Geschichtliches. Bei allen Völkern, welche sich irgendwie über den ursprünglichen Zustand natürlicher
Roheit erhoben haben, muß sich das
Bedürfnis nach besondern Unterrichtsanstalten
(Schulen) herausstellen. Einerseits
sind die
Forderungen, welche an die geistige
Bildung des einzelnen gestellt werden, zu vielseitig, um anders als durch berufsmäßig
gebildete
Lehrer befriedigt zu werden; anderseits nimmt der einzelne
Beruf bei der mit der
Steigerung der
Kultur zunehmenden
Teilung der Arbeit die Eltern, namentlich die Hausväter, zu stark und zu einseitig in Anspruch,
um ihnen Muße und Befähigung zum
Unterricht der
Kinder, der naturgemäß zunächst ihre Aufgabe ist, zu belassen.
Nur wenigen gestattet dagegen ihr höherer Wohlstand, eigne
Lehrer und
Erzieher für ihre
Familie zu bestellen. Anfänge und
Ansätze des Schulwesens begegnen uns daher bei allen zivilisierten Völkern; eine tiefere und allgemeine
Schätzung desselben nach seinem wahren Wert für das
Leben des
Volkes findet indes auf den niedern
Stufen der
Kultur, da dieser
Wert zunächst ganz auf dem idealen Gebiet liegt und nur mittelbar für den äußern Wohlstand des
Volkes ins
Gewicht fällt,
große Hindernisse und darf als das deutlichste Merkmal einer höhern Bildungsstufe bezeichnet werden.
Ein staatsseitig systematisch durchgeführtes oder wenigstens geordnetes und überwachtes S. finden wir daher auch, von den
merkwürdigen analogen Einrichtungen in
China
[* 7] und dem frühern
Japan abgesehen, bei welchen die pedantisch geregelte Form
den
Inhalt nicht zum rechten
Leben gelangen läßt, nur bei den Völkern der modernen europäischen
Kultur,
und soweit deren zivilisatorischer Einfluß reicht; ja, selbst bei diesen hat das S. noch nicht überall den Platz und die
Pflege gefunden, welche es gegenüber den ältern
Zweigen der
Staatsverwaltung beanspruchen darf und, wenn nicht gewaltsame
Erschütterungen die geistige
Entwickelung der europäischen Menschheit unterbrechen, allen
Anzeichen nach
gewiß erlangen wird.
Die ersten bedeutsamen Anfänge des Schulwesens, mit welchen unsre Unterrichtsanstalten kaum noch in einem gewissen ursachlichen
Zusammenhang stehen, entwickelten sich bei den alten Griechen einer- und bei den alten
Hebräern anderseits. Unter den Griechen
waren es trotz ihres lebhaften
Interesses für die
Erziehung der
Jugend weniger die Spartaner, denen es
fast nur auf kriegerische Tüchtigkeit ankam, als die
Athener, bei denen die
Schulen blühten und zwar neben den Redner- und
Philosophenschulen auch die einfachen Knabenschulen.
Man führt den Ursprung der letztern namentlich auf
Solons Einfluß zurück, welcher in seinen
Gesetzen bestimmte, daß ein
athenischer
Bürger seinenVater gerichtlich belangen dürfe, wenn dieser ihn in seiner
Jugend nicht gehörig
habe unterrichten lassen. Immerhin ist festzuhalten, daß von einer durchgreifenden staatlichen Regelung des Unterrichtswesens
nicht die
Rede war, und daß alle wirklich vorhandenen
Schulen doch nur den
Kindern und zwar den
Söhnen der freien
Bürger zu
gute kamen, welche namentlich seit den
Perserkriegen gegenüber den Sklaven nur die Minderzahl der Landesbewohner
bildeten.
Von
Athen
[* 8] aus verbreitete sich das griechische S. zu den meisten griechischen
Stämmen und
Städten und zu den
Römern, deren
praktischer
Sinn schon für sich zu gewissen einfachen Grundlagen ähnlicher Art geführt hatte und nun sich der
fremden Anregung gegenüber doppelt empfänglich bewies. Gleichzeitig bildeten sich bei den alten Israeliten Knabenschulen
heraus, welche die Kenntnis der heiligen
Sprache
[* 9] der
Väter und die
Kunde des
Gesetzes der männlichen
Jugend vermittelten, also
wesentlich religiösen
Charakter hatten. An diese gegebenen Anfänge knüpfte die
christliche Kirche an, welche nach dem Vorbild
und der
Mahnung ihres
Stifters die
Pflege und Leitung der
Jugend von jeher als eine ihrer wichtigsten Aufgaben angesehen hat.
Sie gründete Katechumenenschulen, in welchen eigne Jugendlehrer,
Katecheten (s. d.), die meist in jugendlichem
Alter befindlichen
Neophyten zu unterrichten hatten; auch beschäftigten sich seit ihrer
Gründung (3. und 4. Jahrh.) und
namentlich seit ihrer neuen
Organisation durch
Benedikt von Nursia und
Cassiodorus (6. Jahrh.) die Klöster mit der Beschulung
der
Jugend. Der
Gedanke eines allgemeinen Volksunterrichts, wo er einmal auftauchte, scheiterte an den gewaltigen rohen Volksmassen,
welchen die
Kirche seit der
Völkerwanderung gegenüberstand.
Der große
Gedanke fand besonders in
Karl d. Gr. einen Vertreter; aber auch dieser mächtige Herrscher
war nicht im stande, ihn auch nur annähernd praktisch zu verwirklichen. Kaum minder glücklich auf kleinerm Gebiet waren
einige höhere
Geistliche, welche im weitern Verlauf des
Mittelalters auf ihn zurückkamen. So
gab es im
Mittelalter fast nur
gelehrte
Schulen an den
Domen und in den
Klöstern, welche meistens in innere, für künftige
Mönche und
Geistliche, und äußere, den
Söhnen der Edlen zugängliche, zerfielen, bis das Emporblühen der
Städte auch in diesen das
Bedürfnis nach
Schulen und zwar deutschen wie lateinischen
¶
Gegenüber den gelehrten Schulen wurde in den höhern Gesellschaftskreisen durch den Einfluß von Montaigne,
Locke, Leibniz, Rousseau u. a. in den letzten Jahrhunderten oft die Einzelerziehung durch Hofmeister und Hauslehrer bevorzugt.
Allein die letztere wird es, von einzelnen günstigen Ausnahmen abgesehen, mit einer geordneten Schulerziehung in ihren Leistungen
nie aufnehmen können. Auch mußte sie in unserm Jahrhundert sehr zurücktreten, seitdem, zuerst in Preußen
[* 15] und dann nach preußischem Muster in vielen andern StaatenEuropas, eine Reihe wichtiger Berechtigungen im Staats- und Kriegsdienst
an den erfolgreichen Besuch gewisser staatlicher oder wenigstens staatlich anerkannter und beaufsichtigter Schulen geknüpft
wurde.
Neben dieser äußern Nötigung hat aber dazu auch die in der modernen Entwickelung des Nationalgefühls
und des öffentlichen Lebens wurzelnde Überzeugung mitgewirkt, daß besonders Knaben schon früh lernen müssen und am besten
in öffentlichen Schulen lernen können, sich als dienende Glieder
[* 16] in ein größeres Ganze einzufügen, eine Überzeugung,
welche neuerdings sogar einsichtige Fürsten, wie z. B. den deutschen KaiserFriedrich III. als Kronprinzen, bewogen
hat, ihre Söhne bewährten öffentlichen Schulanstalten mindestens für einige Zeit anzuvertrauen.
Hierin liegt auch zugleich der Grundsatz angedeutet, welcher die Schulzucht oder Schuldisziplin nach der Anschauung der neuern
Pädagogik zu leiten hat, indem man von der Schule verlangt, daß sie durch den überwältigenden Eindruck einer sachlich begründeten
und besonnen durchgeführten Ordnung den Schüler innerlich zum gesetzmäßigen Verhalten bestimmen, nur
im Notfall aber zu äußern Strafen und namentlich zu mäßigen körperlichen Züchtigungen schreiten soll.
Nach der gegenwärtigen Gestalt des deutschen und namentlich des preußischen Schulwesens hat dasselbe folgende Gliederung
angenommen. Die allgemeine Grundlage bildet die Volksschule (Elementarschule), in
welcher auf dem Land
meist die Kinder beiderlei Geschlechts vereinigt, in größern OrtenKnaben und Mädchen gesondert in der christlichen Religion,
der Muttersprache (Lesen, Schreiben), im Rechnen, in den Elementen der Raumlehre, den wichtigsten Realien (Geschichte, Geographie,
Naturkunde), Zeichnen, Singen, Turnen und weiblichen Handarbeiten unterrichtet werden.
Neben der Volksschule, nur hier und da in größern Städten mit derselben verschmolzen, steht die Mittelschule, welche mindestens
fünf aufsteigende Klassen und demgemäß erweiterte Lehrziele in den Fächern der Volksschule hat, auch
daneben den Unterricht in mindestens einer fremden Sprache aufnimmt. Übrigens ist der NameMittelschule nicht überall für
die Anstalten dieser Stufe im Gebrauch; vielmehr werden sie auch als Bürgerschulen, Stadtschulen, Rektorschulen etc. bezeichnet.
Die höhern Schulen (in Österreich
[* 22] und Süddeutschland: Mittelschulen), sofern sie ein allgemeines Bildungsziel
verfolgen, stehen diesen beiden erstern Formen fast ganz selbständig gegenüber, indem sie zwar die Aufnahme von Schülern
aus ihnen keineswegs ausschließen, aber vielfach durch eigne Vorschulen dafür sorgen, daß wenigstens der Hauptsache nach
ihre Schüler von früh an gesonderten Unterricht empfangen. Sie zerfallen nach dem Geschlecht der Schüler in
höhere Töchter- oder Mädchenschulen und höhere Schulen für das männliche Geschlecht.
Lehrplan und Bildungsziele der erstern, welche sich am spätesten entwickelt haben, sind noch recht verschiedenen Auffassungen
unterworfen; unverkennbar ist indes das höhere Mädchenschulwesen in erfreulichem innern wie äußern Aufschwung begriffen.
Die höhern Knabenschulen, um sie kurz so zu bezeichnen, sind nach den geltenden preußischen Lehrplänen
vom Gymnasien (Lyceen, Ritterakademien, Pädagogien), Realgymnasien und Oberrealschulen, je nachdem sie Griechisch-Lateinisch-Französisch,
Lateinisch-Französisch-Englisch oder nur Französisch-Englisch lehren.
Diese vollständigen höhern Lehranstalten haben neunjährigen Lehrgang, in dem nach den sechs ersten Jahren das Recht zum einjährig-freiwilligen
Heerdienst erlangt wird. Als unvollständige Anstalten mit siebenjähriger Lehrdauer entsprechen ihnen
die Progymnasien, Realprogymnasien und Realschulen, als unvollständige Anstalt mit sechsjähriger Dauer entspricht der Oberreal-
und Realschule die höhere Bürgerschule, die demnach mit Erlangung des Freiwilligenrechts abschließt. Von der höhern Bürgerschule
weichen die Landwirtschafts- u. Handelsschulen fast nur in dem Vorzug ab, der in ihrem Lehrplan den für
das spätere Berufsleben der Zöglinge wichtigen Unterrichtszweigen eingeräumt ist. Die höhern Gewerbe- oder Fachschulen
sowie die Kunst- und Kunstgewerbeschulen dagegen setzen meist den Besuch einer der vorgenannten Anstalten, wenigstens in ihren
untern Stufen, schon voraus. Über diesen allen als höchste
¶