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eigentliche Traintruppe besteht nicht. Die Truppen führen selbst einen großen Bagagetrain mit.
Die Zahl der Festungen ist, namentlich in den westlichen Gebieten, in den letzten Jahrzehnten sehr vermehrt worden. Festungen im großen Stil sind hier Warschau [* 2] und Brest-Litowsk, nächstdem Kowno, Gonionds, Nowo-Georgiewsk, Iwangorod, Luzk, Kamenez Podolsk, Chotin; verschanzte Orte sind Lomsha, Grodno, Robno, Dubno. Außerdem besteht im Innern des Reichs noch eine große Anzahl Festungen; wir nennen: Dünamünde, Dünaburg, Bobruisk, Kiew, [* 3] Bender, Kars und an den Küsten Kronstadt, [* 4] Wiborg, [* 5] Sweaborg, Odessa, [* 6] Otschakow, Sebastopol, [* 7] Kertsch, Batum [* 8] etc. Bewaffnung: Die Infanterie führt das Berdan-Gewehr, die Kavallerie das Dragonergewehr, gleich dem Infanteriegewehr, nur 10 cm kürzer;
das Kosakengewehr gleicht ihm, nur hat es kein Bajonett.
Das erste Glied der [* 9] Kosaken hat noch die Lanze außer dem Gewehr; Offiziere u. Unteroffiziere haben den Smith-Wesson-Revolver. Die gesamte Kavallerie führt einen Säbel mit Lederscheide (Schaschka), mit der Krümmung nach oben getragen. Die Feldartillerie hat 4 Geschützkaliber, die schweren 10,68, die leichten 8,69 (der reitenden Batterien), die Gebirgsbatterien haben eine ältere Bronzekanone von 7,62 und eine neue Stahlkanone (Baranowski) von 6,35 cm Kaliber. Als Positionsgeschütze werden 15 cm Stahlfeldmörser mitgeführt. Die Uniform, früher der deutschen ähnlich, ist jetzt national russisch. Der grüne Waffenrock hat keine Knöpfe, seine Brustklappen werden übereinander gehakt, die weiten grünen Hosen [* 10] stecken in hochschäftigen Stiefeln; die Kopfbedeckung ist eine niedrige Lammfellmütze. Die Kosaken haben blaue Uniform.
[Kriegsflotte.]
Das schwimmende Material der Kriegsflotte zerfällt, den heimatlichen Gewässern entsprechend, in die Ostseeflotte, die Flotte des Schwarzen Meers, die sibirische Flotte und die Flotte im Kaspischen Meer. In der Ostseeflotte liegt naturgemäß der Schwerpunkt [* 11] der russischen Seemacht; sie zählte Anfang 1888 außer einer Anzahl Last- und Hafenfahrzeuge 231 Schiffe, [* 12] unter diesen 31 Panzerschiffe, [* 13] von denen allerdings 20 noch aus den 60er Jahren stammen, also nur sehr geringen Kampfwert haben.
Die Flotte des Schwarzen Meers ist noch in der Entwickelung, der man in neuester Zeit eine besondere Aufmerksamkeit durch Beschaffung schwerer Panzerschlachtschiffe zuwendet, so daß dieselbe zu einer mächtigen Schlachtflotte, entsprechend der ihr beigelegten politischen Bedeutung, anwachsen wird. Sie besteht zur Zeit aus 176 Schiffen, darunter 5 Panzerschiffe, einschließlich der beiden kreisrunden, jetzt wertlosen Popowken. Die sibirische Flotte, die jüngste, ist noch im Entstehen und auf den Hafen Wladiwostok angewiesen; sie zählt 53 meist kleinere Schiffe und Fahrzeuge.
Noch kleiner ist die Flotte im Kaspischen Meer, welche nur aus 20 kleinern Schiffen, unter diesen 4 Kanonenboote, besteht. Die ehemalige Flotte im Aralsee ist eingegangen, seitdem Rußland das ganze Ufergebiet beherrscht. Einen besondern Wert hat man in Rußland stets auf das Torpedowesen gelegt, dem auch die verhältnismäßig sehr starke Torpedobootflottille entspricht; letztere enthält zwar eine große Anzahl alter Boote, doch läßt man sich die Beschaffung neuer Boote sehr angelegen sein.
Kriegshäfen sind: 1. Klasse Kronstadt, St. Petersburg, [* 14] Nikolajew, Wladiwostok;
2. Klasse Reval, [* 15] Sweaborg, Sebastopol, Batum, Baku und Nikolajew am Amur.
Das Personal zählte 1886: 3777 Offiziere, darunter 117 Admirale und Generale, 1452 Seeoffiziere aller Grade, 185 Offiziere der Marineartillerie 655 Maschineningenieure etc.
Vgl. »Das russisch Reich in Europa« [* 16] (Berl. 1884);
»Beiträge zur Kenntnis der russischen Armee« (Hannov. 1884);
v. Drygalski, Die russische Armee in Krieg und Frieden (Berl. 1882);
Derselbe, Die Entwickelung der russischen Armee seit 1882 (das. 1884);
»Rußlands Wehrkraft«, von E. S. (Wien [* 17] 1887);
v. Stein, Geschichte des russischen Heers bis Nikolaus I. (Hannov. 1885);
»Kurzes Verzeichnis der russischen Landtruppen« (Metz [* 18] 1888);
»Rußland und die russische Armee, ein Sattelbuch« (3. Aufl., Leipz. 1888).
Wappen, Flagge, Orden.
Das Reichswappen (s. Tafel »Wappen«) [* 19] ist auf goldenem Schild, [* 20] über welchem die Kaiserkrone mit zwei blauen, goldeingefaßten Bändern schwebt, ein schwarzer zweiköpfiger und dreifach gekrönter Adler [* 21] mit rotem Schnabel, roten Füßen und ausgebreiteten Flügeln, in der rechten Klaue [* 22] das goldene Zepter, in der linken den goldenen Reichsapfel haltend; auf der Brust das moskowitische Wappen, nämlich St. Georg zu Pferde, [* 23] den Lindwurm durchbohrend. Auf jedem Flügel des Adlers befinden sich drei Schilde: die Wappen von Astrachan, Nowgorod und Kiew rechts und die von Sibirien, Kasan [* 24] und Wladimir links.
Der Adler ist von der Kette des Andreasordens umgeben. Die Entstehung des russischen Reichswappens fällt in das Jahr 1497, als der Zar Iwan III., der die griechische Prinzessin Sophia zur Gemahlin hatte, das byzantinische Reichswappen, den zweiköpfigen Adler, annahm und diesem das Wappen des Großfürstentums Moskau [* 25] beifügte. Die Landesfarben sind Schwarz, Orange, Weiß, in horizontalen Streifen; die Flagge (s. Tafel »Flaggen [* 26] I«) [* 27] weiß, durch ein blaues Kreuz [* 28] diagonal geteilt (doch gibt es noch besondere Flaggen für die Flotte der Ostsee, des Schwarzen Meers etc.); bei Kauffahrteischiffen: weiß, blau, rot, in horizontalen Streifen.
Großmeister aller russischen Orden [* 29] ist der Kaiser. Der älteste in Rußland gestiftete Orden ist der des heil. Andreas, von Peter d. Gr. 1698 gestiftet (s. Tafel »Orden«); er besteht nur aus einer Klasse, und jedes Kind des kaiserlichen Hauses erhält ihn bei der Taufe. Andre sind: der weibliche St. Katharinenorden, gestiftet 1714 von Peter d. Gr. zum Andenken an seine Befreiung aus dem Lager [* 30] am Pruth 1711 durch die Klugheit seiner Gemahlin Katharina, mit zwei Klassen der Orden des heil. Alexander Newskij, gestiftet 1722 ebenfalls von Peter d. Gr., mit nur einer Klasse der St. Annenorden, ursprünglich holsteinischer Orden, gestiftet 1735 vom Herzog Georg Karl Friedrich zu Ehren seiner Gemahlin Anna, der Tochter Peters d. Gr., 1797 vom Kaiser Paul unter die Zahl der russischen Orden aufgenommen, mit drei Klassen; der ursprünglich polnische Weiße Adlerorden, vom polnischen König Wladislaw IV. gestiftet, von August dem Starken 1705 erneuert, mit einer Klasse; der ebenfalls ursprünglich polnische Stanislausorden, gestiftet 1765 vom König Stanislaus Poniatowski, mit drei Klassen. Für ausgezeichnete Tapferkeit wird der St. Georgsorden verliehen, der 1769 von der Kaiserin Katharina II. gestiftet wurde und vier Klassen hat; als fünfte Klasse kann das silberne Tapferkeitskreuz für Untermilitärs hinzugezählt werden. Der Orden des apostelgleichen Wladimir, 1782 von der Kaiserin Katharina II. gestiftet, hat vier Klassen, und jeder Bürgerliche, dem dieser Orden verliehen wird, erhält die Rechte des Adels. - Die Haupt- und Residenzstadt des Kaisers ist St. Petersburg, die Krönungsstadt aber die frühere Hauptstadt Moskau. ¶
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Über das asiatische Rußland s. die Einzelartikel Kaukasien, Sibirien und Turkistan.
Litteratur.
Außer den ältern Werken von Pallas, Gmelin u. a. sowie den bei den betreffenden Abschnitten bereits angeführten Werken sind wichtige Schriften über Rußland: »Beiträge zur Kenntnis des russischen Reichs« (hrsg. von Baer, Helmersen, Schrenck u. a., Petersb. 1839-73, 26 Bde.; 2. Folge 1879-86, 9 Bde.; 3. Folge, 1886 ff.);
H. Kletke, Alex. v. Humboldts Reisen im europäischen und asiatischen Rußland (Berl. 1855, 2 Bde.);
Erman, Archiv zur wissenschaftlichen Kunde Rußlands (das. 1841-66, 25 Bde.);
I. ^[Iwan] Strelbitsky, Arealbestimmungen des russischen Reichs (russ.);
Haxthausen, Studien über die innern Zustände Rußlands (Hannov. 1847-52, 3 Bde.);
Tengoborski, Études sur les forces productives de la Russie (Par. 1852-54, 3 Bde.);
Schnitzler, L'empire des Tsars (das. 1856-69, 4 Bde.);
Bodenstedt, Russische Fragmente;
Beiträge zur Kenntnis des Staats- und Volkslebens in seiner historischen Entwickelung (Leipz. 1862, 2 Bde.);
Schedo-Feroti, Études sur l'avenir de la Russie (Berl. 1857-68, 10 Tle.);
Matthäi, Die wirtschaftlichen Hilfsquellen Rußlands (Dresd. 1883-84, 2 Bde.);
W. Stieda, Aus der Wirtschaftsstatistik Rußlands (Jena [* 34] 1883) und verschiedene Aufsätze in den »Jahrbüchern für Nationalökonomie« und in Schmollers »Jahrbuch«;
v. Sarauw, Das russische Reich in seiner finanziellen und ökonomischen Entwickelung (Leipz. 1873);
Lankenau und Ölsnitz, Das heutige Rußland (2. Ausg., das. 1881, 2 Bde.);
Wallace, Rußland (deutsch, 6. Aufl., das. 1880);
A. Leroy-Beaulieu, L'empire des Tsars (Par. 1881-82, 2 Bde.; deutsch, Berl. 1883);
Roskoschny, Rußland, Land und Leute (Leipz. 1882-84);
Meyer v. Waldeck, [* 35] Rußland, Einrichtungen, Sitten und Gebräuche (das. 1882-1886);
Neelmeyer-Vukassowitsch, Rußland (das. 1887);
Reisehandbücher von Bädeker (das. 1883) und Murray (4. Aufl., Lond. 1887);
Besobrasof, Études sur l'économie nationale de la Russie (Petersb. 1883 bis 1886, 2 Bde.);
Jahnson, Vergleichende Statistik Rußlands (russ., das. 1878-81);
Semenow, Geographisch-statistisches Lexikon des russischen Reichs (russ., das. 1862 ff.);
ferner die Schriften der kaiserl.-russischen Geographischen Gesellschaft in Petersburg, herausgegeben von Bestushew-Rjumin (1861 ff.);
die Schriften des kaiserlichen Statistischen Zentralkomitees in Petersburg (1866 ff.);
die Schriften des Departements für Landwirtschaft beim Domänenministerium, die statistischen Sammelwerke über Eisenbahnen des Ministeriums der öffentlichen Bauten, alle in russischer Sprache; [* 36]
die »Russische Revue« (jetzt Vierteljahrsschrift, seit 1872, Petersb.),
die »Baltische Monatsschrift« (Dorpat, [* 37] seit 1862),
die »Nordische Rundschau« (Reval, seit 1884),
»St. Petersburger Kalender«.
Unter den Karten sind außer den nach genauen Messungen vom russischen Generalstab herausgegebenen großen Karten fast eines jeden der europäisch-russischen Gouvernements (russ.) und Pedischews großem »Atlas [* 38] géographique de l'empire de Russie« zu bemerken: Weiland, Karte des russischen Reichs europäischen Anteils (Weim. 1854, 4 Blätter);
Kiepert, Karte des russischen Reichs in Europa (Berl. 1865, 6 Blätter);
Schubert, Spezialkarte des westlichen Teils der russischen Monarchie (Petersb., 59 Blätter und 3 Beiblätter);
F. Handtke, Generalkarte vom europäischen Rußland (Glogau); [* 39]
Petermann, Osteuropa (Gotha [* 40] 1875, 6 Blätter).
Geologische Karten lieferten Grewingk für die Ostseeprovinzen (2. Aufl. 1880), Murchison (1845, engl.) und Helmersen (1874, russ.) für das ganze Reich. Die vollständige Litteratur über Rußland in allen Sprachen findet sich vereinigt im »Catalogue de la Bibliothèque impériale publique de St-Pétersbourg: Russica« (Petersb. 1874, 2 Bde.).
Geschichte des russischen Reichs.
(Hierzu »Karte zur Geschichte des Russischen Reichs«.)
Übersicht der Regenten.
862-1598 | Warägo-russische Herrscher aus Ruriks Stamm |
862-879 | Rurik |
879-912 | Oleg |
912-945 | Igor |
945-972 | Swjätoslaw |
980-1015 | Wladimir I. |
1019-1054 | Jaroslaw |
1054-1238 | Zeit der Teilfürsten. |
1238-1480 | Herrschaft der Mongolen. |
Moskowische Zaren: | |
1462-1505 | Iwan III. |
1505-1533 | Wassilij Iwanow. |
1533-1584 | Iwan IV., d. Schreckl. |
1584-1598 | Feodor Iwanowitsch |
1598-1613 | Thronstreitigkeiten. |
1613-1762 | Haus Romanow: |
1613-1645 | Michael Romanow |
1645-1676 | Alexei |
1676-1682 | Feodor Alexejewitsch |
1682-1689 | Iwan III. u. Peter I. |
1689-1725 | Peter I., d. Gr. |
1725-1727 | Katharina I. |
1727-1730 | Peter II. |
1730-1740 | Anna |
1740-1741 | Iwan IV. |
1741-1762 | Elisabeth. |
Haus Holstein-Gottorp: | |
1762 | Peter III. |
1762-1796 | Katharina II. |
1796-1801 | Paul |
1801-1825 | Alexander I. |
1825-1855 | Nikolaus |
1855-1881 | Alexander II. |
1881 | Alexander III. |
[Die Gründung des Reichs.]
Die Russen (s. d.) bildeten einen Zweig des großen Völkerstammes der Slawen; derselbe umfaßte die am weitesten nach Nordosten wohnenden Völkerschaften der Slowenen, Kriwitschen, Polotschanen, Drjägowitschen, Radimitschen, Sewerjänen, Poljänen, Drewljänen, Bushanen, Duleben, Chorwaten, Ulitschen, Tiwerzen und Wjätitschen. Sie hatten das obere u. mittlere Gebiet des Dnjepr, der Oka, des Wolchow, der Düna, des Niemen u. des Bug inne, aber von keinem dieser Flüsse [* 41] das Mündungsgebiet; die Meeresküsten waren auf allen Seiten von fremden Stämmen, Finnen im Norden, [* 42] Chasaren und Petschenegen im Süden, besetzt.
Die Verbindung zwischen den gut schiffbaren Stromgebieten war eine leichte, da sie nur durch niedrige Wasserscheiden getrennt waren, über welche die Fahrzeuge bequem geschafft werden konnten. Der nördliche Teil des Landes war meist mit Wald bedeckt, der südliche fruchtbarer Kornboden, soweit er nicht in die Steppe überging. Die Russen trieben Viehzucht und [* 43] Ackerbau, Jagd und Fischerei [* 44] und lebten in Dörfern zusammen; die Dorfgemeinde bildete die Grundlage ihrer Verfassung.
Zur Sicherung ihrer Habe in Kriegszeiten errichteten sie ringartige Umwallungen (grad, später gorod), aus denen die ältesten Städte erwuchsen; andre entwickelten sich aus den Handelsplätzen an der lebhaften Handelsstraße, welche vom Finnischen Meerbusen nach dem Schwarzen Meer führte. Ihre Religion glich der der übrigen Arier, war aber wenig entwickelt. Ihre vornehmen Toten verbrannten sie und errichteten über der Asche große Grabhügel, von denen viele erhalten sind. Eine staatliche Organisation fehlte den russischen Stämmen, ebenso ein Bewußtsein ihrer nationalen Zusammengehörigkeit.
Schon früh waren Skandinavier (Normannen) von der Südostküste Schwedens auf dem »Ostweg« (austrvegr) bis zu den Gestaden des Finnischen Meerbusens und von da weiter landeinwärts vorgedrungen; die Finnen nannten dieselben Rus (Rodsen, »Ruderer«),
sie selbst nannten sich Vaeringjar (Wâreng, »Gefolge«),
aus welchen Namen die Slawen Russen und Waräger machten. Die Normannen ¶