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kamen ihm »allgemeine Bewunderung, begeisterte Anerkennung und herzliche Teilnahme« entgegen. Ifflands Bemühungen dankte er den theatralischen Genuß szenisch vollendeter Darstellungen des »Wallenstein«, der »Jungfrau« und der »Braut von Messina«. [* 2] Aus den Kreisen seiner Gönner, an deren Spitze die edle Königin Luise stand, kamen ihm günstige Anträge, nach Berlin [* 3] überzusiedeln. S., der ohnehin Weimar [* 4] ungern verlassen hätte, sah von ernstlichen Verhandlungen ab, nachdem Herzog Karl August ihm auf die freimütige Darlegung der Angelegenheit seinen Gehalt auf 800 Thlr. erhöht hatte.
Bald nach der im Mai 1804 erfolgten Rückkehr gebar Lotte dem Dichter die zweite Tochter. Aber S. sollte die neue Vaterfreude nur kurze Zeit genießen. Im September meldete er an Körner, daß er sich so unwohl fühle wie nie nach seinen schwersten Krankheiten. Zwar gelang ihm das zwischen 4. und 8. Nov. zur Begrüßung der weimarischen Erbprinzessin auf Goethes Zureden gedichtete Festspiel »Die Huldigung der Künste« überaus glücklich, aber der folgende Winter brachte ihm fast keinen schmerzlosen Tag mehr.
Peinliche Krämpfe, die ihn schon seit Jahren oft heimgesucht hatten, stellten sich immer häufiger ein. Dennoch beschäftigte ihn eifrig der »Demetrius«, den wir leider nur als Torso, doch als einen, welcher höchste Vollendung des Ganzen ahnen läßt, besitzen sollten. Als ihm sein Leiden [* 5] selbständiges Schaffen ganz verwehrte, begann er, »um doch nicht ganz müßig zu sein«, eine metrische Übersetzung von Racines »Phädra«. Im März 1805 konnte er an Goethe schreiben, daß er wieder mit dem »Demetrius« im vollen Zug sei. Der Frühling brachte neues Hoffen auf Genesung mit sich, eine ungewöhnliche Reisesehnsucht bemächtigte sich des Dichters. Der Wunsch, die Schweiz [* 6] zu sehen, war in nie vorher gefühlter Stärke [* 7] über ihn gekommen. Aber das Verlangen sollte nicht befriedigt werden. Am in der sechsten Abendstunde endete ein sanfter Tod das Leben des Dichters.
In S. schied der einzige große Dichter unsrer klassischen Litteraturepoche aus dem Leben, dessen Poesie alle Kreise [* 8] der Nation zugleich ergriffen und durchdrungen hatte. Man darf sagen, daß seine Erscheinung geradezu eine einzige war, und selbst Goethe, der sich am tiefsten mit S. zusammengelebt hatte und ihm mehr als ebenbürtig war, fand, als er an die Vollendung des »Demetrius« dachte, daß es (nach den Worten eines neuern Dichters) »ebenso leicht sei, für S. zu atmen, als für ihn zu dichten«, und mußte sich auf seinen wunderbar schönen feiernden Epilog zu Schillers »Glocke« beschränken. In S. war von Haus aus neben einem starken realistischen Menschendarstellungstalent, einer wahrhaften poetischen Unmittelbarkeit, welche den nachhaltigen Wert der »Räuber« und des »Fiesco« verbürgt, längst nachdem deren ethisches Pathos unwirksam geworden ist, ein Element subjektiver Reflexion, [* 9] ein Zug zur abstrakten Ideenverkündigung lebendig, welcher durch seine frühste Vertiefung und Läuterung nur noch verstärkt wurde.
Lag ihm auch die gemeine Utilitätstendenz, welche die Dichtung nur als Vehikel für moralische Beispiele und Ermahnungen betrachtet, tief unter den Füßen, so waren sein an Rousseau genährtes Freiheitspathos und sein idealer Traum von der allgemeinen Menschenbeglückung stärker als seine poetische Freude an der Fülle der Einzelerscheinungen. So wuchsen denn allerdings Schillers Dichtungen oft und leicht über die Grenzen [* 10] des rein Ästhetischen hinaus, der Dichter ward zum Philosophen.
Aber freilich trat eben hier wieder die ganze Stärke und Weihe seiner Subjektivität zu Tage. Was bei tausend andern leidige Abstraktion und bloße Didaktik blieb, ward unter Schillers Hand [* 11] zur Poesie. Seine großen allgemeinen Ideen lebten in ihm mit einer Stärke und Wärme, [* 12] daß sie sich in Gefühl und Leidenschaft und damit wiederum in Poesie verwandelten. Die Hoheit und der sittliche Adel seiner Natur, hinter der nach Goethes herrlichem Worte »das Gemeine in wesenlosem Scheine lag«, war mit dem eigentümlichen Zauber verbunden, der die Idealität auf andre überträgt. S. ruft gleichsam in jedem Augenblick die höchsten Fähigkeiten, die idealste Stimmung seiner Hörer und Leser empor und legt ihnen sein eignes erhabenes Pathos in die Seele. Es hat einen tiefen Sinn, daß S. vorzugsweise der Dichter der Jugend ist, und daß das Alter, von den Erfahrungen des Lebens gesättigt und nach den Jugendträumen zurückverlangend, gern zu seiner Welt zurückkehrt. S. selbst war sich der Eigenart seiner Dichtung und des in ihm vorwaltenden philosophischen Zugs sehr wohl bewußt.
Was bei der Schöpfung seiner Jugenddramen noch ganz naiv und instinktiv in ihm obgewaltet hatte, ward, während er am »Don Karlos« dichtete, ohne alle Frage zur Absicht. In voller Deutlichkeit bezeichnete das die Laufbahn des Dichterphilosophen eröffnende Gedicht »Die Künstler« die Gesamttendenz Schillers in Leben und Dichten. In das Land der Erkenntnis, der befreienden, dringt der Mensch nur »durch das Morgenrot des Schönen«. »Was erst, nachdem Jahrtausende verflossen, die alternde Vernunft erfand, lag im Symbol des Schönen und des Großen voraus geoffenbart dem kindischen Verstand.« Die Schönheit ist dem Dichter damals noch propädeutisches Symbol der Wahrheit, »die uns frei macht«.
In den »Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts« findet sich in naturgemäßer, Schillers reifender Erkenntnis entsprechender Steigerung der Gedanke ausgeführt, daß der Weg zu aller Freiheit, auch zur politischen, durch das Ästhetische, durch die Kunst gehen müsse. Dann wirkte Goethes naiv-schöpferische Natur in unendlicher Förderung auf die Schillers, sie allmählich immer entschiedener aus den abstrakten Denkregionen in die Wirklichkeit des Lebens ziehend. S. rühmte es wiederholt und ausdrücklich dankend von dem Freunde, daß er ihm die Tendenz, vom Allgemeinen zum Individuellen zu gehen, abgewöhne und ihn umgekehrt von einzelnen Fällen zu großen Gesetzen fortführe.
Und Goethe faßte die beiderseitig anziehend und korrektiv aufeinander wirkenden Stellungen, die S. und er selbst innehatten, dahin zusammen: »Er predigte das Evangelium der Freiheit, ich wollte die Rechte der Natur nicht verkürzt wissen«. In dem Aufsatz »Über naive und sentimentalische Dichtung« konnte S. schon mit klarer Erkenntnis im allgemeinen und mit tiefer Selbsterkenntnis im besondern die beiden verschiedenen Hauptrichtungen aller Poesie darlegen, und er mußte sich demnach jetzt der Notwendigkeit, die Einseitigkeit jeder dieser Richtungen aufzuheben, bewußt sein.
Das
Streben zu solcher Selbsterziehung bezeichnen die spätern
Dichtungen Schillers aufs deutlichste. Natürlich
blieb S. auch jetzt sich selbst getreu und der Dichter der
Ideen. Auch jetzt noch läßt sich seine
Lyrik nur selten als der
unmittelbar naturwüchsige
Ausdruck der reinen
Stimmung betrachten, noch bleibt sie wesentlich eine Gedankenlyrik. Die
Freiheit
ist ihm die goldene
Frucht in der silbernen
Schale der
Kunst geblieben, wie sie es war von
Jugend auf;
Erziehung
zur
Freiheit galt ihm als Aufgabe der
Poesie wie alles
geistigen Menschentums. Eine Lehrmeisterin war die
Schönheit
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dem Dichter auch in den Zeiten seines reifsten Schaffens. Dafür geben vor allem die unvergänglichen, kostbaren Gedichte jener Epoche: »Ideal und Leben«, »Spaziergang«, »Lied von der Glocke« u. a. entschiedenes Zeugnis. Aber immer weniger abstrakt löst S. die erhabene Aufgabe, die für ihn die Dichtkunst hatte; eine stets innigere Anschmiegung an die Wirklichkeit der Dinge begleitet seinen Weg vom »Wallenstein« zum »Tell« und »Demetrius«. Und so bietet denn die ganze Entwickelung des Dichters das edle Schauspiel unermüdlichen redlichsten Ringens nach den höchsten Zielen seiner Kunst und um die höchsten Güter des Lebens. Dabei steigerte sich die eigentümliche Verbindung realer charakteristischer Darstellung und des subjektiven Pathos, in welcher der geheimste Reiz von Schillers Poesie lag und liegt. In diesem Sinn sowie in dem der idealen Überwindung aller äußern Hemmnisse erscheinen Schillers Dichtungen als Thaten, als gewaltige und unvergängliche Zeugnisse einer durchaus vornehmen, groß gestimmten und heroischen Natur.
Diese Seite des Schaffens und Wirkens, sozusagen die Heldenhaftigkeit seines geistigen Lebens ist es (abgesehen von der deutschen Vorliebe für didaktische Neigungen in der Poesie) gewesen, was S. seiner Nation zum liebsten und verehrtesten unter allen ihren Dichtern gemacht hat. Die lebendigste Kunde von dieser Liebe und Verehrung gab die Jubelfeier des 100jährigen Geburtstags Schillers 1859, die überall, wo Deutsche [* 14] wohnen, festlich und mit Begeisterung begangen ward.
Denkmäler in Erz und Stein erinnern an ihn in zahlreichen Orten. Am wurde die erste Schillerstatue (von Thorwaldsen) zu Stuttgart, [* 15] das Doppelstandbild Schillers und Goethes (von Rietschel) in Weimar enthüllt. Andre Statuen von ihm sind zu Mannheim [* 16] (von K. Cauer, 1862), Mainz [* 17] (von Scholl, 1862), München [* 18] (von Widnmann, 1863), Frankfurt [* 19] a. M. (von Dielmann, 1864), Hannover [* 20] (von Engelhard), Hamburg [* 21] (von Lippelt, 1864), Berlin (von Reinh. Begas, 1871), Wien [* 22] (von Schilling, 1876), Marbach (von Rau, 1876), Ludwigsburg [* 23] (von v. Hofer, 1883) etc. errichtet.
Der vortrefflichen Kolossalbüste des Dichters von Dannecker haben wir schon oben gedacht; die besten Porträte [* 24] Schillers sind die von Graff (1786) und von Ludovika Simanowitz (1793). Auch hat das dankbare Andenken an den Lieblingsdichter der Nation an mehreren Orten S.-Vereine hervorgerufen, und der 1859 in Dresden [* 25] entstandene Verein zur Unterstützung verdienter und hilfsbedürftiger deutscher Schriftsteller trägt seinen Namen (s. Schiller-Stiftung).
Ausgaben. Schiller-Litteratur.
Die erste Gesamtausgabe von Schillers Werken besorgte sein Freund Körner (Stuttg. u. Tübing. 1812-15, 12 Bde.), die bis 1867, wo die Cottaschen Privilegien erloschen, in den verschiedensten Ausgaben wiederholt ward. Von den spätern Ausgaben sind als die vollständigsten und besten die historisch-kritischen von Gödeke u. a. (Stuttg. 1868-76, 15 Tle. in 17 Bdn.) und von Kurz (Hildburgh. 1868-1869, 9 Bde.; Textausgabe, 6 Bde.) sowie die von Boxberger (mit Einleitungen, 2. Aufl., Berl. 1882, 8 Bde.) hervorzuheben. Als Ergänzungen zu den frühern Ausgaben sind zu nennen: Boas, Nachträge zu Schillers sämtlichen Werken (Stuttg. 1838-40, 3 Bde.; neue Ausg. 1853);
Hoffmeister, Nachlese
zu Schillers sämtlichen Werken und Variantensammlung (das. 1840-41, 4 Bde.);
»Schillers dramatischer Nachlaß« (Nürnb. 1842, 2 Bde.) sowie die »Beiträge zur Schillerlitteratur« von J. ^[Joachim] Meyer (Stuttg. 1858 u. 1860) und von A. v. Keller (Tübing. 1859-60).
Vgl. auch Trömel, Schillerbibliothek (Leipz. 1865).
[Briefwechsel, biographische Litteratur etc.]
Außerordentlich reich ist die biographische, kritische und exegetische Schillerlitteratur, für welche nächst den Werken des Dichters der nach und nach veröffentlichte Briefwechsel desselben die wichtigste Quelle [* 26] bildete. Eine hervorragende Bedeutung haben die folgenden Briefsammlungen: »Schillers Briefe« (hrsg. von H. Döring, Altenb. 1846, 2 Bde.);
»Schillers Briefe an den Freiherrn von Dalberg« (Karlsr. 1819);
»Schillers Briefwechsel mit Körner« (Berl. 1847, 4 Bde.; 2. Aufl., Leipz. 1874);
»Briefwechsel zwischen S. und W. v. Humboldt« (Stuttg. 1830, 2. Aufl. 1876);
»Briefwechsel zwischen S. und Goethe« (das. 1828-29, 6 Bde.; 4. Aufl. 1881, 2 Bde.);
»S. und Lotte« (Briefwechsel mit Charlotte und Karoline v. Wolzogen, das. 1856; 3. Aufl., bearbeitet von Fielitz, 1879);
»Schillers Briefwechsel mit seiner Schwester Christophine und seinem Schwager Reinwald« (hrsg. von Maltzahn, Leipz. 1875);
die »Briefwechsel« zwischen S. und (J. F. ^[Johann Friedrich]) Cotta (hrsg. von Vollmer, Stuttg. 1876),
mit dem Herzog Friedrich Christian von Schleswig-Holstein [* 27] (hrsg. von Max Müller, Berl. 1876);
die von Gödeke herausgegebenen »Geschäftsbriefe« (Leipz. 1875);
die »Briefe an Schiller« (hrsg. von Urlichs, Stuttg. 1877).
Hierher gehört auch die Publikation von Schillers Tochter, der Frau v. Gleichen-Rußwurm: »Schillers Kalender vom 18. Juli 1795-1805« (Stuttg. 1865). - An biographischen Schriften führt Gödeke in seiner nur bis 1859 geführten bibliographischen Übersicht (»Grundriß«, Bd. 2) bereits nicht weniger als 83 an. Die bekanntesten Darstellungen von des Dichters Leben sind von Karoline v. Wolzogen (Stuttg. 1830, 2 Bde.; 5. Aufl. 1876),
Carlyle (Lond. 1825; deutsch, Stuttg. 1883),
Hoffmeister (»Schillers Leben, Geistesentwickelung und Werke im Zusammenhang«, das. 1838-42, 5 Bde.; neu bearbeitet und ergänzt von H. Viehoff, das. 1875),
Schwab (das. 1840, 3. Ausg. 1859),
Schäfer (Leipz. 1852),
Bulwer (»Schillers Leben u. Werke«, deutsch von Kletke, Berl. 1848), Palleske (das. 1858, 2 Bde.; 12. Aufl., Stuttg. 1886), Scherr (Leipz. 1859, 4. Aufl. 1865), Düntzer (das. 1881), Hepp (das. 1885). Umfassendere Biographien wurden begonnen von Weltrich (Stuttg. 1885) und O. Brahm (Berl. 1888). Von den zahlreichen, einzelnen Partien seines Lebens gewidmeten Schriften führen wir an: Boas, Schillers Jugendjahre (hrsg. von Maltzahn, Hannov. 1856, 2 Bde.);
(A. Streicher) Schillers Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim 1782-85 (Stuttg. 1843);
Saupe, S. und sein väterliches Haus (Leipz. 1851);
Emilie v. Gleichen, Schillers Beziehungen zu Eltern, Geschwistern und der Familie v. Wolzogen (Stuttg. 1859);
Egger, S. in Marbach (Wien 1868);
Schloßberger, Archivalische Nachlese
zur Schillerlitteratur (Stuttg.
1877);
Brosin, Schillers Verhältnis zum Publikum seiner Zeit (Leipz. 1875);
Derselbe, Schillers Vater (das. 1879);
»Elis. Doroth. S.« (anonym, das. 1879);
Speidel und Wittmann, Bilder aus der Schillerzeit (Stuttg. 1885).
Aus der kritisch-ästhetischen Litteratur über S. machen wir ferner folgende Schriften als die vorzüglichsten namhaft: Hemsen, Schillers Ansichten über Schönheit und Kunst im Zusammenhange gewürdigt (Götting. 1854);
Julian Schmidt, S. und seine Zeitgenossen (Leipz. 1859);
Kuhn, Schillers geistiger Entwickelungsgang (3. Aufl., Berl. 1868);
Deecke, Über Schillers Auffassung des ¶