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hintern Thalstufen zu germanisieren. Das Sarganser Land, welches seine romanischen Vorposten bis zum Walensee und weiter hinab erstreckte, stand den Alemannen ebenso offen; die Lanquart wies ihnen den Weg in den Prätigau, die Plessur in das Schanvic. Erst am Hinter- und Vorderrhein begegnete der einwandernde Strom wirksamerm Widerstand: im »Boden« und in Tomleschg erlagen nur einzelne Posten, höher die Rongella, und die Deutschen mußten in die hohen Quellthäler Davos, Avers und Val Rhin (Rheinwald) hinaufsteigen;
im Oberland wurden außer Safien nur Versam (und Sculms), Vallendas, Vals und Obersaxen germanisiert.
Die französische Sprachgrenze schneidet im Wallis Sierre, zieht an der waadtländisch-bernischen Grenze hin, scheidet die Unter- und Oberstadt Freiburgs, trifft Murten, folgt Broye-Thièle, erhebt sich diesseit Neuveville in den Jura, um der bernisch-solothurnischen Grenze, soweit diese das Thal [* 2] von Delémont umfaßt, zu folgen und endlich die Birs in nordwestlicher Richtung zu schneiden. Also sind französisch: Unterwallis, Waadt, Genf [* 3] und Neuenburg [* 4] sowie die Mehrzahl der Orte Freiburgs und des Berner Jura.
Die italienische Nationalität hat mit geringen Ausnahmen das Pogebiet bis zum Alpenkamm herauf besetzt, d. h. Tessin und vier Graubündner Thäler (Misox-Calanca, Bergell und Puschlav), und ist selbst in den zwei höchsten Gemeinden des Oberhalbstein (Bivio und Marmorera) angesiedelt. Die Rätoromanen (oft Romanen schlechtweg, auch Ladiner oder Churwelsche genannt) haben sich als kompakte Masse im Gebiet des Vorder- und Hinterrheins sowie im Engadin und Münsterthal behauptet. (Bezüglich der Schweizer Dialekte aller vier Sprachen vgl. Egli, Neue Schweizerkunde, 8. Aufl., St. Gallen 1889.)
Kirchliche Verhältnisse.
Was die konfessionellen Verhältnisse anlangt (vgl. die S. 748 stehende Tabelle), so machen die Protestanten 3/5, genauer 587,9 pro Mille, die Katholiken 2/5, genauer 405,6 pro Mille der Bevölkerung [* 5] aus, während auf Juden nur 2,9 pro Mille kommen. Der Protestantismus herrscht in den flachern Kantonen des Nordens und Westens, der Katholizismus in den höhern Alpenkantonen. Fast rein protestantisch sind nur noch Appenzell-Außerroden und Waadt, fast rein katholisch hingegen Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, [* 6] Zug, Tessin, Appenzell-Innerroden und Wallis, während in 10 andern Kantonen die Protestanten, in 4 die Katholiken vorherrschen.
Die kirchlichen Angelegenheiten der protestantischen Kantone werden durch gemischte Behörden geleitet; allein die Zusammensetzung derselben, wie überhaupt die Organisation des Kirchenwesens und die Stellung der Geistlichen, ist außerordentlich verschieden, weil sie Kantonalsache ist. Das katholische Kirchenwesen hat zunächst zur Reformationszeit Wandlungen erfahren. Nach Siegfrieds Statistik existierten bis dahin die 6 Bistümer Genf, Lausanne, [* 7] Sion, Basel, [* 8] Konstanz, [* 9] Chur, [* 10] die meistens noch ausländische Pfarreien umfaßten; ferner das Erzbistum Mailand [* 11] und (diesem zugeteilt) das Bistum Como.
Mit der Reformation siedelte der Bischof von Genf nach Annecy, der von Lausanne nach Freiburg, [* 12] der von Basel, welcher schon 1501 weggezogen war, nach Porrentruy über. 1814 wurde das Bistum Konstanz aufgehoben und die übrigen so reorganisiert, daß die Schweizer Bischöfe unmittelbar unter dem Papste stehen und, Chur ausgenommen, nur Schweizer Gebiet verwalten, sowie daß Livinen, Blenio, Riviera, Capriasca und Brissago zum Erzbistum Mailand, der Rest des Kantons Tessin zum Bistum Como gehörte. 1845 wurde St. Gallen als eignes Bistum von Chur abgetrennt, 1859 die tessinischen Katholiken von dem auswärtigen Verband [* 13] abgelöst, so daß die römischen Diözesen heute folgende 5 sind: Sion, Lausanne-Freiburg, Basel-Solothurn, Chur und St. Gallen, wozu noch die besondere Administration im Tessin hinzukommt.
Über die Ereignisse, welche neuerdings der »Kulturkampf« in der S. auf kirchlichem Gebiet gebracht hat, s. unten (Geschichte). Infolge derselben ward von den in Olten versammelten Delegierten des Schweizerischen Vereins freisinniger Katholiken die schon früher in Bern [* 14] begonnene »Verfassung der christkatholischen Kirche der S.« vollendet und vom Synodalrat der Professor Herzog in Bern zum Bischof der Nationaldiözese ernannt. Nach amtlicher Quelle [* 15] umfaßt diese gegenwärtig in 11 Kantonen 46 Kirchgemeinden mit höchstens 40-50,000 Seelen, die meisten Gemeinden in den Kantonen Bern, Genf, Aargau und Solothurn. [* 16] Es sind noch 85 Klöster vorhanden, davon 32 Manns- und 53 Frauenklöster, jene mit über 400, diese mit über 2000 Konventualen. Von Mannsklöstern sind fast allein die der Kapuziner übrig geblieben; denn von andern Orden [* 17] bestehen nur die 3 Benediktinerabteien Einsiedeln, Engelberg und Disentis, die 2 Augustinerstifter Grand St.-Bernard und St.-Maurice, die Cordeliers von Freiburg, die Kartäuser von Valsainte fort.
Bildungsanstalten.
Was das Unterrichtswesen betrifft, so wurde durch die Bundesakte von 1848 das Palladium der kantonalen Schulgesetzgebungen nur insofern angerührt, als der Bund die Berechtigung erhielt, ein Polytechnikum und eine Universität zu gründen, eine Idee, die nur in ersterer Hinsicht 1855 durch Gründung des eidgenössischen Polytechnikums in Zürich [* 18] (s. d.) zur Ausführung kam, während die Schöpfung einer eidgenössischen Universität an der Existenz der kantonalen Universitäten (s. unten) und an den Ansprüchen der welschen Kantone fast unüberwindliche Schwierigkeiten findet.
Die Bundesverfassung von 1874 hat die Bundeskompetenz in Schulsachen erheblich erweitert; namentlich sind die Kantone verpflichtet, für genügenden Primarunterricht zu sorgen, der ausschließlich unter staatlicher Leitung steht, obligatorisch, unentgeltlich und konfessionslos ist. In einer Reihe »regenerierter« Kantone ist die Primar- oder allgemeine Volksschule von trefflicher Einrichtung. Ebenso bestehen fast überall höhere Volksschulen, meist Sekundar- oder Bezirksschulen (in der französischen S. Écoles moyennes oder secondaires, in Tessin Scuole elementari maggiori) genannt.
Die Mittelschulen vorbereitender Art (Gymnasien, Collèges) sondern sich in zwei Klassen: humanistische (Litterargymnasien), als Vorstufe der Universität, und realistische (Industrieschulen), als Vorstufe des Polytechnikums. Die meisten Industrieschulen haben neben der technischen auch eine kaufmännische Abteilung. Einige katholische Kantone haben dem Gymnasium einen Oberbau aufgesetzt (Lyceum). Manche vereinigen äußerlich das humanistische und das realistische Gymnasium zu einer Kantonsschule (in 14 Kantonen). In die Klasse der Berufsschulen gehören (außer dem eidgenössischen Polytechnikum) die 5 kantonalen Universitäten in Zürich, Bern, Basel, Genf und Lausanne, die Akademie in Neuchâtel, die Rechtsschule in Freiburg, 2 Veterinärschulen (Bern und Zürich), einige Priester- und 39 Lehrer- und ¶
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Lehrerinnenseminare. Außer diesen Anstalten bestehen in mehreren Kantonen Ackerbauschulen, ferner viele Waisenhäuser, Armenschulen, Rettungs-, Blinden- und Taubstummenanstalten etc., namentlich auch viele Privatinstitute, besonders zahlreich in der französischen S., wo deutsche Mädchen (weniger Knaben) ihre »Welschlandbildung« holen. - Die Zahl der öffentlichen Bibliotheken in der S. beträgt nach der Bibliothekstatistik von Heitz (Bas. 1872) über 2000 mit 2,5 Mill. Bänden. Es datieren die beiden ältesten, die Stiftsbibliotheken von St. Gallen und Einsiedeln, aus den Jahren 836, resp. 946, die fünf folgenden aus der Periode 1000-1500, die übrigen aus der neuern Zeit.
Die größte ist die Stadtbibliothek in Zürich mit 110,000 Bänden. Die größte Zahl von Bänden fällt auf die Kantone Zürich (320,000) und Bern (ebensoviel), die kleinste auf Uri (10,000). Außerordentlich ist die Zahl von Vereinen und Gesellschaften: lokalen, distriktlichen, kantonalen und eidgenössischen, für wissenschaftliche, gemeinnützig-wohlthätige, religiöse, politische, gesellige Zwecke etc. Die Periode der eidgenössischen Vereine begann erst, als 1810 in Zürich die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft und 1815 in Genf die Schweizerische Naturforschende Gesellschaft gegründet wurden. Es folgten sodann: der Eidgenössische Schützenverein 1824, der Eidgenössische Turnverein 1832, der Schweizerische Offiziersverein 1833, der Grütliverein 1838, die Schweizerische Predigergesellschaft 1838, der Eidgenössische Sängerverein 1842, der Schweizerische Apothekerverein 1843, der Schweizerische Forstverein 1843, der Schweizerische Armenerzieherverein 1848, der Schweizerische Lehrerverein 1849, die Juristische Gesellschaft der S. 1861, der Verein junger Kaufleute 1863, der Schweizerische Alpenklub 1863, die Schweizerische Statistische Gesellschaft 1864, der Ärztliche Zentralverein 1869, der Eidgenössische Rennverein 1872 u. a. Einzelne dieser Gesellschaften zählen Tausende von Mitgliedern; am zahlreichsten ist der Grütliverein (5000).
Land- und Forstwirtschaft.
Das produktive Land nimmt in der S. nur 71,7 Proz. des Gesamtareals ein, davon entfallen auf Ackerland 16 Proz., Rebland 0,7, auf Weideland und Alpen [* 20] 19,2, auf Wiesen 16,8 und auf Wald 19 Proz. Durch Bodenbeschaffenheit und Klima [* 21] beschränkt, erzeugt der Ackerbau nicht einmal in der Hochebene genug Getreide, [* 22] über den Bedarf nur in den Kantonen Solothurn, Luzern und Schaffhausen. [* 23] Die jährliche Einfuhr an Cerealien, Mehl [* 24] und Hülsenfrüchten bewegt sich um 4 Mill. metr. Ztr. (à 100 kg), davon ca. sieben Zehntel Weizen.
Die alljährlichen Zolltabellen geben Auskunft über diese Unzulänglichkeit der Urproduktion, so auch in Hanf und Flachs, in Kartoffeln und Gemüse, selbst in Obst und Wein, obgleich es manche reiche Obst- und Weingebiete gibt. Den geschätztesten Wein liefert die Westschweiz, und der Kanton Waadt [* 25] steht auch quantitativ voran. Der Hauptgegenstand der Viehzucht [* 26] ist das Rind. [* 27] 1886 ergab die Zählung 1,212,538 Stück, nach Maßgabe der Volksmenge das meiste in den Bergkantonen.
Jeden Herbst gehen Transporte von »Welschlandvieh« nach Italien; [* 28] Nachzucht ersetzt diesen Abgang. Manche Gegenden kaufen vom Ausland her das benötigte Jung-, Melk-, Zug- und Mastvieh. Die Einfuhr übersteigt die Ausfuhr erheblich, um 60-70,000 Stück pro Jahr, und ebenso erheblich ist die Mehreinfuhr an Butter und Schweineschmalz. Dieses Mißverhältnis rührt teilweise daher, weil man mehr und mehr Fettkäse fabriziert. Hierin nimmt die S. eine ausgezeichnete Stellung ein.
Die Nettoausfuhr von Käse belief sich 1886 auf 240,421 metr. Ztr. Die berühmtesten Sorten werden im Greyerzer Land, im Saanen-, Emmen-, Maderaner und Ursernthal und im Tavetsch verfertigt. Um Bellelaye (im Berner Jura) sowie in den Berggebieten von Waadt und Genf werden vorzügliche Streichkäse bereitet und im Valle Lavizzara berühmte Strohkäse (so weich, daß sie nur mit Stroh umwickelt verschickt werden, namentlich nach Italien). Die in andern Landschaften verfertigten »Emmenthaler Käse« stehen bei kundiger Behandlung den echten in nichts nach.
Manche Gegenden fabrizieren vorzugsweise halbfette und magere Käse für den eignen Verbrauch. Einen eigentümlichen Käse liefern das Glarner Land u. a. O. in dem Schabzieger, welcher Farbe und Geruch von dem Pulver einer Art Honigklee (»Ziegerkraut«) erhält. Die Alpenkantone haben wie das meiste, so auch das schönste Rindvieh. Man unterscheidet zwei Hauptrassen, die westschweizerische Fleck- und die ostschweizerische Braunrasse; der Stand dieser beiden Rassen verhält sich wie 51:45. Die Fleckrasse findet sich am ausschließlichsten, zu über 8/10, in den Kantonen Neuenburg, Freiburg, Solothurn, Bern und Baselland, die Braunrasse zu mehr als 9/10 in Glarus, Schwyz, Nidwalden, Uri, Obwalden und Zug. Die erstere ist die schwerere, rot oder schwarz oder gefleckt, ausgezeichnet durch roten Spiegel [* 29] (vordere Nasenfläche), vorzüglich zur Mästung geeignet.
Ihre beiden schönsten Unterrassen sind der schwarze oder schwarzscheckige Freiburger Schlag und der rote oder rotscheckige Berner Schlag. Das ostschweizerische Vieh ist grau bis braun, ausgezeichnet durch einen schwarzen, grau verbrämten Spiegel, zwar leichter gebaut als das Fleckvieh, aber verhältnismäßig milchreicher. Das schönste Vieh dieser Rasse zeigt der Schwyzer Schlag. Kleiner ist das Toggenburger, Appenzeller, Bündner, Unterwaldner und Walliser Vieh, das kleinste wohl dasjenige des Bündner Oberlandes; die Kühe dieses Schlags sind weißgrau, wiegen bloß 2-3 Ztr. und klettern beinahe wie Ziegen. Im Flachland ist die Viehzucht mit dem Landbau verbunden. Im Alpenland tritt die Viehzucht selbständig und in ganz eigentümlicher Gestalt auf. Im Gegensatz zu der Stallfütterung des Flachlandes wird die Viehzucht hier zur Alpenwirtschaft (s. d.), d. h. das Vieh wird auf der Alp »gesömmert«.
Ein modernes, mit der Rinderzucht verknüpftes Geschäft ist die Fabrikation kondensierter Milch, welche 1886 eine Ausfuhr von 146,975 metr. Ztr. unterhielt (s. Cham 2). In den übrigen Zweigen der Viehzucht nimmt die S. einen bescheidenen Rang ein. Die Zahl der Pferde [* 30] ist gering (1886: 98,313), und erst in der Neuzeit hat der Bund ein Erkleckliches für Hebung [* 31] dieser Zucht geleistet durch Ankauf englischer und andrer Zuchtpferde, die an Kantone und Private veräußert werden.
Auch der 1872 ins Leben getretene Eidgenössische Rennverein verfolgt diesen Zweck. Selten trifft man in der S. eine geordnete Schafzucht (341,804), die auch nur einige hundert in Größe, Körperbau, Wollertrag und Farbe gleichmäßige Stück nebeneinander aufzuweisen hätte. Qualitativ höher steht die Schweinezucht (394,917), während in den höhern Alpenkantonen die Ziege (416,323) geradezu verderblich gewirkt hat. In einigen mildern Thälern gedeiht auch etwas Seidenzucht (Tessin und Graubünden erzeugen in einzelnen Jahren 300,000 kg Kokons). Jagd und Fischerei [* 32] sind nicht mehr von Belang; selbst die Gemse ist ziemlich selten geworden, und der gänzlichen Entvölkerung ¶