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energischem Handeln drängenden Ratschlägen der preußischen Staatsmänner und Generale oft zum Sieg, bewirkte nach Vereitelung seines Plans, Bernadotte auf den französischen Thron [* 2] zu erheben, die Restauration der Bourbonen und die übermäßige Schonung Frankreichs im ersten Pariser Frieden und wohnte sodann dem Wiener Kongreß bei. Hier führte seine Forderung, daß Preußen [* 3] für die Erwerbungen der dritten polnischen Teilung durch Sachsen [* 4] entschädigt werden und jene selbst an Rußland fallen sollten, einen Konflikt mit Österreich [* 5] und den Westmächten herbei, der indes im Februar durch einige Zugeständnisse Rußlands beigelegt wurde. Es erhielt das eigentliche Polen (das sogen. Kongreßpolen) als besonderes Königreich, dem auch eine eigne liberale Verfassung verliehen wurde. Seine Besitzungen dehnten sich nun im Westen bis nahe an die Oder aus, während es sich im äußersten Osten über die Beringsstraße hinaus über einen Teil Nordamerikas ausbreitete; es umfaßte über 20 Mill. qkm mit etwa 50 Mill. Einw.
Rußlands Übergewicht in Europa.
Das Übergewicht, das Rußland durch den Ausgang der Napoleonischen Kriege in Europa erlangt hatte, befestigte Alexander noch durch die Heilige Allianz durch welche er namentlich Österreich und Preußen an die russische Politik fesselte. Die legitimistischen Grundsätze, zu denen Alexander sich bekehrt hatte, wurden zur Richtschnur der europäischen Politik auf den Kongressen zu Aachen, [* 6] zu Troppau, [* 7] Laibach [* 8] und Verona [* 9] genommen. Auch in Deutschland [* 10] trat der russische Einfluß für dieselben gegen die nationale und freisinnige Bewegung ein.
Durchgreifende Reformen im eignen Reich nahm Alexander daher auch nicht vor, sondern beschränkte sich auf Einführung eines zweckmäßigen Zollsystems, Verbesserung des Geldwesens, Erweiterung des Straßen- und Kanalbaues und Kolonisierung des südlichen Rußland. Petersburg [* 11] wurde durch zahlreiche Bauten verschönert, Moskau [* 12] und viele andre im Krieg zerstörte Städte erstanden stattlicher als zuvor aus der Asche. Das Unterrichtswesen ward durch neue Anstalten, namentlich eine Universität zu Petersburg, gefördert und wissenschaftliche Reisen und Arbeiten freigebig unterstützt. Auf einer seiner Reisen nach den verschiedenen Provinzen des Reichs starb Alexander unerwartet in Taganrog.
Da Alexander keine Söhne hinterließ, so schien sein ältester Bruder, Konstantin, der berechtigte Thronfolger zu sein, und auf die Kunde von Alexanders Tod huldigten ihm der Großfürst Nikolaus mit den Garden, welchem Beispiel anfangs das ganze Reich und die Truppen folgten. Konstantin hatte aber schon 1822 auf sein Thronrecht verzichtet, und Alexander hatte den Verzicht genehmigt, aber geheim gehalten. Erst als man sein Testament eröffnete, ward er bekannt, und da Konstantin bei seinem Entschluß beharrte und als Oberbefehlshaber des polnischen Heers seinen jüngern Bruder, Nikolaus, als Zaren ausgerufen hatte, bestieg dieser als Nikolaus I. 1825 bis 1855) den Thron.
Die vorübergehende Unsicherheit, welche durch das Interregnum hervorgebracht wurde, benutzte eine Anzahl vornehmer Offiziere, welche die Ideen der französischen Revolution in sich aufgenommen hatten, um einen Umsturz des Staats herbeizuführen, der die Verwirklichung ihres Ideals ermöglicht hätte (Aufstand der Dekabristen, s. d.). Dieselben, ein Oberst Pestel an der Spitze, spiegelten den Garden, die dem Zaren Nikolaus huldigen sollten, vor, Konstantin sei der rechtmäßige Zar und Nikolaus Usurpator, und bewogen sie, nicht nur die Huldigung zu verweigern, sondern sogar Hochrufe auf Konstantin und die Konstitution (worunter die Soldaten die Gemahlin Konstantins verstanden) auszustoßen. Der außerordentliche Mut, mit dem Nikolaus persönlich den Rebellen entgegentrat und sofort mit Kartätschen unter sie feuern ließ, erstickte den Aufstand im Keim. Gegen die Teilnehmer und Urheber desselben wurde nun mit Strenge eingeschritten, Pestel, Rylejew, Murawjew und andre Offiziere hingerichtet, viele nach Sibirien verbannt, die meuterischen Regimenter nach dem Kaukasus geschickt.
Nikolaus wurde in Moskau feierlich gekrönt. Von einem gewaltigen, ja übermäßigen Bewußtsein seiner eignen Herrschaft und der Festigkeit [* 13] und Macht des russischen Reichs erfüllt, sah der neue Zar auf die europäische Kultur mit Verachtung herab, da sie nur die Treue und Unterwürfigkeit unter Thron und Altar [* 14] untergrabe, hielt die absolute Kaiserherrschaft für fähig, das russische Reich und Volk zur höchsten Entfaltung seiner Kräfte zu bringen, und glaubte sich berechtigt, die russischen Ansprüche nach allen Seiten hin rücksichtslos geltend zu machen. In dem Krieg mit Persien [* 15] (1826-28), den der Sohn des Schahs, Abbas Mirza, durch einen Einfall in Kaukasien begonnen hatte, wurde Abbas Mirza 1826 bei Jelissawetpol geschlagen, worauf Paskewitsch 1829 in Persien selbst eindrang, die Perser bei Abbas Abad (17. Juli) und bei Etschmiadsin (29. Aug.) besiegte, Eriwan und Tebriz besetzte und im Frieden von Turkmantschai die Abtretung eines Teils von Armenien erlangte.
Nicht lange darauf begann der Zar den vierten russisch-türkischen Krieg (1828-29), angeblich wegen Nichterfüllung der die Donaufürstentümer betreffenden Verträge seitens der Türkei, [* 16] in Wirklichkeit, um die Unabhängigkeit der Griechen zu erzwingen, deren Aufstand von Rußland aus angeregt und fortwährend begünstigt worden war, noch 1827 durch die Vereinigung einer russischen mit einer englisch-französischen Flotte, welche vereinigte Schiffsmacht die türkisch-ägyptische Flotte bei Navarino vernichtete. Im Mai 1828 rückten die Russen unter Wittgenstein in die Donaufürstentümer ein, überschritten die Donau und eroberten im Oktober nach hartnäckiger Verteidigung Warna, während Paskewitsch in Türkisch-Armenien eindrang und Kars (5. Juli), Achalkalaki (23. Juli), Achalzych (9. Aug.) und damit das ganze Paschalik Bajesid in seine Gewalt brachte. 1829 besiegten die Russen unter Diebitsch die Türken bei Kulewtschi (11. Juni), nahmen Silistria ein (20. Juni) und zogen darauf über den Balkan. Adrianopel fiel 20. Aug. in ihre Hände, und selbst Konstantinopel [* 17] schien bedroht; in Armenien hatte Paskewitsch Erzerum besetzt. Unter diesen Umständen nahm die Pforte die preußische Vermittelung für einen Frieden an, der am in Adrianopel zu stande kam: Rußland erhielt die Donaumündungen und einen Teil Armeniens sowie eine Kriegskostenentschädigung von 10 Mill. Dukaten; außerdem erkannte der Sultan die Unabhängigkeit Griechenlands an und gewährte den Donaufürstentümern fast vollständige Selbständigkeit.
Die Julirevolution 1830 hatte, obwohl Polen von Rußland bisher mild und rücksichtsvoll behandelt worden war, den polnischen Aufstand zur Folge, durch welchen der Großfürst Konstantin, der in Warschau [* 18] befehligte, so überrascht wurde, daß er ganz Polen räumte. Die Wiedereroberung 1831 (s. Polen, S. 179) wurde dadurch erschwert, daß die Cholera viele Soldaten, auch den ¶
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Oberbefehlshaber Diebitsch, wegraffte, und erst im September 1831 von Paskewitsch durch die Einnahme von Warschau beendet. Polen verlor darauf seine Selbständigkeit, wurde durch ein organisches Statut (Februar 1832) als ein untrennbarer Teil mit dem russischen Reich vereinigt und die polnische Armee der russischen einverleibt. Da außer den nach Sibirien verbannten Polen eine große Zahl, namentlich aus den höhern Ständen, ausgewandert war, so war die Ruhe in Polen für längere Zeit hergestellt.
Nach diesen glänzenden Erfolgen betrachtete sich Kaiser Nikolaus als den Schützer der bestehenden Ordnung in Europa [* 20] und schritt als solcher 1833 zu gunsten der Türkei ein, als dieselbe von Mehemed Ali von Ägypten [* 21] bedroht wurde: eine russische Flotte warf im Bosporus [* 22] Anker, [* 23] 5000 Russen stellten sich bei Skutari auf, um Konstantinopel gegen die Ägypter zu decken, und ein zahlreiches Landheer eilte den Türken über den Pruth zu Hilfe. Der Friede von Kutahia zwischen dem Sultan und Mehemed Ali machte dieser Aktion ein Ende; zum Dank für dieselbe erhielt Rußland in einem geheimen Artikel des Vertrags von Hunkjar Skelessi das Zugeständnis, daß die Dardanellen für die Kriegsschiffe der übrigen Mächte geschlossen bleiben, für die russischen offen sein sollten.
Noch entschiedener trat Nikolaus als Gebieter von Europa und Hort der Legitimität nach der Februarrevolution auf; er war willens, 1848 in Preußen gegen die Revolution einzuschreiten, was aber abgelehnt wurde, schickte 1849 eine russische Armee unter Paskewitsch nach Ungarn, [* 24] um den Österreichern bei der Unterdrückung der dortigen Insurrektion zu helfen, und hatte die Genugthuung, daß die ungarische Hauptarmee unter Görgei vor seinen Truppen bei Világos 13. Aug. die Waffen [* 25] streckte. Er spielte darauf in der deutschen Frage den Schiedsrichter zwischen Österreich und Preußen und zwang letzteres, seine Unionspläne aufzugeben (Olmützer Punktationen,
Im Innern änderte Nikolaus an den bestehenden Staatseinrichtungen wenig. Es wurden Ministerien des kaiserlichen Hauses (1826) und der Reichsdomänen (1837) errichtet, alle Ukase seit der »Uloshenie« des Zaren Alexei Michailowitsch (1649) unter der Leitung Speranskijs gesammelt, gesichtet und die noch in Kraft [* 26] befindlichen als neue Gesetzsammlung herausgegeben. Für das Heer wurde durch Gründung einer großen Anzahl von Militärschulen und Kadettenkorps gesorgt.
Prächtige Schlösser, Bau- und Kunstwerke wurden in Petersburg, Moskau und an andern Orten errichtet, der russische Hof [* 27] war der glanzvollste in Europa. Aber nur soweit der Zar Interesse und Verständnis hatte und sein Auge [* 28] reichte, waren die Dinge in äußerer Ordnung. Das Beamtentum, unterwürfig nach oben, war willkürlich und gewaltthätig nach unten, vor allem aber unredlich und bestechlich. Trotz der langen Friedenszeit, und obwohl die Branntweinsteuer immer höhere Erträge abwarf, wurden die Finanzen nicht in guten Stand gebracht, so daß andre drückende Steuern, wie die Kopfsteuer, nicht abgeschafft werden konnten.
An der Leibeigenschaft wurde nichts geändert und für die Entwickelung von Gewerbe und Handel wenig gethan. Der Verkehr mit dem Ausland wurde, um das Eindringen der revolutionären Ideen des Westens zu verhindern, möglichst beschränkt; Reisen ins Ausland wurden gar nicht oder nur gegen eine hohe Paßsteuer gestattet, und alle eingeführten Bücher und Journale wurden ebenso wie die in Rußland selbst erscheinenden von einer scharfen Zensur überwacht, die vernichtete und verbot, was ihr beliebte.
Die Universitäten (Warschau und Wilna [* 29] wurden aufgehoben und an ihrer Stelle Kiew [* 30] errichtet) waren einer strengen Beaufsichtigung unterworfen, und mehrere Jahre lang wurde die Zahl der Studierenden auf ein bestimmtes Maß beschränkt. In kirchlicher Beziehung geschah nichts für die Hebung [* 31] des verwahrlosten niedern Klerus. Auch auf diesem Gebiet war man vor allem auf äußere Machterweiterung bedacht. Auf der Synode zu Polozk (1839) wurde die Vereinigung der seit 1596 mit der römisch-katholischen Kirche unierten Griechen in den polnischen Provinzen mit der russischen Staatskirche beschlossen und trotz aller Proteste des Papstes ihre Durchführung mit Güte und Gewalt begonnen.
In den baltischen Provinzen wurden zahlreiche esthnische und lettische Bauern durch falsche Vorspiegelungen zum Übertritt zur griechischen Kirche verleitet und die Rückkehr zum lutherischen Glauben bei den strengsten Strafen verboten. Nikolaus betrachtete sich aber nicht nur als Oberhaupt der russischen Staatskirche, sondern auch als Protektor der gesamten griechischen Kirche des Orients, und dies gab den Anlaß zum Ausbruch des fünften russisch-türkischen Kriegs (1853-56), des sogen. Krimkriegs (s. d.).
Der Kaiser glaubte nämlich die Zeit gekommen, der Türkei, »dem kranken Mann«, wie er sie nannte, ein Ende zu machen und Konstantinopel mit dem russischen Reich zu vereinigen, da er nach den 1849-50 errungenen Erfolgen von Europa keinen Einspruch erwartete und über die Macht seines Reichs verblendet war. Als daher Kaiser Napoleon III. von der Pforte einen Ferman zu gunsten der lateinischen Pilger in Jerusalem, [* 32] die von den zahlreichern griechischen oft in rohester Weise mißhandelt wurden, erwirkte und es durchsetzte, daß die Schlüssel zur Kirche in Bethlehem dem griechischen Patriarchen abgenommen und dem lateinischen übergeben wurden, erhob Rußland im Februar 1853 durch den Fürsten Menschikow hierüber bei der Pforte Beschwerde, aber in einer solchen schroffen Form, daß die Ablehnung derselben sicher war.
Sofort erfolgte die Kriegserklärung, wurde die türkische Flotte im Hafen von Sinope überfallen und rückten russische Truppen in die Donaufürstentümer und in Armenien ein. Aber der mit völliger Siegeszuversicht begonnene Krieg brachte eine Enttäuschung nach der andern. Die türkischen Truppen verteidigten die Donaulinie mit großer Zähigkeit, England und Frankreich schlossen im März 1854 mit der Türkei ein Schutz- und Trutzbündnis, dem am 28. März die Kriegserklärung an Rußland folgte; Österreich zwang die russische Armee, die Donaufürstentümer zu räumen, und Preußen blieb neutral.
Die verbündeten Mächte griffen 1854 Rußland selbst an, sowohl in der Ostsee als am Schwarzen Meer; hier landete ein englisch-französisches Heer auf der Krim, [* 33] schlug die Russen an der Alma und begann die Belagerung Sebastopols. Allerdings hatte der Krimkrieg scheinbar kein großes Resultat, indem die Verbündeten mit Aufgebot aller Kräfte nur das in einen Trümmerhaufen verwandelte südliche Sebastopol [* 34] eroberten, vernichtete aber dennoch die russische Suprematie, die so lange auf Europa gelastet hatte. Es zeigte sich in dem Krieg, daß Rußland außer einigen wenigen Kreisen keinen Freund in Europa besaß, da es in seinem brutalen Übermut die Interessen und Gefühle der gebildeten Welt verletzt hatte, und daß die Heeresmacht, deren Besitz den Zaren so stolz und hochmütig gemacht, und die so viel Geld verschlungen hatte, eine stumpfe, unbrauchbare Waffe war. Trotz der großen Tapferkeit der Offiziere und Mannschaften, trotz der Genialität eines Totleben war die ¶