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dagegen fehlt ihr der Maikäfer. Im ganzen bleibt mit dem Walde, der Hauptmasse des Pflanzenlebens, auch die Hauptmasse des Tierlebens zurück. Nur wenige Weichtiere und Würmer [* 2] sowie eigentümliche Arten dunkler, flügelloser Käfer, [* 3] meist kleiner Schmetterlinge [* 4] und ausdauernder Spinnen [* 5] treten über der Baumgrenze noch auf. Der Flußkrebs, die Eintagsfliege bleiben zurück, während die Stubenfliege, die Bremsen [* 6] und Dungfliegen der Spur von Mensch und Vieh bis an die Schneegrenze folgen.
Die Schneeregion ist auf die höchsten Kämme, Gipfel und Mulden der Hochalpen beschränkt. Mit Überraschung erblickt der Kenner noch Steinbreche, Enziane, Krüppelweiden, häufiger aber Kryptogamen: Moose, [* 7] Flechten [* 8] und jene Alge, die im »roten Schnee« [* 9] aufgefunden wird (im Verein mit den niedersten tierischen Gestalten). Man findet selbst noch Insekten, [* 10] und aus der Alpenregion gibt es etwa Besuch: die Schneekrähe, das Schneehuhn, der Schneefink und das Murmeltier. Die Einöde des ewigen Schnees ist zugleich die letzte Zufluchtsstätte des Steinbocks.
[Areal und Bevölkerung.]
Die S. nimmt eine Fläche von 41,390 qkm (751,6 QM.) ein und zählte 2,846,102, am 2,934,057 Einw. (ortsanwesende Bevölkerung). [* 11] Die vorläufigen Resultate der letztern Zählung zeigt die Tabelle S. 748.
Die Schweizer Bevölkerung hat sich in zahllosen einzelnen Berghütten und Bauernhöfen, Weilern, Dörfern, Flecken, Städtchen und Städten, zusammen 3055 Gemeinden bildend, angesiedelt. Es gibt nur drei Städte, welche nach Einwohnerzahl des Stadtkerns und des Weichbildes sich Anspruch auf großstädtischen Charakter erworben haben, Zürich, [* 12] Basel [* 13] und Genf. [* 14] Im ganzen zählt die S. 54 Gemeinden mit je über 5000 Einw. (unter letztern 19 Kantonshauptorte), und von diesen 54 Gemeinden zählen wieder 18 je über 10,000 Seelen, nämlich: die Kantonshauptorte Genf, Zürich, Basel, Bern, [* 15] Luzern, [* 16] Freiburg, [* 17] Schaffhausen, [* 18] Herisau, St. Gallen, Neuchâtel und Lausanne; [* 19] ferner La Chaux de Fonds, Außersihl, Winterthur, Riesbach, Biel, Plainpalais und Le [* 20] Locle.
Die überseeische Auswanderung, welche 1883 bis auf 13,502 Personen gestiegen war, ist seitdem stetig gesunken, 1887 auf 7558 Personen (davon 6448 nach Nordamerika). [* 21] Während die Auswanderer etwa zur Hälfte der landwirtschaftlichen Bevölkerung angehören, sind die Einwanderer, deren man jährlich ca. 6-7000 zählt, überwiegend Handwerker. Es gab 1886: 20,080 Eheschließungen, 901 Ehescheidungen, d. h. 1,90 auf 1000 Ehen, ferner 84,142 Geburten, wovon 4158 uneheliche, 60,061 Sterbefälle, davon 13,271 unter einem Altersjahr, 3337 über 80 Jahre. 18,521 Todesfälle stehen in der Rubrik »Krankheiten der Atmungsorgane«, 692 unter »Selbstmord«. Im ganzen bildet das Schweizervolk einen kräftigen und gesunden Schlag, selbstverständlich weniger in den Fabrikbezirken als unter den Bauern und Hirten, besonders im Hasle, Emmenthal, Entlebuch, in Unterwalden und in mehreren Thälern Graubündens. Im allgemeinen, sagt man, ist der Schweizer bieder, voll Liebe zum Vaterland, stolz auf seine ererbte Freiheit, ein Liebhaber des Waffenhandwerks und körperlicher Übungen, ein trefflicher Schütze; Arbeitsamkeit und Ordnungsliebe sind vielverbreitet, und ein humaner Sinn bethätigt sich gern in milden Werken.
Die gegenwärtige Bevölkerung der S. ist das Ergebnis Jahrtausende alter Wandlungen im Völkerleben. Lange vor den Römern hauste an den Seen das Pfahlbauvolk, vielleicht keltischen Stammes, von Jagd und Fischerei, [* 22] Viehzucht und [* 23] Ackerbau lebend und zu verschiedenen häuslichen Künsten fortgeschritten. Seit Entdeckung der Meiler Baute (1854) sind auf schweizerischem Gebiet über 200 Pfahlbaustätten bekannt geworden. Zu der Zeit, als die Römer [* 24] sich zu Herren des Landes machten, war dieses größtenteils von den Helvetiern und verwandten Stämmen, im bündnerischen Gebirge von den Rätiern bewohnt.
Die Helvetier waren keltischen Stammes; aber es ist nicht ermittelt, in welchem Verhältnis sie zu den Pfahlbauleuten standen. Sie vermischten sich mit den Römern und wurden romanisiert. Bald aber brachen die Stürme der Völkerwanderung los. Es wanderten verschiedene germanische Stämme ein: Alemannen, Burgunder und Ostgoten kämpften um Besitz und Herrschaft. In der nördlichen S. erlag das keltisch-romanische Wesen dem alemannisch-fränkischen. Das römische Wesen verschwand, die deutsche Sprache breitete sich über die Nordschweiz aus.
Anders in den übrigen Landesteilen. Die Ansiedelung der Burgunder in der westlichen S. beruhte nicht auf Übermacht, sondern auf Vertrag, auf Übereinkunft zwischen Romanen und Germanen. Die letztern, als der barbarische Volksteil, beugten sich vor der Macht der römischen Gesittung; sie paßten sich allmählich in Lebensweise, Sitte und Sprache [* 25] den Romanen an. Es bildete sich eine Tochtersprache des römischen Volksidioms (Französisch). Ähnliches geschah jenseit der Alpen, [* 26] auf dem Boden ostgotischer Einwanderung; denn hier erschienen die Langobarden, welche rasch ihr germanisches Wesen einbüßten.
Auch dort also, auf der Südseite der Alpen, erhielt sich die Volkssprache der Römer in verjüngter Gestalt (Italienisch). Im rätischen Gebirge hatte die Romanisierung schon zu Tiberius' Zeiten begonnen. Die römische Übermacht, nachdem sie die Rätier bezwungen und fast vernichtet hatte, besetzte das Land mit römischen Ansiedlern, und unter diesen erhielt sich, durch die Völkerstürme wenig betroffen, die gemeine römische Volkssprache (Rätoromanisch).
Freilich zog sich diese in den spätern Jahrhunderten allmählich auf einen engern Raum zurück, gedrängt von alemannischer Einwanderung, welcher die Graubündner Thäler offen standen, und überhaupt bei aller Zähigkeit schwach gegen das deutsche Übergewicht. So sind, abgesehen von einem fremdartigen (semitischen), numerisch unbedeutenden Volksanteil (s. unten), aus der Mischung der vorrömischen, römischen und nachrömischen Elemente zwei verschiedene Völkerklassen, resp. Sprachgebiete entstanden: die germanische (Deutsche [* 27] 71,32 Proz.) und die romanische (Franzosen 21,74 Proz., Italiener 5,34 Proz. und Rätoromanen 1,31 Proz.). Auf die übrigen Sprachen entfallen 0,2 Proz. Eine Nationalitätenkarte zeigt, daß der deutsche Stamm, entsprechend seinem numerischen Übergewicht, auch das ausgedehnteste Areal besetzt hat: die ganze nördliche und mittlere S. Von dieser aus drang der Kolonialstrom selbst hoch in das Gebirge hinauf und stieg jenseit des St. Gotthard tief in die Thäler des Rhône und der Toce hinab.
Sogar der kolossale Gebirgsstock des Monte Rosa bildete keine Grenzscheide für die deutsche Sprachverschiebung; an seiner Südseite, im »Krämerthal« von Gressoney und in einigen benachbarten Thalorten, lebt die deutsche Sprache fort, wie im Simpeln- und Formazzathal und in dem einsamen tessinischen Bergkessel von Bosco. Namentlich bot das Rheinthal eine bequeme Pforte, um höher in das rätoromanische Gebiet vorzudringen. Längs der vorarlbergischen Ill siedelten sich die Alemannen zunächst im welschen Land (Walgau, d. h. Gau der Welschen) an, um später selbst die ¶
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hintern Thalstufen zu germanisieren. Das Sarganser Land, welches seine romanischen Vorposten bis zum Walensee und weiter hinab erstreckte, stand den Alemannen ebenso offen; die Lanquart wies ihnen den Weg in den Prätigau, die Plessur in das Schanvic. Erst am Hinter- und Vorderrhein begegnete der einwandernde Strom wirksamerm Widerstand: im »Boden« und in Tomleschg erlagen nur einzelne Posten, höher die Rongella, und die Deutschen mußten in die hohen Quellthäler Davos, Avers und Val Rhin (Rheinwald) hinaufsteigen;
im Oberland wurden außer Safien nur Versam (und Sculms), Vallendas, Vals und Obersaxen germanisiert.
Die französische Sprachgrenze schneidet im Wallis Sierre, zieht an der waadtländisch-bernischen Grenze hin, scheidet die Unter- und Oberstadt Freiburgs, trifft Murten, folgt Broye-Thièle, erhebt sich diesseit Neuveville in den Jura, um der bernisch-solothurnischen Grenze, soweit diese das Thal [* 29] von Delémont umfaßt, zu folgen und endlich die Birs in nordwestlicher Richtung zu schneiden. Also sind französisch: Unterwallis, Waadt, Genf und Neuenburg [* 30] sowie die Mehrzahl der Orte Freiburgs und des Berner Jura.
Die italienische Nationalität hat mit geringen Ausnahmen das Pogebiet bis zum Alpenkamm herauf besetzt, d. h. Tessin und vier Graubündner Thäler (Misox-Calanca, Bergell und Puschlav), und ist selbst in den zwei höchsten Gemeinden des Oberhalbstein (Bivio und Marmorera) angesiedelt. Die Rätoromanen (oft Romanen schlechtweg, auch Ladiner oder Churwelsche genannt) haben sich als kompakte Masse im Gebiet des Vorder- und Hinterrheins sowie im Engadin und Münsterthal behauptet. (Bezüglich der Schweizer Dialekte aller vier Sprachen vgl. Egli, Neue Schweizerkunde, 8. Aufl., St. Gallen 1889.)
Kirchliche Verhältnisse.
Was die konfessionellen Verhältnisse anlangt (vgl. die S. 748 stehende Tabelle), so machen die Protestanten 3/5, genauer 587,9 pro Mille, die Katholiken 2/5, genauer 405,6 pro Mille der Bevölkerung aus, während auf Juden nur 2,9 pro Mille kommen. Der Protestantismus herrscht in den flachern Kantonen des Nordens und Westens, der Katholizismus in den höhern Alpenkantonen. Fast rein protestantisch sind nur noch Appenzell-Außerroden und Waadt, fast rein katholisch hingegen Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Zug, Tessin, Appenzell-Innerroden und Wallis, während in 10 andern Kantonen die Protestanten, in 4 die Katholiken vorherrschen.
Die kirchlichen Angelegenheiten der protestantischen Kantone werden durch gemischte Behörden geleitet; allein die Zusammensetzung derselben, wie überhaupt die Organisation des Kirchenwesens und die Stellung der Geistlichen, ist außerordentlich verschieden, weil sie Kantonalsache ist. Das katholische Kirchenwesen hat zunächst zur Reformationszeit Wandlungen erfahren. Nach Siegfrieds Statistik existierten bis dahin die 6 Bistümer Genf, Lausanne, Sion, Basel, Konstanz, [* 31] Chur, [* 32] die meistens noch ausländische Pfarreien umfaßten; ferner das Erzbistum Mailand [* 33] und (diesem zugeteilt) das Bistum Como.
Mit der Reformation siedelte der Bischof von Genf nach Annecy, der von Lausanne nach Freiburg, der von Basel, welcher schon 1501 weggezogen war, nach Porrentruy über. 1814 wurde das Bistum Konstanz aufgehoben und die übrigen so reorganisiert, daß die Schweizer Bischöfe unmittelbar unter dem Papste stehen und, Chur ausgenommen, nur Schweizer Gebiet verwalten, sowie daß Livinen, Blenio, Riviera, Capriasca und Brissago zum Erzbistum Mailand, der Rest des Kantons Tessin zum Bistum Como gehörte. 1845 wurde St. Gallen als eignes Bistum von Chur abgetrennt, 1859 die tessinischen Katholiken von dem auswärtigen Verband [* 34] abgelöst, so daß die römischen Diözesen heute folgende 5 sind: Sion, Lausanne-Freiburg, Basel-Solothurn, Chur und St. Gallen, wozu noch die besondere Administration im Tessin hinzukommt.
Über die Ereignisse, welche neuerdings der »Kulturkampf« in der S. auf kirchlichem Gebiet gebracht hat, s. unten (Geschichte). Infolge derselben ward von den in Olten versammelten Delegierten des Schweizerischen Vereins freisinniger Katholiken die schon früher in Bern begonnene »Verfassung der christkatholischen Kirche der S.« vollendet und vom Synodalrat der Professor Herzog in Bern zum Bischof der Nationaldiözese ernannt. Nach amtlicher Quelle [* 35] umfaßt diese gegenwärtig in 11 Kantonen 46 Kirchgemeinden mit höchstens 40-50,000 Seelen, die meisten Gemeinden in den Kantonen Bern, Genf, Aargau und Solothurn. [* 36] Es sind noch 85 Klöster vorhanden, davon 32 Manns- und 53 Frauenklöster, jene mit über 400, diese mit über 2000 Konventualen. Von Mannsklöstern sind fast allein die der Kapuziner übrig geblieben; denn von andern Orden [* 37] bestehen nur die 3 Benediktinerabteien Einsiedeln, Engelberg und Disentis, die 2 Augustinerstifter Grand St.-Bernard und St.-Maurice, die Cordeliers von Freiburg, die Kartäuser von Valsainte fort.
Bildungsanstalten.
Was das Unterrichtswesen betrifft, so wurde durch die Bundesakte von 1848 das Palladium der kantonalen Schulgesetzgebungen nur insofern angerührt, als der Bund die Berechtigung erhielt, ein Polytechnikum und eine Universität zu gründen, eine Idee, die nur in ersterer Hinsicht 1855 durch Gründung des eidgenössischen Polytechnikums in Zürich (s. d.) zur Ausführung kam, während die Schöpfung einer eidgenössischen Universität an der Existenz der kantonalen Universitäten (s. unten) und an den Ansprüchen der welschen Kantone fast unüberwindliche Schwierigkeiten findet.
Die Bundesverfassung von 1874 hat die Bundeskompetenz in Schulsachen erheblich erweitert; namentlich sind die Kantone verpflichtet, für genügenden Primarunterricht zu sorgen, der ausschließlich unter staatlicher Leitung steht, obligatorisch, unentgeltlich und konfessionslos ist. In einer Reihe »regenerierter« Kantone ist die Primar- oder allgemeine Volksschule von trefflicher Einrichtung. Ebenso bestehen fast überall höhere Volksschulen, meist Sekundar- oder Bezirksschulen (in der französischen S. Écoles moyennes oder secondaires, in Tessin Scuole elementari maggiori) genannt.
Die Mittelschulen vorbereitender Art (Gymnasien, Collèges) sondern sich in zwei Klassen: humanistische (Litterargymnasien), als Vorstufe der Universität, und realistische (Industrieschulen), als Vorstufe des Polytechnikums. Die meisten Industrieschulen haben neben der technischen auch eine kaufmännische Abteilung. Einige katholische Kantone haben dem Gymnasium einen Oberbau aufgesetzt (Lyceum). Manche vereinigen äußerlich das humanistische und das realistische Gymnasium zu einer Kantonsschule (in 14 Kantonen). In die Klasse der Berufsschulen gehören (außer dem eidgenössischen Polytechnikum) die 5 kantonalen Universitäten in Zürich, Bern, Basel, Genf und Lausanne, die Akademie in Neuchâtel, die Rechtsschule in Freiburg, 2 Veterinärschulen (Bern und Zürich), einige Priester- und 39 Lehrer- und ¶