er sie nötigte, zum Schutz der Neutralität bedeutende Truppenmassen unter General Herzog an der Grenze aufzustellen. Als die flüchtige französische Ostarmee nach ihrer Niederlage bei Belfort [* 10] 85,000 Mann stark, die Schweizer Grenze überschritt, mußte sie entwaffnet und in der S. einquartiert werden, was die Sympathien mit Frankreich so wenig abkühlte, daß es in Zürich zu einem rohen Exzeß gegen die Deutschen, welche ein Siegesfest feierten, kam.
Unruhen bei der Verhaftung der Tumultuanten hatten sogar die eidgenössische Besetzung der Stadt und die Einsetzung eidgenössischer Assisen zur Aburteilung der Schuldigen zur Folge. Die Spannung, welche der Krieg hervorrief, brachte die Verfassungsreform, welche schon 1869 angeregt worden war, ins Stocken. Nachdem nämlich nach dem Vorgang Zürichs fast alle Kantone die Repräsentativverfassung durch Einführung des Referendums (der direkten Volksabstimmung über Gesetze und finanziell wichtige Beschlüsse), des Veto und der Initiative (des Rechts einer bestimmten Anzahl Bürger, die Abstimmung über ein Gesetz zu verlangen, bez. ein Gesetz vorzuschlagen) in eine reine Demokratie umgewandelt hatten, regte die Bundesversammlung auch eine Bundesrevision an, deren Entwurf festgestellt wurde.
Derselbe wies die Gesetzgebung über Zivil- und Strafrecht, Ehesachen, Eisenbahn-, Versicherungs-, Bank- und Fabrikwesen dem Bund zu, gab ihm die völlige Verfügung über das Militärwesen, verbot Todes- und Körperstrafen, garantierte völlige Glaubens- und Gewissensfreiheit, erklärte den Elementarschulunterricht für obligatorisch und unentgeltlich und führte auch für den Bund das fakultative Referendum und das Recht des Veto und der Initiative des Volkes ein.
Der Entwurf wurde aber, weil außer den Ultramontanen und Konservativen auch die Liberalen der welschen S. dagegen waren, mit 261,096 gegen 255,585 Stimmen und von 13 gegen 9 Kantone verworfen. Die Bundesversammlung gestaltete den Entwurf nun in dem Sinn um, daß die Kantone nicht alle Verfügung über das Militärwesen und nicht die ganze Zivil- und Strafgesetzgebung verloren, wogegen die Errichtung von Bistümern von der Genehmigung des Bundes abhängig gemacht, die Errichtung von Klöstern verboten und die Rechte des Bundes in kirchlichen Dingen überhaupt erweitert wurden; das Recht der Initiative ließ man fallen. Diese Verfassung wurde mit 340,199 gegen 198,013 Stimmen und von 14½ gegen 7½ Kantone angenommen und als gültig verkündet.
Die Bestimmungen der neuen Verfassung über die kirchlichen Verhältnisse waren durch die kirchlichen Konflikte veranlaßt, welche eine Folge der Beschlüsse des vatikanischen Konzils waren. Der Bischof Lachat von Basel [* 11] verkündete trotz des Verbots der Diözesankonferenz (der Vertreter der am Bistum beteiligten Kantone Solothurn, Luzern, [* 12] Zug, Bern, [* 13] Aargau, Thurgau und Baselland) das Unfehlbarkeitsdogma, entsetzte und exkommunizierte die das Dogma nicht anerkennenden Pfarrer Egli in Luzern und Gschwind in Starrkirch und wies die Aufforderung, diese Entsetzungen zurückzunehmen, schroff ab. Deshalb sprachen die Kantone (außer Zug und Luzern) die Amtserledigung des Bistums aus und schritten, da das Domkapitel sich weigerte, einen Bistumsverweser zu ernennen, zur Aufhebung des Bistums und zur Liquidation seines Vermögens; Lachat verlegte seinen Sitz von Solothurn [* 14] nach Luzern. Als 97 Geistliche des bernischen Jura gegen das Verfahren der Diözesankonferenz protestierten und Lachat als ihren rechtmäßigen Bischof erklärten, wurden sie abgesetzt und, nachdem Unruhen in einzelnen Gemeinden durch militärische Besetzung unterdrückt worden, ausgewiesen (Januar 1874). Diese letztere Maßregel mußte allerdings auf Anordnung des Bundes 1875 als verfassungswidrig zurückgenommen werden.
Doch billigte das Berner Volk mit 70,000 gegen 17,000 Stimmen das Kirchengesetz, durch welches der Kanton Bern seine Staatshoheit in Kirchensachen wahrte. Ein andrer Konflikt brach in Genf [* 15] aus, wo der Stadtpfarrer Mermillod sich ohne Genehmigung der Regierung die bischöflichen Gewalten über die dortigen Katholiken hatte übertragen lassen und trotz Protest des Staatsrats ausübte. Deswegen abgesetzt, ward er von der römischen Kurie zum apostolischen Vikar des Kantons Genf ernannt, aber vom Bundesrat ausgewiesen. Weil der Papst 21. Nov. in einer Encyklika das Vorgehen der Schweizer ¶
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Behörden als »schmachvoll« bezeichnete, brach der Bundesrat alle Beziehungen mit der Kurie ab und stellte dem in Luzern residierenden Nunzius seine Pässe zu. In Genf wurden die kirchlichen Verhältnisse durch Staatsgesetze neu geregelt, den Gemeinden das Recht der Pfarrerwahl übertragen und alle Korporationen aufgehoben (1875). Da die römischen Katholiken sich weigerten, den neuen Kirchengesetzen zu gehorchen, verloren sie die landeskirchlichen Privilegien, welche nun auf die christ- (alt-) katholischen Gemeinden übergingen, deren sich in Solothurn, Aargau, Zürich, Basel, Bern und Genf eine ganze Anzahl bildete; dieselben gaben sich auf einer »Nationalsynode« in Olten eine Kirchenverfassung und wählten den Pfarrer E. Herzog zum ersten christkatholischen Bischof. Für die Ausbildung von christkatholischen Geistlichen errichtete Bern an seiner Universität eine altkatholische theologische Fakultät.
Der Ausbau der Gesetzgebung, welchen die neue Verfassung forderte, wurde inzwischen rüstig fortgesetzt. 1874 wurde ein ständiges Bundesgericht in Lausanne [* 17] errichtet, das Heerwesen durch eine neue Militärorganisation vom so umgestaltet, daß fortan das eidgenössische Heer nur noch aus Auszug und Landwehr bestehen und in acht territoriale Divisionen zerfallen sollte. Gegen das Stimmrechtsgesetz und das Zivilstandsgesetz, welches die obligatorische Zivilehe einführte, wurde zuerst von 100,000 Bürgern das Veto erhoben und in der Volksabstimmung dieses angenommen, jenes verworfen.
Ebenso wurde ein Banknoten- und ein Militärpflichtersatzgesetz 1876 vom Volk abgelehnt, ein Fabrikgesetz dagegen 1877 und ein Gesetz über eine weitere Subvention der Gotthardbahn 1879 angenommen; der Durchschlag des großen Tunnels sicherte das Zustandekommen dieses großen Unternehmens. Da jedoch das Volk immer neue Begehren in Bezug auf die Änderung der Gesetzgebung kundgab, namentlich das Recht, die Todesstrafe wieder einzuführen, die Errichtung einer Bundesbank und eine Erweiterung der Volksinitiative verlangte, beschloß die Bundesversammlung, dem Schweizer Volk die Generalfrage der Verfassungsrevision zur Abstimmung vorzulegen; dieselbe wurde mit großer Mehrheit abgelehnt und der Agitation vorläufig ein Ziel gesetzt.
Die Behörden und Volksvertretungen konnten sich daher ungestört der Pflege der Finanzen, der Förderung des innern Friedens und der Verbesserung der sozialen Verhältnisse widmen. Um das Bundesbudget vor Defizits zu bewahren, wurde eine Erhöhung der Zölle besonders auf Kolonialwaren und 1886 die Einführung des Branntweinmonopols beschlossen und letztere auch in einer Volksabstimmung genehmigt. Die Wirren in Tessin (s. d.) und in Freiburg [* 18] (s. d.), welche durch die rücksichtslose Parteiherrschaft der Ultramontanen verursacht wurden, nötigten den Bundesrat wiederholt zur Einmischung, um der unterdrückten liberalen Minderheit einigermaßen zu ihrem Recht zu verhelfen und offenbare Rechtsverletzungen zu verhindern.
Der kirchliche Streit verlor seine Schärfe, und 1878 unterwarfen sich die römischen Katholiken in Bern und Solothurn den Kirchengesetzen. Die römische Kurie verzichtete auf ihren Plan, in Genf ein Bistum zu errichten, und ernannte Mermillod 1883 zum Bischof von Lausanne; durch seine Versicherung, daß er den Staatsgesetzen loyal gehorchen werde, erwirkte Mermillod seine Anerkennung durch den Bund, während der Kanton Genf ihm dieselbe verweigerte. 1884 wurde dann auch im Einvernehmen mit dem Papste die Wiederherstellung des Bistums Basel beschlossen, das mit dem apostolischen Vikariat in Tessin verbunden sein sollte; Lachat leistete auf das Bistum Verzicht, und der Propst des Domkapitels zu Solothurn, Fiala, wurde zum Bischof ernannt.
[Litteratur.]
Darstellungen der allgemeinen Schweizer Geschichte lieferten: Johannes v. Müller (s. d.) und dessen Fortsetzer Glutz, Hottinger, Vuillemin, Monnard; ferner Vögelin (3. Aufl. von Escher, Zür. 1861, 4 Bde.), Meyer v. Knonau (das. 1826-29, 2 Bde.), Morin (deutsch von Beck, Leipz. 1858), Henne-Am Rhyn (3. Aufl., das. 1877, 3 Bde.), Daguet (7. Aufl., Genf 1880, 2 Bde.; deutsch, Aarau [* 19] 1867), Strickler (2. Aufl., Zürich 1874), Vuillemin (Laus. 1876; deutsch von Keller, Aarau 1877), Geilfuß (4. Aufl., Zürich 1878), Dändliker (das. 1885-88, 3 Bde.), Dierauer (Gotha [* 20] 1887 ff.);
in kurzen Abrissen: Zschokke (8. Aufl., Aarau 1849), Zellweger (Zürich 1874), Dändliker (das. 1874), Strickler (das. 1876), Arx (das. 1887) u. a.
Für einzelne Partien vgl. Kopp, Geschichte der eidgenössischen Bünde (Luzern, Leipz. u. Berl. 1845-1862, 5 Bde.; fortgesetzt von Lütolf u. Busson);
Rilliet, Der Ursprung der schweizerischen Eidgenossenschaft (deutsch, 2. Aufl., Aarau 1873);
W. Vischer, Die Sage von der Befreiung der Waldstätte (Leipz. 1867);
Meyer v. Knonau, Die Befreiung der Waldstätte (Basel 1873);
Huber, Die Waldstätte bis zur festen Begründung ihrer Eidgenossenschaft (Innsbr. 1861);
Lorenz, Leopold III. und die Schweizerbünde (Wien [* 21] 1860);
v. Rodt, Die Kriege Karls des Kühnen (Schaffh. 1843-44, 2 Bde.);
Gelzer, Die drei letzten Jahrhunderte der Schweizergeschichte (Aarau 1838-39, 2 Bde.);
v. Tillier, Geschichte der Helvetischen Republik 1798-1803 (Bern 1843, 3 Bde.);
Derselbe, Geschichte der Eidgenossenschaft während der Herrschaft der Vermittelungsakte 1803-13 (Zürich 1845-46, 2 Bde.), während der sogen. Restaurationsepoche 1814-30 (das. 1848-50, 3 Bde.) und während der Zeit des sogen. Fortschritts 1830-48 (Bern 1854-55, 3 Bde.);
Hilty, Vorlesungen über die Helvetik (das. 1878);
Baumgartner, Die S. in ihren Kämpfen u. Umgestaltungen 1830-50 (Zürich 1853-1865, 3 Bde.);
Feddersen, Geschichte der schweizerischen Regeneration 1830-48 (das. 1867);
Bluntschli, Geschichte des eidgenössischen Bundesrechts (2. Aufl., das. 1875);
J. ^[Johannes] Meyer, Geschichte des schweizerischen Bundesrechts (Winterth. 1874-78, 2 Bde.);
Pfaff, Das Staatsrecht der alten Eidgenossenschaft (Schaffh. 1870);
Blumer, Staats- und Rechtsgeschichte der schweizerischen Demokratien (St. Gallen 1850-59, 3 Bde.);
Gareis u. Zorn, Staat und Kirche in der S. (Zürich 1877-78, 2 Bde.);
Curti, Geschichte der Schweizer Volksgesetzgebung (2. Aufl., das. 1885);
Gelpke, Kirchengeschichte der S. (Bern 1856-61, 2 Bde.);
Elgger, Kriegswesen und Kriegskunst der schweizerischen Eidgenossen im 14., 15. und 16. Jahrhundert (Luzern 1873);
Rahn, Geschichte der bildenden Künste in der S. (Zürich 1876);
Semmig, Kultur- und Litteraturgeschichte der französischen S. (das. 1881);
Hunziker, Geschichte der schweizerischen Volksschule (das. 1881);
Escher, Schweizerische Münz- und Geldgeschichte (Bern 1877-81);
Peyer, Geschichte des Reisens in der S. (Basel 1885).
Von Sammel- u. Quellenwerken sind zu erwähnen: Haller, Bibliothek der Schweizergeschichte (Bern 1785-88, 7 Bde.);
»Der schweizerische Geschichtsforscher« (das. 1812-44, 12 Bde.);
»Quellen zur Schweizer Geschichte« (Basel 1877 ff.);
Öchsli, Quellenbuch zur Schweizergeschichte (Zürich 1886);
»Archiv für Schweizergeschichte« (das. 1843-76, 20 Bde.), ¶