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unter ihren Seekönigen kamen in immer größern Scharen nach dem Gebiet des Ladogasees, das sie zeitweilig unterwarfen. Obwohl es den vereinigten Finnen und Slawen gelang, sie wieder zu vertreiben, wurden dieselben doch bald, um die Mitte des 9. Jahrh., durch innere Wirren veranlaßt, von den Warägern sich Fürsten zu holen. Drei Brüder, Rurik (Hrurekr), Sineus (Sikniutr) und Truwor (Thorvadr), folgten dem Ruf und gründeten sich in Ladoga, Bjelo Osero und Isborsk Fürstentümer, welche nach dem frühen Tod seiner Brüder Rurik unter seine Herrschaft vereinigte. So entstand das russische Reich, als dessen offizielles Gründungsjahr 862 angenommen wird. Rurik verlegte seinen Sitz nach Nowgorod, von wo er seine Macht bis zum Wolok ausdehnte. Zwei seiner Mannen, die Waräger Askold und Dir, setzten sich in Kiew [* 2] fest und unternahmen von hier aus 865 mit 300 Booten und 14,000 Mann einen Raubzug gegen Konstantinopel, [* 3] der aber scheiterte.
Rurik starb 879 und hinterließ nur einen unmündigen Sohn, Igor, für den ein älterer Verwandter, Helgi oder Oleg (879-912), die Herrschaft übernahm. Dieser besetzte Smolensk im Lande der Kriwitschen, drang dann den Dnjepr abwärts in das Gebiet der Sewerjänen und bemächtigte sich 882 Kiews, nachdem er Askold und Dir hatte töten lassen. Er unterwarf mit Ausnahme der Ulitschen alle russischen Stämme. 907 zog er mit 80,000 Mann Warägern und Slawen auf 2000 Booten gegen Konstantinopel und setzte die Griechen (Rhomäer) so in Schrecken, daß deren Kaiser Leo VI. sich zu einem 911 bestätigten Handelsvertrag verstand, der den Russen große Handelsvorteile und Vorrechte zugestand.
Nach Olegs Tod folgte Ruriks Sohn Igor (912-945), der mit einer Skandinavierin fürstlichen Geschlechts, Helga oder Olga, vermählt war. Anfangs überließ er die Regierung seinem Mannen Svenald; erst später führte er sie selbst und zog 941 gegen Konstantinopel, das aber durch das griechische Feuer, welches die russische Flotte zerstörte, gerettet ward. Erst auf einem zweiten Zug erlangte Igor eine Erneuerung des Vertrags von 911. Er fiel bei einem Aufstand der Drewljänen 945 und hinterließ einen minderjährigen Sohn, Swjätoslaw (945-973), für den bis 964 Olga die Vormundschaft führte.
Dieselbe nahm an den Drewljänen grausame Blutrache, ordnete die Tributverhältnisse der unterworfenen Stämme und regelte in umsichtiger Weise den fürstlichen Haushalt. 957 zog sie mit großem Gefolge nach Konstantinopel und trat hier in Gegenwart des Kaisers Konstantin Porphyrogennetos, der ihr Pate war, zum Christentum über, wobei sie den Namen Helena empfing. Obgleich in Kiew schon vorher eine ansehnliche Christengemeinde bestand, blieb Swjätoslaw unter dem Einfluß seiner warägischen Umgebung dem Heidentum getreu.
Nachdem er 964 die Herrschaft selbst angetreten, unternahm er einen Feldzug gegen die Chasaren, deren wichtigste Städte er einnahm, und deren Macht er für immer brach, besiegte darauf die Wjätitschen und zog 968, vom byzantinischen Kaiser Nikephoros durch eine große Geldsumme gewonnen, mit 60,000 Mann gegen die Donaubulgaren. Er eroberte einen großen Teil ihres Gebiets, mußte aber dann nach Kiew zurückkehren, das von den Petschenegen hart bedrängt wurde. Er besiegte dieselben, teilte aber dann sein russisches Reich unter seine drei unmündigen Söhne, Jaropolk, Oleg und Wladimir, und zog 970 wieder nach Bulgarien, [* 4] das er für sich erobern wollte. Er drang bis über den Balkan vor, wurde aber dann von den Byzantinern bei Arkadiopol und bei Drstr (Silistria) geschlagen und mußte, in Drstr eingeschlossen, den Kaiser Johann Tzimisces um Frieden bitten, der ihm freien Abzug gewährte. Auf dem Rückweg nach Kiew wurde Swjätoslaw von den Petschenegen erschlagen (973).
Nach seinem Tod brach zwischen seinen Söhnen Zwist aus; Jaropolk von Kiew vertrieb 977 Oleg, der auf der Flucht ertrank, und Wladimir, der über das Meer zu den Warägern floh, aber bald von da mit einem Warägerheer zurückkehrte, Jaropolk aus Kiew verjagte und dann meuchlings töten ließ (980). Nun ward Wladimir der Heilige (980-1015) Alleinherrscher. Er war anfangs ein eifriger Anhänger des Heidentums und ließ den von ihm in Kiew neuaufgerichteten Götzenbildern Menschenopfer darbringen.
Der anmaßenden Waräger wußte er sich zu entledigen, indem er sie nach Byzanz schickte, und unterjochte darauf die Wjätitschen, Radimitschen und Wolgabulgaren. Von den byzantinischen Kaisern gegen einen Aufstand zu Hilfe gerufen, schickte er ihnen ein warägisches Heer und zog selbst nach der Krim, [* 5] wo er Cherson eroberte. Auf sein Verlangen erhielt er die griechische Prinzessin Anna, Schwester der deutschen Kaiserin Theophano, zur Gemahlin, worauf er Cherson zurückgab und selbst zum Christentum übertrat (989). Die Götzenbilder in Kiew ließ er zerschlagen, das des höchsten Gottes Perun in den Dnjepr werfen und befahl, daß alles Volk sich taufen lasse. In Kiew und der Umgegend wurde dem Befehl bereitwillig Folge geleistet, während der Norden [* 6] und Osten Rußlands erst später sich vom Heidentum lossagten. Dadurch, daß die Russen das Christentum und damit die höhere Kultur von Byzanz empfingen, erlangten sie zwar manche Vorteile für ihren Handel und Verkehr, traten aber zu dem Abendland in einen Gegensatz, der ihre Entwickelung hemmte, zumal das griechische Kaiserreich, von dem ihre Kultur nun abhängig wurde, bereits im Verfall war.
Wladimir beförderte die Ausbreitung des Christentums durch die Verkündigung desselben in slawischer Sprache [* 7] und durch volkstümliche Gestaltung der christlichen Feste. Als er 1015 starb, stritten sich seine acht Söhne um die Herrschaft. Swjätopolk warf sich zum Herrn in Kiew auf und ließ drei seiner Brüder, Boris, Gleb und Swjätoslaw, ermorden, ward aber 1016 von seinem ältern Bruder, Jaroslaw von Nowgorod, am Dnjepr besiegt und gezwungen, bei seinem Schwiegervater Boleslaw Chrobry von Polen Zuflucht zu suchen.
Zwar wurde er von diesem nach einem Sieg über Jaroslaw am Bug (1017) zurückgeführt, konnte sich aber, als Boleslaw wieder nach Polen abzog, nachdem er sich der tscherwenischen Städte bemächtigt hatte, nicht halten, wurde trotz seines Bundes mit den Petschenegen 1019 von Jaroslaw an der Alta besiegt und floh ins Ausland, wo er starb. Jaroslaw (1019-1054) mußte seinem Neffen Brjätschislaw von Polozk die Städte Witebsk und Usjwät und seinem Bruder Mstislaw von Tmutarakan nach einer Niederlage bei Listwen (1023) das Land östlich vom Dnjepr abtreten (1026). Darauf wurden die Esthen unterworfen und den Polen 1031 die tscherwenischen Städte wieder entrissen, und nach Mstislaws Tod (1034) wurde Jaroslaw Alleinherrscher. Er machte durch einen glänzenden Sieg die Petschenegen für immer unschädlich, während ein Zug seines Sohns Wladimir gegen Konstantinopel mit völliger Vernichtung des russischen Heers endete. Das Christentum befestigte er durch den Bau steinerner Kirchen in Kiew u. a. O., und ¶
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wenn er auch selbst noch in Verbindung mit den Normannen stand, hatte sich doch allmählich ein slawisches Gemeinwesen gebildet, dessen Fürstenhaus in Sprache, Sitte und Religion mit dem Volk verschmolzen war.
Rußland unter den Teilfürsten.
Jaroslaw hinterließ fünf Söhne, an die er das Reich 1054 so verteilte, daß Isjaslaw als Großfürst Oberhaupt wurde und Kiew, Swjätoslaw Tschernigow, Wsewolod Perejeslawl, Wjätschislaw Smolensk, Igor Wladimir erhielt. Außerdem erhob noch ein Enkel Jaroslaws, Rostislaw, und nach dessen Tod (1066) ein Enkel Wladimirs des Heiligen, Wseslaw, Fürst von Polozk, Ansprüche auf die Herrschaft und bemächtigte sich 1068 während eines Einfalls der Polowzer Kiews.
Isjaslaw floh zum Herzog Boleslaw von Polen, der ihn 1069 nach Kiew zurückführte. Zum zweitenmal wurde Isjaslaw durch seinen Bruder Swjätoslaw von Tschernigow 1073 vertrieben und suchte nun vergeblich Beistand beim deutschen König Heinrich IV. und dem Papst Gregor VII. Erst nach dem Tod Swjätoslaws (1076) verständigte er sich mit Wsewolod und nahm 1077 den Großfürstensitz in Kiew wieder ein, fiel aber im Kampf gegen seinen Neffen Ihm folgte Wsewolod I. (1078-93), dessen Regierung aber für das Reich unheilvoll war, da er mit den übrigen Fürsten in fortwährendem Streit lag, Polowzer und Chasaren Einfälle machten und Hungersnot und Pest das Land heimsuchten. Nun ward Isjaslaws Sohn Swjätopolk (1093-1113) als Großfürst von Kiew anerkannt. Derselbe, ein gewaltthätiger und unbesonnener Mann, führte unglückliche Kriege mit den Polowzern und vermochte die Teilfürsten nicht in Botmäßigkeit zu halten, die durch fortwährende Kämpfe das Reich zerrütteten. Erst 1111 gelang es, den Polowzern eine entscheidende Niederlage beizubringen.
Mit Umgehung der Nachkommen Swjätoslaws, der Olgowitschi, wurde nun Wsewolods Sohn Wladimir II. Monomach (1113-25), ein tapferer, menschenfreundlicher Fürst, von den Kiewern auf den Thron [* 9] erhoben; er sicherte das Reich nach außen, steuerte dem Wucher und milderte die Lage der halbfreien Bauern (Zakupi). Als er starb, verteilte er seine Lande an seine Söhne, von denen Mstislaw I. (1125-32) tapfer und erfolgreich regierte und Polozk erwarb; unter Jaropolk (1132-39) aber brachen unter den Brüdern erneute Bürgerkriege aus, welche das Haus Monomachs zerfleischten, und infolge deren das Haupt der Olgowitschi von Tschernigow, Wsewolod II. (1139-46), Großfürst von Kiew wurde.
Nach dessen Tod gelangte wieder Mstislaws Sohn Isjaslaw II. (1146-54) auf den Thron, unter dem die Kämpfe zwischen den Teilfürsten nicht aufhörten und auch die Kirche durch einen Zwiespalt zerrüttet wurde. Nach Isjaslaws Tod ging die großfürstliche Würde in fünf Jahren fünfmal in andre Hände über. Kiew und Südrußland litten unter diesen Wirren so, daß sie das Übergewicht, das sie bisher besessen, verloren und das Großfürstentum Kiew nicht mehr bedeutete als die übrigen Teilfürstentümer.
Juri Dolgorukijs (1154-57) Sohn Andrei Bogoljubski (1157-75) verlegte daher seinen Sitz nach Susdal im Norden. Nach seiner Ermordung behauptete noch sein Bruder Wsewolod Jurjewitsch (1177-1212) einen gewissen Einfluß auf die übrigen Teilfürstentümer. In dem Streit seiner Söhne um den Thron ging auch dieser verloren, und Rußland war in mehrere völlig unabhängige Teilfürstentümer Zersplittert, als der Einfall der Mongolen erfolgte.
Die mongolische Fremdherrschaft.
Die Mongolen unter Dschengis-Chan hatten 1222 die Alanen nördlich vom Kaukasus besiegt und sich der Krim bemächtigt. Vor ihnen hatten die Polowzer bei den Russen Schutz gesucht, und die Großfürsten von Halicz, Kiew und Tschernigow zogen ihnen über den Dnjepr entgegen, erlitten aber im Juni 1223 an der Kalka eine entscheidende Niederlage. Jedoch erst 1237 unternahm Dschengis-Chans Enkel Batu die Eroberung Rußlands. Er drang in Nordrußland ein, erstürmte Rjäsan, Wladimir, Kolomna und Moskau, [* 10] die zerstört und deren Einwohner grausam niedergemetzelt wurden, und besiegte den Großfürsten von Wladimir, Juri II., am Flusse Sit; Juri wurde auf der Flucht getötet.
Südrußland wurde 1240 von Batu erobert, Tschernigow und Kiew zerstört. Nach seiner Rückkehr aus dem Westen infolge des Todes des Großchans Oktai gründete Batu 1242 das Reich der Goldenen Horde von Kiptschak, als dessen Mittelpunkt er die Stadt Sarai an der Achtuba, einem Nebenfluß der Wolga, gründete. Von dieser Hauptstadt aus ernannte der Chan nach freiem Ermessen den Großfürsten und die Teilfürsten von Rußland. Er war ihr höchster Richter und forderte von ihnen einen Tribut, der um so drückender war, als er nicht von den Fürsten, sondern durch Amtsleute, die der Chan bestellte, eingetrieben oder an fremde Kaufleute verpachtet wurde.
Jedoch enthielt er sich jedes Eingriffs in die innern Einrichtungen der russischen Fürstentümer; das Verhältnis der Fürsten zu ihren Unterthanen wurde nicht gestört, auch wich man bei Besetzung der Stellen der Großfürsten und der Teilfürsten nicht von Ruriks Stamm ab. Wer sich widerspenstig zeigte, mußte den starken Arm des Tyrannen fühlen; wer willfährig war, durfte ungehindert sein Herrscheramt üben und selbst seine Waffen [* 11] gegen auswärtige Feinde kehren. So führten der Großfürst Jaroslaw II. (1238-46), der Bruder Juris II., und sein jüngerer Sohn, Andrei II. (1246-52), selbständig Krieg, und Jaroslaws älterer Sohn, der Großfürst Alexander Newskij (1252 bis 1263), siegte als Fürst von Nowgorod über die Schweden [* 12] 1240 an der Newa, wofür er den Beinamen Newskij erhielt, und über die livländischen Schwertbrüder 1242 am Peipussee.
Nach Alexanders Tod zerstörten die Fürsten aus Ruriks Stamm ihr Ansehen und die Wohlfahrt des Landes, indem sie sich bei den Chanen verleumdeten und dieselben veranlaßten, die Großfürsten oft zu wechseln, bald aus dieser, bald aus jener Familie zu wählen und keinen sich dauernd in der Herrschaft befestigen zu lassen. So folgte auf die Brüder und Söhne Alexanders, Jaroslaw (1264 bis 1271), Wasilij (1271-76), Dmitrij (1276-1294) und Andrei (1294-1304), Alexanders Neffe Michael von Twer (1304-19); dieser wurde infolge von Verleumdungen seitens Juris von Moskau, eines Enkels Alexanders, auf Befehl des Chans ermordet, worauf Juri (1319-25) selbst den Thron bestieg. Doch er wurde bald von Michaels erstem Sohn, Dmitrij, getötet, welcher seine Frevelthat auch mit dem Tod büßte, worauf für kurze Zeit Michaels zweiter Sohn, Alexander (1325-28), zur Regierung kam. Endlich wurde Juris Bruder, Iwan Kalita von Moskau, vom Chan zum Großfürsten ernannt.
Iwan (1328-40), mit dessen Thronbesteigung der Sitz des Großfürstentums nach Moskau verlegt wurde, das er mit Palästen und Kirchen schmückte, und wo er die mit dem tatarischen Namen Kreml (Festung) [* 13] benannte Burg erbaute, wußte sich durch äußerliche Devotion, durch Geschenke und ¶