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Helvetische Republik, deren von Ochs in Paris [* 2] entworfene Verfassung Gleichheit aller vor dem Gesetz, Glaubens-, Preß-, Handels- und Gewerbefreiheit, das Recht des Loskaufs von den Grundzinsen, proportionelle Besteuerung u. dgl. einführte und einen Einheitsstaat nach französischem Muster schuf: an der Spitze stand ein von vier Ministern unterstütztes Direktorium von fünf Mitgliedern, daneben ein Senat und ein Großer Rat als Volksvertretung;
Verwaltung und Rechtspflege wurden zentralisiert und die Kantone zu bloßen Verwaltungsbezirken herabgedrückt, deren Zahl und Begrenzung nach Willkür verändert wurden. Zu den 13 alten Orten kamen Wallis, Leman, Aargau, Bellinzona, Lugano, Sargans, Thurgau und Rätien als neue Kantone hinzu;
doch wurden schon im Mai Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug zum Kanton [* 3] Waldstätten, Glarus und Sargans zum Kanton Linth und Appenzell [* 4] und St. Gallen zum Kanton Säntis verschmolzen, wogegen Berner Oberland und Baden [* 5] als neue Kantone entstanden. So sank die ursprüngliche Zahl 22 auf 19 herab.
Nur zehn Kantone vollzogen die Konstituierung der Helvetischen Republik in Aarau. [* 6] Namentlich die Urkantone wiesen die neue Verfassung mit Entrüstung zurück; die Schwyzer unter ihrem Landeshauptmann Aloys Reding fochten glücklich an der Schindellegi und bei Rotenturm (2. Mai) gegen die Franzosen, und Nidwalden leistete noch im September einer 16,000 Mann starken Armee Widerstand. Aber sie mußten der Übermacht endlich weichen; die Erhebung Nidwaldens wurde durch ein entsetzliches Morden (7.-9. Sept.) erstickt. Da die Helvetische Republik 19. Aug. ein Schutz- und Trutzbündnis mit Frankreich hatte eingehen müssen und von französischen Truppen besetzt war, ward sie im zweiten Koalitionskrieg 1799 Hauptkriegsschauplatz, indem österreichische und russische Truppen von Norden [* 7] und Süden in die S. einrückten.
Als der Staatsstreich Bonapartes dem französischen Direktorium ein Ende gemacht hatte, erklärten auch die beiden Räte der Helvetischen Republik das Direktorium für aufgelöst und übertrugen die Gewalt einer Vollziehungskommission, welche sofort alle ihr unbequemen Mitglieder aus den beiden Räten ausstieß. Hierdurch bekamen die Föderalisten, die Anhänger des alten Kantonalsystems, in den beiden Räten die Oberhand und beschlossen eine neue Verfassung, die aus der S. wieder einen Bundesstaat von 17 Kantonen mit einer »helvetischen Tagsatzung« machte.
Bonaparte hatte diese Verfassung zu Malmaison gutgeheißen und stellte sie, als die Unitarier, die Anhänger der Einheitsrepublik, welche in der helvetischen Tagsatzung die Mehrheit erhalten hatten, sie in unitarischem Sinn veränderten, im Oktober mit Waffengewalt wieder her. Doch kam es ihm vor allem darauf an, die S. völlig von Frankreich abhängig zu machen, und er war daher bemüht, die Verwirrung in der S. aufs höchste zu steigern, um seine Intervention als gerechtfertigt erscheinen zu lassen.
Nachdem er den Unitariern 1802 gestattet hatte, die föderalistische Regierung wieder zu stürzen und eine neue Verfassung zu oktroyieren (2. Juli), zog er plötzlich die französischen Truppen aus der S. zurück, worauf sich die Föderalisten überall erhoben und die helvetische Regierung nach Lausanne [* 8] flüchten mußte. Jetzt wurde Bonaparte von allen Seiten um seine Vermittelung gebeten, übernahm dieselbe, gebot den Insurgenten, die Waffen [* 9] niederzulegen, und lud alle Kantone ein, Abgeordnete nach Paris zu senden, um mit ihm über eine neue Verfassung zu beraten; zugleich rückte Ney mit 25,000 Mann in die S. ein. Die sogen. helvetische Consulta trat im Dezember in Paris zusammen und nahm die von Bonaparte entworfene Mediationsakte an, welche einen Bundesstaat von 19 Kantonen bildete; zu den 13 alten Kantonen kamen als neue Graubünden, Aargau, Thurgau, St. Gallen, Waadt und Tessin hinzu; Wallis, Genf [* 10] und Neuenburg [* 11] blieben getrennt. In die Tagsatzung sandte jeder Kanton mit über 100,000 Einw. zwei, die übrigen einen Abgeordneten; an der Spitze des Bundes stand ein Landammann, welche Würde in jährlichem Wechsel mit dem Bürgermeister- oder Schultheißenamt der »Direktorialorgane« Freiburg, [* 12] Bern, [* 13] Solothurn, [* 14] Basel, [* 15] Zürich [* 16] und Luzern [* 17] verknüpft war. Eine mit Frankreich abgeschlossene Defensivallianz und Militärkapitulation (27. Sept.) verpflichtete die S., für Napoleon ein Hilfskorps von 16,000 Mann zu unterhalten. Doch hatte die S. von der Gewaltthätigkeit Napoleons weniger zu leiden als andre Vasallenstaaten, und trotz der Schädigung von Handel und Industrie durch die Kontinentalsperre und trotz des Untergangs von 6000 Schweizern im russischen Feldzug war die Stimmung in der S. im ganzen Napoleon günstig.
Nach der Schlacht bei Leipzig [* 18] 1813 beschloß die Tagsatzung, strenge Neutralität zu beobachten. Doch erkannten die Verbündeten dieselbe nicht an, und 21. Dez. überschritten die Österreicher den Rhein, um durch die S. nach Frankreich zu ziehen. Mit ihrem Einmarsch erhoben überall die Anhänger der gestürzten Aristokratien ihr Haupt; in Bern, Freiburg, Solothurn und Luzern wurden die Patriziate gewaltsam hergestellt, und eine Tagsatzung in Zürich erklärte 29. Dez. die Mediationsakte für erloschen.
An der Spitze von sieben andern alten Kantonen verlangte Bern sogar die Rückgabe der Unterthanengebiete und stellte, als die Tagsatzung in Zürich diese Ansprüche grundsätzlich abwies, eine Gegentagsatzung in Luzern auf. Die Mächte erklärten sich jedoch auf Veranlassung des Kaisers Alexander von Rußland für die Unabhängigkeit der neuen Kantone, und die Luzerner Tagsatzung löste sich auf. Die Tagsatzung sämtlicher 19 Kantone vereinbarte eine neue Bundesverfassung, welche der Wiener Kongreß bestätigte; derselbe willigte auch in die Wiedervereinigung von Genf, Neuenburg und Wallis mit der Eidgenossenschaft, so daß dieselbe fortan aus 22 Kantonen bestand, entschädigte Bern für den Verlust der Waadt und des Aargaues durch Biel und den größten Teil des Bistums Basel und gestand der S. ewige Neutralität zu.
Umbildung des Staatenbundes zu einem Bundesstaat.
Die neue Bundesakte, welche in Kraft [* 19] trat, machte die S. wieder zu einem ziemlich losen Staatenbund mit einer an die Instruktionen der Kantonsregierungen gebundenen Tagsatzung, in der jeder Kanton eine Stimme hatte. Die Kantonsverfassungen waren aristokratisch, räumten den Hauptstädten ein starkes Übergewicht ein und gaben den Behörden durch kompliziertes Wahlsystem und Selbstergänzungsrecht den Charakter oligarchischer Kollegien. Die Opposition, welche durch die wiedererstandene Helvetische Gesellschaft und die 1824 beginnenden eidgenössischen Freischießen angefacht wurde, richtete sich daher sowohl auf Einführung demokratischer Verfassungen in den Kantonen als auf Verstärkung [* 20] der Bundesgewalt und erlangte durch die Julirevolution solche Macht, daß 1830 und 1831 in der Hälfte der Kantone die Verfassung in demokratischem Sinn reformiert wurde; besonders wichtig war ¶
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die Reform im Kanton Zürich In Basel und Schwyz führte der Streit zwischen Stadt und Landschaft zu blutigen Konflikten und zur Trennung. Die Tagsatzung war diesen Wirren gegenüber anfangs ohnmächtig, so daß die liberalen Kantone Zürich, Bern, Luzern, Solothurn, Aargau, Thurgau und St. Gallen zum Schutz ihrer neuen Verfassungen das sogen. Siebenerkonkordat abschlossen, während die drei Waldstätten mit Neuenburg und Baselstadt zu Sarnen 14. Nov. in ein Separatbündnis traten.
Der Sarner Bund forderte, daß die Tagsatzung nicht bloß die Anerkennung der Trennung des Kantons Basel zurücknehme, sondern auch die im Juli 1832 beschlossene Bundesreform fallen lasse. Letztere scheiterte im Juli 1833 durch die Allianz der Klerikalkonservativen mit den extremen Radikalen. Aber als die Schwyzer die abgefallenen Ortschaften militärisch zu besetzen anfingen und Baselstadt sich der Landschaft durch einen Handstreich zu bemächtigen suchte, ließ die Tagsatzung in beide Orte eidgenössische Truppen einrücken und erzwang die Auflösung des Sarner Bundes; Basel blieb in die Kantone Baselstadt und Baselland geteilt, während die abgefallenen Landschaften mit Schwyz auf dem Fuß der Rechtsgleichheit wieder vereinigt wurden.
Auch die kirchlichen Verhältnisse gaben zu Streitigkeiten Anlaß. 1834 hatten die Kantone Luzern, Bern, Zug, Solothurn, Baselland, St. Gallen, Aargau und Thurgau in einer Konferenz zu Baden ein Konkordat aufgestellt, um die Rechte des Staats gegenüber der katholischen Kirche zu wahren. Dasselbe wurde aber in St. Gallen 1835 durch die klerikale Agitation bei der Volksabstimmung zu Falle gebracht, und auch Bern trat infolge der Erregung im katholischen Jura 1836 von demselben zurück. In Zürich kam es zu einer Auflehnung der Orthodoxen gegen das bisher äußerst wohlthätige liberale Regiment, als der Verfasser des »Lebens Jesu«, D. F. Strauß, [* 22] 1839 an die neu gegründete Hochschule berufen wurde: ein Bauernhaufe rückte 6. Sept. in die Stadt und erzwang den Sturz der liberalen und die Einsetzung einer konservativen Regierung.
In dem bisher freisinnigen Luzern erlangten die von Joseph Leu und Siegwart Müller geführten Ultramontanen bei einer von ihnen ins Werk gesetzten Verfassungsrevision den vollständigsten Sieg. Ermutigt durch diese Erfolge, forderten die Ultramontanen von der Tagsatzung, daß Aargau gezwungen werde, die im Januar 1841 aufgehobenen Klöster des Kantons wiederherzustellen, und als sich die Tagsatzung mit dem Anerbieten Aargaus, die vier Frauenklöster herzustellen, zufrieden erklärte, vereinigten sich die Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Freiburg im September 1843 zu dem Beschluß, sich von der Eidgenossenschaft zu trennen, wenn die Aargauer Klöster nicht wiederhergestellt würden.
Die gewaltsame Niederwerfung der Liberalen in Wallis durch die Ultramontanen und die Berufung der Jesuiten an die höhern Lehranstalten von Luzern steigerten den Parteihaß aufs höchste. Im Vertrauen auf Freischaren aus andern Kantonen versuchten die Luzerner Radikalen die klerikale Regierung mit Gewalt zu beseitigen; das Unternehmen scheiterte kläglich und wurde von den Ultramontanen benutzt, um durch Einkerkerungen, Verbannungen und Gütereinziehungen ihre Gegner zu vernichten.
Ebenso wurde ein Angriff von Freischärlern unter dem frühern Luzerner Regierungsrat Steiger und dem Berner Ochsenbein auf Luzern blutig zurückgewiesen und auf der Flucht 104 Freischärler erschlagen, gegen 1800 gefangen genommen. Die Furcht vor weitern Freischarenzügen und die Ermordung Leus durch einen Freischärler veranlaßten die ultramontanen Kantone, denen sich Wallis anschloß, im Dezember 1845 einen förmlichen Sonderbund abzuschließen und denselben zum etwanigen Widerstand gegen »unbefugte« Bundesbeschlüsse militärisch zu organisieren.
Sobald die Existenz und der Inhalt des anfangs geheim gehaltenen Bündnisses bekannt wurde, beantragte Zürich im Sommer 1846 bei der Tagsatzung, dasselbe für unverträglich mit den Bestimmungen der Bundesakte und für aufgelöst zu erklären, erlangte aber erst, nachdem in Genf und St. Gallen die liberale Partei zur Herrschaft gekommen war, im Juli 1847 die Mehrheit. Dieselbe, aus zwölf ganzen und zwei halben Kantonen bestehend, beschloß nicht bloß die Auflösung des Sonderbundes, sondern auch eine Bundesrevision und die Ausweisung der Jesuiten. Da die sieben Sonderbundskantone, auf Österreichs und Frankreichs Hilfe vertrauend, allen Mahnungen und Vermittelungsversuchen unzugänglich blieben und eifrig rüsteten, entschied sich die Tagsatzung zu Bern zur Anwendung von Waffengewalt (Sonderbundskrieg).
Eine eidgenössische Armee von fast 100,000 Mann unter dem Obersten Dufour zwang Freiburg u. Zug zur Kapitulation, vertrieb die vom Obersten Salis-Soglio befehligten Sonderbundstruppen 23. Nov. aus ihren verschanzten Stellungen bei Luzern und zog in diese Stadt ein. Nun unterwarfen sich auch die Waldstätten und Wallis, und noch vor Ende November war der Sonderbund aufgelöst. Die Verfassungen und Regierungen in den besiegten Kantonen wurden verändert und denselben die Kriegskosten auferlegt.
Der Ausgang des Kriegs entschied auch den Sieg der Bundesrevision. Eine Kollektivnote Österreichs, Preußens, [* 23] Frankreichs und Rußlands vom erklärte allerdings, daß diese Mächte keine Veränderung der Bundesakte von 1815 zulassen würden, die mit der Kantonalsouveränität in Widerspruch stehe. Die Tagsatzung wies indes mit Entschiedenheit diese Einmischung zurück, welche infolge der Februarrevolution zu Boden fiel, und beschloß nach dem Muster der Vereinigten Staaten [* 24] von Nordamerika [* 25] die in ihren Grundzügen noch jetzt bestehende Verfassung, welche die S. aus einem losen Staatenbund in einen fester gefügten Bundesstaat umwandelte.
Dem Bund wurden das ausschließliche Recht über Krieg und Frieden, der Verkehr mit dem Ausland, das Zoll-, Post- und Münzwesen, [* 26] Maß und Gewicht, die Organisation des Bundesheers, der höhere Militärunterricht, die Garantie republikanisch-demokratischer Kantonalverfassungen, der politischen Rechtseinheit, der Glaubensfreiheit, der Preß- und Vereinsfreiheit etc. übertragen. An Stelle der Tagsatzung trat eine in ihrer Stimmabgabe freie Bundesversammlung, bestehend aus der Vertretung der Kantone (Ständerat) und der des Schweizer Volkes (Nationalrat), an Stelle des bisherigen wechselnden Vorortes als höchste vollziehende Behörde ein ständiger Bundesrat von sieben Mitgliedern, von denen der den Vorsitz führende den Titel Bundespräsident erhielt; ebenso wurde ein Bundesgericht eingesetzt. Nachdem 15½ Kantone mit 1,897,887 Seelen gegen 6½ verwerfende mit 292,371 Einw. die neue Verfassung angenommen, erklärte die Tagsatzung dieselbe als zu Recht bestehend und löste sich auf. Die erste Bundesversammlung trat 6. Nov. in Bern, das zum Bundessitz ¶