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und wurde durch die Bundesversammlung garantiert. Zufolge derselben ist der Kanton [* 2] ein demokratischer Freistaat und Bundesglied der Schweizer Eidgenossenschaft. Sie enthält die in den Schweizer Kantonalverfassungen üblichen Grundrechte und teilt den Kanton in 15 Bezirke. Die Legislative und die Oberaufsicht der gesamten Landesverwaltung ist einem Großen Rat übertragen, der gemeindeweise auf drei Jahre gewählt wird, je ein Mitglied auf 1200 Seelen, aber so, daß jede Gemeinde wenigstens Ein Mitglied zu wählen hat.
Die von ihm erlassenen Gesetze unterliegen der Volksabstimmung, sofern 6000 Bürger es verlangen. Die oberste Exekutivbehörde ist ein Regierungsrat von 7 Mitgliedern, welche vom Großen Rat auf eine Amtsdauer von drei Jahren gewählt werden; der Präsident führt den Titel Landammann. Die oberste richterliche Behörde ist ein ebenfalls vom Großen Rat, aber auf sechs Jahre gewähltes Kantongericht von 9 Mitgliedern. In den Bezirken bestehen je ein Bezirksammann (für die Exekutive) und ein Bezirksgericht, in den Gemeinden ein Gemeinderat, dessen Präsident den Titel Gemeindeammann führt, und ein Vermittler.
Die Staatsrechnung von 1886 zeigt an Einnahmen 2,741,356 Frank, an Ausgaben 2,560,323 Fr., also einen Überschuß von 181,033 Fr. Unter den Einnahmen erscheinen als größter Posten die direkten Abgaben (1,082,913 Fr.), unter den Ausgaben das Bauwesen (740,443 Fr.), Erziehung (333,658 Fr.) und Militär (298,767 Fr.). Ende 1886 Aktiva: 30,304,824 Fr., Passiva: 23,045,473, also das Staatsvermögen: 7,259,351 Fr. Zu diesem unmittelbaren Staatsgut kommen noch 28 Separatfonds mit 7,978,219 Fr., so daß der gesamte Vermögensbestand sich auf 15,237,570 Fr. beläuft.
Die Hauptstadt Sankt Gallen,
an der Steinach, 676 m ü. M., am Eingang in die Bergregion gelegen, hat alpenartige Umgebung. Die ehemaligen Klostergebäude sind in Regierungslokale, Schulen, Wohnungen etc. umgewandelt. Zusammen mit der doppelt getürmten, gewaltigen Kathedrale (Stiftskirche, 1756 bis 1766 im italienischen Stil erbaut), dem Zeughaus, der Kinderkapelle etc. umstehen dieselben den umfangreichen viereckigen Klosterhof. Noch immer beherbergen sie die berühmte Stiftsbibliothek, welche 1500 Handschriften (darunter viele sehr alte und ausgezeichnete, zum Teil aus dem 6. Jahrhundert) nebst Münzsammlung und Inkunabeln enthält.
In der Nähe des Klosters erhebt die geschmackvoll restaurierte reformierte Hauptkirche St. Laurenz (1851-53 restauriert) ihren schlanken gotischen Turm. [* 3] Andre sehenswürdige Gebäude sind: das Rathaus, das Bürgerspital, das Kantonsspital, das Kantonsschulgebäude auf dem Brühl, das Museum mit naturhistorischen Sammlungen, den Sammlungen des Historischen Vereins und der Gemäldesammlung des Kunstvereins, die Strafanstalt St. Jakob, das Postgebäude bei dem Bahnhof.
In der Nähe des letztern und selbst auf den steilen Anhöhen des engen Thals, in dem die Stadt liegt, haben sich neue Viertel erhoben. Die Zahl der Einwohner beträgt (1888) 27,910. S. hat sich nicht bloß zum Viktualienmarkt aufgeschwungen, wo Ober-Thurgau und Fürstenland ihre Bodenerzeugnisse zum Verkauf ausstellen und das Appenzeller Land einen Teil seines Bedarfs kauft; auch die umliegenden Industriebezirke bringen ihre Manufakturen dahin, damit die St. Galler Kaufleute den Export derselben übernehmen.
St. Gallens Warenhandel ist ein ungemein ausgedehnter und vielseitiger. Die Artikel finden schon in den meisten europäischen Ländern großen Absatz; viel bedeutender jedoch ist der Export nach den außereuropäischen Erdteilen, besonders nach Amerika, [* 4] auch nach Ostindien, [* 5] für einzelne Branchen auch nach den mediterranen Häfen der Levante, als Alexandria, Smyrna, Beirut etc. Es arbeiten hier zwei Zettelbanken, die Bank in S. mit 4½ und die St. Gallische Kantonalbank mit 6 Mill. Frank eingezahltem Kapital, ferner die Deutsch-Schweizerische (3 Mill. Fr.) und die St. Gallische Kreditanstalt (1,6 Mill. Fr.). Lohnende Ausflüge führen auf den Freudenberg und andre umliegende Aussichtspunkte.
Geschichte der Stadt und des Kantons St. Gallen.
Die Stadt S. ist aus dem Kloster und dieses aus der Zelle [* 6] des heil. Gallus hervorgegangen, der sich hier 614 als Einsiedler niederließ. Das Kloster, das 720 die Regel des heil. Benedikt erhielt, ward von Karl Martell zur Abtei erhoben. Ludwig der Fromme erklärte es für unabhängig vom Gaugrafen und Bischof, und mit Abt Gozbert (816-837), dem Gründer der berühmten Bibliothek, begann seine litterarische und künstlerische Blütezeit. Nach einem noch erhaltenen Bauriß von 830 zählte es 40 Firste, und durch den Sprachforscher Notker III., die als Dichter und Chronisten berühmten Ekkeharde, den Musiker Notker Labeo, den Bildschnitzer Tuotilo u. a. erhob sich die Klosterschule zu einer der ersten des Reichs.
Gegen Ende des 11. Jahrh. verblich dieser litterarische Glanz; aber die Äbte von S. thaten sich durch kriegerischen Eifer für die Sache des Kaisers hervor, wofür sie 1206 zu Reichsfürsten erhoben wurden. Ihre Besitzungen reichten vom Züricher See bis Ulm; [* 7] aber zwiespältige Abtswahlen und unglückliche Fehden mit König Rudolf von Habsburg brachen gegen Ende des Jahrhunderts ihre Macht. In diese Zeit fällt auch die Emanzipation der allmählich um das Kloster entstandenen, im 10. Jahrh. mit Mauern umgebenen und durch das Leinwandgewerbe blühenden Stadt S. von der geistlichen Herrschaft.
Nachdem ihr Rudolf von Habsburg 1291 die Unveräußerlichkeit der Reichsvogtei zugestanden, beseitigte sie durch Einführung einer Zunftverfassung 1353 den Einfluß des Abtes auf die städtische Regierung fast gänzlich, erwarb 1415 mit dem Blutbann und Münzrecht die völlige Souveränität und wurde als zugewandter Ort in den ewigen Bund der Eidgenossen aufgenommen, unter deren Vermittelung sie sich 1457 durch Bezahlung von 7000 Gulden von allen Ansprüchen des Abtes für immer befreite.
Inzwischen hatte sich auch der Abt durch ein ewiges Schutzbündnis mit Zürich, [* 8] Luzern, [* 9] Schwyz und Glarus als zugewandtes Glied [* 10] in die Eidgenossenschaft aufnehmen lassen. 1468 vermehrte sich der Besitz des Klosters durch die Erwerbung der Grafschaft Toggenburg. Ein Versuch des Abtes, seinen Sitz nach Rorschach zu verlegen, scheiterte an dem Widerstand der St. Galler und Appenzeller, welche den Neubau zerstörten; ein daran sich schließender Aufstand der Gotteshausleute wurde durch die vier Schirmorte der Abtei unterdrückt, die auch der Stadt S. und Appenzell [* 11] schwere Kontributionen auferlegten (Rorschacher Klostersturm 1489-90). Die Reformation erlangte unter dem Einfluß des berühmten Humanisten Vadian (Joachim von Watt)
[* 1] ^[Abb.: Wappen [* 12] von St. Gallen.] ¶
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1528 in der Stadt S. den völligen Sieg; unter Zürichs Schutz traten auch die Gotteshausleute und Toggenburger dazu über und kündigten dem Abte den Gehorsam, der mit den Mönchen entfloh, worauf Zürich und Glarus als Schirmorte der Abtei 1530 das Kloster der Stadt verkauften. Nach der Schlacht von Kappel (1531) wurde jedoch das geistliche Fürstentum wiederhergestellt und die Unterthanen zum alten Glauben zurückgebracht; nur den Toggenburgern wurde Religionsfreiheit zugesichert.
Die mannigfachen Verletzungen derselben sowie andrer verbriefter Rechte reizten die Toggenburger 1705 zu einem Aufstand, welcher sich durch die Parteinahme Zürichs und Berns gegen und der katholischen Orte für den Abt 1712 zu dem als Toggenburger oder zweiten Vilmerger Krieg bekannten schweizerischen Religionskampf erweiterte. Die Züricher und Berner besetzten die St. Gallische Landschaft und plünderten das Kloster. Im Frieden von Aarau [* 14] (11. Aug.) mußten die Katholiken ihnen die Ordnung der toggenburgischen Verhältnisse überlassen, worauf der Abt im Vertrag zu Baden [* 15] 1718 die Verwaltung seiner Lande zurückerhielt, aber unter Anerkennung voller Glaubensfreiheit und eines Mitregierungsrechts der Toggenburger. Nachdem die Gotteshausleute schon 1795 die Aufhebung der Leibeigenschaft und 1797 Anteil am Regiment erzwungen hatten, machte das Einrücken der Franzosen in die Schweiz [* 16] 1798 der äbtlichen Herrschaft selbst ein Ende. Die helvetische Verfassung verschmolz die Stadt und das Gebiet des Abtes mit Appenzell und Rheinthal zu einem Kanton Säntis; am wurde das Kloster selbst aufgehoben. Die Mediationsakte schuf 1803 den heutigen Kanton S., indem sie mit der Stadt und dem Gebiet des Abtes die ehemaligen gemeinen Herrschaften Rheinthal, Sargans, Rapperswyl, Gaster und Uznach sowie das glarnerische Unterthanenland Werdenberg vereinigte. 1805 hob der Große Rat des Kantons das Kloster in aller Form auf und teilte sein Vermögen in ein »souveränes« Gut, welches zu dem Staatsvermögen geschlagen wurde, und ein »katholisches« Gut, welches teils zur Dotierung der Stiftskirche, des Seminars, zur Pensionierung der Mönche und zur Errichtung eines katholischen Gymnasiums verwendet, teils als eine Art katholischen Staatsvermögens von einem katholischen Administrationsrat verwaltet wurde. Der Wiener Kongreß erkannte den neuen Kanton an; zugleich wurde die Verfassung in oligarchischem Sinn geändert und für Kirchen-, Ehe- und Schulsachen eine völlige Trennung nach Konfessionen [* 17] durchgeführt, so daß neben dem allgemeinen Großen Rat ein katholischer und ein evangelischer bestand. 1830-31 wurde unter der Führung G. J. ^[Gallus Jakob] Baumgartners (s. d.) die Verfassung in demokratisch-liberalem Sinn revidiert und das Veto eingeführt; zugleich wurde der Kanton der Ausgangspunkt der liberal-katholischen Bewegung, welche 1834 zu den Badener Konferenzartikeln führte (s. Schweiz); aber gerade in S. wurden diese in der Volksabstimmung verworfen (Januar 1835), womit die Kraft [* 18] der Bewegung gebrochen war. 1836 wurde St. Gallen Sitz eines eignen Bischofs.
Seit 1847, als die Liberalen die Mehrheit im Großen Rat erlangt hatten, strebten die Führer derselben, Weder, Hungerbühler u. a., vor allem nach Beseitigung der konfessionellen Trennung; eine liberale Mehrheit im katholischen Administrationsrat ermöglichte 1856 die Verschmelzung der katholischen Kantonsschule mit der höhern Lehranstalt der Stadt in eine gemeinsame Kantonsschule, und 1861 kam nach heftigen Stürmen eine 17. Nov. vom Volk angenommene Revision der Verfassung zu stande, welche das Erziehungswesen ganz dem Staat übergab, dagegen in kirchlichen Dingen den Konfessionen volle Freiheit ließ.
Durch eine genehmigte Partialrevision wurde, der demokratischen Strömung in der Schweiz entsprechend, das schon 1831 eingeführte Veto erleichtert. An den kirchlichen Kämpfen der jüngsten Zeit beteiligte sich S. nur insofern, als 1876 die katholische Kirchengemeinde der Stadt S. durch Mehrheitsbeschluß zum Altkatholizismus übertrat. Seit 1861 befinden sich die Liberalen beständig in der Mehrheit; aber die Macht der Ultramontanen zeigte sich sowohl in den eidgenössischen als kantonalen Volksabstimmungen, in welchen die Gesetzesvorlagen der Räte häufig verworfen wurden.
Anderseits wurde eine von klerikaler Seite angeregte Verfassungsrevision vom Volk mit großem Mehr abgelehnt.
Vgl. v. Arx, Geschichte des Kantons S. (St. Gallen 1810-13, 3 Bde.; Berichtigungen und Zusätze dazu 1830);
Baumgartner, Geschichte des schweizerischen Freistaats u. Kantons S. (Zürich 1868, 2 Bde.);
Henne-Am Rhyn, Geschichte des Kantons S. (das. 1863);
Näf, Chronik oder Denkwürdigkeiten der Stadt und Landschaft S. (das. 1867);
Weidmann, Geschichte des ehemaligen Stifts und der Landschaft S. unter den zwei letzten Fürstäbten (St. Gallen 1834);
Dierauer, Geschichte des Kantons S. in der Mediations- und Restaurationszeit (das. 1877 bis 1878);
Wartmann, Urkundenbuch der Abtei S. (Zürich 1863-82, 3 Tle.);
»Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte« (hrsg. vom Historischen Verein zu S., 1862 ff.);
Weidmann, Geschichte der Bibliothek von S. (das. 1841);
Dümmler, St. Gallische Sprachdenkmäler aus der karolingischen Zeit (Zürich 1859);
Henning, Über die St. Galler Sprachdenkmäler (Straßb. 1875);
»Verzeichnis der Handschriften der Stiftsbibliothek zu St. Gallen« (Halle [* 19] 1875);
Wartmann, Industrie und Handel des Kantons S., 1867-80 (St. Gallen 1884-87, 2 Tle.).