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Erfahrungserkenntnis (von seiten der Philosophie) sein. Die Aufgabe der positiven Philosophie wird dahin formuliert, daß sie »in einem freien Denken in urkundlicher Folge das in der Erfahrung Vorkommende nicht als das Mögliche, wie die negative Philosophie, sondern als das Wirkliche abzuleiten habe«. Der Anschluß der Philosophie an die »Urkunden« der Offenbarung ist ihr dadurch als Richtschnur vorgezeichnet und die Ableitung des in denselben, also erfahrungsmäßig, Gegebenen aus Gott, dem Prius aller Erfahrung, ihr zur Aufgabe gemacht. Da nun von allen erfahrungsmäßig gegebenen Thatsachen der offenbarungsgläubigen Geschichte keine mit der Existenz eines göttlichen Schöpfers der thatsächlichen Welt mehr im Widerspruch zu stehen scheint als die Existenz des Übels und des Bösen in der Welt, so war es naturgemäß, daß der Umschwung in der Philosophie Schellings mit dessen (1809 erschienenen) »Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit« begann, zu welchen er eingestandenermaßen durch sein Bekanntwerden mit den Schriften des christlichen Mystikers und Theosophen Jakob Böhme (s. d.) veranlaßt wurde, welche von da an auf ihn bedeutenden Einfluß ausübten.
Denn da Gott als die Ursache des Bösen sich ebensowenig denken, wie die Existenz desselben sich ohne Ursache denken läßt, so kann die Ursache desselben nur in einem von Gott unabhängigen Grund und, da außer Gott sich nichts von ihm Unabhängiges denken läßt, nur in einem in Gott, aber nicht Gott seienden Grund, in einem dunkeln »Ungrund«, gelegen sein. Diese Unterscheidung eines in Gott Vorhandenen, was nicht Gott ist, führt zur Erklärung des gegenwärtigen, durch den biblischen Sündenfall verschuldeten Zustandes der Menschheit auf einen unvordenklichen und vorgeschichtlichen Zeitpunkt zurück, in welchem durch die Entstehung des Urmenschen Adam die ursprüngliche vollkommene Schöpfung einer »innergöttlichen« Welt zum Abschluß gelangt war. Im Gegensatz zu dieser durch den göttlichen Willen hervorgerufenen steht die Außergöttliche, durch den von Gott nicht gewollten, aber auch nicht nicht gewollten, sondern eben nur zugelassenen Umsturz des All-Einen (uni versio) durch den (universellen) Sündenfall des (Ur-) Menschen verursachte, uns allein bekannte sogen. reale und böse Welt (das universum oder perversum).
Die Zurückführung derselben in die ursprüngliche
Einheit
mit Gott beginnt im menschlichen
Bewußtsein zuerst als außergöttlicher
theogonischer, Göttervorstellungen erzeugender
Prozeß, der im
Heidentum in der
Mythologie hervorgetreten
ist, und dessen
Darstellung bei S. die
Philosophie der
Mythologie enthält. Vollendet wird derselbe und damit der
Zweck der
Schöpfung
nach Überwindung des mythologischen
Prozesses durch die aus
Gottes freiester That entsprungene und durch die im
Christentum
der Menschheit zu teil gewordene
Offenbarung vermittelte
Wiederbringung des
Menschen und der ganzen
Schöpfung
in Gott, deren
Darstellung bei S. als
Philosophie der
Offenbarung den
Abschluß und die
Krönung des ganzen
Systems in der Gewinnung
einer (von der sogen. natürlichen
Religion ganz verschiedenen philosophi
schen, d. h. freien und wahrhaften) Geistesreligion
enthält.
Von denen, die durch S. beeinflußt wurden, mögen hier Hegel, Baader, Troxler, Steffens, Görres, Oken, Windischmann, Schubert, Solger, Cousin genannt werden. Unter den Pflegern positiver Disziplinen außerhalb der Naturwissenschaft erfuhren die Mediziner Röschlaub, Marcus, Eschenmayer, unter den Juristen der Rechtsphilosoph Fr. J. ^[Friedrich Julius] Stahl und der Romanist Puchta Anregungen von ihm. Seine »Sämtlichen Werke«, in welchen ein großer Teil seiner Schriften, wie z. B. die Vorlesungen über die Philosophie der Kunst, Philosophie der Mythologie, Philosophie der Offenbarung, die Weltalter etc., zum erstenmal gedruckt wurde, erschienen nach seinem Tod gesammelt (Stuttg. 1856-61, 14 Bde.). Von einzelnen Schriften seien erwähnt: »Über Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt« (Tübing. 1794);
»Ideen zu einer Philosophie der Natur« (Leipz. 1797; 2. Aufl., Landsh. 1803);
»Von der Weltseele« (Hamb. 1798, 3. Aufl. 1809);
»Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie« (Jena [* 2] 1799);
»Einleitung zu dem Entwurf der Naturphilosophie« (das. 1799);
»System des transcendentalen Idealismus« (Tübing. 1800, eine der wichtigsten Schriften);
»Bruno, oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge« (Berl. 1802, neue Ausg. 1843);
»Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums« (Tübing. 1803, 3. Aufl. 1830);
»Über das Verhältnis des Realen und Idealen in der Natur« (Hamb. 1806);
die durch ihre klassische Form ausgezeichnete Rede »Über das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur« (Landsh. 1808);
»Über die Gottheiten von Samothrake« (Stuttg. 1815);
verschiedene Aufsätze in seiner »Zeitschrift für spekulative Physik« (Jena 1800-1802, 2 Bde.) und in dem mit Hegel herausgegebenen kritischen »Journal der Philosophie« (Tübing. 1802-1803, 2 Bde.).
Über Schellings Entwickelungsgang vgl. Noack, »S. und die Philosophie der Romantik« (Berl. 1859, 2 Bde.),
und außer den bekannten Geschichten der neuern Philosophie von Chalybäus, Erdmann, K. Fischer (»Geschichte der neuern Philosophie«, Bd. 6: »Schellings Leben und Schriften«, Heidelb. 1872-77) u. a. insbesondere »Aus Schellings Leben. In Briefen« (hrsg. von Plitt, Leipz. 1869-70, 3 Bde.) sowie die Schrift seines treuesten Anhängers, H. Beckers: Schellings Geistesentwickelung (Münch. 1875);
O. Pfleiderer, Gedächtnisrede auf S. (Stuttg. 1875);
Rob. Zimmermann, Schellings Philosophie der Kunst (Wien [* 3] 1875);
Frantz, Schellings positive Philosophie (Köth. 1879-1880), 3 Bde.);
»Fichtes und Schellings philosophischer Briefwechsel« (hrsg. von J. G. Fichte, [* 4] Stuttg. 1856).
2) Karoline, erste Gattin des vorigen, eine der geistreichsten Frauen ihrer Zeit, geb. als Tochter des Professors Michaelis zu Göttingen, [* 5] 1784 mit dem Bergmedikus Böhmer zu Klausthal verheiratet, nach dessen Tod (1788) in Mainz [* 6] mit G. Forster und den dortigen Klubbisten befreundet, nach der Eroberung der Festung [* 7] durch die Preußen [* 8] ihrer republikanischen Gesinnung wegen auf die Festung Kronberg gebracht, vermählte sich 1796 mit A. W. Schlegel und war Zierde und Mittelpunkt des Romantikerkreises zu Jena.
Nach friedlicher Trennung (1803) von ihrem zweiten Gatten verheiratete sie sich mit S., folgte diesem nach Würzburg [* 9] und starb auf einer Reise nach Schwaben in Maulbronn. Mehrere unter A. W. Schlegels Namen und in dessen Schriften erschienene Aufsätze und Übersetzungen (»Romeo und Julie«) rühren von ihr her. Ihre höchst interessanten Briefe, die Schellings Lob, daß sie »ein Meisterstück des Geistes« gewesen sei, begreiflich machen, gab Waitz unter dem Titel: »Karoline« (Leipz. 1871, 2 Bde.; Nachtrag 1882) heraus.
3) Ludwig Hermann von, preuß. Staatsminister, geb. zu Erlangen, [* 10] jüngster Sohn von S. 1), studierte die Rechte, trat 1844 in den preußischen Justizdienst, ward 1849 zum Assessor ernannt, 1852 Staatsanwalt in Hechingen, 1861 beim Stadtgericht in Berlin, [* 11] 1863 Appellationsgerichtsrat in Glogau, [* 12] ¶
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bald darauf Hilfsarbeiter im Justizministerium und 1866 vortragender Rat in demselben und Mitglied der Justizexaminationskommission. 1869 ward er zum Geheimen Oberjustizrat befördert, 1873 Mitglied des Gerichtshofs für kirchliche Angelegenheiten, 1874 Präsident des Appellationsgerichts in Halberstadt, [* 14] 1875 Vizepräsident des Obertribunals und Unterstaatssekretär im Justizministerium. Nach Friedbergs Ernennung zum Justizminister trat S. mit dem Charakter als Wirklicher Geheimer Rat an seine Stelle als Staatssekretär des Reichsjustizamts, wurde aber nach dessen Rücktritt zum preußischen Justizminister ernannt.