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Denn in allem, was die Form angeht,
Harmonie,
Reichtum des
Rhythmus,
Eleganz und Reinheit des
Ausdrucks, leistete Rousseau
Vollendetes;
aber die
Gedanken sind fade, oft dunkel durch ein Übermaß mythologischer
Anspielungen, zum Teil gerade zu falsch.
Seinen
Oden
fehlt der Schwung, seinen
Psalmen das
heilige Feuer, seinen
Episteln die gleichmäßige, ruhige
Stimmung,
seinen
Allegorien jede
Wahrscheinlichkeit;
Laharpe nennt sie zum Sterben langweilig. Seine
Komödien und
Operntexte sind teils
nicht aufgeführt worden, teils verdientermaßen gefallen.
Nur seine Epigramme, in welchen er seinem Herzen voll Gift und Galle Luft machen konnte, gehören in ihrer knappen Form und scharfen Pointierung zu den vorzüglichsten ihres Genres. Die letzte Ausgabe seiner Werke veranstaltete Amar (Par. 1820, 5 Bde.). Seine »Lettres sur différents sujets de littérature« erschienen Lyon [* 2] 1750, 3 Bde.; seine »Œuvres lyriques«, mit einem Kommentar, gab Manuel (Par. 1852),
»Contes inédits« Luzarche (Brüssel [* 3] 1881) heraus.
2) Jean Jacques, berühmter franz. Schriftsteller und Philosoph, ward zu Genf [* 4] geboren. Seine Mutter, die Tochter eines evangelischen Predigers, starb schon bei seiner Geburt, und der Vater, ein geschickter Uhrmacher, kümmerte sich nicht viel um die Erziehung seines Sohns, der in seiner Lesewut alle Bücher verschlang, deren er habhaft werden konnte, am liebsten aber die Romane des 17. Jahrh. und Plutarchs Lebensbeschreibungen las. Als sein Vater eines Ehrenhandels wegen aus Genf flüchten mußte, brachte man den zehnjährigen Knaben aufs Land zum Pastor Lambercier, wo sich sein tiefes Gefühl für die Herrlichkeit der Natur entwickelte, dann wieder nach Genf zu seinem Onkel Bernard, der ihn zuerst in das Büreau eines Anwalts, dann zu einem Kupferstecher in die Lehre [* 5] brachte.
Aber sein unsteter
Sinn und harte
Züchtigungen infolge seiner schlechten
Streiche trieben ihn aus Genf;
nach mehrtägigem. Umherirren
kam er nach Consignon zu dem katholischen
Geistlichen, der ihn nach
Annecy an
Frau v.
Warens empfahl. Diese, eine
junge, liebenswürdige, aber äußerst schwache und gutmütige
Frau, welche ihren Mann verlassen hatte, war kurz vorher zum
Katholizismus übergetreten und bemühte sich, den 16jährigen Rousseau
ebenfalls zu bekehren; sie sandte ihn
nach
Turin
[* 6] in ein Bekehrungshaus, wo er bald darauf den
Protestantismus abschwor.
Diesen Schritt hatte er hauptsächlich gethan in der Hoffnung auf eine gute Versorgung, wie sie Frau v. Warens und andre Bekehrte vom König von Sardinien [* 7] erhalten hatten; aber darin sah er sich gründlich getäuscht. Sich selbst überlassen, nahm er sein abenteuerndes Leben wieder auf, wurde Bedienter bei einer vornehmen Dame, von der er jedoch bald wieder entlassen wurde wegen des Verdachts, einen Diebstahl begangen zu haben, trat dann in den Dienst des Grafen von Gouvon, wo man nach Entdeckung seiner hervorragenden Befähigung bemüht war, für seine geistige Weiterbildung zu sorgen, entlief aber auch hier wieder aus Liebe zum Vagabundenleben und kehrte endlich nach langen Irrfahrten 1730 zu Frau v. Warens zurück.
Als auch der Versuch, ihn zum Geistlichen heranzubilden, mißlang, versuchte er es mit der Musik, gab Musikstunden, schloß sich einem Industrieritter an, gelangte nach vielen thörichten Streichen und seltsamen Abenteuern bis nach Paris, [* 8] kehrte dann aber wieder zu Frau v. Warens zurück, die inzwischen nach Chambéry verzogen war. Nach einem vergeblichen Versuch, sich als Schreiber und Musiklehrer sein Brot [* 9] selbst zu erwerben, zog er zu seiner Freundin, die seine Geliebte geworden war, auf das Landgut Les Charmettes und verlebte dort acht glückliche Jahre, schwelgend im Genuß der schönen Natur, hauptsächlich aber mit ernsten Studien beschäftigt.
Hier las er die englischen, deutschen und französischen Philosophen, studierte Mathematik und Latein, vertiefte seine religiösen Anschauungen und versuchte sich in Lustspielen und Opern. Da aber seine Gesundheit durch übermäßige Anstrengungen und die Sorgen um die zerrütteten Vermögensverhältnisse seiner Freundin untergraben war, reiste er auf zwei Monate ins Bad [* 10] nach Montpellier; [* 11] als er dann nach seiner Rückkehr bei Frau v. Warens einen andern Liebhaber findet und mit diesem ihre Gunst nicht teilen will, wie sie es ihm vorschlägt, verläßt er ihr Haus, geht als Hauslehrer nach Lyon und 1741 nach Paris, um sein neues System, Noten durch Zahlen auszudrücken, der Akademie zu unterbreiten.
Als diese seine
Entdeckung zurückwies und überdies eine
Krankheit seine Sorgen um die
Existenz bedeutend vermehrte, nahm Rousseau
die
Stelle eines
Sekretärs beim französischen
Gesandten zu
Venedig,
[* 12] dem
Grafen
Montaigu, an, einem geizigen, brutalen Mann, bei
dem er
nur 18
Monate aushielt. Obwohl aber auch seine
Oper »Les
Muses galantes« fast vollständig durchfiel, so
wurde er doch allmählich bekannt; er trat in lebhaften
Verkehr mit
Diderot,
Grimm, d'Alembert,
Holbach,
Frau v.
Epinay u. a.,
und schon damals rühmte man seine geistvolle Unterhaltung und spottete über sein unbeholfenes Benehmen und seine maßlose
Eitelkeit. In dieser Zeit knüpfte er auch sein
Verhältnis mit
Thérèse
Levasseur, einer Arbeiterin ohne
jede Schulbildung und so beschränkt, daß sie weder die Monatsnamen erlernen, noch den
Wert der einzelnen Geldmünzen behalten
konnte.
Trotzdem lebten beide glücklich in einer Vereinigung, deren festester
Kitt die Macht der
Gewohnheit war, und die erst 25 Jahre
später durch die
Ehe geheiligt wurde; ja, Rousseau
nahm sogar die zänkische und habsüchtige
Mutter und den
kranken
Vater der
Therese mit in den
Kauf. Sie schenkte ihm fünf
Kinder, die er alle ins Findelhaus brachte, eine Herzlosigkeit;
die er mit vielen Sophistereien zu entschuldigen versuchte. Eine Sekretärstelle, welche er damals bei
Madame
Dupin
und deren Schwiegersohn bekleidete, gab er bald auf für eine
Anstellung als
Kassierer beim
Generalpachter
Dupin; inzwischen
aber war er mit Einem
Schlag ein berühmter Mann geworden.
Seine Abhandlung über die Verderblichkeit der Bildung (»Discours sur les arts et les sciences«, 1750), eine Antwort auf eine von der Akademie zu Dijon [* 13] gestellte Preisfrage, war von dieser mit dem Preis ausgezeichnet worden. Von nun an trat er in bewußten Gegensatz zu der Zivilisation, die er für alle menschlichen Laster und besonders für seine eignen Verirrungen verantwortlich machte. Er verschmähte es jetzt auch, von der Schriftstellerei zu leben, und empfahl sich trotz des heftigen Widerspruchs seiner Geliebten und ihrer Mutter als Notenabschreiber in der sichern Erwartung, daß es einem berühmten Mann an Aufträgen nicht fehlen würde. Er täuschte sich auch nicht, denn schon um ihre Neugier zu befriedigen, kamen viele; immerhin aber war es eine höchst unwürdige Rolle, zu der ihn sein ungemessener Stolz und seine Menschenverachtung vermochten. Die Gegenvorstellungen seiner Freunde machten die Sache nur noch schlimmer; er begegnete ihnen mit dem größten Mißtrauen und witterte fortan überall Feindschaft und Verrat. Auch auf dem Theater [* 14] errang er nun einen glänzenden Erfolg mit der Oper »Le [* 15] devin du village« (1752); dagegen fiel sein Lustspiel »Narcisse, ¶
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ou l'amant de lui-même« (1753) vollständig durch. In demselben Jahr erschien seine »Lettre sur la musique française«, mit welcher er durch seine Parteinahme für die italienische Musik einen heftigen Sturm gegen sich erregte. Seine zweite größere Schrift war wiederum von der Akademie zu Dijon angeregt und handelte von dem Ursprung und den Gründen der Ungleichheit unter den Menschen (»Discours sur l'inégalité parmi les hommes«, 1754); auch diese Schrift enthält die heftigsten Anklagen gegen die Gesellschaft. In dieser Zeit machte er eine Reise nach Genf, wo er glänzend empfangen wurde und zum Calvinismus zurücktrat; er nannte sich von nun an mit Vorliebe »Citoyen de Genève«.
Nach seiner Rückkehr nach Paris schrieb er die »Lettre à d'Alembert contre les spectacles« (1758) und trat in eine heftige Polemik mit Voltaire ein, die bald in die bitterste Feindschaft ausartete. Seit 1756 bewohnte er auf eine Einladung der Frau v. Epinay ein Gartenhäuschen im Wald von Montmorency, die berühmte, später umgebaute »Eremitage«. Hier, in der Einsamkeit, inmitten einer herrlichen Natur, hoffte er ein glückliches und ruhiges Leben führen zu können; aber seine häusliche Misere, seine heftige, sinnliche Leidenschaft für die Gräfin d'Houdetot und besonders sein krankhaftes Mißtrauen und seine nervöse Reizbarkeit, die den Bruch mit seinen besten Freunden, Grimm, Diderot und Frau v. Epinay, herbeiführte, machte den Aufenthalt in der Eremitage unmöglich; er bezog eine Gartenwohnung zu Mont Louis in der Nähe von Montmorency.
Hier lebte er auf einem Lustschloß, welches ihm der Herzog von Luxembourg zur Verfügung stellte, von 1757 bis 1762, und wenn auch sein Gemüt nicht gesundete, so sind hier doch seine berühmtesten Werke vollendet worden: »Julie, ou la Nouvelle Héloïse« (1760),
»Du Contrat social, ou Principes du droit politique« (1762) und »Émile, ou de l'Éducation« (1762). Aber auch er teilte das Geschick aller Propheten. Aus Frankreich verbannt, wo das Parlament die Verbrennung des »Émile« und die Verhaftung des Verfassers dekretiert hatte, in seiner Vaterstadt, wo man seine Schriften öffentlich verbrannt hatte, geächtet, mußte er in dem damals preußischen Neuchâtel, im Dorf Moitiers-Travers ^[richtig: Motiers-Travers], eine Zuflucht suchen; günstig nahm ihn der Gouverneur des Ländchens, der Marschall Georg Keith, auf.
Von hier schrieb er seine Streitschrift an den Erzbischof von Paris und die berühmten »Lettres de la montagne«, worin er die Glaubensfreiheit gegen Kirche und Polizei in Schutz nahm. Doch die Intrigen seiner Feinde ließen ihn auch hier nicht ruhen. Auf Anstiften des protestantischen Geistlichen machten die fanatisierten Bauern einen Angriff auf sein Haus und vertrieben ihn aus ihrem Dorf (Sommer 1765). Auch von der Petersinsel im Bieler See, wohin er sich geflüchtet, wurde er verjagt; schon wollte er sich auf die Einladung Friedrichs II. nach Berlin [* 17] begeben, als er den dringenden Bitten Humes, nach England überzusiedeln, nachgab.
Aber auch dort war seines Bleibens nicht lange; sein Menschenhaß, der durch die Leiden [* 18] der letzten Jahre allmählich in Verfolgungswahnsinn ausgeartet war, vielleicht auch einige Rücksichtslosigkeiten seines Gastgebers, besonders aber wohl der Anstoß, den die englische Gesellschaft an seinem Verhältnis zu Therese nahm, führte bald den Bruch herbei. Schon landete er in Frankreich, erhielt 1770 die Erlaubnis, nach Paris zurückzukehren, wo er in der Rue Plâtrière (die jetzt seinen Namen trägt) eine Wohnung bezog, und vollendete dort die schon in England begonnenen »Confessions« (deutsch von L. Schücking, Hildburgh. 1870), worin er mit einer oft empörenden Offenheit und Rücksichtslosigkeit gegen sich und andre sein ganzes Leben der Welt darlegte. In langer armenischer Kleidung wandelte er damals melancholisch unter den Parisern umher, trieb Musik und Botanik und nährte sich vom Notenschreiben, bis er im Mai 1778 vom Marquis v. Girardin die Einladung erhielt, in Ermenonville, unweit Paris, ein stilles Landhaus zu beziehen.
Hier starb er plötzlich 2. Juli d. J., wie einige vermuten, eines freiwilligen
Todes. 1794 wurden seine Gebeine (von Ermenonville) feierlich im Panthéon beigesetzt, von wo sie unter der Restauration heimlich
wieder entfernt sein sollen; seine Landsleute aber errichteten auf der nach ihm benannten Rousseau
insel in Genf
ihrem größten
Bürger ein Denkmal. Außer den angeführten Werken schrieb Rousseau:.
»De l'imitation théâtrale« (1764);
das Melodrama »Pygmalion«, welches Berquin in Verse brachte;
die Abhandlung über die »Vertu la plus nécessaire aux héros« (1769);
ein »Dictionnaire de musique« (1767);
»Lettres sur la botanique«;
»Dialogues«, Briefe etc. Mehrere Schriften wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht, wie »Le Lévite d'Ephraïm«;
»Émile et Sophie, ou les Solitaires«, eine schwächliche Fortsetzung des »Émile«;
die »Considérations sur le gouvernement de Pologne« und endlich die »Confessions«, die vervollständigt wurden durch eine Art Tagebuch: »Les Le rêveries du promeneur solitaire«, die gegen seinen ausdrücklichen Wunsch schon drei Jahre nach seinem Tod veröffentlicht wurden.
Mehr als Voltaire bestimmte Rousseau
die geistige Physiognomie des alternden 18. Jahrh. Aufgewachsen in einer Stadt, die durch harte
Kämpfe gegen Gewalt und Übermut frei und groß geworden, in welcher strenge calvinistische Zucht wahre und tiefe Frömmigkeit
nicht ausschloß, mit einem Herzen voll glühender Liebe zur Natur, deren Großartigkeit und Lieblichkeit
in ihm einen begeisterten Lobredner fand, trefflich gewappnet mit dem geistigen Rüstzeug des philosophischen Jahrhunderts,
ein scharfer Denker, von der feurigsten Beredsamkeit, daneben von einer Betonung
[* 19] des eignen Ichs, von einer Selbstsucht und Überhebung,
die in ihrer Übertreibung geradezu widerwärtig wirken, unternimmt er es, die moralischen und politischen
Verhältnisse umzuformen, indem er den glänzenden Schleier, welcher die Fäulnis und das Elend des sozialen Lebens verhüllte,
mit kühner Faust zerriß und vollständige Umkehr predigte, die Rückkehr zur natürlichen Empfindung und zur reinen Bürgertugend.
Seine Hauptwerke geben uns ein anschauliches Bild seines Systems. Wenn er in der Abhandlung über die Verderblichkeit der Bildung nachwies, daß mit dem Fortschreiten der Kultur der Verfall der Sitten Hand [* 20] in Hand gegangen sei, daß Irrtum und Vorurteil unter dem Namen Philosophie die Stimme der Vernunft und der Natur erstickt hatten, so zeichnet er im »Émile« das Ideal eines Bürgers und die Mittel, das Kind zu einem solchen zu erziehen. Fern von der Welt und dem verderblichen Einfluß der Gesellschaft soll die Seele des Kindes sich bilden;
da der Mensch von Natur gut ist, so braucht nur Irrtum und Laster fern gehalten zu werden;
dann wird der Knabe lernen, natürlich und richtig zu fühlen und zu denken, ohne daß Vorurteil und konventionelle Begriffe die Klarheit seiner Anschauungen beeinträchtigen;
dann wird er von selbst Wissenschaft und Kunst und zuletzt auch Gott finden lernen.
Den Glanzpunkt des »Émile« aber bildet das ¶