»Deutsche
[* 2]
Chronik«, die großen Anklang fand und um ihrer patriotischen
Haltung, ihrer lebendigen
Darstellung und unerschrockenen
Freimütigkeit willen auch verdiente. Als nach kurzer Zeit der
AugsburgerMagistrat den
Druck des
Journals verbot, wurde derselbe
in
Ulm
[* 3] fortgesetzt, wohin S. selbst sich 1775 begab, nachdem er aus
Augsburg
[* 4] ausgewiesen war. In
Ulm war
der Dichter, dessen
»Chronik« sich fortwährender Beliebtheit erfreute, kaum in die beste und ergiebigste
Epoche seines
Lebens
getreten, als ihn
HerzogKarl von
Württemberg
[* 5] im
Januar 1777 durch den Klosteramtmann
Scholl in dessen Amtshaus nach
Blaubeuren
locken und dann auf den
Hohenasperg bringen ließ, um seinen »Unverschämtheiten« gegen
»fast alle gekrönten
Häupter auf dem Erdboden« ein Ende zu machen.
Auf dem
Hohenasperg mußte S. zehn Jahre lang schmachten, das erste Jahr in strengster
Haft, bis 1782 unter der Obhut des pietistischen
DespotenGeneralRieger, von
Weib und
Kind getrennt, anfangs aller
Bücher und
Schreibmaterialien beraubt, später in unwürdiger
Weise von dem Festungskommandanten zu den
Geschäften eines Gelegenheitspoeten und Privatsekretärs verwendet. Erst im Mai 1787 wurde
infolge preußischer Verwendung der körperlich zerrüttete Mann wieder in
Freiheit gesetzt und dann, um die Sinnlosigkeit
despotischer
Willkür voll zu machen, zum Hofdichter und Theaterdirektor in
Stuttgart
[* 6] ernannt, wo er die Herausgabe der
eine Zeitlang von Schubarts treuem
FreundMartinMiller, dem Dichter des »Siegwart«, in
Ulm zum
Besten derFamilie weitergeführte
»Chronik« wieder aufnahm und in nunmehr glücklichen Familienverhältnissen und bei reichlichem
Einkommen ruhiger als sonst
lebte, ohne jedoch die alte Schmaus- und Zechlust gänzlich zu verleugnen. Er starb in
Stuttgart.
Schubarts
Dichtungen und sonstige schriftstellerische Werke sind das getreue Spiegelbild seiner Persönlichkeit. Wie diese
zucht- und haltlos sich lediglich den
Eingebungen momentaner
Stimmung unterworfen zeigte, so sind auch seine geistigen
Produkte
in unsteter
Flüchtigkeit und ohne künstlerischen
Ernst gleichsam auf das
Papier geschleudert. Schubarts
Name ist bekannt geblieben
durch die düstern Lebensgeschicke des Dichters; ohne diese wären seine
Dichtungen (etwa »Die Fürstengruft« und den
»Hymnus
auf
Friedrich d.
Gr.« sowie einige wirklich den Volkston treffende, wie das »Kaplied«,
abgerechnet) längst verschollen.
Über seine äußern und innern Erlebnisse hat der Dichter uns in »Schubarts
Leben und
Gesinnungen« (Stuttg. 1791-93, 2 Bde.)
eigne, im Kerker abgefaßte Aufzeichnungen hinterlassen, die jedoch die beklemmende
Luft des Gefängnisses, in welcher S.
zum zerknirschten Pietisten ermürbt war, allzu sehr verraten, als daß ihnen historische Zuverlässigkeit beizumessen wäre.
Schubarts »Sämtliche Gedichte« erschienen
Stuttgart 1785-1786, 2 Bde. (neue Ausg.,
das. 1842); seine »Gesammelten
Schriften« daselbst 1839-40, 8 Bde.
Auch einige Reisewerke, unter
anderm über den
Orient
(Erlang. 1838-39, 3 Bde.),
den er 1836-37 bereist hatte, Südfrankreich und
Italien
[* 19] (das. 1827-31, 2 Bde.);
»Biographien und
Erzählungen« (das. 1847-48, 3 Bde.);
eine
Reihe vonVolks- und
Jugendschriften (gesammelt als »Erzählende
Schriften«, neue Ausg., das. 1882, 7 Bde.)
sowie eine Selbstbiographie unter dem
Titel: »Der
Erwerb aus einem vergangenen und die Erwartungen von einem zukünftigen
Leben«
(das. 1853-56, 3 Bde.) und
»Erinnerungen aus dem
Leben der Herzogin
HeleneLuise von
Orléans«
[* 20]
(Münch. 1859, 8. Aufl. 1877),
seiner ehemaligen Schülerin, hat er veröffentlich. Schuberts »Vermischte
Schriften« erschienen in 2
Bänden
(Erlang. 1857-60).
Vgl.
Schneider, Gotth. Heinr.
v. S. (Bielef. 1863).
2)
Theodor von, russ.
General und bedeutender
Geodät und Geograph, geb. 1789 als Sohn des namhaften Astronomen S., begleitete 1805 die
russische Gesandtschaft nach
China,
[* 21] machte 1815-18 topographische
Aufnahmen zwischen der
Schelde und
Maas
und ward 1822 zum
Direktor des neubegründeten topographischen
Korps in St.
Petersburg
[* 22] ernannt. Hier gab er 1826-40 die berühmte
»Spezialkarte des westlichen Teils des russischen
Reichs« in 59 Blättern und seine
»Postkarte des europäischen Teils des
russischen Kaiserreichs und der kaukasischen
Länder« heraus; auch wurden
Petersburg,
Pskow und
Witebsk unter
seiner Leitung vollständig aufgenommen. 1833 veranstaltete er eine große chronometrische Expedition, welche die erste genauere
Karte und
Beschreibung des Baltischen
Meers lieferte. Er veröffentlichte ferner:
»Exposé des travaux astronomiques et géodésiques
exécutés en Russie dans un but géographique jusqu'à l'année 1855«
(Petersburg 1855) und »Essai d'une
détermination de la véritable figure de la terre« (in den
»Mémoires« der
PetersburgerAkademie der
Wissenschaften, 7.
Serie,
Teil 1). Er starb in
Stuttgart.
¶
mehr
3) Franz, Komponist, geb. zu Wien, wo sein Vater an der Pfarrschule der Vorstadt Lichtenthal als Lehrer angestellt war,
erhielt den ersten Musikunterricht im väterlichen Haus und wurde 1808 wegen seiner schönen Stimme als Singknabe in das kaiserliche
Konvikt aufgenommen. Neben dem Kompositionsunterricht von Ruczizka und Salieri genoß er hier musikalische
Anregung verschiedenster Art, denn er wirkte nicht bloß als Solist im Gesang, sondern lernte auch die Instrumentalwerke J.
Haydns und Mozarts kennen, da er bei dem aus den Konviktknaben gebildeten Orchester als erster Violinist verwendet wurde und
in gleicher Eigenschaft bei dem Lichtenthaler Kirchenchor und bei den Quartettabenden im väterlichen Haus
beschäftigt war.
Nach erfolgtem Stimmwechsel aus der Anstalt entlassen, kehrte er im Oktober 1813 in das elterliche Haus zurück und lebte hier
ausschließlich den musikalischen Studien, bis er, um der Konskription zu entgehen, gegen Ende 1814 Schulgehilfe seines Vaters
wurde, welches Amt er drei Jahre hindurch versah. Mittlerweile hatten aber schon mehrere seiner Kompositionen
in Wien die Aufmerksamkeit der Musikfreunde auf sich gezogen, und so kam es, daß S. 1818 als Sing- und Klaviermeister von dem
Grafen J. ^[Johann] Esterházy engagiert wurde und diesem nun nach Ungarn
[* 24] auf sein Gut Zelécz folgte. Im Spätherbst d. J.
kehrte er wieder nach Wien zurück und lebte nun hier (einige vorübergehende Ausflüge nach Steiermark
[* 25] und Oberösterreich
mit seinem Freunde, dem Hofopernsänger Vogl, sowie einen zweiten Sommeraufenthalt in Zelécz abgerechnet) bis zu seinem am erfolgten
Tod. Er wurde auf dem WähringerFriedhof in der Nähe von BeethovensGrabe bestattet; 1872 errichtete man
ihm im Wiener Stadtpark ein Denkmal (von Kundmann).
Ein Amt hatte S. niemals inne: die ihm angetragene Hoforganistenstelle schlug er aus, und die Stelle des Vizekapellmeisters
an der kaiserlichen Hofkapelle, um die er sich 1826 bewarb, ward nicht ihm, sondern Weigl verliehen, so daß er,
trotz der Opferbereitwilligkeit seiner zahlreichen Freunde, sein Leben in nahezu dürftigen Verhältnissen verbracht hat. S.
war einer der genialsten und fruchtbarsten Komponisten aller Zeiten. Seine musikalische Hinterlassenschaft umfaßt 4 vollendete, 5 unvollendete
Opern, 5 Operetten, 2 Singspiele, ein Melodram, 9 Ouvertüren (darunter die zu »Rosamunde«, »Fierabras« und »Alfonso und Estrella«),
ferner das berühmte sogen. Forellen-Klavierquintett, 2 Trios, 2 große Duos
und 3 kleinere Duos für Klavier und Violine.
Diesen Meisterwerken stehen ebenbürtig zur Seite die zahlreichen zwei- und vierhändigen
Klavierkompositionen Schuberts, die Sonaten, Impromptus, Polonäsen, Märsche, von welch letztern Liszt mehrere meisterhaft instrumentiert
hat. In allen diesen Werken offenbart sich eine überströmende Phantasie, blühendste Frische des Ausdrucks
und unerschöpflicher Reichtum melodischer und harmonischer Erfindung. Obwohl vorwiegend für die Lyrik beanlagt und demgemäß
in den kleinern Musikformen am meisten heimisch, wußte doch S. auch die größern Gattungen der Vokal- und Instrumentalkomposition
stets
mit dem ihnen entsprechenden Inhalt zu erfüllen, und selbst als Symphoniekomponist ist er seinem
großen Vorbild Beethoven näher gekommen als einer seiner Zeitgenossen und Nachfolger.
Die unmittelbare Nachbarschaft des größern Meisters und seine eigne kurze Lebensdauer erklärt es, daß mit Ausnahme seines
Es dur-Trios nicht ein einziges seiner großen Instrumentalwerke bei seinen Lebzeiten die gebührende Beachtung finden
konnte. Nur seine Lieder, in denen er die von seinen Vorgängern auf diesem Gebiet (J. H. ^[richtig: JohannFriedrich] Reichardt,
Zelter u. a.) gemachten Versuche einer künstlerischen Veredelung des deutschen Volksliedes in mustergültiger Weise zum Abschluß
brachte, wurden schon von den Zeitgenossen ihrem vollen Wert nach erkannt, doch auch dies erst, nachdem
sie in dem SängerVogl einen liebe- und verständnisvollen Interpreten gefunden hatten. So bedurfte es z. B. voller fünf Jahre,
bis der 1816 geschriebene »Erlkönig« ins Publikum drang, und wenn nach dem Erfolg dieses Liedes Schuberts Name in ganz Deutschland
[* 26] bekannt wurde, so blieb doch die Nachfrage nach seinen Werken auch jetzt noch weit hinter seiner Produktion
zurück.
Kaum der sechste Teil seiner gegenwärtig bekannten Lieder ist bei seinen Lebzeiten veröffentlicht worden, obwohl er kaum
eins geschrieben hat, welches nicht den Stempel des Genius trüge und in der Gesamtwirkung wie in allen Einzelheiten von der
wunderbaren musikalischen Gestaltungskraft ihres AutorsZeugnis ablegte. Eine Gesamtausgabe seiner Werke
haben Breitkopf u. Härtel in Leipzig unternommen. Seine Biographie schrieben Kreißle v. Hellborn (Wien 1865) und Reißmann (Berl.
1873).
4) FriedrichWilhelm, Geschichtschreiber und Statistiker, geb. zu Königsberg
[* 27] i. Pr., war seit 1823 bis zu seinem erfolgten
TodProfessor daselbst. Seine Hauptwerke sind: »Handbuch der allgemeinen Staatskunde von Europa«
[* 28] (Königsb.
1835-48, 2 Bde.);