Großrussen geltend, während in
Galizien der
Ruthene dem
Polen entschieden feindlich gegenübersteht. Mit dem Großrussen verbindet
den
Kleinrussen die griechische
Religion, doch
ist er weit mehr
Ackerbauer als der Moskowiter und von diesem auch körperlich
geschieden. Der
Kleinrusse, der Nachkomme der am
Dnjepr ehemals angesessenen Poljanen, zeigt den slawischenTypus
sehr rein und ist ziemlich
frei von Mischungen geblieben. Er ist größtenteils schwarzhaarig, mit dunkeln
Augen und feinen
Gesichtszügen, spitzer
Nase,
[* 2] hagerer Gestalt.
Die Grundzüge des slawischen
Charakters, Heiterkeit, Sorglosigkeit, Bequemlichkeit, zeigen sich auch bei dem
Kleinrussen,
jedoch gepaart mit Verschlossenheit, namentlich gegenüber dem
Fremden und Großrussen, den er als Unterdrücker
betrachtet. Der
Kleinrusse ist ein sehr poetisch angelegter
Mensch; seine
Volkslieder atmen Innigkeit,
Schwärmerei, Verständnis
des
Schönen im
Menschen und in der
Natur; ihr
Rhythmus ist lebhaft und bewegt. Diese poetische
Ader macht den
Kleinrussen auch
religiöser als den Großrussen, aber auch zum
Aberglauben, vorzüglich Sagenglauben, geneigter. In jedem
Dorf erzählt man sich von Totenerscheinungen und
Vampiren.
Das Familienleben gestaltet sich beim
Kleinrussen ganz anders als beim Großrussen, denn die Familienglieder erhalten so bald
wie möglich ihre Selbständigkeit. Dadurch ist auch die
Individualität bei diesem
Stamm sehr stark entwickelt, während der
Großrusse durch Associationsgeist hervorragt. Die Wohnorte sind ohne
Straßen unordentlich durcheinander
geworfen; das
Wohnhaus
[* 3] (Chata) besteht aus
Fachwerk
[* 4] von
Lehm und
Holz,
[* 5] mit
Stroh oder
Schilf gedeckt, und ist meist weiß angestrichen
und sauber, von einem
Blumen- und Gemüsegarten umgeben. Die Hauptbeschäftigungen der
Kleinrussen sind
Ackerbau,
Viehzucht,
[* 6] Fischfang, Gartenkultur,
Bienenzucht
[* 7] und Fuhrmannsgewerbe. Für mechanische
Arbeiten haben sie wenig
Talent.
Zur Erntezeit wandern viele mit der
Sense und der Bandurka (kleine
Geige) in südlichere Gegenden. Der
Tschumak
(Fuhrmann) handelt
zugleich mit
Salz,
[* 8] das er von den Seestädten mit zurückbringt, und mit
Fischen.
3) Die
Weißrussen, vielleicht so genannt nach den weißen Filzhüten und der weißen
Kleidung des Landvolkes, sind
der kleinste der drei russischen Hauptstämme. Sie werden im S. von den
Kleinrussen, im O. und
NO. von den Großrussen, im
W. von Litauern und
Polen begrenzt. Überwiegend wohnen sie in den
GouvernementsWitebsk,
Smolensk,
Mohilew,
Minsk,
Grodno und
Wilna,
[* 9] doch auch in
Tschernigow,
Suwalki,
Samara,
Charkow, aber hier nicht die Mehrheit bildend.
Ihre Zahl beträgt
3,592,057. Die
Weißrussen zeigen flachsblonde
Haare,
[* 10] graue oder lichtblaue
Augen, spärlichen Bartwuchs, kurze, flache
Nase,
was auf Mischung mit
Finnen hinweist, die einst (noch von
Nestor gekannt) in diesen Gegenden lebten.
Bemerkenswert sind die häufigen
Fälle von
Albinismus unter den
Weißrussen, namentlich in der Gegend von
Minsk. Die
Weißrussen gelten als Nachkommen der slawischen Kriwitschen; sie kamen erst 1772 an Rußland und standen bis dahin
unter polnischer Herrschaft, die in
Sitten und
Gebräuchen sich noch bemerkbar macht, während die
Sprache
[* 11] ungebrochen blieb.
Die
Weißrussen sind friedliche, arbeitsame, gutmütige Leute mit großem Hang zurEinsamkeit; ihre
Dörfer
zählen selten mehr als 20
Häuser, die große
Mehrzahl hat nur 3-4
Höfe.
Die
Häuser sind klein, eng, düster, aus Holzbalken errichtet. Da der
Boden des
Landes sehr unfruchtbar ist, so haben die
Weißrussen
oft mit
Entbehrung, ja
Hungersnot zu kämpfen; ihr
Los ist kein beneidenswertes, und der polnische Adlige
wie der jüdische
Wucherer und Hausierer haben dafür gesorgt, das
Volk auf eine tiefe
Stufe herabzudrücken, auf der es Trost
im reichlichen Branntweingenuß sucht. Unter solchen Umständen sind sie für
Industrie und
Handel unempfindlich geblieben.
Die
Sprache hält die Mitte zwischen
Kleinrussisch und
Polnisch.
IhreReligion ist unter dem Einfluß der
polnischen Herrschaft die
römisch-katholische geworden. Litteratur vgl. S. 81.
[* 13]Bäder
(Dampfbäder), s.
Bad, ^[= # (Balneum), Eintauchung des Körpers oder einzelner Teile desselben in eine Flüssigkeit, wobei ...]
[* 14] S. 224.
[* 13]Jagd- oder
Hornmusik, eine durch lauter
Jagdhörner, deren jedes nur einen einzigen
Ton anzugeben hatte,
zu Wege gebrachte
Hornmusik. Sie wurde von dem Hornvirtuosen J. A.
^[JohannAnton] Maresch (gest. 1794), der 1748 als
Kammermusiker
nach
Petersburg
[* 15] kam, um 1751 erfunden. Der ganze
Chor bestand aus 40-60
Hörnern. Jeder
Bläser erhielt ein Notenblatt, auf dem
stets nur dieselbe
Note wieder erschien, unterbrochen durch vielePausen. Er zählte nun genau nach und
gab dann, wenn die
Reihe an ihn kam, seinen
Ton an. Diese wertlose Spielerei (ein
Legato auch nur zweier
Töne ist dabei unmöglich)
ist längst antiquiert.
Durch diese ursprüngliche
Verbindung der russischen mit der griechischen
Kirche ward der russische
Episkopat mit in die Trennung
jener von der lateinischen
Kirche hineingezogen, und die Unionsversuche derPäpsteInnocenz III. (1208),
Honorius III. (1227) und
Innocenz IV. (1248) sowie später unter
Clemens VIII. (1596) führten zu keinem
Resultat. Die kirchlichen
Verhältnisse der
Russen erlitten aber auch während der Zeit, wo die
Großfürsten unter der Oberherrschaft der
Tataren standen
(1240-81), keine
Störung.
von Prälaten anvertraut zu sehen, und errichtete, nachdem er die Jurisdiktionsrechte des Klerus beschränkt, die Klostergesetze
revidiert hatte, den heiligen dirigierenden Synod als höchste Kirchenbehörde. Die Grundlagen der hierarchischen Ordnung und
synodalen Oberleitung blieben bestehen; aber der Kirchenverfassung wurde ihre Spitze abgebrochen, indem die kirchliche Oberherrlichkeit
des Patriarchen auf den Zaren überging. Als eine Versammlung Peter d. Gr. um Erhaltung des Patriarchats bat,
sprach er das die ganze Kirchengeschichte Rußlands von nun ab beherrschende Prinzip des Cäsareopapismus mit den Worten aus:
»Hier ist euer Patriarch«.
Katharina II. zog alles Kirchengutan sich (1764), wogegen sie für alle geistlichen Stellen und Stiftungen
einen festen, für die niedern Grade äußerst geringen Gehalt auswarf; aber da sie zu gleicher Zeit der Kirche die Versorgung
der Invaliden abnahm und auf Staatskosten Priesterseminare gründete, erlitt die Kirche wenigstens keinen bedeutenden materiellen
Nachteil. Peter d. Gr. bewilligte 1702 den Katholiken und Protestanten freie Religionsübung im ganzen Reich.
Die Protestanten aber wurden namentlich in den Ostseeprovinzen vielfach bedrückt und die lettische und ethnische Landbevölkerung 1845 von
den Popen durch die Vorspiegelung von Landerwerb zum Übertritt zur russischen Kirche bewogen.
Vgl. Harleß,
Geschichtsbilder aus der lutherischen KircheLivlands von 1845 an (2. Aufl., Leipz. 1869);
Besonders wird innerhalb des kaiserlichen Hauses die russische Kirche begünstigt: russische Prinzessinnen, die sich mit Fürsten andrer
Konfessionen vermählen, dürfen nie zu deren Glaubensbekenntnis übergehen;
dagegen müssen alle Prinzessinnen,
die durch Heirat in die kaiserliche Familie eintreten, das griechische Bekenntnis annehmen.
Man zählt in der russischen Kirche
gegen 12 Mill. Sektierer (s. Raskolniken).
Der Synod hat seinen Sitz in Petersburg. Der russische Klerus besteht aus Kloster geistlichen, auch nach ihrer Kleidung die »schwarze
Geistlichkeit« genannt, welche allein zu den höhern geistlichen Würden gelangen und zum Cölibat verpflichtet sind, und aus
Weltgeistlichen, im Gegensatz zu jenen, trotz ihrer braunen Kleidung, die »weiße Geistlichkeit« genannt,
welche bloß die niedern geistlichen Stellen bekleiden können und sich verheiraten dürfen, aber nur einmal.
Die Ordensgeistlichkeit besteht aus drei Klassen, nämlich:
1) Archierei, zu denen sämtliche Bischöfe gehören, welche
alle dem heiligen Synod zu Petersburg unterworfen sind;
Dieser Klerus ist frei vonAbgaben, steht in geistlichen Dingen unter der Jurisdiktion der Bischöfe und des heiligen Synods, in
Zivil- und Kriminalsachen aber unter der der weltlichen Gerichte. Für Bildung des Klerus ist erst unter
Alexander II. einiges geschehen; besonders der niedere ist sehr unwissend und größtenteils auf landwirtschaftliche
Thätigkeit angewiesen. Aber auch die litterarische Produktion innerhalb der höhern Geistlichkeit beschränkt sich auf Werke,
welche der Liturgie und dem populären Religionsunterricht dienen.
Eine wissenschaftliche Theologie beginnt erst in letzter Zeit und nur ganz vereinzelt aufzutreten. Die russischen Kirchen sind
viereckig und haben eine große Kuppel in der Mitte, die von vier kleinern Kuppeln umgeben ist. Die Glockentürme stehen abgesondert
von der Kirche. Man betet stehend oder auf dem Angesicht liegend. Das Priestergebet wird durch den Gemeindegesang
unterbrochen, der aber eigentlich nur aus drei Sätzen besteht: »Gospodj pomiluj!« (»Herr erbarme dich unser!«),