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sich 1801 mit einem Fräulein von Champgrand und stürzte sich während seiner Ehe in den Strudel des geselligen Verkehrs und der Sinnenlust. Nach einem Jahr gab er dies Leben auf und trennte sich von seiner Frau. Sein Vermögen hatte er verbraucht. Er betrachtete jetzt die experimentelle Lehrperiode seines Lebens als abgeschlossen und wollte nun die Ergebnisse seiner Studien und Erfahrungen der Welt verkünden. 1802 erschien seine erste Schrift: »Lettres d'un habitant de Genève à ses contemporains«, in welcher er versuchte, das Wesen der bürgerlichen Gesellschaft wissenschaftlich zu erfassen und eine Reform desselben sowie eine neue Gesellschaftswissenschaft und neue Religion zu begründen;
aber seine unklaren und phantastischen Ausführungen fanden keine Beachtung.
Abgeschlossen von der Welt, vertiefte sich S. von neuem in das Studium der verschiedensten Wissenschaften; die ihn beherrschende fixe Idee war, eine Reform der Gesellschaft durch eine Reform der Wissenschaften herbeizuführen; seine Gedanken darüber entwickelte er 1808-11 in einer Reihe von Schriften: »Introduction aux travaux scientifiques du XIX. siècle« (1808, 2 Bde),
»Lettres au bureau des longitudes« (1808),
»Nouvelle Encyclopédie« (1810),
»Mémoire sur l'Encyclopédie« (1810),
»Mémoire sur la science de l'homme« (1811),
»Mémoire sur la gravitation« (1811);
aber auch sie teilten durch ihren unklaren, phantastischen und abstrakten Inhalt das Schicksal der ersten. S. geriet in dieser Zeit in die bitterste Not und sah sich gezwungen, zur Fristung seiner Existenz eine Kopistenstelle in einem Leihgeschäft (mont de piété) mit einem Gehalt von 1000 Fr. anzunehmen. In ihr blieb er aber nur sechs Monate;
die übermäßige Anstrengung, da er nebenher seine wissenschaftlichen Arbeiten fortsetzte, hatte seine Gesundheit untergraben. In diesem Zustand fand ihn einer seiner frühern Diener, Diard, und nahm ihn in sein Haus.
Derselbe starb aber nach zwei Jahren, und S. fristete nun kümmerlich seine Existenz durch Unterstützungen, die er sich erbetteln mußte. 1814 erschien eine neue Schrift: »Réorganisation de la société européenne«. In ihr und zahlreichen andern, die in den nächsten Jahren erschienen, geht S. direkt auf die soziale Frage ein, betont hier den Klassengegensatz von Arbeitgebern und Arbeitern, von Kapital und Arbeit, die ungerechte Verteilung, die falsche Eigentumsordnung, das Recht der arbeitenden Klassen auf eine neue Organisation der Produktion etc. Wegen einer dieser Schriften: »L'organisateur« (1819),
in welcher er in einem Artikel, »Parabole politique«, die Frage aufwarf, ob es für Frankreich nachteiliger sein würde, wenn es plötzlich die königliche Familie, den ganzen Hofstaat, den höchsten Klerus und die obersten Beamten, im ganzen die 3000 höchstgestellten Personen des Landes, oder statt ihrer 3000 Menschen, welche seine größten Gelehrten, Künstler, hervorragendsten Unternehmer und besten Arbeiter sind, verlieren würde, und sich für das letztere entschieden hatte, wurde er in Anklagezustand versetzt, aber von den Geschwornen freigesprochen.
Ein größeres historisches Werk: »Système industriel« (1821-22, 3 Bde.), war der Versuch einer Geschichte der Industrie, d. h. der Arbeit. Alle diese erregten jetzt aber die öffentliche Aufmerksamkeit und führten S. auch eine kleine Schar begeisterter und hervorragender Schüler zu, die später zum Teil zu großem Ansehen gelangten, wie Augustin Thierry, Auguste Comte, Saint-Aubin u. a.; indes, was S. vor allem erstrebte, die Beachtung und Anerkennung seiner Schriften durch die Männer der Wissenschaft, fand er nicht.
Dazu war seine materielle Lage eine außerordentlich kümmerliche. Ihn ergriff die Verzweiflung, und im März 1823 machte er einen Selbstmordversuch. Der Schuß traf ihn aber nicht tödlich, sondern zerstörte nur einen Teil des Gesichts und ein Auge. [* 2] S. lebte noch zwei Jahre, vergöttert von seinen Schülern, deren Zahl zunahm, und schrieb noch in voller geistiger Kraft [* 3] außer einem Werk: »Opinions littéraires, philosophiques et industrielles« (1825),
die beiden Hauptwerke
seines
Lebens: »Catéchisme des industriels« (1823) und »Nouveau
Christianisme« (1825), in welchen er die sozialistischen
Ideen, nach denen er sein ganzes
Leben gerungen, entwickelte,
die dann nach seinem
Tod seine
Schüler zu dem sozialistischen
System, dem
Saint-Simonismus, ausbildeten (s.
Sozialismus). In
jenem Werk wird die
Arbeiterfrage als das soziale
Problem der Gegenwart, ihre
Lösung als die eigentliche Aufgabe der
Gesellschaft
hingestellt und der Weg zu ihrer
Lösung nach den sozialistischen
Ansichten Saint
-Simons gezeigt.
Das zweite Werk behandelt die religiöse
Reform der
Gesellschaft durch ein neues
Christentum der werkthätigen
Bruderliebe. S. starb Nach seinem
Tod bildeten seine
Schüler, zu denen unter andern auch
Péreire,
Rodriguez, M.
Chevalier,
Léon
Halévy, J. B. ^[Jean-Baptiste]
Duvergier,
Bailly gehörten, unter der
Führung von
Bazard (s. d.) und
Enfantin (s. d.) als
Saint-Simonisten die erste sozialistische
Schule, die von 1825 bis 1832 die neue sozialistische
Lehre
[* 4] in
weitern
Kreisen mit Erfolg verbreitete. Saint
-Simons Werke wurden zuletzt mit denen
Enfantins herausgegeben (Par. 1865-74, 36 Bde.),
eine Auswahl erschien 1859-61 in 3
Bänden.
Vgl. L. Reybaud, Études sur les réformateurs contemporains (7. Aufl., Par. 1864);
L. Stein, Der Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreich (Leipz. 1842), Derselbe, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich (das. 1850, 3 Bde.);
Hubbard, S., sa vie et ses travaux (Par. 1857).