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Bombastisch-Übertriebene die absolute Unnatur überwog, waren die
»Räuber« von zwar noch in teilweise trüber
Gärung begriffenem,
aber feurigstem und edelstem
Geist und mit der wenn auch ungebändigten, doch reinsten
Begeisterung einer die Menschheit in
unendlicher
Liebe umfassenden Dichterseele erfüllt. Das Werk äußerte trotz aller
Auswüchse die mächtigste
Wirkung; seit
Goethes Frühschöpfungen hatte kein dichterisches
Erzeugnis solche
Gewalt auf die Zeitgenossen ausgeübt.
S., der ursprünglich an keine theatralische
Darstellung seines
wilden Werkes gedacht, ward von
Mannheim
[* 2] aus durch den Buchhändler
Schwan und den Theaterintendanten v.
Dalberg zu einer Bühnenbearbeitung der
»Räuber« veranlaßt, die mit großem Erfolg im
Januar 1782 auf der
Mannheimer
Hof- und Nationalbühne in
Szene ging. Dieser
Erfolg legte ihm zuerst den
Gedanken nahe, sich ausschließlich der dramatischen
Dichtung zu widmen, womöglich eine
Anstellung am
Mannheimer
Theater
[* 3] selbst
zu finden. Er begann unmittelbar nach der ersten Aufführung der
»Räuber« an einer zweiten
Tragödie:
»Fiesco, oder die
Verschwörung
zu
Genua«,
[* 4] zu arbeiten. Gleichzeitig veröffentlichte er die hervorragendsten seiner Jugendgedichte mit
all ihrer genialen Originalität und ihren
Auswüchsen in einer
»Anthologie auf das Jahr 1782«, angeblich zu
Tobolsk, in
Wahrheit
zu
Stuttgart,
[* 5] wiederum auf
Kosten des
Herausgebers, der hierdurch in
Schulden geriet, gedruckt.
Aber während seine litterarische Thätigkeit in diesem
Aufschwung begriffen war, zogen schwere
Wetter
[* 6] über S. herauf. Im Mai hatte er eine Wiederholung der
»Räuber« mit
Frau v.
Wolzogen, der
Mutter zweier ihm befreundeter Karlsschüler,
beigewohnt und war deshalb
heimlich nach
Mannheim gereist. Diese
Reise und der Umstand, daß eine
Stelle in den
»Räubern« in
Graubünden
Anstoß erregt hatte, zogen das Verbot des
Herzogs an S., fernerhin
Komödien oder sonst dergleichen zu
schreiben, nach sich.
Ein Gesuch
des Dichters, das unerträgliche
Interdikt zurückzuziehen, wurde nicht gewährt, ja ihm ferneres Schreiben an
seinen
Landesherrn untersagt. Das gab den Anstoß zu dem
Plan Schillers, sich durch die
Flucht dem
Druck des
heimischen
Despotismus zu entziehen. Am verließ der Dichter in
Begleitung seines treuen
Freundes, des Musikers
Andreas
Streicher,
Stuttgart, am 19. traf er in
Mannheim ein. Er brachte den
»Fiesco« fast vollendet mit, auf den er große
Hoffnungen
für seine Zukunft setzte.
Jedoch schon die ersten Mannheimer Tage brachten Enttäuschungen. Die Mannheimer Schauspieler, der Regisseur Meyer, Beil, Böck u. a., mißbilligten Schillers Entschluß, nur Iffland beurteilte denselben günstiger. Dalberg war abwesend, er weilte als Festgast in Stuttgart. Von dort liefen auf briefliche Anfragen Schillers über die Art, wie man seine Flucht aufgenommen, wenig beruhigende Antworten ein; ein Gesuch an den Herzog um Verzeihung und Gewähr freier litterarischer Entfaltung ward ungenügend beantwortet. S. fühlte sich daher in Mannheim nicht sicher genug; 30. Sept. wanderte er mit Streicher weiter nach Frankfurt, [* 7] wo sie in der Vorstadt Sachsenhausen in bescheidener Herberge einkehrten.
Von dort schrieb
S. an
Dalberg, legte ihm vertrauensvoll seine schlimme
Situation dar
und
bat um einen
Vorschuß
auf den
»Fiesco«. Eine Antwort des Theaterregisseurs
Meyer schlug die Bitte ab und erklärte die
Dichtung in ihrer dermaligen
Gestalt für bühnenunbrauchbar. Eine kleine Geldsendung von Streichers
Mutter ermöglichte den
Freunden, sich
in
Sachsenhausen
loszumachen und in die
Nähe von
Mannheim zurückzukehren. Im Dorf
Oggersheim nahmen sie in armseliger Wirtsstube
Wohnung und hausten dort sieben entbehrungsreiche
Wochen hindurch, während deren der
Plan zu dem bürgerlichen
Trauerspiel
»Luise
Millerin« (später
»Kabale und
Liebe« betitelt) entworfen, der
»Fiesco« umgearbeitet, jedoch abermals als bühnenunbrauchbar
vom
Mannheimer
Nationaltheater zurückgewiesen wurde.
Anfang Dezember öffnete sich dem Dichter ein besserer Zufluchtsort. Einer schon in Stuttgart an ihn ergangenen Einladung der Frau v. Wolzogen folgend, begab er sich auf ein derselben gehöriges Gut zu Bauerbach bei Meiningen. [* 8] »Fiesco« war inzwischen von dem Mannheimer Buchhändler Schwan gegen ein Honorar von 11 Louisdor in Verlag genommen worden und erschien alsbald. Er hatte unter allen Jugenddramen Schillers und überhaupt unter allen Dramen der Sturm- und Drangperiode den stärksten dramatischen Nerv, den vorzüglichsten Bau und eine Steigerung der Handlung und des Interesses, welche die stellenweise zu äußerliche Charakteristik und das forcierte Pathos der Sprache [* 9] mehr als aufwog. Die erste Aufführung in Mannheim (Januar 1784) machte gleichwohl nur geringes Glück, mehr Erfolg hatten die Aufführungen in Berlin [* 10] und Frankfurt. In der winterlichen Stille des Bauerbacher Aufenthalts wurde die »Luise Millerin« beendigt und im März »Don Karlos« begonnen.
Der freundschaftliche Verkehr mit dem Meininger Bibliothekar Reinwald, der später Schillers Schwester Christophine heiratete, brachte dem Dichter Unterhaltung und Förderung in seine Einsamkeit. Im März traf ein Brief Dalbergs ein. Der Freiherr hatte sich überzeugt, daß von Stuttgart aus keine weitere Verfolgung Schillers stattfinden werde, und begann die früher zurückgewiesene engere Verbindung des Dichters mit seinem Theater wünschenswert zu finden.
Die fortgesetzte Korrespondenz hatte zur Folge, daß der Dichter im Juli 1783 nach Mannheim zurückkehrte und im August von dem Intendanten zum Theaterdichter für die dortige Bühne engagiert wurde. S. versuchte jetzt in Mannheim heimisch zu werden. Im Januar 1784 ging, wie erwähnt, »Fiesco«, 9. März »Kabale und Liebe« zuerst über die Mannheimer Bretter und fand begeisterten Beifall. Das Stück bekundete Schillers dramatisches Talent in einer völlig neuen Weise. Es stellte Zustände der traurigsten damaligen Wirklichkeit dar, es vergegenwärtigte den ungeheuern Widerspruch der neuen Bildung und der bestehenden alten Verhältnisse mit gelegentlich greller Zeichnung, aber im ganzen doch mit echt poetischer Leidenschaft und Kraft [* 11] der Charakteristik.
Der Erfolg hob Schillers Lebensmut, ohne den materiellen Bedrängnissen, in die er sich fortwährend versetzt sah, ein Ende zu bereiten. Die Aufnahme in die vom Kurfürsten protegierte Kurpfälzische Deutsche [* 12] Gesellschaft (Februar 1784) sah er als »einen großen Schritt zu seinem Etablissement« an. Beim Eintritt las er (26. Juni) die Abhandlung »Was kann eine gute stehende Schaubühne wirken?«, welche jetzt in den gesammelten Schriften unter dem Titel: »Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet« steht. Sie entwickelte für die dramatische Kunst den edlen Gedanken, der Schillers ganze ästhetische Anschauung auch später beherrschte, daß die Kunst ähnlichen Beruf wie die Religion habe und die Menschheit zu erziehen, zu adeln bestimmt sei. Diese Wahrheit sollte schöpferisch durch den unterdessen fortgeführten »Don Karlos« ¶
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erhärtet werden, dessen erster Akt in der Zeitschrift »Rheinische Thalia« veröffentlicht wurde, die S. im Herbst 1784 herauszugeben begann. Im »Don Karlos« bediente sich S. zuerst in seinen dramatischen Dichtungen der gebundenen Rede, gleichsam schon durch den Vers die erhöhte Stimmung, die größere Weihe andeutend, die er diesem Werk mit Recht zusprach. Inzwischen wurde der »Don Karlos« nicht im raschen Zug seiner frühern Dichtungen weiter geführt. Das Leben brachte dem Dichter jetzt sehr wechselnde und bewegte Eindrücke.
Aus der Zerstreuung des Komödiantentreibens und einiger Komödiantenliebschaften riß ihn der Verkehr mit der geistreichen Charlotte v. Kalb. Charlottens Erscheinung war zunächst freilich nicht mächtig genug, um den leicht entzündlichen Dichter ganz zu fesseln; gerade in diesen Winter von 1784-85 fiel eine rasche, leidenschaftliche Neigung zu Margarete Schwan, der schönen Tochter des Mannheimer Hofbuchhändlers, eine Neigung, die noch von Leipzig [* 14] aus zu einer Werbung um die Hand [* 15] Margaretens führte.
Gleichwohl gab die »Freundschaft« Charlottens und die Bewunderung, welche die jugendliche Frau dem Dichter unverhohlen entgegenbrachte, seinem Auftreten ein stolzeres Selbstgefühl. Befestigt wurde dasselbe durch eine gleichfalls von Charlotte v. Kalb eingeleitete Vorlesung des ersten Aktes von »Don Karlos« am Darmstädter Hof, [* 16] bei welcher Karl August von Weimar [* 17] anwesend war und dem Dichter bereitwillig den Titel eines herzoglich sächsischen Rats erteilte. Der heimatlose Flüchtling gewann mit diesem Dekret einen gewissen Boden unter den Füßen. Die veränderte Situation machte sich vor allem Dalberg fühlbar, welcher Schillers entschiedenstem Widerstand begegnete, als er ungehörige Anforderungen an ihn stellte und die »Thalia« als Lobposaune des Mannheimer Theaters mißbrauchen wollte.
Erfahrungen dieser Art verleideten dem Dichter den Aufenthalt in Mannheim mehr und mehr. Er schaute nach Erlösung, nach beglücktern Zuständen aus und fand von seinem Genius auch jetzt wieder vorgesorgt. Schon im Juni 1784 waren aus Leipzig verschiedene Briefe, Liebesgaben, Bleistiftzeichnungen zweier Verehrerpaare, der jungen Leipziger Gelehrten Christ. Gottfr. Körner und Ferd. Huber und ihrer Bräute Minna und Dorothea Stock, eingelaufen. S. beantwortete diese Briefe erst im Dezember d. J., aber nun mit voller Hingabe und enthusiastischer Erwiderung der entgegengebrachten Verehrung.
Rasch festigte sich brieflich eine Freundschaft, die S. schon im Februar 1785 den Mut gab, sich ganz in die Arme der neuen Freunde zu werfen, unter denen glücklicherweise Körner neben dem vollen Idealismus des Herzens auch Besonnenheit, Weltblick und äußere Glücksgüter genug besaß, um die von S. ersehnte Lebenswendung zu verwirklichen. Der Dichter riß sich in Mannheim von Charlotte v. Kalb und dem treuen Streicher los. Die Erfahrungen der letzten Zeit, die materiellen Entbehrungen, die er bei so vielem Ruhm zu ertragen gehabt, hatten ihm den Gedanken nahe gelegt, die früher verlassenen Rechtsstudien wieder aufzunehmen; er trennte sich von Streicher mit dem Versprechen, ihm zu schreiben, wenn er Minister geworden sei, wobei ihm doch mehr der poetische Minister Goethe als ein Verlassen der Litteratur vorschweben mochte.
Ende April 1785 traf er bei den neuen Freunden in Leipzig ein. Körner war inzwischen Oberkonsistorialrat zu Dresden [* 18] geworden; S. wurde einstweilen von den Schwestern Stock, von Huber und dem jungen thätigen Verleger Göschen, der mit Körner in geschäftlicher Verbindung stand, freundschaftlich aufgenommen. Während der Sommermonate desselben Jahrs lebte S. in Gohlis bei Leipzig, wo dem Enthusiasmus und Glücksgefühl, in welches ihn die neuen Lebenszustände versetzt hatten, das dithyrambische »Lied an die Freude« gewidmet wurde.
Schillers äußere Sorgen hatte Körner durch das großherzige Anerbieten, ihn ein Jahr lang aus der Notwendigkeit des Brotverdienens zu setzen, zunächst beseitigt. Der wahrhaft edle und liebenswürdige Freund hielt mehr als dies Versprechen. Er bereitete in Dresden, wohin er eben seine Minna heimführte, und wohin ihm im September 1785 S. und Huber folgten, dem Dichter ein Asyl voll harmlosen Lebensbehagens und innerster Teilnahme an des Dichters Bestrebungen, so daß S. diese Dresdener Jahre (bis 1787) immer zu seinen glücklichsten Lebensepochen rechnete. In Körners Weinbergsbesitzung zu Loschwitz sowie in seiner Dresdener Stadtwohnung förderte und vollendete S. seinen »Don Karlos«, entwarf das Schauspiel »Der Menschenfeind« und den unvollendeten Roman »Der Geisterseher« und erwarb sich durch die Fortsetzung seiner Zeitschrift »Thalia« ein täglich wachsendes Publikum. S. selbst fühlte sich freilich noch in zu unsicherer Lebenslage, wurde von zu heftigen Wünschen und Erwartungen gequält, um dies Glück immer unmittelbar genießen zu können; doch liegt über den wenigen Briefen an Körner aus dieser Zeit ein Hauch von Heiterkeit, die später selten oder nie mehr wiederkehrt. Im Verkehr mit Körner wurden ästhetische und philosophische Untersuchungen gepflogen (»Briefe des Julius und Raphael«),
deren Resultate zunächst der »Thalia« zu gute kamen. Daneben begann das Interesse an historischen Studien in S. rege zu werden; die spätern Arbeiten über die niederländische Rebellion, den Dreißigjährigen Krieg u. a. reichen mit ihren Wurzeln in die Dresdener Tage zurück. In »Don Karlos«, welches Stück formell im Lauf der Bearbeitung mancherlei Wandlungen erfuhr, zeigte sich der Dichter in gewissem Sinn über die frühern Arbeiten weit vorgeschritten. Ein hochidealer Grundgedanke beseelte die sprachlich schöne, sentenzenreiche Dichtung, in welcher der (übrigens erst nachträglich zur Hauptperson erhobene) Posa Schillers edlen Freiheitsdrang und den ganzen Adel seiner schwungvollen Natur verkörpert zur Erscheinung brachte.
Dagegen war die innerliche Wandlung Schillers während der Dichtung selbst und die Änderung des ursprünglichen Plans der Gewalt unmittelbarer dramatischer Wirkung und dem Gleichmaß der Ausführung störend entgegengetreten. Während des Dresdener Aufenthalts wurde der Dichter abermals in ein leidenschaftliches Herzensverhältnis gezogen, aus welchem er nur unter schweren Kämpfen notgedrungen sich befreite. Ein Fräulein v. Arnim hatte ihn in ihre Fesseln geschlagen. Im Juli 1787 riß S. sich von Dresden los. Eine Aufforderung Schröders, sein Talent für dessen Bühne dauernd zu verwerten und nach Hamburg [* 19] überzusiedeln, hatte der Dichter abgelehnt; Frau v. Kalb wünschte ihn in Weimar zu sehen, wohin ihn noch andre Interessen zogen.
So langte S. im Juli 1787 in der Musenstadt an, während Goethe in Italien [* 20] verweilte, und fand bei Wieland, Herder, der Herzogin Amalie, Einsiedel, Knebel und den übrigen Notabilitäten achtungsvolle Aufnahme; doch behagte es ihm trotzdem in der Gesellschaft nicht sehr, zumal ihm sein Ratstitel allerlei lästige Etikettenpflichten auferlegte. Ein Ausflug nach Jena [* 21] machte ihn mit den hervorragendsten unter ¶