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wenn er auch selbst noch in Verbindung mit den Normannen stand, hatte sich doch allmählich ein slawisches Gemeinwesen gebildet, dessen Fürstenhaus in Sprache, [* 2] Sitte und Religion mit dem Volk verschmolzen war.
Rußland unter den Teilfürsten.
Jaroslaw hinterließ fünf Söhne, an die er das Reich 1054 so verteilte, daß Isjaslaw als Großfürst Oberhaupt wurde und Kiew, [* 3] Swjätoslaw Tschernigow, Wsewolod Perejeslawl, Wjätschislaw Smolensk, Igor Wladimir erhielt. Außerdem erhob noch ein Enkel Jaroslaws, Rostislaw, und nach dessen Tod (1066) ein Enkel Wladimirs des Heiligen, Wseslaw, Fürst von Polozk, Ansprüche auf die Herrschaft und bemächtigte sich 1068 während eines Einfalls der Polowzer Kiews.
Isjaslaw floh zum Herzog Boleslaw von Polen, der ihn 1069 nach Kiew zurückführte. Zum zweitenmal wurde Isjaslaw durch seinen Bruder Swjätoslaw von Tschernigow 1073 vertrieben und suchte nun vergeblich Beistand beim deutschen König Heinrich IV. und dem Papst Gregor VII. Erst nach dem Tod Swjätoslaws (1076) verständigte er sich mit Wsewolod und nahm 1077 den Großfürstensitz in Kiew wieder ein, fiel aber im Kampf gegen seinen Neffen Ihm folgte Wsewolod I. (1078-93), dessen Regierung aber für das Reich unheilvoll war, da er mit den übrigen Fürsten in fortwährendem Streit lag, Polowzer und Chasaren Einfälle machten und Hungersnot und Pest das Land heimsuchten. Nun ward Isjaslaws Sohn Swjätopolk (1093-1113) als Großfürst von Kiew anerkannt. Derselbe, ein gewaltthätiger und unbesonnener Mann, führte unglückliche Kriege mit den Polowzern und vermochte die Teilfürsten nicht in Botmäßigkeit zu halten, die durch fortwährende Kämpfe das Reich zerrütteten. Erst 1111 gelang es, den Polowzern eine entscheidende Niederlage beizubringen.
Mit Umgehung der Nachkommen Swjätoslaws, der Olgowitschi, wurde nun Wsewolods Sohn Wladimir II. Monomach (1113-25), ein tapferer, menschenfreundlicher Fürst, von den Kiewern auf den Thron [* 4] erhoben; er sicherte das Reich nach außen, steuerte dem Wucher und milderte die Lage der halbfreien Bauern (Zakupi). Als er starb, verteilte er seine Lande an seine Söhne, von denen Mstislaw I. (1125-32) tapfer und erfolgreich regierte und Polozk erwarb; unter Jaropolk (1132-39) aber brachen unter den Brüdern erneute Bürgerkriege aus, welche das Haus Monomachs zerfleischten, und infolge deren das Haupt der Olgowitschi von Tschernigow, Wsewolod II. (1139-46), Großfürst von Kiew wurde.
Nach dessen Tod gelangte wieder Mstislaws Sohn Isjaslaw II. (1146-54) auf den Thron, unter dem die Kämpfe zwischen den Teilfürsten nicht aufhörten und auch die Kirche durch einen Zwiespalt zerrüttet wurde. Nach Isjaslaws Tod ging die großfürstliche Würde in fünf Jahren fünfmal in andre Hände über. Kiew und Südrußland litten unter diesen Wirren so, daß sie das Übergewicht, das sie bisher besessen, verloren und das Großfürstentum Kiew nicht mehr bedeutete als die übrigen Teilfürstentümer.
Juri Dolgorukijs (1154-57) Sohn Andrei Bogoljubski (1157-75) verlegte daher seinen Sitz nach Susdal im Norden. [* 5] Nach seiner Ermordung behauptete noch sein Bruder Wsewolod Jurjewitsch (1177-1212) einen gewissen Einfluß auf die übrigen Teilfürstentümer. In dem Streit seiner Söhne um den Thron ging auch dieser verloren, und Rußland war in mehrere völlig unabhängige Teilfürstentümer Zersplittert, als der Einfall der Mongolen erfolgte.
Die mongolische Fremdherrschaft.
Die Mongolen unter Dschengis-Chan hatten 1222 die Alanen nördlich vom Kaukasus besiegt und sich der Krim [* 6] bemächtigt. Vor ihnen hatten die Polowzer bei den Russen Schutz gesucht, und die Großfürsten von Halicz, Kiew und Tschernigow zogen ihnen über den Dnjepr entgegen, erlitten aber im Juni 1223 an der Kalka eine entscheidende Niederlage. Jedoch erst 1237 unternahm Dschengis-Chans Enkel Batu die Eroberung Rußlands. Er drang in Nordrußland ein, erstürmte Rjäsan, Wladimir, Kolomna und Moskau, [* 7] die zerstört und deren Einwohner grausam niedergemetzelt wurden, und besiegte den Großfürsten von Wladimir, Juri II., am Flusse Sit; Juri wurde auf der Flucht getötet.
Südrußland wurde 1240 von Batu erobert, Tschernigow und Kiew zerstört. Nach seiner Rückkehr aus dem Westen infolge des Todes des Großchans Oktai gründete Batu 1242 das Reich der Goldenen Horde von Kiptschak, als dessen Mittelpunkt er die Stadt Sarai an der Achtuba, einem Nebenfluß der Wolga, gründete. Von dieser Hauptstadt aus ernannte der Chan nach freiem Ermessen den Großfürsten und die Teilfürsten von Rußland. Er war ihr höchster Richter und forderte von ihnen einen Tribut, der um so drückender war, als er nicht von den Fürsten, sondern durch Amtsleute, die der Chan bestellte, eingetrieben oder an fremde Kaufleute verpachtet wurde.
Jedoch enthielt er sich jedes Eingriffs in die innern Einrichtungen der russischen Fürstentümer; das Verhältnis der Fürsten zu ihren Unterthanen wurde nicht gestört, auch wich man bei Besetzung der Stellen der Großfürsten und der Teilfürsten nicht von Ruriks Stamm ab. Wer sich widerspenstig zeigte, mußte den starken Arm des Tyrannen fühlen; wer willfährig war, durfte ungehindert sein Herrscheramt üben und selbst seine Waffen [* 8] gegen auswärtige Feinde kehren. So führten der Großfürst Jaroslaw II. (1238-46), der Bruder Juris II., und sein jüngerer Sohn, Andrei II. (1246-52), selbständig Krieg, und Jaroslaws älterer Sohn, der Großfürst Alexander Newskij (1252 bis 1263), siegte als Fürst von Nowgorod über die Schweden [* 9] 1240 an der Newa, wofür er den Beinamen Newskij erhielt, und über die livländischen Schwertbrüder 1242 am Peipussee.
Nach Alexanders Tod zerstörten die Fürsten aus Ruriks Stamm ihr Ansehen und die Wohlfahrt des Landes, indem sie sich bei den Chanen verleumdeten und dieselben veranlaßten, die Großfürsten oft zu wechseln, bald aus dieser, bald aus jener Familie zu wählen und keinen sich dauernd in der Herrschaft befestigen zu lassen. So folgte auf die Brüder und Söhne Alexanders, Jaroslaw (1264 bis 1271), Wasilij (1271-76), Dmitrij (1276-1294) und Andrei (1294-1304), Alexanders Neffe Michael von Twer (1304-19); dieser wurde infolge von Verleumdungen seitens Juris von Moskau, eines Enkels Alexanders, auf Befehl des Chans ermordet, worauf Juri (1319-25) selbst den Thron bestieg. Doch er wurde bald von Michaels erstem Sohn, Dmitrij, getötet, welcher seine Frevelthat auch mit dem Tod büßte, worauf für kurze Zeit Michaels zweiter Sohn, Alexander (1325-28), zur Regierung kam. Endlich wurde Juris Bruder, Iwan Kalita von Moskau, vom Chan zum Großfürsten ernannt.
Iwan (1328-40), mit dessen Thronbesteigung der Sitz des Großfürstentums nach Moskau verlegt wurde, das er mit Palästen und Kirchen schmückte, und wo er die mit dem tatarischen Namen Kreml (Festung) [* 10] benannte Burg erbaute, wußte sich durch äußerliche Devotion, durch Geschenke und ¶
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Huldigungen die Gunst des Chans zu erhalten, die großfürstliche Würde in seiner Familie zu befestigen und Moskau zur Hauptstadt Rußlands zu erheben; auf sein Andringen verlegte der Metropolit Peter seinen Sitz nach Moskau. Als sein ältester Sohn, Simeon (1340-53), Gordije, d. h. der Stolze, benannt von dem Ansehen, welches er sich bei den Teilfürsten zu verschaffen wußte, vom schwarzen Tod weggerafft worden war, folgte der jüngere, Iwan II. (1353-1359), diesem nach kurzem Interregnum sein unmündiger Sohn Dmitrij (1362-89), welcher sich durch einen glänzenden Sieg über die Mongolen auf dem Feld von Kulikowo, am Einfluß der Neprädwa in den Don, den Beinamen »Donskoi« erwarb; doch wurde er schon 1382 durch die Plünderung und Verbrennung Moskaus wieder zur Anerkennung der mongolischen Oberhoheit genötigt.
Wichtig war, daß Dmitrij an Stelle der bisherigen Thronfolgeordnung, nach welcher das älteste Mitglied der Fürstenfamilie erbberechtigt war, das Recht der Erstgeburt im Großfürstentum einführte, indem er seinen Vetter Wladimir bewog, seinen Ansprüchen zu gunsten von Dmitrijs ältestem Sohn zu entsagen, der darauf als Wasilij I. (1389-1425) den Thron bestieg. Unter ihm fielen die Mongolen unter Timur auch in Rußland ein und plünderten mehrere Städte, wie Kasan [* 12] und Nishnij Nowgorod; auch entriß Wasilijs Schwiegervater, der Großfürst Witold von Litauen, Rußland das Gebiet bis zur Ugra. Indes hatte sich die großfürstliche Macht so gefestigt, daß selbst die schwache Regierung seines Sohns Wasilij II. Temnyi (der Geblendete, 1425-62) die Einheit des Reichs nicht erschütterte, im Gegenteil im Lauf der Zeit mehrere Fürstentümer mit dem Großfürstentum vereinigt wurden; auch ward das Reich von Kiptschak außer durch die Angriffe Timurs noch durch die Bildung der selbständigen Chanate Kasan und Krim geschwächt.
Rußland unter den letzten Ruriks.
Wasilijs II. Sohn Iwan III. (1462-1505) machte sich 1469 das Chanat Kasan zinspflichtig, zwang die Stadt Nowgorod, nachdem sein Feldherr Cholmskij ihre Kriegsmacht an den Ufern des Schelon geschlagen und zersprengt hatte (1471), zur unbedingten Unterwerfung (1478) und wehrte 1480 einen Angriff des Chans der Goldenen Horde, Mohammed, ab; als dieser den Rückzug antrat, wurde er von den tatarischen Horden der Schibanen und Nogaier bei Asow überfallen, getötet und sein Heer vernichtet. Damit brach das Reich der Goldenen Horde zusammen, und Rußland war vom Tatarenjoch befreit.
Durch seine Vermählung (1472) mit der Prinzessin Sophie, der Nichte des letzten paläologischen Kaisers von Byzanz, welche in Rom [* 13] Zuflucht gefunden hatte, trat Iwan in engere Verbindung zu dem übrigen Europa, [* 14] die er, übrigens ohne großen Erfolg, durch Heranziehung fremder Künstler und Handwerker zu stärken suchte. Auch nahm er das Wappen [* 15] der griechischen Kaiser, den zweiköpfigen Adler, [* 16] an, welchen er mit dem frühern Moskauer Wappen, dem Bilde des heil. Georg des Siegers, verband, und nannte sich Großfürst und Selbstherrscher (Gossudar) von ganz Rußland.
Mit dem Großfürsten Alexander von Litauen hatte er 1494 einen Bund geschlossen und ihm seine Tochter Helena vermählt, wofür Alexander Wjasma und Mossalsk abtrat. 1500 geriet er aber mit Alexander in Streit und besiegte die Litauer an der Wedroscha, erlitt aber 1501 bei Isborsk und 1502 am Smolinasee von den mit Litauen verbündeten Livländern empfindliche Niederlagen. Dennoch gewann er durch seine schlaue Politik im Frieden, der 1503 zu stande kam, ein sehr beträchtliches Gebiet, so daß sein Reich, welches bei seinem Regierungsantritt etwa 600,000 qkm umfaßt hatte, nunmehr 2¼ Mill. qkm zählte. Vor seinem Tode teilte er zwar seinen jüngern Söhnen auch beträchtliche Besitzungen zu, aber ohne landesherrliche Rechte. Diese kamen allein dem ältesten Sohn, Wassilij III. (1505-33), zu, der überdies zwei Drittel des Reichs bekam; derselbe bezog die durch italienische Architekten und Ingenieure neuaufgebaute Burg des Kreml, die starke Citadelle von Moskau, und erwarb Smolensk.
Wasilijs III. Sohn und Nachfolger Iwan IV. (1533-84), bei dem Tod seines Vaters erst 3 Jahre alt, wuchs unter den verderblichen Einflüssen einer verbrecherischen Regentschaft voll wilder Frevelthaten und leidenschaftlicher Parteiwut auf, die in ihm den Grund zu jener rohen Gemütsart legten, welche ihm den Beinamen des »Schrecklichen« (Grosnyj) erwarb. Kaum hatte er als Zar von Rußland die Zügel der Regierung in die eigne Hand [* 17] genommen (Januar 1547), so richtete er seine Waffen gegen Kasan und machte nach der Eroberung der Hauptstadt dem Chanat ein Ende.
Hierauf wurde auch Astrachan, der Sitz eines andern tatarischen Reichs, mit leichter Mühe eingenommen (1556) und zu einem Hauptverkehrsplatz mit Persien [* 18] und dem fernen Orient umgeschaffen. Gegen die Tataren der Krim schützte er die Grenze durch Befestigungen und unternahm auch wiederholt verheerende Einfälle in ihr Gebiet, den erfolgreichsten 1559, konnte es aber nicht hindern, daß die krimschen Tataren 1571 unvermutet in Rußland einfielen, Moskau verbrannten und 100,000 Menschen in die Gefangenschaft schleppten.
Der Wunsch, durch die Erwerbung eines Küstenstrichs an der Ostsee in Handelsverkehr mit dem westlichen Europa zu treten, veranlaßte ihn zu dem Krieg mit Livland, [* 19] in dem die Russen viele feste Plätze, wie Narwa, Dorpat [* 20] u. a., einnahmen. Als aber der Heermeister des Schwertordens, Kettler, Esthland an Schweden, Livland an Polen abtrat und sich unter polnische Lehnshoheit stellte, sah sich Iwan in einen Krieg mit Polen und Schweden verwickelt und mußte 1582 nicht bloß im Waffenstillstand mit Polen auf Livland verzichten, sondern 1583 den Schweden noch die russischen Städte Jam, Iwangorod und Kaporje abtreten. Im Osten dagegen drang 1568 eine tapfere Kosakenschar über das Uralgebirge in Asien [* 21] ein und begann die Eroberung Sibiriens. Von wichtigen Folgen war auch die Entdeckung des Seewegs nach dem Weißen Meer durch die Engländer (1553), denen Iwan wertvolle Handelsprivilegien gewährte, wie er denn auch sonst die fremde Einwanderung, besonders von deutschen Handwerkern, Lehrern, Ärzten und Gewerbtreibenden aller Art, begünstigte.
Für die innere Entwickelung war die Verkündigung eines neuen Rechtsbuches, »Sudebnik«, von Bedeutung, welches die Privilegien des Adels und der Geistlichkeit festsetzte und Bestimmungen traf, um die Bestechlichkeit der Richter abzustellen und der Rechtspflege durch Beiziehung von Geschwornen eine größere Gleichmäßigkeit und Sicherheit zu geben. Sein Streben ging ferner dahin, jede vom Zaren unabhängige Macht zu brechen und jeden Widerstand gegen seinen Willen rücksichtslos niederzuschlagen, wobei er in den letzten Jahren seines Lebens seinem Hang zur Grausamkeit oft allzusehr nachgab. Durch die Drohung, er werde das Reich verlassen, weil die Geistlichkeit die widerspenstigen Bojaren vor Bestrafung schütze, erzwang er 1565 das Zugeständnis, daß er ohne alle Einsprache von seiten der Geistlichkeit ¶